Altes Gemüse – ein Jungbrunnen!

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Altes Gemüse – ein Jungbrunnen!

Ein einzigartiges Lexikon zeigt 800 alte Gemüsesorten – ein Füllhorn des Genusses und der Gesundheit, berichtet Hans Lauber.

Großartigen Buch über alte Gemüsesorten

Kennen Sie die? Lungo von Napoli. Oder Purple Plum. Oder Riesen von Aspern. Das sind Radieschen! Etwa das in Aspern bei Wien gezüchtete Radieschen, das so beschrieben wird: „Großes, leuchtend rotes Radieschen mit einem Knollendurchmesser von bis zu sechs Zentimetern. Das weiße Fleisch bleibt butterzart. Saftig. Geschmack dezent scharf“.

Läuft Ihnen da nicht das Wasser im Mund zusammen, wollen Sie da nicht gleich reinbeißen? Das geht nicht, denn dieses Radieschen ist nirgendwo im Handel zu finden. Zu finden ist es aber in dem großartigen Buch Das Lexikon der alten Gemüsesorten aus dem Schweizer AT-Verlag, der berühmt ist für seine einzigartigen Pflanzenbücher.

Umfangreiches Werk

800 alte Gemüsesorten aus Mitteleuropa werden in dem umfangreichen Werk vorgestellt, etwa allein 96 Tomaten, von der Howard Deutsche Tomate bis zum Theresle aus Liechtenstein. Zu jeder Pflanze gibt es ein Lust machendes Foto, eine kurze Geschichte über die Entstehung.

Etwa dass die Amish Pasta ursprünglich aus der Schweiz stammt und dann von den zur Auswanderung gezwungenen amischen Mennoniten mit nach Amerika genommen wurde. Ausführlich werden die Merkmale beschrieben, etwa dass die „sehr geschmackvolle“ Amish „wenig Kerne, viel Fleisch und sehr zarte Haut“ hat.

Informiert wird auch bei jeder Sorte über den Anbau – etwa dass die Amish auch von den Schnecken geliebt wird – und entsprechend geschützt werden muss. Es folgt ein Hinweis auf die Verwendung, wo es beispielsweise über die Tomate Andenhorn heißt: „Eine Sorte für Gourmets. Sowohl als Salattomate wie auch gekocht sehr schmackhaft“.

Engagement für den Erhalt der Vielfalt

Ein ganz wichtiger Hinweis folgt zum Schluss, nämlich wo die jeweilige Sorte zu bekommen ist. Da heißt bei dem Aspern-Radieschen: „Erhältlich über Arche Noah. Und bei der Amish-Tomate: „Erhältlich über ProSpecieRara“. In Österreich beheimatet ist die gemeinnützige Gesellschaft Arche Noah und in der Schweiz die Stiftung ProSpecieRara.

Beide Organisationen setzen sich mit großem Engagement für den Erhalt der ganzen Vielfalt an Sorten ein – und die Schweizer Organisation (die auch in Deutschland vertreten ist) zusätzlich für die Bewahrung der alten Tierrassen.

Das Wissen und die Erfahrung dieser beiden Organisationen bilden denn auch die Grundlage des Lexikons. Wobei diese gemeinnützigen Einrichtungen keinen schwunghaften Handel mit den Pflanzen betreiben, sondern lediglich den Samen „weitergeben“ an aktive Mitglieder und Förderer. Weitergeben also, nicht verkaufen.

Handelsverbot: unfassbarer Skandal

Es klingt bizarr, aber es ist so: Die meisten der in dem Buch vorkommenden Sorten dürfen offiziell gar nicht gehandelt werden, da sie nicht in amtlichen Verzeichnissen stehen. Für mich ist das ein unfassbarer Skandal, dass wir unsere alten Sorten, die teilweise viel robuster, viel vitaler sind, die sich oft perfekt an ihre Umgebung angepasst haben, die unsere kulturelle Identität bilden, quasi nur noch in einer halblegalen Grauzone weitergeben dürfen.

Diese unheilvolle Entwicklung ist eine Konsequenz davon, dass in den letzten Jahren mächtige Saatgutkonzerne wie Monsanto und Syngenta sich einen weitgehenden Zugriff auf das Saatgut verschafft haben – und dieser Prozess wird mit hoher Energie und ungeheuren Geldmitteln weiter vorangetrieben. So konnte kürzlich in letzter Minute ein Vorstoß der EU gestoppt werden, die für den Handel freigegebenen Sorten weiter zu beschränken.

Hybride Sorten: hochlukratives Geschäft für Konzerne

Ein hochlukratives Geschäft ist dieser Handel für die Konzerne. Denn sie verkaufen im wesentlichen hybride Sorten, die nicht selbst vermehrt werden können, sodass die Landwirte immer wieder bei den Firmen das Saatgut nachkaufen müssen – und so in die Abhängigkeit getrieben werden. Hinzu kommt, dass die Firmen zum Saatgut gleich noch die „passenden“ Fungizide und Herbizide vertreiben und so geschlossene Kreisläufe schaffen, die kaum noch zu durchbrechen sind.

