- Leben mit Diabetes
Luciana Blümlein über Akzeptanz, Body-Positivity und ihr Leben mit Diabetes: „Du bist richtig, so wie du bist“
13 Minuten

Luciana Blümlein möchte, dass alle Menschen so leben können, wie sie sind. Das ist auch Thema ihres neuen Blogs. Sie will anderen zeigen, wie wichtig Akzeptanz und Body-Positivity sind – und dass sie nicht allein sind mit ihrem Übergewicht oder mit ihrem Diabetes.
Im Interview: Luciana Blümlein
Eigentlich ist Luciana Blümlein eher schüchtern. Aber sie hat trotzdem den Sprung gemacht und begonnen, im Internet zu bloggen zum Thema Plus-Size-Mode. „Das fing damit an, dass ich einfach meine Outfits gezeigt habe.“ Professionelle Fotos entstanden, der Blog war sehr arbeitsintensiv – aber finanziell nicht ertragreich. Hinzu kamen die Themen Gesellschaftskritik in Bezug auf das Körpergewicht und Body-Positivity. Dass sie auch, seit sie zehn Jahre alt war, mit Typ-1-Diabetes lebt, gehört für sie einfach dazu.

Den Typ-1-Diabetes direkt akzeptiert
Direkt nach der Diagnose gehörte er zu ihr, sie akzeptierte ihn. Trotzdem wünscht sie sich, „dass ich einfach gar keinen Diabetes mehr habe. Ich wüsste zwar nicht, wer ich ohne Diabetes bin, weil es einfach schon so lange ist, 25 Jahre. Aber es wäre schon schön, ein Träumchen.“ Hintergrund ist vor allem, dass das häufige Stechen viele Spuren in ihrer Haut hinterlassen hat und sie allmählich nicht mehr weiß, wo sie ihre Kanüle für die Insulinpumpe und den Sensor zum kontinuierlichen Glukosemessen noch legen soll.
Frustrierendes führte zu neuem Blog
Nett war das Leben zu Luciana Blümlein nicht immer. Zu Beginn der Corona-Pandemie verlor sie ihre Arbeit als Fachberaterin für Augenoptik. Trotz Umschulung im Bereich IT und verschiedener Tätigkeiten hat sie bis heute keinen neuen Job. Unter anderem dies war 2023 Grund, mit einem neuen Blog zu beginnen: tryingmybest.de. Dort geht es mehr um ihr Privatleben, „zum Thema Alleinsein, zum Thema Erwachsensein und auch Mental Health“. Ihr ist wichtig: „Es sollte für jeden Menschen okay sein, so zu existieren, wie er ist.“
Diabetes-Anker (DA): Luciana, sucht man deinen Namen im Internet, stößt man schnell auf #luziehtan. Zu welchem Thema blogst du vor allem?
Luciana Blümlein: Lustigerweise gar nicht mehr zu dem Thema und dieser Blog ist auch gerade offline. Ich bin mittlerweile gewechselt auf einen neuen Blog, mit mehr aus meinem Privatleben – zum Thema Alleinsein, zum Thema Erwachsensein und auch Mental Health. Den Blog habe ich angefangen Ende 2023, er läuft unter tryingmybest.de.
DA: Trotzdem ein kurzer Blick zurück: Was war damals der Ansatz, dass du überhaupt mit einem Blog angefangen hast und was war damals das Thema?
Luciana Blümlein: Damals war das Thema vor allem Plus-Size-Mode und Gesellschaftskritik zum Thema Dicksein. Das fing damit an, dass ich einfach meine Outfits gezeigt habe. Dann habe ich angefangen, die Make-ups dazu zu zeigen. Irgendwie hat sich das Ganze ein bisschen verselbständigt.
