- Leben mit Diabetes
Auf dem Dach der Welt
4 Minuten
In Nepal, einem der ärmsten Länder Asiens, ist der Diabetes eine besondere Herausforderung. Vieles muss man selbst bezahlen – wenn man es überhaupt bekommt. Unsere Autorin Susanne Löw hat das Land besucht und eine nepalesische Diabetes-Expertin interviewt.
Namaste – willkommen in Nepal” – Kathmandu, die rasant wachsende Hauptstadt mit knapp 2 Millionen Einwohnern, überflutet jeden Ankommenden mit Sinneseindrücken: unzählige Roller, Taxis, Rikschas auf überfüllten Straßen ohne Ampeln, bunte Farben, exotische Gerüche und Geräusche. Wenn man unter den vielen Schildern und Stromkabelknäueln eine Apotheke entdeckt und nach Insulin fragt, erhält man als Antwort – begleitet von einem Lächeln, wie um deutlich zu machen, wie albern die Frage ist: “Insulin? No, we don’t have.”
Wie problematisch die Situation für Diabetiker in Nepal tatsächlich ist, verrät das Interview mit Dr. Mimi Giri, die eine Praxis im Süden Kathmandus betreibt. Ein Gespräch, das ein Lehrmeister in Demut und Dankbarkeit ist.
Für sie ist ihr Beruf ihre Berufung: Dr. Mimi Giri (53) wurde in Nepal geboren als Tochter zweier Ärzte: Ihr Vater Dr. J. N. Giri startete unter anderem das Rote Kreuz in Nepal, ihre Mutter Dr. Kanti Giri war die erste Direktorin des Maternity Hospitals in Kathmandu. Dr. Mimi Giri ging in Indien und England zur Schule, machte erst in England einen Bachelor of Science in Biochemie und Physiologie und dann ihren Medizin-Abschluss und ihre Promotion in Medizinischen Wissenschaften in Belgien.
Nach 27 Jahren in Belgien kehrte sie 2014 nach Nepal zurück. Eine ihrer größten Prioritäten ist bezahlbare Gesundheitsvorsorge, daher hat sie nach diversen Stationen in verschiedenen Krankenhäusern eine eigene Praxis in Lalitpur/Kathmandu eröffnet, um ihren eigenen Weg zu gehen: Sie hat einen Fond für Bezuschussungen errichtet für Patienten, die sich die Behandlung nicht leisten können. Außerdem etabliert sie gerade eine Charity-Organisation, die nach ihrem Vater benannt ist.
Susanne Löw: Wie viele Diabetiker gibt es in Nepal?
Dr. Mimi Giri: Nach der letzten Erhebung aus dem Jahr 2010 sind 7 bis 15 Prozent der Bevölkerung betroffen, aber das ist stark unterschätzt. Tatsächlich sind es wohl eher 20 bis 30 Prozent wie in Indien. Und selbst das ist untertrieben. Denn Menschen auf dem Land gehen nicht zum Arzt und erkennen ihren Diabetes nicht, bis es zu spät ist. Verlässliche Zahlen gibt es also nicht, aber die Dunkelziffer ist definitiv hoch, da in Nepal kein Gesundheitssystem existiert. Betroffene setzen daher eher auf Ayurveda oder gehen zu Schamanen, weil deren Medizin immer noch sehr mächtig und günstiger ist – ähnlich wie das “Gesundbeten”.
Löw: Wie sieht die Situation für Diabetiker in Nepal konkret aus?
Giri: Typ-1-Diabetiker machen etwa 5 Prozent aller Diabetiker aus. Die Regierung versorgt sie mit älteren Humaninsulinen, bis sie ungefähr 18 Jahre alt sind – danach müssen sie sich selbst kümmern. Das ist unglaublich! Die meisten Typ-1er, die wir als Ärzte sehen, sind diejenigen, die sich Analoginsulin und das Equipment leisten können. Die anderen müssen in ein Regierungskrankenhaus gehen, wo es aber auch nur ältere Humaninsuline gibt.
Auch Typ-2-Diabetes ist ein großes Problem, denn in der westlichen Welt ist das eine Krankheit der pensionierten Bevölkerung. Aber in Nepal, Südasien und Asien bekommen die Leute bereits in ihren 30ern oder sogar 20ern Diabetes. Folglich wirkt sich Typ-2-Diabetes dort nicht nur gesundheitlich aus, sondern auch ökonomisch und sozial, da die aktive, arbeitende Bevölkerung betroffen ist.
Zudem ist der Patient komplett selbst für seine Gesundheit verantwortlich, es gibt keine Versicherung, alles muss selbst bezahlt werden. Gestern hatte etwa eine Patientin einen Herzanfall. Aber ohne 70 000 nepalesische Rupien (ca. 600 Euro) zu bezahlen, konnte sie im Regierungskrankenhaus nicht zugelassen werden … ihre Tochter verdient etwa 10 000 Rupien im Monat (ca. 85 Euro) – bezahlbare Gesundheit ist in Nepal also ein Riesenproblem!