Aus der ehemals bäuerlichen Landwirtschaft wird so eine Industrie – eine Industrie, die immer stärker auch genverändertes Saatgut anbietet, dessen langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit keiner kennt – oder kennen will.

Um so wichtiger sind Initiativen, die sich diesen Giganten entgegenstellen. In Deutschland ist das vor allem Bingenheimer Saatgut bei Frankfurt, eine der Ökoorganisation demeter nahestehende Aktiengesellschaft, die traditionelle Sorten bewahrt und zusammen mit 80 Gärtnereien biologisch-dynamische Neuzüchtungen entwickelt und vertreibt. Wobei alle Sorten „samenfest“ sind, also selbst weiter vermehrt werden können.

„Nahrung ist Medizin – und Medizin ist Nahrung“

In meinem Buch TDM Traditionelle Deutsche Medizin habe ich dieses Unternehmen vorgestellt – denn ich bin überzeugt davon, dass die alten Sorten, die an unser Klima perfekt angepasst sind, unserem Wohlbefinden besser dienen als die standardisierte Industrieware – und so Teil der Medizin sind, gemäß dem Motto von Hippokrates: „Nahrung ist Medizin – und Medizin ist Nahrung“. Das kann aber nur mit lebendiger und nicht mit „tot“ gezüchteter Nahrung funktionieren.

Ein vorbildlicher demeter-Betrieb, der eng mit Bingenheimer zusammenarbeitet, eigenes Saatgut entwickelt, ist Gut Bollheim in der Nähe von Köln, wo ich einen Großteil von meinem Gemüse kaufe – und wo es dieses Jahr Erdbeeren gibt, die so intensiv wie frisch gepflückte Walderdbeeren schmecken und Tomaten, die wieder richtig intensiv nach Tomate duften.

Ja, die alten Sorten schmecken viel besser! So pflanze ich seit Jahren in meinem Garten in Lörrach seit Jahren die Baselbieter Röteli an, die ich in der ökologischen Gärtnerei am Hirtenweg in Riehen bei Basel kaufe, wo ich auch meinen ersten Diabetes Garten angelegt habe. Ein perfektes Verhältnis von Säure zu einer wunderbaren Süße hat diese Cocktailtomate, zum Reinbeißen gut.

Füllhorn des Genusses

Eng mit ProSpecieRara arbeitet die Gärtnerei zusammen – und es lohnt sich, die ungemein sachkundige Bina Thürkauf nach speziellen Pflanzen dieser Organisation zu fragen, die sie in ihrer Gärtnerei führt. Es lohnt sich auch, bei ProSpecieRara aktiv zu werden, Förderer zu sein, denn das erlaubt den Zugriff auf einen Katalog mit über 600 Sorten, ein Füllhorn des Genusses und der Gesundheit.

Interessante Portraits von Gemüse-Enthusiasten bereichern das Buch ungemein. Das sind Menschen, die für ProSpecieRara unentgeltlich arbeiten, Sorten kultivieren, vermehren – und so erhalten. Ohne diese Freiwilligen würde das Netzwerk gar nicht funktionieren. Besonders begeistert hat mich das Portrait von Ursula und Christian Weber, die 1999 dem Zürcher Business-Leben den Rücken gekehrt haben – und in Trun in Graubünden, wo der Rhein noch jung ist, einen Ökobetrieb und ein Gasthaus eingerichtet haben.

Dort wachsen auf tausend Meter Höhe alte Sorten wie die Großbohne vom Lötschental und es gibt die Tomate Quendlinburger frühe Liebe. Auch weiden hier alte Nutztierrassen, wie das Bündner Oberländer Schaf. Mit diesen einzigartigen Produkten bereiten die beiden Öko-Aussteiger wunderbare Gerichte zu – und ich freue mich schon auf einen Besuch bei den Beiden und will unbedingt die Wurst Ligiongia da Truffels probieren.

Impulse für die Diabetes-Forschung

Über 800 Pflanzen mit antidiabetischen Potential gibt es, schreibt Prof. Hubert Kolb in meinem neuen Kirchheim-Buch „Mein Diabetes Garten – 50 Pflanzen, die Zucker natürlich senken“. Ich bin überzeugt, dass gerade auch unter den in diesem Buch beschriebenen robusten Sorten sehr viele sind, die sich unterstützend in der Diabetes-Therapie einsetzen lassen, etwa eine der 42 Bohnensorten.

Denn Bohnen enthalten den mit dem Insulin verwandten Stoff Glukokinin – und vielleicht ist eine Bohnensorte dabei, die besonders viel von dem Pflanzenhormon enthält und damit ein Segen für Diabetiker wäre. So etwas herauszufinden, das wäre ein wirklich lohnendes Ziel für die Diabetes-Forschung.

