4 Minuten
Ich finde es ja immer wieder erstaunlich, was in den Universitätskliniken dieser Welt so alles erforscht wird. In Lübeck hatte ein interdisziplinäres Forschungsteam es vor einer Weile auf das Verhältnis zwischen Proteinen und Kohlenhydraten in einer Mahlzeit abgesehen: Ändert sich das Verhalten von Menschen, die soziale Entscheidungen zu treffen haben, je nach Zusammensetzung ihrer Nahrung? Und ihre überraschende Erkenntnis lautete: Ja, das tut es!
Bei der DDG-Jahrestagung berichtete die Psychologin Professor Dr. So Young Park über die Studienergebnisse ihres Teams. „Wir halten unser Denken oft für völlig unabhängig von unserem Körper. Dabei vergessen wir, dass unser Gehirn Teil unseres Körpers ist und damit seinen biochemischen Prozessen unterliegt.“ Eigentlich logisch: Wir denken mit dem Gehirn, das unter dem Dauerbeschuss von Botenstoffen wie Dopamin steht, die wiederum mit dem Hirnstoffwechsel und dem Aminosäure-Haushalt im Denkorgan zusammenhängen. Und trotzdem hatte man zuvor noch nie untersucht, wie sich diese Aspekte des Hirnstoffwechsels auf das Entscheidungsverhalten auswirken. In Lübeck hat man das Thema nun in gleich zwei aufeinander aufbauenden Studien unter die Lupe genommen. Sozialpsychologische Tests in Kombination mit medizinischen Analysemethoden – und im Zentrum des Interesses stand das Frühstück, da es nüchtern eingenommen wird und Ergebnisse damit nicht durch vorangegangene Mahlzeiten verfälscht werden konnten.
An der ersten Studie wirkten 87 Menschen mit. Sie mussten am späten Vormittag online angeben, was sie wenige Stunden zuvor zum Frühstück gegessen hatten. Dann sollten sie in einem Test, dem sogenannten Ultimatumspiel, auf ein „unfaires Angebot“ eines virtuellen Gegenspielers reagieren. Beim Ultimatumspiel geht es darum, dass zwei Akteure eine Geldsumme untereinander teilen. Dabei macht die eine Person einen Vorschlag, den die andere dann entweder akzeptieren oder ablehnen kann. Geschieht Letzteres, dann bekommt keiner der beiden etwas. Die Entscheidung hängt vor allem damit zusammen, ob das Gegenüber das Angebot als „fair“ oder „unfair“ empfindet. „In der Regel empfinden Menschen es als fair, wenn ein Betrag hälftig aufgeteilt wird“, meinte Prof. Park. Sie und ihr Team fanden heraus, dass es einen Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung des Frühstücks und der Reaktion der „Versuchskaninchen“ auf unfaire Angebote gab. Je höher der Anteil an Kohlenhydraten im zurückliegenden Frühstück war, desto empfindlicher reagierten sie auf „unfaire Angebote“ und lehnten den Deal ab. Umgekehrt reagierten die Studienteilnehmer toleranter auch auf unfaire Angebote, wenn sie zuvor ein Frühstück mit höherem Proteinanteil zu sich genommen hatten.
Diese Ergebnisse überraschten das Forschungsteam, sodass sie sich entschlossen, eine zweite Studie durchzuführen – dieses Mal unter kontrollierten Laborbedingungen, um auch die biochemische Seite zu erfassen. Die 24 Studienteilnehmer erhielten an zwei verschiedenen Tagen dabei einmal ein Frühstück, bei dem der Kohlenhydratanteil 80 Prozent der Gesamtkalorien ausmachte, wohingegen der Protein- und Fettanteil jeweils nur bei zehn Prozent lagen. Am zweiten Studientag wurde ihnen ein Frühstück mit gleichem Kaloriengehalt, aber einer Makronährstoffzusammensetzung gemäß den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung serviert, bei dem entsprechend 50 Prozent der Kalorien aus Kohlenhydraten und jeweils 25 Prozent aus Proteinen und Fett stammten. Das ist nun noch immer nicht das, was Anhänger der Low-Carb-Ernährung unter einem kohlenhydratarmen Frühstück verstehen, aber immerhin.
