Wie hoch ist das Diabetes-Risiko für Geschwister?

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Wie hoch ist das Diabetes-Risiko für Geschwister?

Viele Eltern, die ein Kind mit Typ-1-Diabetes haben, fürchten, dass Geschwister auch an Diabetes erkranken könnten. Aber wie hoch ist das Risiko tatsächlich? Und wie können Eltern mit ihren Ängsten und ihrer Unsicherheit umgehen?

Oft fragen Eltern bereits im allerersten Gespräch nach der Diabetesmanifestation ihres Kindes nach dem Diabetesrisiko für die Geschwister. Sie haben irgendwo etwas von Erblichkeit gelesen, betonen aber auch gleich, dass niemand sonst in der Familie Typ-1-Diabetes habe. Noch mehr Gedanken machen sich junge Paare, die selbst als Kind an Typ-1-Diabetes erkrankt sind. Sie möchten die Stoffwechselstörung nicht weitergeben und sind oft bei ihrer Familienplanung verunsichert.

Wie wahrscheinlich ist Diabetes?

Die Angaben zur Erblichkeit von Typ-1-Diabetes sind in vielen Publikationen nachzulesen. Meist beziehen sie sich auf das Risiko, dass ein Diabetes vor dem 30. Lebensjahr auftritt. Das Risiko für ein Geschwister eines Kindes mit Typ-1-Diabetes liegt bei etwa 10 %. Wenn der Vater Diabetes hat, beträgt das Risiko für sein Kind 5 – 6 %, wenn die Mutter betroffen ist, etwa 2 – 3 %. Sind beide Eltern erkrankt, steigt das Risiko auf mehr als 20 %. Das höchste Risiko mit 25 bis 50 % tragen eineiige Geschwister (Zwillinge) von Kindern mit Typ-1-Diabetes.

Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ohne Diabetes mit einem Risiko von 0,4 % ist die Wahrscheinlichkeit, dass erstgradige Angehörige von Menschen mit Typ-1-Diabetes erkranken, also mehr als 10-fach höher. Das mag sich bedrohlich anhören, aber es bedeutet auch, dass die Chance, gesund zu bleiben, für ein Geschwister 90 % beträgt und die für ein Kind einer Mutter mit Diabetes etwa 97 %.

Diabetes vorhersagen?

Typ-1-Diabetes ist keine klassische Erbkrankheit wie z. B. die Bluterkrankheit oder die Mukoviszidose, bei denen die Art und der Ort der Veränderung im Erbgut genau identifiziert sind. Beim Typ-1-Diabetes geht man davon aus, dass verschiedene Gene beteiligt sind – und die unterscheiden sich auch noch zwischen den Patienten (genetisch heterogene Krankheit). Deshalb ist es heute unmöglich, sicher vorherzusagen, ob ein weiteres Familienmitglied an Typ-1-Diabetes erkranken wird.

Risiken realistisch einschätzen?

Diese Unsicherheit macht manchen (zukünftigen) Eltern sehr zu schaffen. Vielleicht liegt es auch daran, weil es uns Menschen sehr schwerfällt, Gefahren realistisch einzuschätzen. Risiken, die eher selten und sehr bedrohlich sind, überschätzen wir und entwickeln übergroße Ängste. Beispielsweise verzichten manche Menschen auf eine Flugreise, wenn es zuvor zu einem Absturz gekommen ist. Statistisch gesehen ist eine Flugreise aber um ein Mehrfaches sicherer als die Fahrt mit dem Auto.

An das hohe Risiko auf den Autobahnen und auch die vielen schweren Unfälle haben wir uns “gewöhnt” und setzen uns recht gelassen hinter das Steuer. Extrem geringe Chancen überschätzen wir enorm, wenn ein großer Gewinn in Aussicht steht, z. B. beim Lotto.

Betrachtet man die größten Risiken für die Gesundheit und das Leben von jüngeren Kindern, dann sind es statistisch nicht unbekannte Gewalttäter, sondern das vermeintlich sichere Zuhause mit hochgiftigen Reinigungsmitteln, nicht verschlossenen Medikamenten, heißen Töpfen auf dem Herd, ungesicherten Steckdosen oder einem Badeteich im Garten. Hier passen unsere Ängste oft nicht gut zu den objektiven Risiken.

Wie viel Sorge ist angemessen?