Gemüse-Lexikon: „Exzellent und überaus wichtig“

Höchstes Lob verdient der Essenskritiker Jürgen Dollase, der das Gemüse-Lexikon in der FAZ mit drei Sternen bewertete, der Höchstnote für ein Kochbuch. Als „exzellent und überaus wichtig“ beschreibt er das Werk und legt es den Köchen nachdrücklich ans Herz. Das ist ein wichtiges Signal des einflussreichen Testers für die Frauen und Männer am Herd. Sie wissen nun, wer die alten Sorten schätzt, damit sehr gut kocht, steigt in der Achtung – und das hat ganz handgreifliche Auswirkungen für den wirtschaftlichen Erfolg.

Gute Köche wie der mit zwei Sternen dekorierte Nils Henkel aus Köln wissen das schon lange, setzen sich intensiv für den Erhalt der alten Sorten ein, kochen damit fantastisch. Wie wunderbar das schmecken kann, habe ich in einer Echt-Essen-Geschichte dokumentiert.

Esst mehr Gemüse – fordern die Ernährungsmediziner, leider nur mit überschaubaren Erfolgen. Wie wäre es deshalb, liebe Experten, wenn Sie einmal in dem wunderbaren Lexikon stöbern würden? Wenn Sie den Diabetikern die geschmacksstarke Wädenswiler Schwertbohne ans Herz legten, wenn Sie vom Kohlrabi Blauer Speck mit dem „zarten, butterweichen Fleisch“ schwärmten? Die Liebe geht durch den Magen. Die Gesundheit auch!

Das Lexikon der alten Gemüsesorten – 800 Sorten, Geschichte, Merkmale, Anbau und die Verwendung in der Küche
AT-Verlag, Aarau und München, 2014. Zusammen mit ProSpecia Rara, Schweiz, und Arche Noah, Österreich. 671 Seiten, knapp drei Kilo schwer, 59,90 Euro.

Der Preis mag hoch erscheinen, aber das mit einem großen Aufwand hergestellte Buch ist jeden Cent wert – und das kann ich als Autor vieler Bücher sehr gut bestätigen!

Basel lohnt eine Reise!

Einen einzigartigen Gemüsegarten mit alten Sorten hat ProSpecieRara in Basel angelegt – und zwar direkt beim Hauptsitzung der Stiftung. Die Anlage ist Teil der Merian Gärten – ein wunderschönes, ökologisch bewirtschaftetes Ensemble im Südosten der Stadt am Rheinknie. Dazu gehört ein großer Englischer Garten, ein Apothekengarten, ein Bauerngarten und im Frühling lockt eine unvergleichliche Iris-Blütenpracht mit alten Sorten, die es nicht mehr im Handel gibt.

Schöne Bauten wie die klassizistische Merianvilla, ein altes Gärtnerhaus, eine historische Mühle und das baubiologisch optimierte neue Lehmhaus für Veranstaltungen machen die Gärten zu einer herrlichen Oase der Ruhe inmitten einer sonst sehr trubligen Umgebung aus Fußballstadion und Eisenbahnen.

„Merian Gärten“: 120 alte Sorten

Über 120 alte Sorten wachsen in dem Garten, geordnet nach Wurzelgemüse, etwa Wurzelpetersilie Halblange Schmitz; nach Blattgemüse, etwa Paprika Rote Teufelchen; nach Kohlarten und Gurkengewächsen, etwa Gurken Kaiser Alexander. Ergänzt wird alles durch viele Rhabarber-, Stangenbohnen- und Erdbeersorten, etwa die unvergleichlich gut schmeckende Mieze Schindler.

Ein Schaugarten ist das Ganze, wo es an vielen Stellen heißt: „Hier wird Saatgut geerntet!“ Denn die reifen Samen dieser seltenen Sorten werden geerntet und kommen in die Samenbibliothek von ProSpecieRara zur weiteren Vermehrung, damit künftig alle von dieser alten Sorte profitieren können.

Vorfreude auf den Herbst

Schon jetzt freue ich mich auf den Herbst, denn dann reift das Obst von über 400(!) alten Sorten, die auch zu dem Garten gehören. Ich selbst habe ja noch einige uralte Apfelbäume in meinem Geburtsort Schopfheim, was einige Kilometer von Basel entfernt ist. Die Experten von ProSpecie haben mir angeboten, dass sie versuchen, diese herrlich schmeckenden alten Sorten zu bestimmen.

Gut gefallen haben mir die kleinen Hinweisschilder bei vielen Pflanzen, wo das Saatgut herkommt, etwa bei der Ostermundinger Kefe (Abb. 1), die aus dem Hausgarten einer alten Frau von Ostermundingen in der Nähe von Bern stammt. Kefen ist übrigens ein anderer Name für Zuckererbsen. Ich finde es toll, dass dieses alte bäuerliche Wissen bewahrt und weitergegeben wird – denn es ist ein wichtiger Teil unserer kulturellen Identität.


von Hans Lauber

Kontakt:
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de

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