Neuer internationaler Konsens zu Zielen für „Zeit im Zielbereich“

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Neuer internationaler Konsens zu Zielen für „Zeit im Zielbereich“

In den letzten Jahren hat sich die Kinderdiabetologie als Vorreiter in der Entwicklung und Nutzung von Diabetestechnologie erwiesen. So verwenden immer mehr Kinder und Jugendliche mit Diabetes ein kontinuierliches Glukose-Messsystem (CGMS). Erstmals gibt es nun Empfehlungen zur Beurteilung der „Zeit im Zielbereich“ aus CGM-Daten.

Über 50 Prozent aller Kinder und Jugendlichen mit Diabetes (im Kleinkindalter sogar über 95 Prozent) tragen eine Insulinpumpe. Und sowohl bei Pumpen- wie auch Pentherapie nimmt die Nutzung von kontinuierlichen Glukose-Messsystemen (CGMS) zur Stoffwechselüberwachung rasant zu; kürzlich wurde ein weiteres Gerät in das Hilfsmittelverzeichnis in Deutschland aufgenommen. Jetzt liegen erstmals Empfehlungen zur Beurteilung der Zeit im Zielbereich aus CGM-Daten vor.

Änderung bei der Erstattung von CGM

Seit 2016 ist durch einen Entscheid des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) die kontinuierliche interstitielle Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten
(rtCGM) für Menschen mit Diabetes, die einer intensivierten Insulinbehandlung bedürfen, eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Bislang wurde in der Kostenübernahme in Deutschland ein Unterschied gemacht zwischen den sogenannten „Echzeit“-rtCGM Geräten und den Geräten, die nur bei zwischenzeitlichem Scannen (intermittent Scanning, iscCGM , z. B. FreeStyle Libre) einen Wert anzeigen.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Systemen war auch bislang der Alarm bei hohen oder niedrigen Werten, der nur bei Geräten ohne Scannen möglich war. Daher waren die iscCGM-Geräte bislang nicht in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen, und die Genehmigung der Kostenübernahme hing von der jeweiligen Krankenkasse ab.

Zweite iscCGM-Generation

Die zweite Generation des iscCGM (FreeStyle Libre 2) verfügt nun über eine Bluetooth-Verbindung zum Scanner und kann ebenfalls und auch ohne intermittierendes Scannen einen Alarm bei vom Nutzer definierten Schwellenwerten für hohe oder niedrige Glukosewerte geben. Im Sommer diesen Jahres wurden diese Geräte vom Verband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) ins Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen und der Untergruppe „Real-Time-Messgeräte (rtCGM)“ zugeordnet.

Durch die Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis ist jetzt auch das erste iscCGM-Gerät von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst, und es gibt, was die Erstattung angeht, keine Unterschiede zwischen rtCGM (z. B. DexCom G6, Medtronic Guardian, Eversense XL (Eversense XL: nur für Erwachsene zugelassen)) und iscCGM mit Alarmfunktion (z. B. FreeStyle Libre 2) mehr.

Die „Zeit im Zielbereich“ beurteilen

Bereits in Ausgabe 2/2018 („Über den HbA1c hinaus“, Kurzlink: bit.ly/33YgaAb)hatten wir berichtet, dass zur Beurteilung kontinuierlicher Glukosedaten die Zeit im Zielbereich (Time in range, TIR) herangezogen wird. Dabei hatte eine Expertengruppe zur besseren Vergleichbarkeit von einem Sprechstundentermin zum nächsten und bei der Auswertung von Studienergebnissen die prozentuale TIR, die im Verlauf der 24 Stunden zwischen 70-180 mg/dl (3,9-10 mmol/l) liegt, als Bewertungsgröße für kontinuierliche Daten definiert.

Im August diesen Jahres wurde nun der Expertenkonsens für die Zielwerte in der TIR publiziert. In der Zwischenzeit haben die meisten der internationalen Dia-
betesgesellschaften diesen Empfehlungen zugestimmt. Anders als beim HbA1c wurde einheitlich für Patienten mit Typ 1 oder Typ 2 und genauso für Kinder mit Diabetes ein identischer anzustrebender Prozentanteil im Zielbereich von 70-180 mg/dl von 70 Prozent empfohlen.

Dem Konsensuspapier zufolge stellt eine Änderung von 5 Prozent in der Zeit im Zielbereich zwischen zwei Auswertungen eine klinisch relevante Änderung dar. Andere Zielwerte gibt es in der Schwangerschaft, bei alten Menschen und bei Patienten mit Unterzuckerungswahrnehmungsstörungen.

Nicht verrückt machen!

Als Grundlage für die Auswahl dieses Zielwerts wurde der Prozentsatz definiert, der mit den gegenwärtig kommerziell erhältlichen Hybrid-Closed-Loop-Systemen in den Studien im Durchschnitt erreicht werden kann. Daraus folgt natürlich auch, dass dies Zielwertempfehlungen unter Idealbedingungen sind und kein Mensch sollte sich verrückt machen, wenn er solche Werte im Alltag derzeit nicht erreicht. In jedem Fall sollte man individuell seine Ziele mit dem Diabetes-Team für die nächste Zeit besprechen.

Wie geht man praktisch mit CGM-Daten um?

Damit man durch die vielen täglichen Glukosekurven nicht verwirrt wird, hat sich die Analyse des Ambulanten Glukoseprofils (AGP) bewährt. Dieses berechnet aus allen kontinuierlichen Daten einen Beispiel-Tagesverlauf der Glukosewerte.

Vergleicht man die durchschnittliche Zeit im Zielbereich und den prozentualen Anteil niedriger Werte (unter 70 mg/dl bzw. 3,9 mmol/l, man spricht in den Leitlinien von „Level 1“-Hypoglykämie) und sehr niedriger Glukosewerte (unter 54 mg/dl bzw. 3,0 mmol/l; „Level 2“-Hypoglykämie), dann ergibt sich rasch, ob im Moment die Vermeidung von Über- oder Unterzuckerungen im Vordergrund der Bemühungen stehen sollte.

Graphischen Auswertung der CGM-Daten

Schaut man dann auf das standardisierte AGP-Profil mit der graphischen Verteilung der Durchschnittswerte, kann man sehen, zu welcher Zeit diese niedrigen Werte (unter 70 mg/dl) oder hohen Werte (über 180 mg/dl) in der Regel auftreten.

Auch wenn sich die Zeit im Zielbereich manchmal von einem Termin zum nächsten nicht ändert, ist es sicher auch ein Erfolg, wenn es einem Patienten mit ursprünglich 10 Prozent Werten unter 70 mg/dl gelingt, das Ziel von weniger als 4 Prozent Werten im Unterzuckerungsbereich zu erreichen.

Da man über die üblichen Blutzuckermessungen solche Informationen gar nicht hat, profitieren die meisten Patienten auf verschiedenste Weise von der graphischen Auswertung der kontinuierlichen Daten und der Berechnung der Zeit im Zielbereich. Es bleibt zu hoffen, dass durch die neuen Erstattungsmöglichkeiten und Auswertungs­empfehlungen immer mehr Menschen von den Neuerungen der Diabetestechnologie profitieren.


von Prof. Dr. med. Thomas Danne
Chefarzt Kinderkrankenhaus auf der Bult,
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover,
E-Mail: danne@hka.de

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2019; 11 (3) Seite 6-7

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  • sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 1 Woche

    hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • mayhe antwortete vor 1 Woche

      Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • sveastine antwortete vor 1 Woche

      @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche, 1 Tag

    Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

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