Angesichts des erhöhten Diabetesrisikos ist eine gewisse Aufmerksamkeit angemessen – wie auch in Familien ohne eine Stoffwechselstörung. Wenn Kinder extrem viel trinken und andere Diabetesanzeichen zeigen, sollten Eltern sofort reagieren und ein Diabeteszentrum aufsuchen.

Dagegen wäre es unnötig und belastend für ein gesundes Kind, wenn sein Blutzuckerwert ständig kontrolliert und es mit den Ängsten seiner Eltern konfrontiert würde. Die andauernde Angst führt sicher zu einer seelischen Belastung des Kindes. Ob es jemals Diabetes bekommen wird, ist dagegen mehr als unsicher. Ähnliches gilt auch für Kinder, bei denen bei Voruntersuchungen Hinweise auf eine frühe Form des Diabetes festgestellt wurden. Je gelassener Eltern mit der Situation umgehen, umso besser wächst ihr Kind in die Behandlung hinein.

Was hilft gegen übertriebene Sorge?

Zunächst hilft Wissen über die Risiken und damit auch über die Chancen, dass nichts passiert. Optimismus und der Blick auf einen guten Ausgang sind günstig und berechtigt. Stellen Sie sich vor, Sie würden sich die nächsten 20 Jahre große Sorgen machen, um dann festzustellen, dass Ihr inzwischen erwachsenes Kind immer noch gesund ist. Es wäre doch wirklich schade um die vielen unbeschwerten Jahre.

Ein anderer hilfreicher Gedanke ergibt sich aus Ihrem Wissen über den Diabetes: Sie kennen sich schon sehr gut aus, wissen um die Anzeichen und könnten Ihrem Kind kompetent helfen, wenn der eher unwahrscheinliche Fall Diabetes eintreten sollte. Hier können Sie gelassen abwarten und frühzeitig handeln, wenn es sinnvoll sein sollte. Sie sind vorbereitet und werden alles richtig machen!

Manche Eltern versuchen, ihr Kind durch Diäten, viel Sport oder anderes vor Diabetes zu schützen. Einige wenige Mütter und Väter glauben an Heilsversprechen aus dem Internet und geben dafür viel Geld aus. Keine dieser Maßnahmen kann ein Kind vor Diabetes bewahren. Gesunde Ernährung und Sport helfen allgemein, um fit und leistungsfähig zu sein – gegen den Typ-1-Diabetes sind sie erfolglos. Umgekehrt bedeutet dies für Sie, dass Sie nichts falsch machen oder verpassen können. Wenn es bei einem Kind später zu einem Diabetes kommen sollte, gibt es keinen Grund für Schuldgefühle. Das gilt auch für Eltern, die selbst betroffen sind.

Derzeit werden auch in Deutschland einige Studien durchgeführt, in denen Medikamente darauf geprüft werden, ob sie die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes verzögern oder sogar verhindern können. Bisher konnte die Wirksamkeit noch für keine Behandlungsform sicher nachgewiesen werden. Trotzdem sind diese Studien enorm wichtig, weil sie der einzige Weg sind, um den Typ-1-Diabetes vielleicht irgendwann zu verhindern. Eltern, die dazu etwas beitragen wollen, sollten überlegen, ob sie sich daran mit ihren gesunden Kindern beteiligen möchten. Das Gefühl, zu etwas Wichtigem beizutragen und dabei selbst durch ein erfahrenes Team betreut zu werden, kann auch helfen, gelassener mit dem Risiko umzugehen (siehe auch S. 25).

Fazit

Wird das Geschwister meines Kindes auch Typ-1-Diabetes bekommen? Oder: Vererbe ich die Krankheit weiter, weil ich selbst Typ-1-Diabetes habe? Es ist verständlich, dass Eltern oder Paare, die eine Familie planen, diese Fragen stellen. Tatsächlich ist für diese Kinder die Wahrscheinlichkeit im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht – aber es besteht eben auch eine große Chance, dass es nicht passiert.

Eine gewisse Aufmerksamkeit ist deshalb angemessen, aber auch Gelassenheit. Niemand ist schuld, wenn ein Typ-1-Diabetes auftritt!In Studien wird derzeit untersucht, ob die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes durch Medikamente verhindert oder verzögert werden kann. Eltern, die zum Fortschritt auf diesem Forschungsgebiet beitragen möchten, können sich mit ihren gesunden Kindern daran beteiligen.


von Prof. Dr. Karin Lange

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2015; 8 (2) Seite 12-13

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  • insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche

    Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 2 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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