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Haben Sie sich schon einmal Gedanken gemacht, ob Sie in puncto Selen gut versorgt sind? Vielleicht haben Sie schon einmal etwas über Selen gehört – nur: Warum ist dieses “Spurenelement” so wichtig für den Körper – und was passiert bei einem Mangel? Prof. Dr. med. Reinhard Zick berichtet.
Als Spurenelemente bezeichnet man Stoffe, die der Körper nur in kleinsten Mengen benötigt, obwohl sie an wichtigen Stellen maßgeblich beteiligt sind wie an der Bildung der Blutzellen und verschiedenster Eiweiße oder auch an der Immunantwort auf unterschiedlichste Erreger einschließlich der Krebsprävention. Zu den Spurenelementen zählen Chrom, Eisen, Fluor, Jod, Kupfer, Mangan, Molybdän, Zink und Selen. Letzterem gilt eine genauere Betrachtung.
Das von Jöns Jakob Berzelius 1817 entdeckte Halbmetall oder Spurenelement Selen wurde nach der Mondgöttin benannt. Es gelangt primär über Pflanzen in die Nahrungskette. Der Mensch nimmt das Element vorwiegend über Getreide und Fleisch auf (Anteil an der Gesamtaufnahme jeweils etwa 26 Prozent). Auch Fisch (10 Prozent) sowie Milch und Milchprodukte (21 Prozent) bieten sich als natürliche Lieferanten an. Früchte und Gemüse enthalten nur relativ geringe Mengen (7 Prozent) Selen. Der Gesamtbestand im menschlichen Körper beträgt etwa 3 bis 20 Milligramm.
Eine normale Funktion der Schilddrüse ist unter anderem von einer ausreichenden Selenzufuhr abhängig. Im Schilddrüsenstoffwechsel wird bei der Bildung von Schilddrüsenhormonen als Nebenprodukt Wasserstoffperoxid gebildet: Dieses H202 kennt man auch als aggressives Bleichmittel beim Blondieren. Damit es nicht schädigend auf die Schilddrüse wirkt, muss es neutralisiert werden. Die Aufgabe übernehmen in der Schilddrüse selenhaltige Glutathionperoxidasen; diese Proteine oder Eiweißkörper werden auch als Radikalfänger bezeichnet.
Radikale sind aggressive Verbindungen, die auch gebildet werden können durch Strahlung, Medikamente, Umweltgifte wie Zigarettenrauch – aber auch im normalen Stoffwechsel. Bei Selenmangel nimmt die Aktivität der Radikalfänger in der Schilddrüse ab. Dadurch kann Wasserstoffperoxid die Schilddrüsenzellen, in denen Schilddrüsenhormone synthetisiert werden, schädigen.
Dieser Vorgang ist besonders für Patienten von Bedeutung, die bereits an einer Schilddrüsenentzündung wie einer Hashimoto-Thyreoiditis oder einem Morbus Basedow leiden – und das trifft zu auf jeden vierten Typ-1-Diabetiker. Selen ist sowohl bei der Produktion als auch der Wirkung der Schilddrüsenhormone Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) von großer Bedeutung.
Selenmangel wird durch neuere Studien immer häufiger mit dem Auftreten verschiedener Krebserkrankungen in Verbindung gebracht. Dabei scheint ein klarer Zusammenhang zwischen einer niedrigen Selenaufnahme und einem erhöhten Auftreten von Krebsfällen zu bestehen. Eine große zusammenfassende Analyse des Forscherteams um G. Bejalkovic aus dem Jahr 2008 ergab eine 25- bis 60-prozentige Reduktion des Auftretens von Krebserkrankungen im Darmtrakt nach gezielter Selen-Ergänzung.
