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Das Echt essen-Gasthaus im Oktober: Ein Hort der norddeutschen Heimatküche ist das Hamburger “Vlet”, wo sogar Ausgefallenes wie der Labskaus bestens gelingt.
Glitzernd im Sonnenlicht blinkt die fast fertige Elbphilharmonie – und ist das geworden, was alle erträumten: Ein Schmuckstück für die Hansestadt. Ebenfalls ein Schmuckstück ist bereits seit Jahren das wenige hundert Meter entfernte Restaurant “Vlet”. Es liegt an einem Kanal, was auf hanseatisch Fleet heißt. Elbphilharmonie und Vlet sind Teil der historischen Speicherstadt, die Stück für Stück zur eleganten neuen Hafencity umgebaut wird.
Edel und chic in einen ehemaligen Speicher aus Backsteinen integriert ist das Restaurant mit einer langen, einladenden Bar, einem warmen Holzfußboden, sesselartigen Stühlen, einer angenehmen Beleuchtung und einem aufmerksam-freundlichen Service. Sofort entsteht eine gleichzeitig dezente und herzliche Atmosphäre, wie sie typisch ist für die reiche Hansestadt. Mittags unter der Woche war ich da – und da gehört das Vlet den Handelsleuten, die diskret ihren Geschäften nachgehen und viele, wenn auch nicht alle Tische in dem großen Restaurant besetzen. Am Abend und vor allem an den Wochenenden sieht das anders aus – da ist der Zuspruch so groß, dass ohne Reservierung nichts geht.
Ein belebter Rahmen also für eine Küche, die selbst im kulinarisch verwöhnten Hamburg einzigartig ist: Hier werden die Klassiker der hanseatischen Küche mit besten regionalen Erzeugnissen von handverlesenen Produzenten zu neuer Blüte gebracht – und die übersichtliche Karte spielt auch gekonnt mit dem Platt, beginnt mit “Vördeem”, den Vorspeisen, leitet zu “Middeninne”, den Hauptspeisen über und schließt mit “Dornach”. Zur Einstimmung gibt es fluffige, aufgeschlagene Fassbutter mit selbstgebackenen Brötchen, wobei mir vor allem das mit Birne und Kürbiskernen in guter Erinnerung geblieben ist.
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Natürlich bestellte ich als erstes “Alles vom Labskaus”, ein Seemannsklassiker, der selbst den meisten Hamburgern ein Graus ist. Nun, auch im Vlet sind diese Vorbehalte bekannt – und so wird eine entschlackte Version serviert, die gekonnt mit wesentlichen Bestandteilen dieses Gerichtes spielt, das entstanden ist zu einer Zeit, wo die Lebensmittel auf den Schiffen für Monate halten mussten – wozu Kartoffeln, Rote Bete, Zwiebeln, eingelegte Gurken und Heringe, geräucherter Speck sowie Eier gehörten, weil an Bord auch Hühner gehalten wurden.
Serviert wird eine sagenhaft intensive Brühe vom Galloway-Rind. Darin schwimmen fein geschnittene Rote Bete und Senfgurke, gepökelte Rinderbrust, kleine (lütte) Kartoffelknödel und ein pochiertes Wachtelei. Hinreißend schmeckt das für 15 Euro – und dürfte die Vorbehalte abbauen, einmal einen “richtigen” Labskaus zu probieren, wie ich ihn für mein neues Buch “Heimatküche für Diabetiker” entwickelt habe, wo ich Salate von Eiern, Speck, Hering, Kartoffeln und Rote Bete einzeln und dann vermengt als Labskaus anbiete.
“Granaten” nennt sich schlicht der zweite Gang, der so gut mundet, wie er einladend aussieht: Intensiv duftende, gottseidank ungeschälte gelbe und violette Kartoffeln liegen auf einem Bett aus Quark und Leinöl. Ebenfalls Platz im Bett haben Krabben, ein ungemein würziger Schinken vom Hamburger Metzger, gepickelte rote Zwiebel und frische Blättchen von der Vogelmiere. Vom alteingessenen Fischbetrieb Urthel aus Friedrichskoog an der Nordsee stammen die “Granaten”, die Krabben, die frisch gefangen und mit einer selbst konstruierten Maschine geschält werden – ein riesiger Vorteil gegenüber dem Schälen in fernen Ländern wie Marokko, was den Geschmack und die Vitalität beeinträchtigt.
Fast schon ernährungsphysiologisch optimiert und beinahe apothekenpflichtig ist dieses 18 Euro kostende Gericht mit seinen potenten Proteinen aus Krabben und Schinken, den wohldosierten Kohlenhydraten der Kartoffeln, dem kraftspendendem Quark, der verdauungsfördernden Zwiebel und der Vitamin-C-strotzenden Vogelmiere. All das muss niemand wissen, der “nur” genießen will – aber es steigert jedenfalls bei mir den Genuss außerordentlich, vor allem, wenn ich dazu noch so einen mineralisch dichten Riesling trinke, wie den 2014er “Urwerk” vom Familienweingut Eser in Oestrich-Winkel. Sicher, die fast 14 Prozent Alkohol hätte es mittags nicht unbedingt gebraucht und noch ein, zwei Jahre Lagerung hätten ihm auch gutgetan – aber der Tropfen für angemessene 30 Euro die Flasche hat auf jeden Fall zum Essen gepasst.