Löw: Gibt es in Nepal viele Diabetes-Spezialisten?
Giri: Es gibt immer mehr: Als ich vor vier Jahren nach Nepal zurückkam, waren es nur 13, aber die Zahl ist auf 30 Spezialisten gewachsen.
Löw: Inwieweit sind Wissen über Diabetes und Vorsorge verbreitet?
Giri: Die Leute haben kein Geld für Vorsorge. Aber man spart an der falschen Stelle, denn der “Zucker”, der erst kaum Symptome verursacht, betrifft ja auch das Herz, die Augen, Niere, Leber, Haut. Folglich sehen wir vor allem fortgeschrittene Komplikationen des Diabetes, denn das ist der Zeitpunkt, wenn der Körper anklopft, um zu sagen: “Zu spät!”
Am wichtigsten ist also Schulung, denn Typ-2-Diabetes ist vermeidbar. Unsere Gene sind denen der amerikanischen indigenen Bevölkerung sehr ähnlich: Wir bekommen Diabetes früher und bei einem niedrigeren BMI als Menschen im Westen. In 10 Jahren werden 80 Prozent aller Diabetiker weltweit in Südasien leben – und wir sind überhaupt nicht darauf vorbereitet.
Löw: Nutzen Diabetiker zuhause Blutzuckermessgeräte?
Giri: Normalerweise nicht. Die Menschen kennen hier nicht mal den Unterschied zwischen Typ-1- und -2-Diabetes, viele Typ-1er werden wie Typ-2er behandelt – sogar von ihren Familien. Der stark verbreitete Irrglaube und der Mangel an Wissen über Diabetes werfen uns zurück.
Löw: Gibt es Institutionen, die an diesem Problem arbeiten?
Giri: Es gibt eine Diabetes- sowie eine Diabetes- und Endokrinologie-Gesellschaft, deren Mitglieder ihr Bestes geben, aber sehr beschäftigt sind. Es sollte eine nationale Angelegenheit sein. Unser aktueller Gesundheitsminister ist sehr interessiert an bezahlbarer Gesundheitsvorsorge.
Immerhin: Der letzte Premierminister, der selbst eine Spenderniere hat, hat erwirkt, dass man zwar noch die Materialien für eine Dialyse zahlen muss, aber die Behandlung kostenfrei erhält, soweit ich weiß. Und Metformin ist für manche kostenfrei – da es sich um ein altes, patentfreies Medikament handelt, ist es sehr billig. Ich würde es begrüßen, wenn weitere Medikamente subventioniert würden, denn sie sind so teuer!
Die Regierung hat Diabetes und Schulung noch nicht ausreichend im Blick. Selbst wenn ein Projekt gestartet wird – es gibt keine Garantie, dass die nächste Regierung es unterstützt, sporadische Aktionen wie der Welt-Diabetestag helfen nicht. Daher wird Gesundheit zur Verantwortung der einzelnen Menschen und Ärzte.
Löw: Wo bekommen Patienten, die es sich leisten können, Insulin?
Giri: In speziellen Krankenhäusern und Apotheken, vor allem in städtischen Gebieten. Nicht jeder Apotheker hat Insulin – aufgrund der nötigen Kühlbedingungen.
Löw: Welche Rolle spielt der Buddhismus mit seiner Sichtweise, dass alles im Leben aufgrund von Karma passiert – auch Diabetes?
Giri: Viele Leute glauben an Karma und dass sie heute ein schlechtes Leben oder eine Krankheit haben, weil sie ein schlechtes, früheres Leben geführt haben. Das ist gut, weil man so ermutigt ist, so viel Gutes wie möglich in diesem Leben zu tun, damit das nächste besser wird. Ich sage meinen Patienten immer: “Gene laden das Gewehr, aber die Lebensweise ist der Auslöser.” Eine Diabetes-Erkrankung liegt also vielleicht am Karma – aber man kann etwas tun!
Löw: Wie können wir in Deutschland helfen?
Giri: Am besten durch Ausbildung. Wenn wir Schulungspersonal hätten, würde das den Ärzten eine große Arbeitslast abnehmen. Die Leute hier verstehen ihre Krankheit nicht, es gibt kein Schulungsprogramm – im Westen dagegen schon, dort hat man Zugang zu Wissen. Ich fände es also schön, wenn sich deutsche Diabetiker ehrenamtlich engagieren und Diabetiker in Nepal schulen würden.
Löw: Vielen Dank für das Gespräch, Dr. Giri!
von Susanne Löw
Internet: www.zucker-im-gepaeck.de
E-Mail: info@zucker-im-gepaeck.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2017; 66 (9) Seite 36-38
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 3 Tagen, 4 Stunden
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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stephanie-haack postete ein Update vor 4 Tagen, 1 Stunde
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 4 Tagen
Ich bin dabei 🙂
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 2 Wochen, 5 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina-
darktear antwortete vor 1 Woche, 6 Tagen
Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig
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Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike