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Entweder der Diabetes steht an erster Stelle meiner Prioritätenliste oder an letzter – wenn überhaupt. Entweder behandele ich meinen Diabetes ganz öffentlich oder ich versuche, ihn unsichtbar zu machen. Entweder alle Zeit oder keine Zeit für den Diabetes.
Dieses Phänomen ist mir in meinem Leben nicht fremd. Ich habe lange daran gearbeitet, aus dem Schwarz-Weiß-Denken herauszukommen, wenn es darum geht, Situationen einzuschätzen. Entweder ich mach(t)e etwas gut oder schlecht, mit voller Leidenschaft oder ohne jegliche Motivation. Ich habe mich gebessert. Ich erkenne die Graustufen zwischen Gewinnen und Versagen und kann das Leben dadurch viel besser auf mich zukommen lassen. Was dazu führt, dass es viel mehr „voll in Ordnung“ als „ganz furchtbar“ oder „spitzenklasse“ gibt, und das ist ziemlich entspannend.
Aber bei meinem Diabetes bekomme ich das nicht auf die Reihe. Entweder ich gucke halbstündlich auf meinen Blutzuckerverlauf oder nur dann, wenn es mir schon schlecht geht und ein Wert nicht mehr abzufangen ist. Entweder ich durchdenke 5 Minuten lang, wie viel Insulin ich für die Mahlzeit benötige, und gebe die Menge auf 0,1 Einheiten genau ab oder ich benutze nur den „Quick-Bolus“ an meiner Pumpe und verabreiche irgendwelche Pi-mal-Daumen-Dosen (die grundsätzlich nicht richtig sind).
Diese Extreme in meinem Diabetes-Management hängen sehr stark von meinem Alltag und meinem Tun ab. Mein erster Impuls war, zu sagen: „davon, wie wohl ich mich (an einem bestimmten Ort) fühle“. Aber diese Erklärung würde im Moment gar nicht passen, denn ich fühle mich gerade sehr wohl. Nur mein Blutzucker ist trotzdem nicht zufrieden. Es ist so: Wenn ich zu Hause und in meinem gewohnten Umfeld bin, gebe ich dem Diabetes viel mehr Raum als woanders. Und zurzeit besteht dieses „woanders“ aus einer fremden Stadt, mehr oder weniger fremden Menschen und einem fremden Tagesablauf. Da findet der Diabetes wenig Platz.
Wie seltsam eigentlich, da sich für mich als Praktikantin vor Ort bei der Blood Sugar Lounge doch ungefähr alles um Diabetes dreht. Es ist auch nicht so, dass ich meinen dabei vergesse oder weniger sensibel gegen Hyper- oder Hypoglykämiesymptome bin. Ich bin nur entweder nicht bereit, mich in dem Moment darum zu kümmern, oder meine Maßnahmen wirken einfach nicht. Denn: andere Lebensumstände, andere Therapiebedürfnisse. Und um diese erst einmal zu erkennen, müsste ich mich ja wiederum sehr genau mit meinem Diabetes beschäftigen. Ein Teufelskreis.
Meine zuletzt hart erarbeitete Basalrate ist zumindest hinfällig und da ich die meisten Wege zum ersten Mal gehe und teilweise ganz andere Sachen esse als bei mir im Norden – es gibt hier an jeder Ecke echt gute Brezeln –, kann ich den bevorstehenden Ab- oder Anstieg meines Blutzuckers kaum einschätzen.
Als ich das letzte Mal in einem Büro arbeitete, entglitt mir mein Diabetes auch zusehends. Zu der Zeit habe ich meinen Blutzucker allerdings noch konventionell blutig getestet und für die Insulininjektion jedes Mal den Pen rausholen müssen. Außerdem wollte ich durch den Diabetes nicht auffallen. Diese Gründe sind jetzt alle nicht mehr gegeben: Ein kurzer Blick aufs Handy verrät mir sowohl den aktuellen Zuckerwert als auch die Tedenz, Insulin kann ich ganz leicht über meine Pumpen-Fernbedienung abgeben und das „durch den Diabetes nicht auffallen“-Thema entfällt sowieso.
Doch ebenso wie beim letzten Mal beschränkt sich mein Diabetes-Management-Problem nicht nur auf die Arbeitszeit. Sobald ich zurück in der Wohnung bin, habe ich schlicht und ergreifend keine Lust, mich noch um meinen Diabetes zu kümmern. Also greife ich wieder zum undurchdachten „Quick-Bolus“ und bin im selben Moment schon genervt, weil ich weiß, dass das Ergebnis ein wenig später wieder eine Handlung erfordern wird.
Vielleicht brauche ich einfach ein zusätzliches „Diabetes-Gehirn“? So wie man im Sommer doch auch einen extra „Eiscreme-Magen“ hat, in den immer noch etwas hineinpasst, so würde ich gerne nach sämtlichen Aktivitäten noch Konzentration für meinen Diabetes über haben.
Apropos Aktivitäten: Das alles passiert mir nicht nur im Arbeits-Kontext, sondern auch bei Urlauben und bei wichtigen Terminen (selbst am Tag meines Quartalschecks).
Sheela hat mit ihrem Diabetes-Management eine ähnliche Erfahrung gemacht: Sheelas Tagebuch #16 – Verloren in der Arbeitswelt
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