Wer proteinreich frühstückt, ist eher kompromissbereit

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Wer proteinreich frühstückt, ist eher kompromissbereit

Ich finde es ja immer wieder erstaunlich, was in den Universitätskliniken dieser Welt so alles erforscht wird. In Lübeck hatte ein interdisziplinäres Forschungsteam es vor einer Weile auf das Verhältnis zwischen Proteinen und Kohlenhydraten in einer Mahlzeit abgesehen: Ändert sich das Verhalten von Menschen, die soziale Entscheidungen zu treffen haben, je nach Zusammensetzung ihrer Nahrung? Und ihre überraschende Erkenntnis lautete: Ja, das tut es!

Nicht vergessen: Das Gehirn ist Teil unseres Körpers und seines Stoffwechsels

Bei der DDG-Jahrestagung berichtete die Psychologin Professor Dr. So Young Park über die Studienergebnisse ihres Teams. „Wir halten unser Denken oft für völlig unabhängig von unserem Körper. Dabei vergessen wir, dass unser Gehirn Teil unseres Körpers ist und damit seinen biochemischen Prozessen unterliegt.“ Eigentlich logisch: Wir denken mit dem Gehirn, das unter dem Dauerbeschuss von Botenstoffen wie Dopamin steht, die wiederum mit dem Hirnstoffwechsel und dem Aminosäure-Haushalt im Denkorgan zusammenhängen. Und trotzdem hatte man zuvor noch nie untersucht, wie sich diese Aspekte des Hirnstoffwechsels auf das Entscheidungsverhalten auswirken. In Lübeck hat man das Thema nun in gleich zwei aufeinander aufbauenden Studien unter die Lupe genommen. Sozialpsychologische Tests in Kombination mit medizinischen Analysemethoden – und im Zentrum des Interesses stand das Frühstück, da es nüchtern eingenommen wird und Ergebnisse damit nicht durch vorangegangene Mahlzeiten verfälscht werden konnten.

Wer viele Kohlenhydrate isst, lässt sich nur ungern auf „unfaire Deals“ ein

An der ersten Studie wirkten 87 Menschen mit. Sie mussten am späten Vormittag online angeben, was sie wenige Stunden zuvor zum Frühstück gegessen hatten. Dann sollten sie in einem Test, dem sogenannten Ultimatumspiel, auf ein „unfaires Angebot“ eines virtuellen Gegenspielers reagieren. Beim Ultimatumspiel geht es darum, dass zwei Akteure eine Geldsumme untereinander teilen. Dabei macht die eine Person einen Vorschlag, den die andere dann entweder akzeptieren oder ablehnen kann. Geschieht Letzteres, dann bekommt keiner der beiden etwas. Die Entscheidung hängt vor allem damit zusammen, ob das Gegenüber das Angebot als „fair“ oder „unfair“ empfindet. „In der Regel empfinden Menschen es als fair, wenn ein Betrag hälftig aufgeteilt wird“, meinte Prof. Park. Sie und ihr Team fanden heraus, dass es einen Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung des Frühstücks und der Reaktion der „Versuchskaninchen“ auf unfaire Angebote gab. Je höher der Anteil an Kohlenhydraten im zurückliegenden Frühstück war, desto empfindlicher reagierten sie auf „unfaire Angebote“ und lehnten den Deal ab. Umgekehrt reagierten die Studienteilnehmer toleranter auch auf unfaire Angebote, wenn sie zuvor ein Frühstück mit höherem Proteinanteil zu sich genommen hatten.

Nicht wirklich Low Carb, aber ausgewogener als in der Kontrollgruppe

Diese Ergebnisse überraschten das Forschungsteam, sodass sie sich entschlossen, eine zweite Studie durchzuführen – dieses Mal unter kontrollierten Laborbedingungen, um auch die biochemische Seite zu erfassen. Die 24 Studienteilnehmer erhielten an zwei verschiedenen Tagen dabei einmal ein Frühstück, bei dem der Kohlenhydratanteil 80 Prozent der Gesamtkalorien ausmachte, wohingegen der Protein- und Fettanteil jeweils nur bei zehn Prozent lagen. Am zweiten Studientag wurde ihnen ein Frühstück mit gleichem Kaloriengehalt, aber einer Makronährstoffzusammensetzung gemäß den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung serviert, bei dem entsprechend 50 Prozent der Kalorien aus Kohlenhydraten und jeweils 25 Prozent aus Proteinen und Fett stammten. Das ist nun noch immer nicht das, was Anhänger der Low-Carb-Ernährung unter einem kohlenhydratarmen Frühstück verstehen, aber immerhin.

