Ein seltener Diabetes: Diagnose mit einigen Umwegen

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Ein seltener Diabetes: Diagnose mit einigen Umwegen | Foto: drawlab19 – stock.adobe.com
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Ein seltener Diabetes: Diagnose mit einigen Umwegen

Was für einen Diabetestyp Michaela Conrad hat, war lange nicht klar. Erst eine Untersuchung der Gene brachte Klarheit – und damit Erleichterung. Über den langen und widrigen Weg zur richtigen Diagnose und Behandlung und wie es ihr heute geht, berichten wir hier.

Ostern 1996 hatte sie ihren ersten Hörsturz, dem weitere folgten. Im Sommer dieses Jahres war Michaela Conrad aus Hamburg mit ihrer Tochter zur Kur, „und da habe ich plötzlich so einen Durst gehabt“. Außerdem nahm sie stark ab. Zurück aus der Kur, ging die damals 34-Jährige zum Hausarzt.

Ihr wurde Blut abgenommen. Am nächsten Tag informierte man sie, der eine Blutwert stimme nicht. „Ich habe gefragt, ob es der Blutzucker ist.“ Und er war es, was Michaela Conrad schon vermutet hatte, denn sie kannte Diabetes aus dem familiären Umfeld.

Der Arzt teilte ihr mit, sie hätte einen Typ-1-Diabetes – und verschrieb ihr ein Medikament mit dem Wirkstoff Metformin, eigentlich ein Medikament zur Behandlung eines Typ-2-Diabetes. „Damals wusste ich das ja alles nicht.“ Außerdem wurde ihr gesagt, sie dürfe nur noch grüne Äpfel und Knäckebrot essen. Dass das nicht stimmen konnte, war ihr klar, denn ihre Tante hatte Diabetes. Diesbezüglich war sie nicht ganz unerfahren.

Gehör wurde schlechter – Zusammenhang vermutete niemand

Im Lauf der Jahre nahm ihre Schwerhörigkeit langsam zu. „Das war so ein schleichender Prozess.“ Erst im Jahr 2008 bekam sie ihre ersten Hörgeräte: „Ich stieg ins Auto und plötzlich war der Blinker so laut …“

Dass es einen Zusammenhang zwischen ihrer Schwerhörigkeit und ihrem Diabetes geben könnte, vermutete lange niemand. Allerdings äußerte im März 1998 während einer Diabetes-Schulung in Hamburg eine Schulungskraft den Verdacht, dass der Diabetes ein MODY sein könnte, ein Maturity Onset Diabetes of the Young.

Diese Diabetes-Formen gibt es in unterschiedlichen Varianten und werden über jeweils eine Veränderung (Mutation) in einem einzelnen Gen vererbt. Verfolgt wurde dieser Verdacht nicht, weil die entsprechenden Tests zu teuer waren „und die Therapie sei sowieso dieselbe“. Hier erhielt Michaela Conrad zum ersten Mal eine Therapie mit Insulin.

14 Jahre nach Erstdiagnose …

Es dauerte 14 Jahre, bis weitere Diagnose-Schritte erfolgten. Im Jahr 2010 ging Michaela Conrad ins Diabetesdorf Althausen zu Dr. Bernhard Teupe. „Der hat innerhalb von vier Tagen gesehen an der Kurve, dass ich niemals einen Typ 1 haben könnte. Er hat dann Blut an ein Labor in Tübingen geschickt. Die haben herausgefunden, ich hätte einen MODY 3.“ In telefonischen Kontakten holte sie sich weiter Unterstützung durch den Arzt. „Er hat gesagt, ich hätte vermutlich bis zu dem Zeitpunkt gar kein Insulin benötigt. Und ich hatte ja schon eine Insulinpumpe …“

Sie bekam Tabletten mit Glibenclamid verschrieben, das bei diesem Diabetestyp wirksam sein kann. Dieser Wirkstoff regt die Bauchspeicheldrüse an, mehr körpereigenes Insulin abzugeben. Es funktionierte nicht – und so blieb sie bei der Therapie mit der Insulinpumpe.

Fühlte sich oft unverstanden

Als im Jahr 2019 eine ihrer Schwestern ebenfalls Symptome eines Diabetes entwickelte, ließen sich Michaela Conrad und ihre Schwester humangenetisch untersuchen. Ein mit Fachbegriffen gespicktes Telefonat mit dem Ergebnis der Untersuchung brachte ihr keine Klarheit, wie sie berichtet. Den nachfolgenden schriftlichen Bericht mit den Ergebnissen gab sie ihrem Hausarzt und ihrem Diabetologen. „Weil keiner darauf reagierte, habe ich dem auch nicht so viel Bedeutung beigemessen.“

Dabei war jetzt die Diagnose endlich klar: Michaela Conrad hat einen MIDD, einen Maternally Inherited Diabetes and Deafness. Ein Weg zur Diagnose mit einigen Umwegen – auf dem sie sich oft unverstanden fühlte.