Das amerikanische Forscherteam um June Stevens fand 2010 heraus, dass eine deutliche Abhängigkeit zwischen der Selenkonzentration im Blut und der Häufigkeit von Krebserkrankungen der Speiseröhre und des Magens besteht. Auch vor Prostatakrebs kann Selen schützen. Durch Zellstudien und mit Tierversuchen konnte nachgewiesen werden, dass Selen an wichtigen Stufen der Krebsprävention beteiligt ist:
Demnach neutralisieren die bereits erwähnten selenabhängigen Glutathionperoxidasen freie Radikale, von denen man weiß, dass sie Veränderungen an den Genen in den Zellen (Mutationen) auslösen können – was dazu führen kann, dass sich eine normale Zelle zur Krebszelle umformt und damit die Fähigkeit zur Unsterblichkeit und Metastasenbildung erlangt, um Krebs über den gesamten Körper zu verteilen.
Mutationen des Erbgutes sind aber auch Voraussetzung dafür, dass die Krebszellen Faktoren freisetzen, die neue Gefäße entstehen lassen, die den wachsenden Tumor ausreichend mit Nährstoffen versorgen und damit am Leben erhalten.
Die anzustrebende Selenkonzentration im Blut ist abhängig vom Behandlungsziel. Typische Selenmangelerkrankungen, die in unseren Breiten nicht beobachtet werden, sind nur bei Selenspiegeln im Serum unter 20 ng/ml zu erwarten. Das Wirkoptimum liegt bei einem Selenserumspiegel zwischen 60 und 80 ng/ml.
Bei Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis oder Morbus Basedow sollten deshalb diese Selenspiegel im Serum angestrebt werden; dies gilt vor allem für betroffene Patientinnen während Schwangerschaft und Stillzeit. Hier steigt die Produktion von T4 und T3 um das Anderthalbfache.
Eine vorsorgende Wirkung des Selens gegen einzelne Krebsarten ist aufgrund der derzeitigen Studienlage erst bei einer Serumkonzentration zwischen 120 und 150 ng/ml zu erwarten. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) sowie das Bundesumweltamt empfehlen eine tägliche Selenaufnahme von 30 bis 70 µg/Tag oder 1 µg/kg Körpergewicht. Liegt das Therapieziel darin, den Verlauf von Krebserkrankungen zu beeinflussen, sollte die tägliche Selenaufnahme um mehr als das Doppelte gesteigert werden, um Selenspiegel im Serum zwischen 120 und 150 ng/ml zu erreichen.
In diesem Zusammenhang ist aber auch zu bedenken, dass eine zu hohe Selenkonzentration im Serum auch nicht gut ist: Nebenwirkungen wie Haarausfall oder Hautentzündungen und andere mehr sind bereits ab Serumspiegeln von 250 ng/ml zu beobachten.
Selen gelangt über Pflanzen in die Nahrungskette, also ist ein Selenmangel häufig bei Menschen anzutreffen, die in Regionen mit selenarmen Böden leben. Beides ist in Deutschland anzutreffen. Deshalb ist es für Diabetiker mit einer Autoimmunerkrankung wie Hashimoto-Thyreoiditis oder Morbus Basedow ratsam, nicht nur Lebensmittel, die regional produziert wurden, zu essen.
Bei Patientinnen mit einer Autoimmunerkrankung der Schilddrüse und Kinderwunsch sollte zusätzlich vor der Schwangerschaft einmalig die Bestimmung des Selens im Serum erfolgen und gegebenenfalls sollte Selen supplementiert, sprich zugeführt werden. Selenspiegel im Serum zwischen 120 und 150 ng/ml, wie sie bei der Prävention einzelner Krebsarten gefordert werden, lassen sich effektiv nur durch die zusätzliche Gabe von Selen als Medikament (z. B. 200 µg/Tag) erreichen.
Zum Thema Krebsprävention und Selen muss man jedoch einschränken, dass die Datenlage durch Fachgesellschaften noch nicht als so breit oder ausreichend angesehen wird, dass sie die Einnahme von Selen in der Prävention der oben genannten Krebsarten allgemein empfehlen.
von Prof. Dr. Reinhard Zick
Endokrinologicum Osnabrück
Kontakt:
Parkstrasse 42, 49080 Osnabrück,
E-Mail: Osnabrück@endokrinologicum.com
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (8) Seite 24-25
5 Minuten
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