Welche Rolle spielt die Darmflora?

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Welche Rolle spielt die Darmflora?

Die Entwicklung des Immunsystems wird in den ersten Lebensmonaten auch durch die sogenannte Darmflora beeinflusst. Eine gesunde Zusammensetzung von Bakterien und Pilzen ist nicht nur wichtig für eine gute Verdauung, sondern auch für eine gesunde Immunabwehr. Die Studie SINT1A (Supplementation with B. infantis for Mitigation of Type 1 Diabetes Autoimmunity) untersucht, ob bei Kindern mit erhöhtem Typ-1-Diabetes-Erbrisiko durch die Einnahme eines Probiotikums die Entstehung des Diabetes verhindert werden kann.

Früherkennung des Typ-1-Diabetes

In Deutschland können in Bayern, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen alle Kinder bis zum Alter von vier Monaten im Rahmen der Freder1k-Studie auf ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes getestet werden. Mithilfe weniger Tropfen Blut, die aus der Nabelschnur direkt bei der Geburt oder später aus der Hand oder der Ferse des Kindes gewonnen werden, kann nach verschiedenen Abschnitten im Erbgut gesucht werden, von denen man weiß , dass sie gehäuft bei Menschen mit Typ-1-Diabetes auftreten.

Die internationale Plattform GPPAD ("Die Globale Plattform zur Prävention des Autoimmunen Diabetes") möchte bis 2022 länderübergreifend über 300.000 Neugeborene auf ein erhöhtes genetisches Risiko für Typ-1-Diabetes testen. Über zwei Drittel dieses Ziels sind schon erreicht. Dabei ist Typ-1-Diabetes keine klassische Erbkrankheit, bei der durch Weitergabe eines krankmachenden Gens von Vater und/oder Mutter ein pathogenes Erbmerkmal weitergegeben wird.

Bei Typ-1-Diabetes wird nur die Empfänglichkeit zur Entwicklung von Typ-1-Diabetes weitergegeben. Von 100 Kindern mit Risikogenen entwickeln nur etwa 10 bis zum 6. Geburtstag ein Frühstadium des Typ-1-Diabetes, was durch den Nachweis von "Diabetes-Antikörpern" in einem Bluttest nachgewiesen werden kann.

Kann die Entwicklung des Typ-1-Diabetes verhindert werden?

Die frühe Untersuchung des Erbgutes hat vor allem das Ziel, Eltern und Kindern die Chance zu geben, an Studien zur Vorbeugung der Entstehung des Typ-1-Diabetes teilzunehmen. In den vergangenen Jahren wurde den so identifizierten Kindern die POInT-Studie angeboten, bei der die Gabe von oralem Insulin zur Diabetesverhinderung untersucht wird. Ende März 2021 ist zu erwarten, dass die ausreichende Anzahl Studienteilnehmer bei POInT erreicht ist, um nach Abschluss der Studie eine belastbare Aussage zur Effektivität dieses Ansatzes machen zu können.

An der darauffolgenden SINT1A-Studie können nun Kinder mit einem erhöhten Typ-1-Diabetes-Risiko im Alter bis 6 Wochen teilnehmen. Solche Kinder sind besonders empfänglich, bereits zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 3. Lebensjahr Inselautoantikörper zu entwickeln, die sich gegen die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse richten. Bei SINT1A wird nun untersucht, ob die Förderung einer gesunden Darmflora regulierend auf das Immunsystem – mit einer Verhinderung der Diabetes-Entstehung – wirken kann.

Die Rolle des Mikrobioms

Unser Darm ist mit 30 Billionen Mikroorganismen dicht besiedelt. Die "Darmflora" wird medizinisch als Mikrobiom bezeichnet. Man geht davon aus, dass wir zwischen 2 bis 3 kg Bakterien im Darm mit uns herumtragen. Das Mikrobiom entsteht, wenn wir bei der Geburt das erste Mal mit dem Fruchtwasser die dort angesiedelten Bakterien unserer Mutter in den Mund bekommen. Im Laufe des Lebens ändert sich die Zusammensetzung jedoch ständig, z. B. durch Umwelt- und Ernährungseinflüsse, so dass das Darm-Mikrobiom bei jedem Menschen anders ist.