Fotos: Michaela Conrad

Mütter vererben MIDD

Die Anlage für den MIDD wird, wie der Name sagt, über die Mutter vererbt. Zugrunde liegt eine Mutation im Bereich der Mitochondrien, also der „Kraftquellen“ der Zellen, die eine eigene DNA besitzen. Das Alter des Auftretens liegt etwa zwischen 11 und 68 Jahren. Begleitend können unter anderem hinzukommen Muskelschmerzen, Taubheit, Kleinwuchs und Veränderungen des Augenhintergrunds.

Eine Insulintherapie kann nach Jahren erforderlich sein. Bisher ist die Häufigkeit der Diagnose unter den Menschen mit Diabetes sehr gering.

Heißhunger auf Informationen

Als Michaela Conrad die Diagnose nun kannte, stürzte sie sich mit Heißhunger selbst auf weitere Informationen. Über soziale Medien kam sie in Kontakt mit zwei weiteren Frauen mit MIDD. Eine der beiden konnte ihr viele Tipps geben, zum Beispiel zu einem Handbuch über mitochondriale Erkrankungen, das sie sich bestellte. Auf einem Flyer fand sie das Netzwerk ­mitoNET, das Deutsche Netzwerk für mitochondriale Erkrankungen.

Und nun zeigte sich auch, dass die vielen Frauen mit Diabetes in ihrer Familie nicht erstaunlich waren bzw. sind: ihre Großmutter mütterlicherseits, deren Schwester, zwei Schwestern ihrer Mutter, eine Schwester. Bei ihrer Mutter, die bereits mit 59 Jahren starb, war kein Diabetes bekannt.

Ärztinnen und Ärzte oft unsicher

Mit einem Schmunzeln berichtet Michaela Conrad: „Mein jetziger Hausarzt ist sehr interessiert und findet das alles spannend. Insofern fühle ich mich da gut aufgehoben. Er hat neulich zu mir gesagt: ‚Sie werden in meiner ganzen Arzt-Laufbahn die Einzige mit dieser Erkrankung sein.‘“ Sie hofft, dass das nicht so sein wird, da sie schätzt, dass es eine erhebliche Dunkelziffer der Menschen mit MIDD gibt.

Frustriert blickt sie allerdings auf eine Erfahrung mit einer Diabetologin, als diese von der MIDD-Dia­gnose erfuhr: „Sie sagte: ‚Endlich kenne ich mal jemand mit dieser Erkrankung.‘ In ihrer Diabetologen-Weiterbildung hätte sie von der Erkrankung schon mal gehört und sie hätte damals, als ich bei ihr war, das auch schon vermutet, in Verbindung mit der Schwerhörigkeit. Aber sie hätte mir das nicht gesagt, weil sie nicht wusste, wo sie mich hinschicken soll.“

Dabei ist es wichtig, die Diagnose zu kennen, wie Michaela Conrad jetzt weiß. Denn nicht alle Medikamente vertragen sich mit diesem Krankheitsbild. Statine zum Senken der Cholesterinwerte sowie bestimmte Antibiotika und Narkosemittel gehören zum Beispiel dazu.

Aktives Leben

Trotz der Einschränkungen, die der MIDD mit sich bringt, führt Michaela Conrad ein aktives Leben. Sie war lange als Journalistin tätig, ist ausgebildet als Betreuungsassistentin sowie Musiktherapeutin, Burnout-Therapeutin und Anleiterin für Autogenes Training und Progressive Muskelentspannung.

Obendrein war sie als „Kümmerin“ in der sozialen Stadtteilarbeit tätig. Sie geht gern in Konzerte, zu Fußball- und Handballspielen, früher auch zum Eishockey. Lesen und Handarbeiten gehören zu ihren Hobbys. Außerdem liest sie in Hamburg Kindern vor. Auch in der Diabetes-Selbsthilfe ist sie aktiv und leitet eine Gruppe in Hamburg.

Wunsch: Dunkelziffer reduzieren

Fragt man sie nach einem Wunsch für die Zukunft, kommt ganz spontan: „Es geht mir darum, dass diese selten diagnostizierten Diabetesformen aufgedeckt werden. Ich habe inzwischen ein ziemliches Netzwerk mit Menschen mit Diabetes.

