4 Minuten
Ein riesiges Echo hat eine WHO-Meldung zur Erhöhung des Krebsrisikos durch Fleisch ausgelöst. Nur über zwei wirklich wichtige Fragen wurde kaum diskutiert, findet Kolumnist Hans Lauber
Wenn’s um die Wurst geht, werden die Deutschen plötzlich hellwach: Selten hat es einen solchen Aufschrei in den Medien gegeben, als nach einer Meldung der WHO, dass der Konsum von Fleisch und Wurst ein erhöhtes Krebsrisiko nach sich zieht. Viele dieser Beiträge habe ich gelesen – und wundere mich über zwei Dinge: Erstens: Welcher pathophysiologische Mechanismus dahintersteckt wurde kaum erläutert. Und zweitens: Es wurde kaum differenziert zwischen Fleisch und Wurst und noch weniger zwischen guten und schlechten Fleischwaren.
Zur Pathophysiologie: Auch ein erhöhtes Diabetesrisiko wird seit langem mit dem Verzehr von Fleisch in Verbindung gebracht – genau so wie nun aktuell ein erhöhtes Krebsrisiko. Aber was denn wirklich diese krankhaften Veränderungen im Körper auslöst, weiß niemand so wirklich. Sicher, es wird auf Studien verwiesen. Nur, damit lässt sich vieles beweisen – und oft genau so gut widerlegen. Immer noch scheint die Wissenschaft nicht stringent beweisen zu können, welche Wirkungen das Fleisch im Körper auslöst.
Auch „Deutschlands oberster Ernährungsforscher“, Prof. Gerhard Rechkemmer, Präsident der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, hatte in einem ganzseitigen Interview mit der FAS vom 1. November leider nur einen Offenbarungseid zu leisten, warum das Krebsrisiko laut WHO um 18 Prozent steigt, wenn täglich 50 Gramm Wurst oder 100 Gramm Fleisch gegessen wird: „Worauf diese Erhöhung basiert, was mich als Wissenschaftler besonders interessiert, ist noch gar nicht veröffentlicht“.
Gerne gebe ich dem Ernährungswissenschaftler bis zur Veröffentlichung einige Hinweise, die ich meinem Buch „Zucker zähmen“ entnehme: „Die in der Wurst schlummernden gesättigten Fette begünstigen die Entstehung von freien Radikalen, die sich negativ auf den Stoffwechsel der Zellen auswirken. Verstärkt wird dieser Prozess durch das Eisen im Farbstoff Myoglobin des roten Fleisches. Die daraus resultierende Eisenüberladung des Körpers mit dem Depot-Eisen Ferritin begünstigt wiederum Entzündungen, die eine wichtige Rolle als Diabetes-Beförderer spielen“. Entzündungen gelten aber auch als eine wichtige Ursache für die Entstehung von Krebs.
Wie gesagt, was ich zitiere, sind die Ergebnisse meiner intensiven Recherchen mit Ärzten und Wissenschaftlern, keine gesicherten Erkenntnisse. Aber das Argument mit den inflammatorischen Prozessen, also den Entzündungen, erscheint plausibel – und es wäre gerade in einer so emotional geführten Debatte wie dem Fleischverzehr wünschenswert, wenn sich die Experten nicht immer nur auf Studien kaprizieren würden, sondern sich stärker mit Ursachen-Wirkungen-Kaskaden beschäftigten. So könnten die Menschen besser einschätzen, was tatsächlich im Körper passiert.
Also, niemand weiß so genau, was das Fleisch im Körper auslöst. Noch weniger ist aber bekannt, welche unterschiedlichen Arten von Fleisch welche Effekte auslösen. Denn „das Fleisch“ gibt es nicht, was leider in den Studien praktisch nicht berücksichtigt wird. Da ist auf der einen Seite das Fleisch der riesigen Tierfabriken, wo mit Wachstumsförderern, häufig genverändertem Futter vor allem Schweine industriell auf engstem Raum turbogemästet und mit Antibiotika vollgepumpt werden. Oft werden diese armen Schweine dann auch noch unter skandalösen Umständen durch Europa gekarrt – was nicht nur jeder Tierethik Hohn spricht, sondern das Fleisch mit Stresshormonen anreichert, es also dramatisch übersäuert – und Übersäuerung ist eine wesentliche Ursache für Entzündungen.
