Trotz Diabetes: Max soll normal aufwachsen

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© Kirchheim-Verlag/Christian Mentzel
Trotz Diabetes: Max soll normal aufwachsen

Max, 6 Jahre alt, lebt mit seinen Eltern am Tegernsee. Seit etwas über zwei Jahren hat er Diabetes. Seine Mutter, Anya Schmidt-Rüngeler, erzählt im Interview, wie sie und ihr Mann Lucas versuchen, Max’ Autonomie zu stärken, ihn aber gleichzeitig zu beschützen, nicht zu überfordern – und einfach Kind sein zu lassen.

Anya Schmidt-Rüngeler ist Foodbloggerin (tegernseekitchen.de). Kochen und Genuss spielen in ihrem Leben eine große Rolle, und auch die gute und gesunde Ernährung von Max ist ihr sehr wichtig. Doch davon später mehr.


Diabetes-Eltern-Journal (DEJ): Frau Schmidt-Rüngeler, wie wurde bei Max der Diabetes festgestellt?
Anya Schmidt-Rüngeler:
Ich glaube, es ist relativ klassisch abgelaufen, wobei die Diagnose sehr früh gestellt wurde. Max Großvater hat seit 50 Jahren Typ-1-Diabetes, aber man rechnet ja nicht damit, dass das eigene Kind erkrankt. Ich hatte allerdings einen Arbeitskollegen, der auch Typ-1-Diabetes hat, und den hatte ich mal gefragt, welche Symptome auftreten – das hatte ich wohl im Hinterkopf.

Max ist für sein Alter schon immer groß gewesen, und er hat schon immer gerne Milch getrunken. Am Anfang dachten wir: Vielleicht wächst er gerade und trinkt ein bisschen mehr Milch, weil er groß ist und Hunger hat. Aber dann hat sich die Menge gesteigert und wir mussten nachts zweimal seine Windel wechseln. Eines Nachts hat er sich um ein Uhr einen Becher Wasser geholt und in einem Zug ausgetrunken. Da war mir klar: Hier stimmt etwas nicht. Als er wieder im Bett war, habe ich direkt nach den Symptomen für Typ-1-Diabetes gegoogelt.

Am nächsten Tag hat mein Mann ein Blutzuckermessgerät besorgt, und als wir Max getestet haben, wurde auf dem Gerät einfach nur „hoch“ angezeigt. Wir dachten zuerst, vielleicht funktioniert das Gerät nicht richtig. Dann habe ich den Toleranzbereich für die Messung erweitert, wir haben noch einmal gemessen, und wieder kam „hoch“. Abends um 10 sind wir ins Krankenhaus gefahren. Max hatte einen Wert von 541 mg/dl (30,0 mmol/l).

DEJ: Wie ging es dann weiter?
Schmidt-Rüngeler:
Max hat direkt im Krankenhaus eine Insulinpumpe und einen Sensor – damals noch den Libre – bekommen. Vor kurzem sind wir auf den Dexcom G6 umgestiegen. Wir haben gewechselt, weil wir Max einerseits mehr Autonomie geben wollten, weil nun nicht mehr wie beim FreeStyle Libre mit dem Lesegerät über den Arm gefahren werden muss. Wir wollten, dass er mehr Freiraum hat, dass man ihn nicht ständig stört. Andererseits wollten wir Eltern eine Backup-Möglichkeit haben und auf die Werte schauen können, wenn er in der Schule ist.

Ich denke, es ist einerseits wichtig, ihm zu vertrauen. Ich glaube, so wie andere Kinder in seiner Situation entwickelt er sich ein bisschen schneller als Gleichaltrige, weil er doch schon etwas mehr Verantwortung trägt. Konkret heißt das, dass Max schon sehr gut mit Zahlen umgehen kann. Er ist sehr weit, wenn es ums Zählen und um das Lesen von Zahlen geht. Und er weiß mit seinen sechs Jahren schon, dass er etwas essen sollte, wenn sein Glukosewert deutlich unter Hundert geht.