Und ab und zu laufen mir welche über den Weg, bei denen ich denke: Huch! Ich darf ja keine Diagnosen stellen oder die irgendwo hinschicken. Aber manchmal erzähle ich denen dann von mir und dann klingelt bei denen irgendwas.“


von Dr. Katrin Kraatz | Chefredaktion Diabetes-Anker

Erschienen in: Diabetes-Anker, 2024; 72 (11) Seite 54-56

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  • carogo postete ein Update vor 2 Tagen, 3 Stunden

    Hallo zusammen! Ich habe mich mit einer Freundin über die Rezepte in der Zeitschrift unterhalten und wir haben uns gefragt, was es eigentlich konkret mit den Nähwertangaben und der Unterscheidung zwischen Kohlenhydraten und anrechnungspflichtign KH auf sich hat?

    • Das wüsste ich auch gerne.

    • Liebe Carogo,
      anrechnungspflichtige KH sind Kohlenhydrate, die den Blutzuckerspiegel erhöhen. Es gibt auch KH, die nicht direkt blutzuckersteigernd wirken und damit für die Insulintherapie nicht oder nicht voll angerechnet werden müssen, wie bspw. Ballaststoffe oder KH, die nur sehr langsam den Blutzucker beeinflussen.
      VLG
      Gregor aus der Diabetes-Anker Redaktion

    • @gregor-hess: danke für die Antwort! Könntest du hierfür mal Beispiele nennen?

  • cesta postete ein Update vor 1 Woche, 5 Tagen

    Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa

    • Hallo cesta, ich habe gute Erfahrungen mit der WETID App gemacht. Hier erhältst du für fast alle Lebensmittel BE – Werte. Man kann auch das Portionsgewicht eingeben und erhält dann die entsprechenden BE’s.
      Die App mit Werbung war bisher kostenlos. App ohne Werbung und im Abo ist besser.

      LG von kw = Kurt mit Diabetes Typ 3c

    • Hallo Christa! Ich verwende die FDDB app. LG Sarah (Lada)

    • @kw: Vielen lieben Dank für den Tipp!

    • @moira: Vielen lieben Dank für den Tipp!

  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • sveastine antwortete vor 3 Wochen

      @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • mayhe antwortete vor 3 Wochen

      Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo Heike, oh da hast du aber auch viel geschafft. Ja ich habe die Kinder mit Diabetes bekommen und meine Kinder sind 26,25,23 und bald 19 🥰….und wie du hoffe bald wieder fit zu sein. Beruflich wechsle ich jetzt vom Kinderhospiz wieder in die Krippe da es dort vorausschaubarer ist als im Schichtdienst. In der Hoffnung der Diabetes lässt sich dort wieder besser einstellen. Eigentlich sollte ich auch die Ernährung wieder umstellen, das weiß ich aber es fällt mir so schwer. Wie ist das da bei dir. Was machen deine Werte ? Viele Grüße Astrid

    • @sveastine: Hallo liebe Astrid, sag mal kann es sein, daß du in den Wechseljahren bist? Ich habe meine schon hinter mir, aber das war zuckertechnisch eine der schwierigsten Zeiten, weil ständig alles durcheinander war. Damals war ich allein 2 x in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim zum Anpassen innerhalb von 3-4 Jahren. Die Hormonwirkungen waren der Wahnsinn. Jetzt ist es wieder deutlich ruhiger. Was hast du eigentlich für eine Versorgung? Pen? Pumpe? Insulin? Sensor?
      Ich habe die Tandem tslim mit Sensor und Novorapid. Und das ist für mich der game changer gewesen. Seitdem werden die zuckertechnischen Anstrengungen auch mit guten Werten belohnt. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hi, ja ich bin in den Wechsel Jahren schon eine ganze Weile und nehme Hormone. Das ist denke ich ist der Hauptgrund der Schwankungen, aber das geht schon seit ca 3 Jahren so, was doof ist. Ich hab das gleiche System wie du tslim und Dexcom, trotzdem schwierig.aber für Bad Mergentheim lt. Diabetologe zu gut um die Genehmigung dafür zu bekommen 🤷🏻‍♀️

    • @sveastine: Das ist ja witzig, das du dieselbe Versorgung hast. Also bist du da optimal versorgt. Jetzt verstehe ich deinen Frust. Nach den Behandlungen in Bad Mergentheim war es wenigstens eine Weile besser. Warst du schon mal in Reha wegen dem Zucker? Ist zwar nicht Bad Mergentheim, aber manche Rehakliniken machen das wohl echt gut. Du musst “nur” darauf achten, dass sie ein spezielles Angebot für Typ1er haben. Ich war 2019 in der Mediclin Klinik Stauffenberg, Durlach. Das war okay. Am wichtigsten fand ich den Austausch mit den Mitpatienten. Aber natürlich ist der Aufwand für dich bei 4 Kindern für 3 Wochen, sehr hoch. Und eine Garantie dafür das dann länger besser läuft gibt es nicht. Ich fand es aber immer wichtig, den zuckertechnischen Input und die Solidarität zu erfahren. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Nicht Durlach, sondern Durbach.

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