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Das Echt essen-Event im Juni: Im “Gottfried” in Moos am Bodensee hat Klaus Neidhart mit seinen Köchen vier Gerichte meines kommenden Buchs “Heimatküche” zubereitet. Eingeladen war auch ein renommierter Restauranttester
Es ist ein großes Projekt, an dem ich seit Jahren arbeite: Ein Kochbuch mit den Küchenklassikern des deutschen Sprachraums – vom Leipziger Allerlei über die Frankfurter Grün Soß bis zur Schwarzwälder Kirschtorte. Rund 50 traditionelle Gerichte wird das im Oktober bei Kirchheim erscheinende Buch umfassen. Natürlich werde ich die Rezepte entschlacken und verfeinern, damit sie Diabetiker und Freunde der schlanken Linie mit Freude genießen können.
Wie sich Gerichte auf den sensiblen Stoffwechsel der Diabetiker anpassen lassen, habe ich durch meine Kochbücher “Schlemmen wie ein Diabetiker” und “Schönkost” gelernt. Aber gleich unsere ganze Küchentradition zu entrümpeln, das überfordert dann doch meine kochtechnischen Fähigkeiten. Deshalb hole ich mir für das Projekt Rat bei einem der erfahrensten deutschen Spitzenköche, bei Klaus Neidhart vom “Gottfried” am Bodensee. Ihn habe ich schon mehrfach bei “Echt essen” vorgestellt, mit ihm habe ich ein paar Jahre lang das legendäre “Kaviarfestival” mit Rogen vom Bodenseefisch zelebriert.
Häufig habe ich mich dieses Jahr mit dem vor allem für seine Fischspezialitäten berühmten Koch über die Optimierung von Rezepten unterhalten. Doch nun wollten wir einmal vier Gerichte final zubereiten, die mir besonders wichtig sind: Königsberger Klopse, Leipziger Allerlei, Zürcher Geschnetzeltes und Schwarzwälder Kirschtorte. Als wir uns Mitte Mai in der Küche vom “Gottfried” treffen, habe ich auch einen prominenten Experten eingeladen, Thomas Konofol, jahrelang Cheftester für den scharfzüngigen Gault Millau. Er soll sagen, ob unsere gesunde Küche auch höchsten kulinarischen Standards standhält. Um es vorweg zu nehmen: Sie tut es!
Es zählt zu den bekanntesten deutschen Gerichten – und es ist das Gericht mit dem miserabelsten Ruf: Leipziger Allerlei. Das kommt daher, dass dieser Klassiker von der Fertiggerichtindustrie zu einem lieblosen Dosenfraß und von den Großkantinen zu einem undefinierbaren Gemüsebrei verkocht wurde. Wir wollen in dem Buch den Ruf dieses vegetarischen Klassikers auf Hochglanz polieren – und das ist überzeugend gelungen, wie ein Blick auf obiges Foto zeigt: Alles, was der Frühling uns beschert, liegt sauber pariert bereit: Spargeln, Erbsen, Möhren, Zuckerschoten, Zwiebeln, frische Morcheln und einige Krebse aus dem Bodensee. Aus dem Vollen kann das “Gottfried” schöpfen, liegt das Restaurant doch auf der Gemüsehalbinsel Höri, wo vieles von kleinen Bauern in Bio-Qualität angebaut wird.
Mit äußerster Sorgfalt und sehr schonend werden die einzelnen Gemüse, die Morcheln gegart; wird eine leichte Sauce mit selbst gemachter Krebsbutter und Cognac hergestellt; werden bei 54 Grad die frischen Saiblinge aus dem See gerade mal vier Minuten mit Olivenöl im Dampfgarer konfiert, sodass die wertvollen Eiweiße erhalten bleiben. Sicher, im Gegensatz zu den Krebsen gehören die Fische nicht zum Originalrezept aus Leipzig (das ich übrigens in keinem gehobenen Gasthaus der Sachsenmetropole finde). Aber sie passen wunderbar zu diesem herrlichen Gericht: “Sensationell, so leicht habe ich das noch nie gegessen, dafür würde ich glatt 17 von 20 Punkten geben”, so der Tester. Eine Traumnote! Gesundheit und Genuss sind eben keine Gegensätze, sondern ergänzen sich ideal.