Dieselben Personen entscheiden anders, je nach Art ihres Frühstücks

Drei Stunden nach dem Frühstück stand wieder ein Ultimatumspiel auf dem Plan. Außerdem führten die Forscher Blutuntersuchungen durch und bestimmten Blutzucker- und Leberwerte, Schilddrüsen- und Nierenfunktion, Elektrolyte und Blutfette. Die Laborstudie bestätigte die Ergebnisse der ersten Studie: Abhängig vom Anteil von Kohlenhydraten und Proteinen im Frühstück reagierten Probanden unterschiedlich auf unfaire Angebote. Wieder mochten sie sich nach einem Frühstück mit hohem Kohlenhydratanteil nur ungern auf unfaire Angebote einlassen und waren bei einer stärker ausgeglichenen Zusammensetzung der Mahlzeit eher kompromissbereit. Wie Prof. Park berichtete, trafen tatsächlich ein- und dieselben Personen je nach Art ihres Frühstücks unterschiedliche Entscheidungen.

Der Blutzuckerspiegel hat keinen Einfluss auf das Entscheidungsverhalten!

Als Diabetiker kommt uns natürlich gleich noch ein anderer Gedanke: Waren die Studienteilnehmer vielleicht einfach deshalb kompromissbereiter oder weniger nachgiebig, weil ihr Blutzuckerspiegel nach dem Essen hoch oder niedrig war? Wir alle wissen schließlich, wie ungern man sein Essen teilen mag, wenn man gerade mit einer fiesen Unterzuckerung kämpft. Doch Fehlanzeige: Anders als lange vermutet, scheint der nach dem Essen gemessene Blutzuckerspiegel keine Rolle beim Entscheidungsverhalten zu spielen: „Nicht der Glukoseverlauf, sondern die Aminosäuren machen den Unterschied“, betonte die Psychologin. Je höher der Kohlenhydratanteil und entsprechend niedriger der Proteinanteil war, umso niedriger waren die Spiegel des Plasma-Tyrosins bei den Probanden. Tyrosin ist ein wichtiger Bestandteil vieler Proteine und dient daneben als Ausgangssubstanz verschiedener körpereigener Botenstoffe, beispielsweise Thyroxin, Melanin, Adrenalin oder Dopamin. Je mehr Plasma-Tyrosin vorhanden ist, desto höher sei auch die Konzentration des Botenstoffs Dopamin im Gehirn, erklärte Prof. Park. Dopamin wiederum, so viel hat sich auch außerhalb von Forschungsinstituten bereits herumgesprochen, ist ein wichtiger Baustein des Belohnungssystems im Gehirn und beeinflusst damit die Stimmung.

Im Gehirn drehen viele Rädchen ineinander – unter anderem Botenstoffe wie das Dopamin. / Quelle: pixabay

Ein bisschen mehr Nachgiebigkeit und Toleranz täte manchem Staatschef gut

Mir kam nach diesen Ausführungen gleich ein wirklich schlauer Gedanke: Wenn sich das Entscheidungsverhalten so leicht über die Ernährung beeinflussen lässt – wäre es  dann nicht sinnvoll, Despoten und Choleriker rund um den Globus einfach an ein proteinreiches Frühstück zu gewöhnen, um die Welt zu einem friedlicheren Ort zu machen? Ein bisschen mehr Nachgiebigkeit und Toleranz auch gegenüber vermeintlich „unfairen Angeboten“ täten einem Regierungschef wie US-Präsident Trump doch ganz gut, oder nicht? „Noch kann man keine konkreten Empfehlungen aus unseren Erkenntnissen ableiten“, betonte Prof. Park, „schließlich steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen.“ Auch das Temperament spiele schließlich eine Rolle. Aber grundsätzlich hält sie es für denkbar, dass sich über eine Ernährungsanpassung auch das Verhalten eines Menschen beeinflussen lässt.

Und dann denken wir das Thema doch noch ein bisschen weiter: Wie müsste die Ernährung in Kitas und Schulkantinen beschaffen sein, damit Kinder sich weniger prügeln und toleranter miteinander umgehen? Ich werde auf jeden Fall weiter verfolgen, was sich auf diesem Forschungsgebiet tut – und in Zukunft beobachten, wie sich mein Verhalten je nach Art meines Frühstücks verändert. Und wie sieht es mit euch aus? Habt ihr schon einmal festgestellt, dass ihr euch gegenüber euren Mitmenschen anders verhaltet, je nachdem, was ihr zuvor gegessen habt?

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  • gingergirl postete ein Update vor 6 Tagen, 18 Stunden

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

  • hexle postete ein Update vor 1 Woche

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

  • tako111 postete ein Update vor 1 Woche, 4 Tagen

    Fussschmerzen lassen leider keine Aktivitäten zu!

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