Die Schule ist offen für Max‘ Diabetes, und seine Lehrerin wird wohl auch geschult, aber trotzdem ist es gut, wenn auch die Eltern die Werte im Blick haben. Und der zweite Punkt ist natürlich, ihm da auch schon mitzugeben, dass er auch mal die Straße runter zu einem Freund gehen kann und wir trotzdem seine Werte im Blick haben. Das gibt ihm mehr Freiraum und mehr Sicherheit.

DEJ: War die Diagnose ein Schock?
Schmidt-Rüngeler:
Total, ja. Mein Mann und ich waren total überfordert. Und auch Max wusste natürlich nicht, was passiert. Wir wussten nicht: Warum denn jetzt Pumpe und Sensor? Es ging einfach alles so schnell. Wir haben eine ganze Weile gebraucht, um zu verstehen, was es für uns bedeutet. Aber Max soll so normal wie möglich aufwachsen. Ich glaube, manche Eltern versuchen bei ihren Kindern, gerade was das Essen angeht, bestimmte Regeln einzuführen. Wir versuchen, unseren Alltag möglichst normal zu gestalten.

Wir halten das tatsächlich sehr offen, Max soll sich natürlich gesund und vielseitig ernähren, aber er ist halt ein Kind, und ihm zu sagen: Dein Kumpel isst Joghurt, du aber jetzt nicht – das halten wir aktuell nicht für den richtigen Weg. Das bedeutet, wir versuchen derzeit, die gesamte Therapie von ihm fernzuhalten. Das ist natürlich für die Eltern sehr anstrengend.

DEJ: Wie sieht das im Alltag aus?
Schmidt-Rüngeler:
Wir sind da sehr, sehr nahe dran. Wir versuchen, ihm ein Verständnis für gesunde und ausgewogene Ernährung mitzugeben. Das ist die Grundlage. Wir verbieten ihm weder Gummibärchen noch ein Nutella-Brot. Aber wir versuchen das natürlich so zu lenken, dass er Gewohnheiten entwickelt, die viel Gemüse beinhalten und Fisch. Das einzige, was wir wirklich eingrenzen, ist Saft – den gibt es wirklich nur in absoluten Ausnahmefällen.

Das ist anstrengend, weil man ja nicht vorhersehen kann, wie viel und wie viel von was er isst. Mit dem Dexcom geht es jetzt ein bisschen besser. Wir sind da sehr nahe dran, außerdem weiß Max schon, dass er mehr Insulin braucht, wenn er bestimmte Dinge isst. Wenn er etwas essen will, sprechen wir immer darüber, trotzdem soll er wie ein normales Kind relativ frei in seinen Essensgewohnheiten sein.

DEJ: Wie offen gehen Sie mit Max’ Diabeteserkrankung um? Welches Bild versuchen Sie Max zu vermitteln?
Schmidt-Rüngeler:
Der Großvater wird jetzt 70 und lebt seit 50 Jahren sehr gut damit. Bei Max versuchen wir zu verhindern, dass er das Gefühl hat, er müsste seinen Diabetes verstecken. Deshalb spreche ich z. B. auch mit Ihnen, weil wir der Meinung sind, man muss über chronische Erkrankungen öffentlich sprechen, um andere dafür zu sensibilisieren, was es bedeutet, z. B. mit Diabetes zu leben.

Für Max nutzen wir Olympiasieger Matthias Steiner und den Fußballer Nacho von Real Madrid als Vorbilder – beide haben auch Typ-1-Diabetes. Heute geht man einfach offener damit um. Und Max sagt: „Ich will ein berühmter Fußballer werden.“

DEJ: Wie war die Reaktion auf Max’ Diabetes im Kindergarten?
Schmidt-Rüngeler:
Wir haben ein riesiges Glück gehabt, weil der Kindergarten von Anfang an gesagt hat: Wir wollen das versuchen. Der Max soll, wenn wir das leisten können, auch ohne Betreuung von außen in den Kindergarten gehen können. Die Kindergärtnerinnen haben sich von der Diabetesberaterin aus dem Krankenhaus schulen lassen, und ich war die ersten Wochen mit dabei und habe geholfen. Es rührt mich bis heute, wenn ich das erzähle, denn die Unterstützung der Erzieherinnen war für uns entscheidend, weil sie uns ermöglicht hat, relativ schnell nach der Diagnose zwar natürlich nicht in unser altes Leben zurückzugehen, aber doch ein bisschen Normalität zu haben.