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Warum die Königsberger Klopse so beliebt sind, weiß niemand so richtig. Dass sie aber richtig gut sein können, habe ich im “Gottfried” gelernt. Zum Schweine- und Kalbfleisch kommen Sardellenfilets, Zwiebeln, Petersilie. Alles wird frisch durch den Wolf gedreht – und normalerweise mit Brötchen gebunden. Die haben wir natürlich weggelassen, genau so wie wir die Kapernsauce ohne Mehl gebunden haben. Trotzdem waren die Klöpse fluffig weich, war die Sauce zum Niederknieen intensiv. Inzwischen habe ich die Klöpse nachgekocht, es ist ein vergleichsweise einfaches Rezept. Freuen Sie sich ab Oktober darauf!
Ins Schwärmen gerät Klaus Neidhart, als ich ihn nach einem Rezept fürs Zürcher Geschnetzelte frage: “Das ist nur echt mit Kalbsniere, das weiß aber selbst in der Schweiz kaum noch jemand”. Es ist diese jahrzehntelange Erfahrung von Klaus, die ich immer wieder bewundere. Aufgewachsen in Moos auf einem Bauernhof mit eigenem Vieh, mit eigener Schlachtung, mit eigener Herstellung von Sauerkraut hat er die Grundlagen des guten Kochens, nämlich die guten Produkte, von der Pike auf kennen gelernt – und ist dann auf der ganzen Welt herumgekommen, hat in guten Häusern gekocht, hat aber auch mal auf einer Wüstensafari in Marokko mit afrikanischen Gewürzen gekocht, weiß vergessene Geheimnisse des Kochens zu erzählen, etwa dass früher mit dem Fett der Kalbsniere Pommes frittiert wurden.
Den ungemein kompetenten, den ungemein sympathischen Christian Dierich, der mich mit seinen Kreationen schon mehrfach beeindruckt hat, lässt Klaus Neidhart das Schweizer Traditionsgericht zubereiten. Chef de Partie war der junge Koch vorher im Konstanzer Zwei-Sternetempel Ophelia – und das ist gut so: Denn um alle Finessen der Traditionsgerichte zum Leuchten zu bringen, braucht es beste Köche. Nachdem Dierich die gewässerten Kalbsnieren vom Fett befreit und wie den Kalbsrücken in feine Scheiben geschnitten hat, sautiert er beides kaum zwei Minuten lang in der Pfanne mit der geklärten Butter – “sonst wird es sofort trocken”, erläutert er. Leider ist das “sonst” meistens der Normalfall und das Potential des Klassikers wird verschenkt.
Nieren mögen viele nicht, leider. Aber ich finde, wer Fleisch isst, hat alles vom Tier zu essen, das gebietet der Respekt vor der Kreatur. Außerdem sind gerade die gut verträglichen Kalbsnieren sehr fettarm, prunken mit hochwertigen Proteinen – und strotzen vor B-Vitaminen und Eisen.
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Das Fleisch wird nun warm gestellt – und es folgt die Komposition einer ungemein dichten Sauce, wo Weißwein, reduzierter Kalbsjus, feingehackte Zwiebeln ihren großen Auftritt haben – und natürlich noch ein Schuss Glace, das ist ein aufwendig eingekochter Jus aus Kalbsknochen. Das lässt sich so zu Hause kaum realisieren, wird in meinem Rezept auch nicht so vorkommen, schließlich muss es noch einen Grund geben, ins Restaurant zu gehen. Auf dem Punkt ist auch die knusprige Rösti, die Christian Dierich aus al dente gekochten, geriebenen Kartoffeln zubereitet. “Die Nieren fügen dem Gericht eine völlig neue Dimension hinzu”, schwärmt Tester Konofol, “das ist mindestens 16 Punkte wert”.
Die Punkte sind wichtige Anerkennung – tun gut. Aber noch wichtiger ist: Es lohnt sich, gerade diese Klassiker systematisch zu analysieren – und sie beste Köche optimieren zu lassen. Denn mir ist aufgefallen, dass auch Menschen, die sich sonst nicht fürs Kochen interessieren, plötzlich leuchtende Augen bekommen, wenn ich über Kässpätzle und Maultaschen rede. Das sind Themen, welche die Herzen der Menschen erreichen – etwas, was der Ernährungsberatung sonst so wenig gelingt.
Deshalb wäre es wichtig, gerade bei einem Klassiker wie dem Zürcher einmal zu fragen, ob die Rösti aus rohen Kartoffeln, mit anderen Sorten vielleicht einen geringeren glykämischen Index hat – was den Blutzucker nicht so schnell in die Höhe treibt. Das frage ich immer die Ernährungsexperten, Antworten bekomme ich keine. Ich hoffe deshalb inständig, dass ich noch einmal das revolutionäre Blutzuckermessgerät “FreeStyle Libre” bekomme, das die Glukose kontinuierlich bestimmt – sodass ich einen Anhalt bekomme, wie sich die einzelnen Rezepte auf den Diabetes und die schlanke Linie auswirken.