Die Forschung ist erst seit kurzem auf diese Vielseitigkeit aufmerksam geworden, als durch die modernen Analysemethoden der Gensequenzierung es möglich wurde, das Mikrobiom aufzuschlüsseln und zu untersuchen. Die Sequenzierung erlaubt nun auch, Zusammenhänge zwischen Darmbakterien und Krankheitsbildern herzustellen. Ein verändertes Darm-Mikrobiom wird unter anderem mit Übergewicht, Artherosklerose oder Depression und nun auch mit der Entstehung des Typ-1-Diabetes in Verbindung gebracht.

SINT1A-Studie: Was wird gemacht?

Kindern mit einem erhöhten genetischen Typ-1-Diabetes-Risiko wird in der Studie bis zum 1. Geburtstag entweder ein Nahrungsergänzungsmittel mit dem Probiotikum (Bakterienstämme vom Typ Bifidobacterium longum subspecies infantis) oder einem Placebo als Pulver in etwas Muttermilch oder einer anderen Flüssigkeit aufgelöst und über den Mund verabreicht. Stillen unterstützt die optimale Verwertung des Probiotikums.

Daher wird den Müttern in der SINT1A-Studie empfohlen, ihr Kind mindestens die ersten 3 Monate zu stillen. Die Studienteilnehmer werden dann regelmäßig untersucht, ob sich bei ihnen Inselantikörper im Blut als Hinweis auf eine Entwicklung eines Typ-1-Diabetes nachweisen lassen.

Wie funktioniert das Probiotikum ?

Das bei SINT1A verwendete Probiotikum B. infantis stellt bereits mit einem Anteil von 40 bis 80 % das am häufigsten natürlich im Darm vorkommende Bakterium dar. Wenn es über den Mund aufgenommen wird, übersteht es aufgrund seiner hohen Magen- und Gallensäure-Resistenz die Magen-Darm-Passage sehr gut. Im Darm angekommen, verankert sich das Bakterium an der Darmschleimhaut und vermehrt sich sehr schnell.

Das B. infantis-Bakterium unterscheidet sich von anderen Darmbakterien dadurch, dass es in der Muttermilch enthaltene Mehrfachzucker (Oligosaccharide) besonders gut verstoffwechseln kann. So kann Bifidobacterium infantis sehr früh dazu beitragen, den Darm des Kleinkindes vor krankmachenden Keimen zu schützen, indem es Milchsäure und Essigsäure aus Zuckermolekülen synthetisiert.

Die bei der Verstoffwechselung von Oligosacchariden entstehenden Stoffe wie sogenannte kurzkettige Fettsäuren beschleunigen die Reifung der Immunantwort des Körpers und führen zu einer Regulation des Immunsystems. Krankmachende Entzündungsreaktionen werden dadurch unterdrückt und die wichtige Funktion der Darmbarriere verbessert.

Mikrobiom und Typ-1-Diabetes

Untersuchungen des Mikrobioms von Kindern, die Typ-1-Diabetes entwickeln, zeigten Hinweise für ein gestörtes Netzwerken der verschiedenen Bakterienstämme untereinander, und zwar schon bevor bei ihnen die für Diabetes typischen Antikörper nachweisbar waren. Ob diese Kommunikationsfähigkeit und Vernetzung des Mikrobioms bei Kindern mit hohem Diabetesrisiko durch Probiotika verbessert und dadurch die Entstehung eines Typ-1-Diabetes beeinflusst werden kann, soll jetzt die SINT1A-Studie zeigen.|


Autor:

Prof. Dr. med. Thomas Danne
Chefarzt Diabetologie, Endokrinologie und Allgemeine Pädiatrie sowie klinische Forschung
Kinderkrankenhaus auf der Bult
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover
E-Mail: danne@hka.de

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  • tako111 postete ein Update vor 1 Tag, 16 Stunden

    Fussschmerzen lassen leider keine Aktivitäten zu!