Irgendwann war das Gesellschaftsthema super wichtig, es kam dann mit der Zeit auch das Thema Body-Positivity. Das ist bis heute noch immer ein Kritik-Thema, weil es immer wieder heißt, dass wir Übergewicht verherrlichen würden. Das ist gar nicht das Ziel dieser Bewegung. Das Ziel dieser Bewegung ist, zu sagen: Ich toleriere dich so, wie du bist. Ich toleriere auch mich selbst so, wie ich bin. Es sollte für jeden Menschen okay sein, so zu existieren, wie er ist.
DA: Das heißt, du bist im Prinzip über das Zeigen deiner Kleidung zum Thema Gesellschaftskritik und Body-Positivity gekommen, wenn man so will?
Luciana Blümlein: Ja, über den ganz unschuldigen Gedanken, einfach ein bisschen zu zeigen: „Hey, das ziehe ich an!“ Daher auch „Lu zieht an“, wobei ich auch das Wortspiel witzig fand, weil man Anziehen ja auch in anderem Zusammenhang sehen kann. Dann ist es ein größeres Thema geworden. Es waren dann auch richtig ordentliche Fotos, die wir gemacht haben, die mir sehr wichtig waren, qualitativ vor allem, und zusätzlich auch sehr viel Text.
Schreiben ist generell mein Ding und deswegen ist der neue Blog viel auf Schreiben ausgelegt, auch weil ich niemanden mehr für die Fotos habe. Der letzte Eintrag in meinem ursprünglichen Blog war von 2020. Dann hatte ich aber wieder Lust auf Bloggen und Schreiben und wieder online zu existieren. So ist dann der neue Blog entstanden.
DA: Du hast erzählt, Alleinsein und solche Themen greifst du auf. Was ist das Spektrum der Themen der neuen Seite?
Luciana Blümlein: Primär ist ein Aspekt, dass es Menschen auch schlecht gehen kann und man darüber reden kann und auch sollte. Ich glaube, die Texte sind teilweise ganz schön frustrierend, weil in den letzten Jahren auch sehr oft frustrierende Dinge passiert sind. Einfach diese Offenheit und Verletzlichkeit zu haben und zu sagen: „Hey, vielleicht geht es dir auch so.“ Im Sinne von geteiltes Leid ist halbes Leid – dass sich andere vielleicht darin finden.
Gerade in diesem ganzen Online ist ja immer alles sehr perfekt und oft mit der Absicht, nur das Perfekte zu zeigen – obwohl es auch viel Schlechtes gibt. Ich glaube, da war mir einfach wichtig, zu sagen: Es ist nicht alles nur perfekt, aber es ist auch irgendwie okay. Man kommt trotzdem irgendwie klar und Aufgeben ist keine Option. Ich mache immer irgendwie weiter, auch wenn es immer wieder Rückschläge gibt. Das mit den Leuten zu teilen, war mein Ansporn.
„Ich war mit vielen Dingen, die dann richtig cool geworden sind und gehyped wurden, zu früh dran. Daran ist es dann oft gescheitert. Das Bloggen habe ich ja auch vor der Zeit angefangen, in der Bloggen wirklich groß wurde.“
DA: Du hast eben gesagt, du hast in der letzten Zeit einiges Frustrierende erlebt. Magst du ein, zwei Beispiele geben?
Luciana Blümlein: Das Frustrierendste war Anfang 2020 pünktlich zu Corona meinen Job zu verlieren und zu versuchen, wieder irgendwie in die Arbeitswelt zu kommen, was natürlich durch Corona zusätzlich schwierig war. Ich habe noch mal komplett umgeschult und war dann die einzige von 16 Leuten, die keinen Job gekriegt hat. Das war sehr frustrierend und hat auch noch mal die Depression bei mir verstärkt. Seit April 2020 bin ich jetzt arbeitslos, versuche aber trotzdem, mein Leben zu stemmen und mir ein Leben aufzubauen, das nicht auf diesen gesellschaftlichen Erwartungen basiert, sondern etwas, das mich als Lu einfach glücklich macht.
DA: In welchem Beruf warst du zuletzt tätig und worauf hast du umgeschult?