Aufwendig ist die Herstellung des deutschen Tortenklassikers “Schwarzwälder Kirschtorte”. Desserts sind natürlich die größte Herausforderung für mein kommendes Buch: Wie minimiere ich den Zucker – ohne allzuviel an Geschmack aufzugeben? Das ist immer ein Balanceakt – und Jungkoch Thomas Scholz hat ihn gut hingekriegt. Er verwendet für den so wichtigen Biskuit Stevia, kocht den Saft der Sauerkirschen aus dem Glas mit Sternanis und Lorbeerblatt ein, was der Bekömmlichkeit dient. Nur an einem hat er leider gespart, am Kirschwasser. “Ich dachte, Schnaps ist nicht gut bei Diabetes”, meint er. Klaus und ich sagen, dass er prinzipiell nicht falsch liege, aber ein kräftiger Schuss Kirschwasser die Torte saftiger mache – und dass Alkohol auch ein Zuckersenker sei. “Schon wieder was gelernt”, bedankt sich der Jungkoch.
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Großartig schmeckt die runde, an einen Bollenhut erinnernde Schwarzwälder Kirschtorte – und wir trinken Kirschwasser dazu. Vier Gänge, einer feiner als der andere. Das Experiment „Heimatküche für Diabetiker“ kann gelingen, davon bin ich nach dem Essen überzeugt. Gerne würde ich einige der Gerichte, vielleicht sogar alle, in diesem sympathischen Restaurant fotografieren lassen – einem Familienbetrieb mit Hotel, wie es wenige gibt. Seit Jahrzehnten wirten Klaus und Gerlinde Neidhart, die mit Florian Repnik den souveränen und herzlichen Service leitet. Seit Jahrzehnten werden hier heimische Produkte, vor allem Fisch, Gemüse und Geflügel gekonnt zubereitet, gerne auch mit raffinierten Gewürzen, die Klaus Neidhart auf seinen Reisen kennen- und schätzen gelernt hat.
Gewundert habe ich mich, dass schon vor dem Kochen plötzlich der Schampus floss, bis sich das Rätsel auflöste: Klaus Neidhart wurde ausgerechnet am Tag unseres Kochens 65 – wovon er mir kein Wort gesagt hatte. Mir war das fast peinlich, aber Klaus und Gerlinde Neidhart wischten die Bedenken souverän weg, wir sangen in der Küche ein Geburtstagsständchen – und dann wurde konzentriert gekocht, aber nicht nur unsere vier Gänge, sondern auch noch à la carte für die vielen weiteren Gäste.
Es wurde dann noch ein lustiger Geburtstagsnachmittag auf der schönen Gartenterrasse unter dem mächtigen Walnussbaum. Immer wieder prosteten wir uns zu, sprachen über das Buch – und tranken leichte, elegante Weine von den Dörflingers aus Müllheim, Freunde von uns allen. Auch weil Hermann Dörflinger mit seinem Gutedel und seinem Grauburgunder spritzige Weine macht, von denen sich auch mehr als ein Glas trinken lässt. Vier Flaschen sind’s geworden. Schön war’s, danke!
Natürlich gibt es die hier vorgestellten Gerichte nicht (oder noch nicht) in dieser Form auf der Karte. Trotzdem lohnt sich gerade jetzt ein Besuch im “Gottfried”. Kaum einer bekommt so viele der raren Bodenseefische, bereitet sie so puristisch zu wie Klaus Neidhart und seine Leute. Großartig auch die Gemüsegerichte. So meinte eine vegetarische Freundin von mir: “So liebevoll zubereitet und so gut habe ich noch nirgends Gemüse gegessen”.
Auch verführt der nahe See bald schon zum Baden – und wenn´s noch zu kühl ist, lässt sich mit dem Fahrrad die Gemüse- und Kulturinsel Reichenau erkunden und flussabwärts, wo aus dem Bodensee wieder der Rhein wird, lohnt ein Ausflug in die mittelalterlichen Städte Stein und Schaffhausen. Nur zum Essen und Schlafen würde ich unbedingt wieder das “Gottfried” empfehlen.
“Gottfried”, Böhringer Straße 1, 78 345 Moos bei Radolfzell, 077 32/92 420. Das Silencehotel hat schöne Zimmer zum Übernachten, das Restaurant bietet eine hohe Qualität zu zivilen Preisen. Das Hotel ist immer geöffnet, das Restaurant Mittwoch, Donnerstag und Freitagmittag geschlossen. www.hotel-gottfried.de
von Hans Lauber
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, Internet: www.lauber-methode.de
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