Nachgefragt | Recht: Wegen Diabetes in die Förderschule?

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Nachgefragt | Recht: Wegen Diabetes in die Förderschule?

Unser Rechts-Experte Oliver Ebert antwortet auf die Frage einer besorgten Mutter: Eine Diabeteserkrankung ist kein Grund, betroffene Kinder auf eine Förderschule zu schicken.

Die Frage

Unsere Tochter Leonie (8 Jahre, 3. Schuljahr) hat derzeit leider sehr starke Blutzuckerschwankungen. Es kam öfter vor, dass sie Unterzuckerungssymptome zeigte und wir dann einen Anruf aus der Schule bekamen, weil die Lehrer überfordert waren. Nun hat der Klassenlehrer angedeutet, dass es so nicht weitergehen könne, Leonie gehöre mit dem Diabetes eigentlich ohnehin in eine Förderschule.

Wir haben jetzt Angst, dass Leonie irgendwann womöglich von der Schule genommen werden muss. Was können Sie uns hier empfehlen?

Frau R.

Die Antwort von Oliver Ebert

Ich denke, dass ich Ihnen etwas Entwarnung geben kann. Nach unserem Grundgesetz (Artikel 3, Absatz 3 GG) darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Aus diesem Grund sollen gem. § 4 Abs. 3 SGB IX Leistungen für behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder so geplant und gestaltet werden, dass die Kinder nach Möglichkeit nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit nichtbehinderten Kindern betreut werden können.

Urteil: Wegen Diabetes auf Förderschule nur im Ausnahmefall

Eine aktuelle Gerichtsentscheidung (Oberverwaltungsgericht (OVG) Magdeburg, Beschluss vom 25. 11. 2013, Az.: 3 M 337/13) hat unlängst daher klargestellt: Ein Kind mit Diabetes darf nur im Ausnahmefall auf eine Förderschule verwiesen werden.

Geklagt hatten die Eltern eines Kindes mit Diabetes, welches das erste Schuljahr in einer staatlichen Grundschule besucht hatte. Die körperlichen Einschränkungen des Kindes waren vergleichsweise gering, zudem wurde es bei Blutzuckermessungen während der Schulzeit von einem privaten Pflegedienst unterstützt. Dennoch hatte das zuständige Landesschulamt verfügt, dass das Kind ab dem zweiten Grundschuljahr in eine Förderschule für körperbehinderte Kinder wechseln müsse.

Begründet wurde die Entscheidung u. a. damit, dass das an der Schule vorhandene Personal nicht ausreiche, so dass eine ausreichende Betreuung des Kindes nicht mehr gewährleistet werden könne. Die Eltern haben sich dagegen gewehrt – und vom OVG nun Recht bekommen: Das Grundgesetz (Art. 3, Abs. 3 Satz 2 GG) verbietet die Benachteiligung behinderter Menschen; staatliche Stellen müssen alle zumutbaren Möglichkeiten schaffen, um eine Eingliederung (Inklusion/Integration) sicherzustellen.

Einsatz sonderpädagogischer Förderung

Ein behindertes Kind darf daher nur dann gegen den Willen der Eltern an eine Förderschule verwiesen werden, wenn die Erziehung und Unterrichtung an der Regelschule nicht (mehr) seinen Fähigkeiten entspräche oder nur mit besonderem Aufwand möglich wäre. Selbst dann wäre eine Förderschulüberweisung aber nur zulässig, wenn ein Besuch der Regelschule nicht durch angemessenen Einsatz von sonderpädagogischer Förderung ermöglicht werden könnte.

Dazu schreibt das Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt vor, dass zunächst geprüft werden müsse, ob nicht eine integrative bzw. inklusive Beschulung in Betracht komme. Alle diese Vorgaben hatte das Landesschulamt im vorliegenden Fall nicht beachtet. Nach Auffassung des Gerichts kann dem Kind die Möglichkeit, die Grundschule weiter zu besuchen, sehr wohl eröffnet werden, wenn die Behörde sich nur in zumutbarer Weise darum bemühen würde.

(Nur) wenn die Schule jedoch wirklich zwingende Gründe nachweisen kann, dass ein behindertes Kind dort nicht (mehr) hinreichend betreut werden kann, wäre also ein Verweis auf eine andere, geeignetere Schule wohl zulässig. Auch dies wurde – vom Bundesverfassungsgericht vor einiger Zeit entschieden (BVerfG, 1 BvR 91/06 vom 10.02.2006).

Fazit: Keine Sorge!

Wenn die Schule also wirklich der Auffassung sein sollte, dass Leonie aufgrund des Diabetes nicht mehr regelschulfähig sei, so müsste sie dies sehr gut begründen können und auch nachweisen, dass alle zumutbaren Möglichkeiten einer Integration ausgeschöpft wurden.

Dies wird hier kaum der Fall sein, zumal Sie ja für den Bedarfsfall eine Assistenzperson organisiert haben. Meines Erachtens müssen Sie also nichts befürchten und könnten sich gegen eine solche Entscheidung der Schule mit guten Erfolgsaussichten wehren.


von Rechtsanwalt Oliver Ebert

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2014; 7 (1) Seite 24-25

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