Es sind kranke Methoden, mit denen hier Lebensmittel erzeugt werden, die längst keine Mittel zum Leben, sondern eher tendenziell gesundheitsgefährdend sind. Auch weil dieses Billigfleisch wegen des lächerlich niedrigen Preises auch noch in Unmengen verschlungen wird. Auf der anderen Seite stehen Erzeuger, die Schweine draußen frei laufen und sich ihr Futter selbst suchen lassen, die richtige Muskeln aufbauen können. So eine Sau schmeckt nicht nur großartig, sondern sie strotzt auch vor Herz schützenden Omega-3-Fetten. Ein ähnlicher Effekt stellt sich bei ökologisch im Freien gehaltenem Vieh ein, weshalb „das Fettsäuremuster von Weidemilch günstiger ist als in der konventionellen Milch“, so Prof. Rechkemmer in Sonntags-FAZ, der FAS. Vor allem Kühe, die würzige Kräuter fressen, haben besonders viele der wertvollen Fette, wie Forscher der Zürcher Eliteuniversität ETH herausfanden.
Wer solches Fleisch in Maßen, also ein- oder zweimal die Woche in nicht zu großen Portionen isst, der hat kaum etwas zu befürchten, da mögen die Studien sagen, was sie wollen. Etwas anders sieht es mit der Wurst aus, ein Grundnahrungsmittel im Wurstland Deutschland. Da kann auch hartgesottenen Fleischfreunden die Lust vergehen. Warum, das hat in einem großartigen Beitrag für die „Süddeutsche“ am 31. Oktober der Meisterkoch und Metzgermeister Vincent Klink aus Stuttgart dargelegt: „Würde eine wirklich neutrale Institution unter dem deutschen Wursthimmel zu Gericht sitzen, müssten von 100 verarbeiteten Fleischprodukten, Würzmarinaden und sonstigen Derivaten 80 davon mit einem Totenkopfaufkleber versehen werden“.
Als Beweis für diese kühne These liefert er das Beispiel des fast überall verwendeten Nitritpökelsalzes: „Es handelt sich um das starke Gift Natriumnitrit (tödliche Dosis etwa vier Gramm). Es wird mit Kochsalz einigermaßen verträglich vermengt. Wenn jedoch eine Chemikalie so giftig ist, kann auch der verdünnte Aggregatzustand nicht gesund sein“. Da hat Vincent Klink, dessen kluge Heimatküche ich seit Jahrzehnten schätze, recht – weshalb es sich dringend empfiehlt, Wurst tatsächlich nur bei dem berühmten, dramatisch vom Aussterben bedrohten „Metzger des Vertrauens“ zu kaufen.
Übrigens: Tückische Zusatzstoffe finden sich auch in vielen vegetarischen und vor allem veganen Fertigprodukten – was mit ein Grund sein könnte, dass auch die Liebhaber fleischloser Ernährung ein relativ großes Krebs-Risiko haben. Das ist ja fast schon eine kleine Rache daran, dass viele Vegetarier ihre fleischlosen Würste liebend gern in täuschend echter, „wurstiger“ Form verzehren, was die Wurstfirma Rügenwalder plötzlich auch zu einem Produzenten vegetarischer Erzeugnisse werden lässt.
Da lobe ich mir lieber eine echte deutsche Currywurst. Eine besonders gute Selbstgemachte mit weniger Fett und fittem Bockshornklee empfehle ich in meinem aktuellen Buch „Heimatküche für Diabetiker“. Dort steht auch das Rezept für ein Ketchup, das statt dick machendem Zucker pflanzliche Stevia verwendet. „Lauber´s Hanswurst“ schmeckt gut – und tut gut!
Mehr Infos zur „Heimatküche“ finden Sie hier.
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
Website: www.lauber-methode.de
5 Minuten
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Beliebte Themen
Ernährung
Aus der Community
Push-Benachrichtigungen