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Satt war ich nach den beiden Gängen, den Brötchen – aber immer noch hungrig nach dieser authentischen Küche. So bestellte ich “Finkenwerder”, die berühmte gebackene Scholle, die im Vlet gereicht wird mit Speckbohnen, Krebsbutter und Kartoffeln. Eine üppige Portion für 21 Euro. Saftig innen und mit feinen Röstaromen außen kam die Scholle auf den Tisch. Ein knackiges Gedicht dazu die Bohnen mit Schinken. Sehr gut auch die Krebsbutter, die es aber nicht unbedingt gebraucht hätte. In Butter geschwenkt, mit Dill gewürzt die wiederum ausgezeichneten Kartoffeln, die zeigen, welch vortreffliche Gemüsevielfalt rund um Hamburg angebaut wird.
In einer Zwiebackpanade gebacken wird die Scholle. Das schmeckt zwar gut, auf der anderen Seite ist Zwieback aber stark glykämisch, treibt also den Blutzucker nach oben. Da würde es sich lohnen, einmal mit einer Panade auch aus Haselnüssen zu experimentieren, wie ich es für das Wiener Schnitzel in meiner “Heimatküche” gemacht habe. Das bringt einen feinen Nussgeschmack – und hält den Blutzucker in schicklicheren Bahnen.
Jetzt hatte ich endgültig genug gegessen, aber einer ging noch, schließlich bin allein wegen dem Vlet morgens von Köln nach Hamburg gefahren und anschließend wieder mit dem Zug zurück. Also sich freuen auf den Gang “Norddeutsche Käseauswahl” für 12 Euro, alles Rohmilchkäse von kleinen Erzeugern aus dem ganz weiten Hamburger Umland. Ganz rechts ein Schafskäse aus Meckpomm, daneben ein mit Asche bestreuter Ziegenkäse. Es folgen ein cremiger Kuhkäse und ein nussiger Romadur. Gut sind sie alle, wobei mir besonders der Ziegen- und der Kuhkäse in bester Erinnerung geblieben sind. Dazu gereicht werden Apfel- und Himbeer/Feigensenf sowie ein ausgezeichnetes Apfelgelee. Ist nicht schlecht, aber eigentlich brauchen es die Käse nicht, wobei aber der Romadur durch den Himbeersenf deutlich gewinnt.
Eine Wucht dazu ist auf jeden Fall der 2010er “Melsheimer” von der Mosel, ein weißer deutscher “Portwein” mit satten 18 Prozent, der die Käse genial aufschließt. Immer wieder beeindruckend, was für großartige Weine in Deutschland inzwischen gekeltert werden.
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Maßgeblich entwickelt hat das gastronomische Vlet-Konzept Thomas Sampl, ein sehr sympathischer 35jähriger, der seit sechs Jahren die Küche des Vlet leitet. Systematisch hat sich der gebürtige Ostwestfale mit alten hanseatischen Kochbüchern beschäftigt – und hat vor allem ein Netz von über 100 kleinen Lieferanten aus der Region aufgebaut. Aus seiner Ausbildung als Koch in guten Häusern weiß Sampl, wie viel Entwicklungsarbeit noch zu leisten ist, damit sich Köche wieder mit den alten Handwerkstechniken beschäftigen, damit sie wieder wissen, wie ein Tier ganz zu verwerten ist. Denn wer Tiere tötet, muss Tiere ganz essen, gerade auch die Innereien – das gebietet der Respekt vor der Kreatur. Deshalb arbeitet er intensiv mit Berufsschulen zusammen.
Inzwischen gibt es bereits ein zweites Vlet in der Innenstadt und eine Kochschule für das Kochen wie bei Muttern. Für alle drei Einrichtungen, die einem innovativen Hamburger Caterer-Unternehmen gehören, hat Sampl die gastronomische Gesamtverantwortung. Noch hanseatischer ausgerichtet soll die Küche im neuen Vlet werden – vielleicht wird soweit gegangen wie im “Noma”, einem der besten Restaurants der Welt. Das wird demnächst in Kopenhagen an einen Ort in der Stadt umziehen, wo es auch einen eigenen Garten gibt. So etwas wäre doch auch in Hamburg denkbar – und ich könnte aus meinem Diabetes Garten in einer Frankfurter Klinik noch einige essbare Heilpflanzen beisteuern.
Seit Jahren unterstützt Thomas Sampl Slow Food, eine kluge Organisation, die sich die Produktion und den Vertrieb von handwerklich hergestellten Mitteln zum Leben auf die Fahnen geschrieben hat. Seit Jahren geben die bewusst “Langsamen” auch einen Genussführer heraus – und da müsste das Vlet einen Ehrenplatz haben. Leider ist es gar nicht drin, weil sich Slow Food eine viel zu enge preisliche Obergrenze gesetzt hat, aber Gutes hat halt seinen Preis. So ist zu hoffen, dass in der für 2016 geplanten Neuausgabe dieser Hamburger Hort der Heimatküche seine gebührende Würdigung findet.
Fazit: Das Vlet bildet mit seinen Ablegern den Nukleus eines lokalen Gastro-Konzepts, das Genuss optimal mit Gesundheit verbindet.
“Vlet”, Am Sandtorkai 23/24, 20 457 Hamburg, 040/334 753 75-0. Montag bis Samstag mittags und abends geöffnet, Sonntag ist zu. Am Abend, vor allem am Wochenende unbedingt langfristig vorher reservieren! www.vlet.de
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de
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