Luciana Blümlein: Ich war Fachberaterin für Augenoptik. Dann habe ich umgeschult auf IT. Ich glaube, es ist einfach daran gescheitert, dass ich ein bisschen Mädchen für alles bin. Ich habe mittlerweile sehr viel ausprobiert. Da spielt auch ein bisschen das ADHS mit rein, glaube ich. Und ich glaube, dass, wenn man so vieles kann, aber irgendwie dann nichts für einen Arbeitgeber „gut genug“ ist, das ein bisschen die Hürde war. Sehr viele haben in mir immer nur die Bloggerin gesehen und nicht jemanden, der so viel mehr kann. Das ist natürlich auch sehr frustrierend.
DA: Magst du ein paar Beispiele geben, was du ausprobiert hast?
Luciana Blümlein: Ja, gern. Ich habe unter anderem im Einzelhandel gearbeitet. Ich habe als Fahrerin gearbeitet, in der Gastro – das war überhaupt nicht meins –, dann eben das mit den Brillen und IT. Der Blog war ja auch lang genug mein Hauptthema, also Schreiben generell, aber auch alles, was drumherum passiert. Das ist immer das, was viele gar nicht wissen: Für einen Blog gibt es auch unfassbar viel Arbeit im Hintergrund. Ich war Model, ich war Fotonachbearbeiterin, ich habe eine Zeitlang auch Videos gemacht, das heißt der ganze Schnitt, der wurde auch gemacht. Ich habe alles geplant, gelayoutet, geschrieben, übersetzt – ich habe ja immer mehrsprachig geschrieben.
DA: Hast du damals mit dem Blog Geld verdient?
Luciana Blümlein: Nur sehr wenig bis gar nichts. Ich war einfach zu früh dran, das war mein größtes Problem. Ich war mit vielen Dingen, die dann richtig cool geworden sind und gehyped wurden, zu früh dran. Daran ist es dann oft gescheitert. Das Bloggen habe ich ja auch vor der Zeit angefangen, in der Bloggen wirklich groß wurde. Ich hatte schon 2007 meinen ersten Blog und „Lu zieht an“ fing dann 2009 an, da war das alles noch gar kein Thema. Die Videos zum Beispiel, die habe ich 2016 angefangen – das ist auch erst ein paar Jahre später richtig durch die Decke gegangen, dass Leute über ihr Outfit Videos auf Instagram oder TikTok posten.
DA: Lass uns mal einen kleinen Sprung machen. Du hast seit dem Jahr 2000, als du 10 Jahre alt warst, auch einen Typ-1-Diabetes. Spielt der auch eine Rolle in deinen Beiträgen?
Luciana Blümlein: Sehr selten. Meistens, wenn sich irgendwas ganz Großes bei mir verändert. Ich hatte das zum Beispiel damals mit dem Dexcom, als der kam, oder eine neue Pumpe. Dann poste ich mal auf Instagram was dazu. Ansonsten war das einfach immer ein stiller Teil von mir. Ich habe ihn weder versteckt noch das groß thematisiert. Wenn mich jemand darauf anspricht, gebe ich aber immer gern Info. ”?“
„Ich habe am Tag nach der Diagnose einfach selbst die Spritze in die Hand genommen und gesagt: ‚Ich muss es ja dann eh machen.‘ Das war eine große Überwindung, aber irgendwie war das dann auch ein Teil von mir.“
DA: Wie hast du damals die Diagnose des Diabetes erlebt?
