Kohlenhydrate berechnen per App – ein tolles Projekt mit einigen Fragezeichen

3 Minuten

Community-Beitrag
Kohlenhydrate berechnen per App – ein tolles Projekt mit einigen Fragezeichen

 

Eine hühnereigroße Kartoffel enthält etwa zehn Gramm Kohlenhydrate und damit eine KE, eine Scheibe Schwarzbrot etwa zwei KE. Zwei Esslöffel gekochter Reis entsprechen einer KE, ebenso wie eine halbe Banane. Mit solchen Faustformeln wurde ich – wie vermutlich jeder insulinpflichtige Diabetiker – vor knapp fünf Jahren aus meiner Schulung entlassen und stehe seither mehrmals täglich vor der Herausforderung, den Kohlenhydratanteil meines Essens korrekt abzuschätzen, damit ich die richtige Dosis Insulin spritzen kann.

Verschätzen um 10 Gramm Kohlenhydrate macht nichts, um 20 Gramm aber schon

Das finde ich nicht immer leicht – und damit bin ich nicht allein. Wie die Ingenieurin und Forscherin Dr. Stavroula Mougiakakou beim Diabetes Mediendialog des Unternehmens Roche Diagnostics am 13. März 2015 auf Schloss Hohenkammer berichtete, fällt es auch erfahrenen und gut geschulten Diabetikern häufig schwer, die Kohlenhydratmenge richtig zu schätzen: „Ein Verschätzen um plus-minus zehn Gramm Kohlenhydrate hat zwar nur geringen Einfluss auf die Blutzuckerwerte nach dem Essen, doch bei plus-minus 20 Gramm Kohlenhydrate verändern sich die postprandialen Blutzuckerwerte signifikant.“ Und das passiert Diabetikern eben ziemlich häufig. Mougiakakou und ihre Forscherkollegen von der Diabetes Technology Research Group an der Universität Bern glauben deshalb, dass künstliche Intelligenz das Leben mit Diabetes in diesem Punkt erleichtern sollte. Sie haben gemeinsam mit 25 weiteren internationalen Forschungsgruppen das Projekt GoCarb ins Leben gerufen.

Foto + Datenbankabgleich = Kohlenhydratmenge auf Knopfdruck

„Wir wollen ein Tool entwickeln, das automatisch und nahezu in Echtzeit den Kohlenhydratgehalt einer Mahlzeit berechnet“, sagte Mougiakakou vor rund 40 Fachjournalisten und Diabetes-Bloggern. Herausgekommen ist ein Prototyp, der mittlerweile seine ersten Alltagstests bestanden hat. Ziel ist es, aus GoCarb eine Smartphone-App für den Massenmarkt zu entwickeln. Mit GoCarb können insulinpflichtige Diabetiker zunächst einmal ihr Essen fotografieren. Die Anwendung verbindet sich dann mit einer webbasierten Datenbank, in der viele Fotos von ähnlichen gemischten Mahlzeiten gespeichert sind. Durch den Datenbankabgleich erkennt das System die Nahrungsbestandteile auf dem aktuellen Foto und berechnet durch 3D-Rekonstruktion ihre Menge. Auf Knopfdruck spuckt das System dann die berechnete Kohlenhydratmenge aus, anhand derer der Diabetiker seinen Insulinbolus berechnen kann. In ersten Studien in Bern war der Prototyp bereits erfolgreich: Die Trefferquote von GoCarb war mit gut 80 Prozent ziemlich hoch, während die „Selbstschätzer“ der Kontrollgruppe mit nur knapp 59 Prozent eine recht schlechte Trefferquote erzielten.

Abhängig von gutem WiFi-Netz und umfangreicher Bilddatenbank

Klingt erst einmal toll – doch wie fast immer im Leben steckt der Teufel natürlich im Detail. Einige dieser Details gab die Forscherin Mougiakakou selbst unumwunden zu: „Das System ist noch recht langsam, und der Abgleich mit der webbasierten Datenbank ist auch von einer stabilen WiFi-Verbindung abhängig.“ Bei einer guten WiFi-Verbindung braucht der GoCarb-Prototyp derzeit 14 Sekunden, um den Kohlenhydratgehalt einer fotografierten Mahlzeit zu berechnen. Zählt doch in Gedanken einmal langsam bis 14 – das wäre in meinem Augen sogar eine vertretbare Wartezeit. Das Hauptproblem liegt aber in der Bilddatenbank: Derzeit sind darin rund 3800 Bilder von gemischten Mahlzeiten gespeichert, in Klassen unterteilt und mit den entsprechenden Nährwertangaben versehen. Das sind noch viel zu wenige Referenzdaten, um jedes fotografierte Essen einer bereits ausgewerteten Mahlzeit zuordnen zu können.

Mein Essen wird meist geschichtet, gemischt und aufgetürmt

Außerdem setzt GoCarb zwingend voraus, dass die Bestandteile der Mahlzeit ordentlich nebeneinander auf dem Teller angeordnet sind und nicht etwa aufeinandergeschichtet werden. Logisch: Wenn ich eine Lasagne von oben fotografiere, sehe ich nur eine Schicht Käse und habe keine Ahnung, wie viele Nudelplatten sich darunter verbergen. Ordentlich portionierte Essen kommen einem in der Mensa oder Betriebskantine sicherlich häufiger mal vor die Linse – doch bei mir zu Hause ist das eher der Ausnahmefall. Ich esse gern Quiches und andere Aufläufe, türme aus verschiedensten Gemüsesorten Salate auf und dekoriere sie mal mit Hülsenfrüchten, mal mit Käse, mal mit Putenbruststreifen, mal mit Apfelspalten. Ich koche gern orientalische Gerichte wie zum Beispiel das persische Essen „Shirin Polo“, bei dem der Reis schon im Topf mit verschiedenen anderen Zutaten vermengt wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass GoCarb an meinen Essgewohnheiten grandios scheitern würde und bleibe deshalb erstmal skeptisch.

Kann ich einer Waffel ansehen, wie viele Eier und wie viel Mehl im Teig waren?

Meine Zweifel beruhen auch auf einer weiteren Überlegung: Selbst wenn die Einzelbestandteile ordentlich sortiert auf dem Teller liegen, kann GoCarb nur die Oberfläche und nicht die genaue Zusammensetzung erahnen. Ich denke da an eine Situation, die ich relativ kurze Zeit nach meiner Diagnose in einem Saunabad erlebt habe. Zwischen Schwimmen und Saunagängen gönnten mein Mann und ich uns eine Portion Waffeln mit heißen Kirschen. Ich spritzte für beides so viel Insulin, wie ich auch für hausgemachte Waffeln und Kirschen berechnet hätte – und das war leider viel zu wenig. Denn während ich zu Hause viele Eier und wenig Mehl in den Waffelteig menge und heiße Kirschen auch nicht mit Mondamin und großen Mengen Zucker andicke, verwendete man in der Küche des Saunabades mehr von den billigen Zutaten (sprich: Mehl, Stärke und Zucker) und weniger von den teuren Zutaten (also Eier und Früchte). Optisch wäre der Unterschied zwischen meinen hausgemachten Waffeln und der Saunabad-Variante sicher nicht sehr groß gewesen – doch der Unterschied im Kohlenhydratgehalt war gigantisch. Mein Blutzucker schoss auf einen Wert von über 350 mg/dl (19,4 mmol/l) und musste mühsam herunterkorrigiert werden. Ich fürchte, vor diesem Desaster hätte mich auch GoCarb nicht bewahren können.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Im Banne von AID und Sarkopenie: So lief das 29. Arzt-Patienten-Seminar (APS) zu Typ-1-Diabetes und Sport

Im Banne von AID und Sarkopenie: So lief das 29 Arzt-Patienten-Seminar (APS) zu Typ-1-Diabetes und Sport | Foto: Dr. Peter Zimmer

5 Minuten

Herz-Experten empfehlen: Acht Maßnahmen zum Schutz vor Herzinfarkt und plötzlichem Herztod

Die Koronare Herzkrankheit betrifft Millionen Menschen in Deutschland und ist Hauptursache für Herzinfarkt und plötzlichen Herztod. Kardiologen der Deutschen Herzstiftung nennen acht konkrete Maßnahmen zur Vorbeugung – von Blutdruck-Kontrolle bis Sport.
Herz-Experten empfehlen: Acht Maßnahmen zum Schutz vor Herzinfarkt und plötzlichem Herztod | Foto: Krakenimages.com – stock.adobe.com

4 Minuten

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • gingergirl postete ein Update vor 1 Woche, 1 Tag

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 1 Woche, 3 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

  • tako111 postete ein Update vor 1 Woche, 6 Tagen

    Fussschmerzen lassen leider keine Aktivitäten zu!

Verbände