DEJ: Freut sich Max auf die Schule, den Schulanfang?
Schmidt-Rüngeler:
Er freut sich da definitiv darauf. Er weiß, dass es für ihn Zeit ist. Dadurch, dass wir versucht haben, für ihn sehr viel Normalität zu schaffen, und weil uns der Kindergarten so nahtlos an die Hand genommen hat, weiß Max zwar, dass er Hilfe braucht, aber er ist trotzdem ganz selbstbewusst. Er ist nicht ängstlich, sondern positiv erfreut, sagen wir mal so.

Wir leben in einem kleinen Ort und haben über Freunde schon die Lehrerin kennengelernt, die er wahrscheinlich bekommen wird. Wir waren schon etwas im Austausch, ob sie sich das zutraut und wie wir das machen sollen.

DEJ: Wird es sowohl für Max als auch für seine Lehrerin noch einmal eine Schulung geben?
Schmidt-Rüngeler:
Mit der Lehrerin ist besprochen, dass wir eine Schulung machen. Und Max? Ich glaube, der ist jetzt schon bereit. Max spürt wie die meisten Kinder, wenn sein Blutzucker runtergeht, er hat dann Hunger oder ihm wird ein bisschen schummerig. Und er weiß, wenn er dieses Gefühl hat, dann muss er auf sich selbst vertrauen und etwas essen. Er soll auf seinen Körper hören. Und da wir das schon so leben und üben, glaube ich, dass er ganz gut vorbereitet ist.

DEJ: Durch Ihren Foodblog beschäftigt Sie das Thema Ernährung auch beruflich stark. Welche Rolle spielt dabei Max’ Diabetes?
Schmidt-Rüngeler:
Ich wende mein Wissen schon an, aber wie die meisten Mütter wissen bzw. nachempfinden können, haben viele Kinder ihre Vorlieben, und eine ausgewogene Ernährung ist häufig ein aufreibendes Thema. Dennoch versuche ich, Max auf Grund seiner Diabeteserkrankung nicht in ein festes Raster zu stecken. Er soll auf entspanntem Weg gesunde Gewohnheiten erlernen, nicht durch starre Vorgaben.

DEJ: Gibt es einen Tipp, eine Erkenntnis, die Sie gerne weitergeben würden an andere Familien, in denen auch ein Kind mit Diabetes lebt?
Schmidt-Rüngeler:
Das ist natürlich sehr persönlich, mir ist bewusst, dass da jeder einen anderen Blick hat. Ich glaube, da gibt es auch kein Richtig und kein Falsch. Ich würde aus meiner Warte immer sagen: Man sollte Kinder möglichst lang Kind sein lassen und sie nicht allzu sehr in die Verantwortung nehmen. Sie müssen sich früh genug selbst kümmern.


Was für alle Kinder gilt: Man sollte versuchen, ihnen einen normalen und gesunden Umgang mit Lebensmitteln zu vermitteln – also ein Verständnis dafür, eine Neugierde, die Kinder verstehen das ja schon früh. Max weiß, dass Schokolade süß und lecker ist, aber er weiß auch, dass Obst und Gemüse gesünder sind. Er nennt es „strong food“. Für Kinder mit Typ-1-Diabetes ist es auch deshalb wichtig, damit sie schon auf einem guten Weg sind, wenn sie einmal komplett selbst verantwortlich für sich und ihre Ernährung und Therapie sind. Etwas verbieten würde ich aber nicht.

tegernseekitchen.de
Tolle Fotos, schöne Rezepte, erhellende Artikel über Lebensmittel und Ernährung – all das findet sich auf tegernseekitchen.de, dem Foodblog von Anya Schmidt-Rüngeler. Unter „My Life“ geht es auch um Max und das Leben mit Diabetes.

Interview:

Nicole Finkenauer
Redaktion Diabetes-Journal, Kirchheim-Verlag
Wilhelm-Theodor-Römheld-Straße 14, 55130 Mainz
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2021; 12 (3) Seite 18-20

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