Luciana Blümlein: Ich kann mich wenig daran erinnern, was das für mich wirklich bedeutet hat in den ersten Momenten. Meine Mama hat auf jeden Fall mehr darunter gelitten als ich. Es gibt eine „lustige“ Geschichte, wie sie vor dem Joghurt-Regal stand und in Tränen ausgebrochen ist, weil sie nicht mehr wusste, was ich überhaupt noch essen darf. Und ich war halt in der Kinderklinik und man hat mir gesagt: „Du brauchst Insulin.“
Und ich habe am Tag nach der Diagnose einfach selbst die Spritze in die Hand genommen und gesagt: „Ich muss es ja dann eh machen.“ Das war eine große Überwindung, aber irgendwie war das dann auch ein Teil von mir. Ansonsten bin ich immer sehr gut damit klargekommen. Ich hatte tatsächlich erst sehr spät eine kleine Phase, wo mir das alles auf den Geist gegangen ist und ich überhaupt keine Lust darauf hatte, den Blutzucker zu messen und irgendwas zu machen. Das war ungefähr mit 18.
DA: Wenn du schon am zweiten Tag in der Lage warst, dich selbst zu spritzen, warst du nicht völlig entgleist bei Diagnose?
Luciana Blümlein: Nein, wir haben das früh entdeckt. Die Remissionsphase ging auch noch ein gutes Stück. Ich habe sehr lange nur wenig Insulin gebraucht.
DA: Kommen deine Eltern aus der Medizin oder warum habt ihr das so früh erkannt? Das ist ja selten.
Luciana Blümlein: Nein. Meine Mama dachte, ich hätte eine Blasenentzündung. Wenn ich was hatte, war meine Mama immer direkt hinterher: „Du musst jetzt sofort zum Arzt.“ Dann haben wir Urin gesammelt und sind zum Arzt gefahren. Die hatten diese Teststreifen und haben gesagt: „Da ist ein bisschen viel Zucker drin.“ Und dann haben die diesen ekligen Glukosetoleranztest mit mir gemacht. Das war, glaube ich, bis heute das Widerlichste, was ich jemals trinken musste. Und dann war es halt schon erhöht.
Die Ärztin meinte dann, es wäre vielleicht ganz gut, demnächst mal in die Kinderklinik zu gehen. Wir sind nach Hause gefahren und Mama sagte: „Pack deinen Teddy ein und den Schlafanzug. Wir fahren jetzt direkt in die Klinik.“ Dort durfte ich den Test noch mal machen. Ich weiß nicht, wieso, aber ich musste zweimal an einem Tag diese Zuckerlösung trinken. Und dann hieß es: „Ja, das ist Typ-1-Diabetes.“
DA: Dann fing die Therapie an. Hattest du eine Schulung?
Luciana Blümlein: Ja. Ich habe mittlerweile einige Schulungen gehabt. Immer, wenn man mir das angeboten hat, habe ich das mitgenommen. Aber die letzte ist jetzt bestimmt auch schon wieder zehn Jahre her. Meine erste Schulung war in einer Gruppe, einzelne Sachen aber auch allein. Meine erste Diabetologin habe ich gehasst, weil sie immer mit Edding auf meinem Bauch gemalt hat, weil sie immer meinte, meine Spritzstellen wären nicht gut – obwohl ich immer abgewechselt habe. Ich habe da immer penibel darauf geachtet – und dann hat sie mir immer traurige Gesichter auf meinen Bauch gemalt und das fand ich natürlich mit zehn superkacke.
Es war aber eine kompetente Ärztin und in der Klinik haben die sich sehr gut gekümmert. Ich hatte auch direkt am Anfang eine Ernährungsberatung und den ganzen Kram. Meine Mutter hat da auch viel gelernt. Sie hat sich immer sehr bemüht, hat alles abgewogen und vorgeplant. Wenn Freibad anstand, war sie immer ganz verzweifelt, dass ich dann kein Eis essen durfte wie die anderen. Dann hat sie zum Beispiel Gurken und Würstchen für mich geschnippelt, damit ich so eine Mahlzeit ausfallen lasse, damit ich dann im Schwimmbad Eis essen kann. Mit der Therapie damals war ich ja komplett an Zeiten und BE gebunden.
DA: Das heißt, du hast keine intensivierte Therapie gemacht, sondern eine Therapie mit festen Dosen und festen Essmengen?
Luciana Blümlein: Genau. Die Insulinpumpe habe ich tatsächlich erst mit 23 bekommen, weil die Krankenkasse sich super lang quergestellt hat.