Drei Stunden nach dem Frühstück stand wieder ein Ultimatumspiel auf dem Plan. Außerdem führten die Forscher Blutuntersuchungen durch und bestimmten Blutzucker- und Leberwerte, Schilddrüsen- und Nierenfunktion, Elektrolyte und Blutfette. Die Laborstudie bestätigte die Ergebnisse der ersten Studie: Abhängig vom Anteil von Kohlenhydraten und Proteinen im Frühstück reagierten Probanden unterschiedlich auf unfaire Angebote. Wieder mochten sie sich nach einem Frühstück mit hohem Kohlenhydratanteil nur ungern auf unfaire Angebote einlassen und waren bei einer stärker ausgeglichenen Zusammensetzung der Mahlzeit eher kompromissbereit. Wie Prof. Park berichtete, trafen tatsächlich ein- und dieselben Personen je nach Art ihres Frühstücks unterschiedliche Entscheidungen.
Als Diabetiker kommt uns natürlich gleich noch ein anderer Gedanke: Waren die Studienteilnehmer vielleicht einfach deshalb kompromissbereiter oder weniger nachgiebig, weil ihr Blutzuckerspiegel nach dem Essen hoch oder niedrig war? Wir alle wissen schließlich, wie ungern man sein Essen teilen mag, wenn man gerade mit einer fiesen Unterzuckerung kämpft. Doch Fehlanzeige: Anders als lange vermutet, scheint der nach dem Essen gemessene Blutzuckerspiegel keine Rolle beim Entscheidungsverhalten zu spielen: „Nicht der Glukoseverlauf, sondern die Aminosäuren machen den Unterschied“, betonte die Psychologin. Je höher der Kohlenhydratanteil und entsprechend niedriger der Proteinanteil war, umso niedriger waren die Spiegel des Plasma-Tyrosins bei den Probanden. Tyrosin ist ein wichtiger Bestandteil vieler Proteine und dient daneben als Ausgangssubstanz verschiedener körpereigener Botenstoffe, beispielsweise Thyroxin, Melanin, Adrenalin oder Dopamin. Je mehr Plasma-Tyrosin vorhanden ist, desto höher sei auch die Konzentration des Botenstoffs Dopamin im Gehirn, erklärte Prof. Park. Dopamin wiederum, so viel hat sich auch außerhalb von Forschungsinstituten bereits herumgesprochen, ist ein wichtiger Baustein des Belohnungssystems im Gehirn und beeinflusst damit die Stimmung.
Mir kam nach diesen Ausführungen gleich ein wirklich schlauer Gedanke: Wenn sich das Entscheidungsverhalten so leicht über die Ernährung beeinflussen lässt – wäre es dann nicht sinnvoll, Despoten und Choleriker rund um den Globus einfach an ein proteinreiches Frühstück zu gewöhnen, um die Welt zu einem friedlicheren Ort zu machen? Ein bisschen mehr Nachgiebigkeit und Toleranz auch gegenüber vermeintlich „unfairen Angeboten“ täten einem Regierungschef wie US-Präsident Trump doch ganz gut, oder nicht? „Noch kann man keine konkreten Empfehlungen aus unseren Erkenntnissen ableiten“, betonte Prof. Park, „schließlich steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen.“ Auch das Temperament spiele schließlich eine Rolle. Aber grundsätzlich hält sie es für denkbar, dass sich über eine Ernährungsanpassung auch das Verhalten eines Menschen beeinflussen lässt.
Und dann denken wir das Thema doch noch ein bisschen weiter: Wie müsste die Ernährung in Kitas und Schulkantinen beschaffen sein, damit Kinder sich weniger prügeln und toleranter miteinander umgehen? Ich werde auf jeden Fall weiter verfolgen, was sich auf diesem Forschungsgebiet tut – und in Zukunft beobachten, wie sich mein Verhalten je nach Art meines Frühstücks verändert. Und wie sieht es mit euch aus? Habt ihr schon einmal festgestellt, dass ihr euch gegenüber euren Mitmenschen anders verhaltet, je nachdem, was ihr zuvor gegessen habt?
4 Minuten
2 Minuten
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Beliebte Themen
Ernährung
Aus der Community
Push-Benachrichtigungen