  • Hallo guten Abend ☺️

    Ich heiße Nina, bin 33j jung und Mama von drei zauberhaften Mädels.
    Und vor kurzem bekam ich die Diagnose Diabetes Typ 3c. Nach 5 Jahren – 11 Bauchspeicheldrüsen Entzündungen und schwangerschaftsdiabetes 2024, hat meine Drüse nun fast aufgegeben.. Ich bin irgendwie froh diese Schmerzen nicht mehr zu haben, aber merke wie schwer der Alltag wird. denn hinzukommt noch dass ich alleinerziehend bin.
    Aktuell komme ich überhaupt nicht klar mit der ganzen Situation, täglich habe ich hunderte Fragen die niemand beantworten kann. Dass ist mehr als verrückt.
    Wie habt ihr euch gefühlt in dem Moment als es diagnostiziert wurde?

    Ich freue mich sehr auf einen netten Austausch und eure Erfahrung.

    Liebe Grüße, schönen Abend
    Nina 🙂

    • Willkommen Nina, …
      da hast du ja sich schon einiges hinter Dir. Wie schaut es bei Dir mit Mutterkindkur aus, auch in hinblick einer Diabetesschulung. Hast du guten Diabetologen, Teilnahme DMP, Spritzt du selber oder Pumpe, auch hier gibt es viele Fragen. Wie sieht es mit Selbsthilfegruppen bei Euch aus. …
      Oder Forum? Gerade am Anfang, wo noch alles neu ist, – ist es schon eine tägliche Herausforderung, – da kann es hilfreich sein kleine Ziele sich zu setzen. Dabei finde ich die Aktzeptanz am wichtigsten, oder auch sich selber spritzen zu müssen, oder das Weg
      lassen bzw. bändigen des Naschen … etc. Kleine Schritte …

      Viele Fragen bekommst du auch in eine Diabetes-Schulung beantwortet,
      falls noch nicht gemacht, spreche das bei Deinem Diabetologen an!

      Über weiteren Austausch bin ich auch erfreut, schildere ruhig deine Bausstellen, … doch letztendlich sollte Dein Arzt das beurteilen.

      LG

      Wolfgang

  • swalt postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Dia-Newbies vor 2 Tagen, 23 Stunden

    Hallo zusammen. Ich möchte mich erst einmal vorstellen. Ich bin “noch” 59 Jahre, und habe wahrscheinlich seit 2019 Diabetes. Ich würde mir wünschen, endlich angekommen zu sein. Wahrscheinlich seit 2019, weil ich in einem Arztbrief an meinen damaligen Hausarzt zufällig auf den Satz: “Diabetes bereits diagnostiziert” gestoßen bin. Ich habe meinen Hausarzt dann darauf angesprochen und wurde mit “ist nicht schlimm” beschwichtigt.
    Lange Rede. Ich habe einen neuen Hausarzt und einen sehr netten Diabetologen, bei dem ich jetzt seit 4 Jahren in Behandlung bin. Ich vertrage die orale Therapie nicht und spritze ICT. Dennoch bin ich in diesem Thema immer noch absoluter Neuling. Natürlich habe ich viermal im Jahr ein Gespräch mit meinem Diabetologen. Das hilft aber im täglichen Umgang nicht wirklich. Auch die anfangs verordnete Schulung war doch sehr oberflächlich und das war es. Ich kenne nicht die Möglichkeiten, die mir zustehen. Ich habe mir alles, was ich zu wissen glaube aus Büchern angelesen. Irgendwie fühle ich mich allein gelassen, irgendwie durchgerutscht. Ich kenne niemanden in meinem Bekanntenkreis, der Diabetes hat und die nächste Selbsthilfegruppe ist über 50 km entfernt.
    Und so bin ich jetzt hier gelandet. Ich möchte wissen, wie ihr das handhabt, damit ich verstehe, was ich richtig mache und was falsch. Damit ich weiß, dass ich nicht allein damit lebe.

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