„Es war ein bisschen ambivalent: Als mir vorgeschlagen wurde, eine Pumpe zu kriegen, wollte ich nicht. Aber als ich dann wollte, dann hat man mich nicht gelassen.“
DA: Mit welchem Argument?
Luciana Blümlein: Dass die Spritzen noch reichen. Der MDK hat so argumentiert und dann haben wir wieder Widerspruch eingelegt. Dann hieß es aber wieder: Nein, das passt. Bis irgendwann mein Diabetologe in Nürnberg gesagt hat: „Wir machen dir jetzt einfach eine Pumpe dran. Und dann beweisen wir der Krankenkasse, dass es damit besser wird.“ Ich war zu der Zeit ganz schön hoch mit dem HbA1c, ich weiß nicht mehr, ob ich da schon an der 9 (Prozent; Anm. d. Red.) gekratzt habe. Dann bin ich innerhalb weniger Monate runter auf 6 gekommen.
Und als die Pumpe dann tatsächlich genehmigt war, hatte ich einen Anruf von der Krankenkasse und die Frau meinte: „Wenn Sie keine Pumpe kriegen, dann weiß ich auch nicht.“ Ich glaube, das Problem vorher war, dass ich mich als Teenie ein bisschen quergestellt habe, weil ich gesagt habe, ich will keine Pumpe. Ich will nicht immer einen Schlauch an mir dran haben und so. Wahrscheinlich wäre es sonst damals auch einfacher gelaufen. Es war ein bisschen ambivalent: Als mir vorgeschlagen wurde, eine Pumpe zu kriegen, wollte ich nicht. Aber als ich dann wollte, dann hat man mich nicht gelassen.
DA: Du hast 2010 wahrscheinlich mit Blutzuckermessung angefangen, denn es gab ja noch kein CGM?
Luciana Blümlein: Ja. CGM kam superspät, ich weiß gar nicht, wann.
DA: Was für eine Therapie hast du heute?
Luciana Blümlein: Ich bin jetzt mit dem Dexcom G7 unterwegs und habe die t:slim. Das funktioniert sehr gut mit dem Control-IQ. Es ist wunderschön.
DA: Auch wenn das schon wunderschön ist: Was wünschst du dir in Bezug auf die Diabetes-Therapie?
Luciana Blümlein: Dass ich einfach gar keinen Diabetes mehr habe. Ich wüsste zwar nicht, wer ich ohne Diabetes bin, weil es einfach schon so lange ist, 25 Jahre. Aber es wäre schon schön, ein Träumchen. Denn mein Bauch ist bald eine Gießkanne. Ich kann zum Beispiel CGM nicht am Arm tragen, da bin ich super empfindlich. Bei mir steckt alles im Bauch. Härtere Stellen hatte ich aber noch nie. Wenn es mal abgetastet wird, ist auch immer alles okay. Der Edding hat gewirkt… (grinst)
DA: Die Diabetes Community ist in den letzten Jahren richtig aufgekommen und immer mehr gewachsen. Was bedeutet dir die Diabetes Community sowohl online als auch im realen Leben?
Luciana Blümlein: Einfach zu wissen, dass man nicht allein mit dem Mist ist. Und es beruhigt mich sehr, wenn ich eine fremde Person auf der Straße mit einem CGM sehe und einfach weiß, wir sind Dia-Buddies, wir haben die gleiche Diagnose, man könnte sich austauschen. Ich habe auch ein paar Freunde mit Diabetes und wir melden uns: „Hey, hast du noch dies und das? Es hat mit der letzten Lieferung nicht geklappt.“ Also tatsächlich Unterstützung jeglicher Art.
DA: Hast du auch einen Stammtisch, wo du regelmäßig Menschen mit Diabetes siehst?
Luciana Blümlein: Leider nicht mehr. 2014 hatten wir hier in Hamburg einen Typ-1er-Stammtisch, der sich einmal im Monat getroffen hat. Aber das ist dann auseinandergeflossen und es gibt ihn tatsächlich gar nicht mehr. Aber ich kenne noch ein paar Leute davon. Meist sehen wir uns aber leider nur, wenn man was braucht.
DA: Du hast vorhin auch von deinem Gewicht gesprochen. Beeinflussen sich dein Typ-1-Diabetes und dein Gewicht gegenseitig?
Luciana Blümlein: Ich glaube, das Insulin macht es schwieriger, abzunehmen. Aber ansonsten habe ich damit keine Probleme.
„Die Pumpe trage ich ganz offen. Manchmal habe ich die am Hosenbund, meistens in der Hosentasche. Da guckt vielleicht mal ein Kind, was das ist. Oder wenn man in der Bahn was nachspritzt, gucken die Leute vielleicht auch mal drauf, aber ich glaube, die denken meistens, das wäre ein Pager oder sowas.“
DA: Hast du schon Stigmatisierung erlebt wegen des Diabetes oder wegen des Gewichts?
Luciana Blümlein: Wegen des Gewichts permanent. Man wird ja immer dafür angefeindet, dick zu sein, mit dem Pseudoargument, dass man ja ungesund wäre und wie schlimm das alles ist. Was die Leute eigentlich gar nicht interessiert, weil es fremde Leute auch nicht interessiert, wenn fremde Leute Alkoholiker sind beispielsweise. Die Blicke merkt man natürlich auch. Online gab es Zeiten, in denen echt hässliche Sachen gesagt wurden. Und mit dem Diabetes habe ich ab und zu gehört, ich hätte mir den angefressen. Und vor allem: „Du bist halt einfach ein Fettsack, deswegen hast du jetzt halt Krankheiten.“
Ich würde das nicht als Stigmatisierung aufgrund des Diabetes benennen. Früher war das eher mal mit dem Diabetes, dass dich jemand komisch angeguckt hat mit diesen Minispritzen, was halt echt ein bisschen nach Drogen aussah. Aber ab dem Insulinpen war es eigentlich kein Thema mehr. Und die Pumpe trage ich ganz offen. Manchmal habe ich die am Hosenbund, meistens in der Hosentasche. Da guckt vielleicht mal ein Kind, was das ist. Oder wenn man in der Bahn was nachspritzt, gucken die Leute vielleicht auch mal drauf, aber ich glaube, die denken meistens, das wäre ein Pager oder sowas.
Vor einem halben Jahr hatte ich aber ein lustiges Erlebnis: Ich musste alles wechseln und war unterwegs im Miniatur Wunderland. Weil ich da mittlerweile einfach so nüchtern bin, habe ich das einfach am Tisch gemacht, weil wir gerade gegessen hatten. Neben uns saß eine Familie und die Mutter stierte mich komplett entgeistert an. Da habe ich meinen Kopf fragend zur Seite gelegt – und sie zeigt auf ihren Sohn, der mir seine Pumpe zeigt. Ich: Geil, ein Dia-Buddy! Ich weiß zwar nicht, wieso die Mutter so entsetzt geguckt hat, aber das war auf jeden Fall schön. Wie es halt so ist: Man sieht jemanden, den man gar nicht kennt, aber man ist direkt verbunden.
DA: Wenn man dich im Gespräch hört, bist du ja erzählfreudig und offen. Du schreibst aber im Internet an manchen Stellen, dass du eher zurückhaltend und auch ein bisschen ängstlich bist. Wie hast du die Hürde überwunden, dich im Internet so frei und offen zu präsentieren?
Luciana Blümlein: Ich glaube, sehr viel ist die Maske. Die Maske, die viele Menschen mit Depressionen oder Neurodivergenz tragen und die einfach kompetent sind, obwohl sie es vielleicht innen drin gar nicht sind, obwohl es eigentlich doch ein Teil von ihnen ist. Irgendwie war das immer eine Seite von mir, die vielleicht eben auch ein Teil von mir ist, aber für sich allein existiert. Deswegen war das nie ein Thema. Wenn es die Situation erfordert, schaffe ich alles. Aber wenn es optional ist, kommt die Angststörung durch und die Sozialphobie vor allem. Wenn ich von allein irgendwas machen möchte, beispielsweise einen Spaziergang einfach nur, dann ist das oft schon zu viel.
DA: Weil du dich vor etwas fürchtest?
Luciana Blümlein: Das ist immer noch ein Therapiethema bei mir, ich weiß es nicht.
DA: Verstehe. Aber es ist trotzdem toll, diese Offenheit von dir zu spüren und dass da wirklich ganz viel ist, was du an die Menschen bringst durch dein Schreiben, und auch Mut machst. Kriegst du da auch solche Rückmeldungen?
Luciana Blümlein: Früher sehr viel, aber da war das noch viel aktiver und viel größer und bekannter. Heutzutage eigentlich auch immer wieder mal vielleicht eine E-Mail oder auf Instagram eine Privatnachricht statt eines Kommentars. Das ist eigentlich auch der Kern des Ganzen, warum ich das mache. Wir machen Social Media ja nicht, weil wir ein Tagebuch schreiben wollen, sondern weil wir es mit Leuten teilen wollen. Man möchte ja auch gesehen, gelesen und gehört werden und will auch ein Feedback kriegen. Das dann auch zu bekommen und zu hören, jemand identifiziert sich mit irgendwas, was ich geschrieben habe, jemand fühlt sich dadurch weniger allein, jemand fühlt sich besser verstanden – das ist schön.
Früher hatte ich oft Frauen, die nach 50 Jahren sagten: „Ich habe zum ersten Mal diesen Sommer ein Kleid getragen.“ Oder: „Ich war zum ersten Mal mit einem Badeanzug, im Bikini, whatever am Strand oder im Freibad.“ Dann sitzt man da und denkt: Boah, ich habe echt was bei einem Menschen bewegt, der 50 oder mehr Jahre sich nicht rausgetraut hat und einfach er selbst zu sein. Es war finanziell gar kein Erfolg, aber menschlich und emotional war es ein Riesenerfolg.
DA: Thematisierst du in deinen Beiträgen auch das Thema Folgeerkrankungen sowohl in Hinblick auf Diabetes als auch auf Über- oder Untergewicht?
Luciana Blümlein: Gar nicht. Ich bin Gott sei dank auch bisher verschont geblieben. Ich kann mir vorstellen, dass ich, wenn eine Diagnose dazukäme, vermutlich auch was dazu schreiben würde.
DA: Was wünschst du dir von der Gesellschaft im Hinblick auf das Thema Diabetes und das Thema Übergewicht?
Luciana Blümlein: Zum Thema Diabetes würde ich mir auf jeden Fall wünschen, einfach auch die Bereitschaft zu haben, sich selbst zu informieren. Das gilt ja für sehr viele Bereiche. Und nicht immer nur dieses „Ja, das hat meine Oma auch“. Einfach wenigstens zu wissen, dass es zweierlei Typen und eigentlich ja sogar noch mehr gibt. Das wäre ganz cool. Und nicht irgendwelche Vorurteile dafür zu finden.
Und für Übergewicht im Endeffekt das Gleiche: Keine Vorurteile und Menschen einfach sein lassen, wie sie sind. Denn wenn ich jemanden nicht kenne, kann es mir auch wirklich egal sein. Akzeptanz, weil nicht jeder Mensch gleich ist, nicht jeder dieser Menschen krank ist. Nicht jeder dicke Mensch ist selbst schuld daran und auch das ist mit dem Diabetes genauso.
DA: Was ist deine Botschaft an die Menschen, die deine Blog-Beiträge lesen?
Luciana Blümlein: Du bist richtig, so wie du bist.
DA: Herzlichen Dank, Luciana.
Interview: Dr. med. Katrin Kraatz
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