Erfolgsrezepte für ein gutes Leben mit Diabetes

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Erfolgsrezepte für ein gutes Leben mit Diabetes

Viele Menschen mit einem langjährigen Diabetes kommen sehr gut mit ihrer Krankheit klar. Was sind die Gründe dafür? Psychologe Prof. Bernd Kulzer reflektiert.

Manchmal bin ich in meiner Arbeit mit Menschen mit Diabetes tief beeindruckt, wie gut einzelne Personen mit dem Diabetes zurechtkommen. Trotz oft widriger Umstände, als sie ihren Diabetes bekommen hatten – zu einer Zeit, als die Therapie noch völlig anders lief; oder trotz Lebensumständen, die nicht einfach sind; oft auch im Zusammenhang mit Folgeerkrankungen – die diese Menschen wohl eher motivieren, sich noch besser um ihrem Diabetes zu kümmern. Manchmal frage ich mich, ob ich denn genausogut mit dem Diabetes umgehen könnte?

Nun: Gibt es denn Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen mit Diabetes, die auf eine lange Diabeteserfahrung zurückblicken können – und von denen ich den Eindruck habe, dass sie sehr gut mit ihrer Erkrankung umgehen? Ich glaube schon, dass sich ein paar grundsätzlich wichtige Erfolgsrezepte ableiten lassen!

Den Diabetes akzeptieren

Es ist sicher am Anfang nicht einfach, sich mit dem neuen und nun lebenslangen Gast zu arrangieren; den wenigsten gelingt dies zu Beginn der Erkrankung. Zu einschneidend sind die Konsequenzen des Diabetes für den Alltag, fürs weitere Leben. Es hilft nichts – der Diabetes ist ab sofort präsent und bestimmt zu einem gewissen Ausmaß den Alltag. Und es ist weise, sich mit dem Diabetes zu arrangieren statt dagegen anzukämpfen.

Es macht Sinn, viel Energie darauf zu verwenden, sich gut über den Diabetes zu informieren und zu versuchen, einen eigenen Weg zu finden, um den Diabetes in sein Leben zu integrieren. Fast alle Menschen mit Diabetes, die dies erfolgreich geschafft haben, stellen sich irgendwann nicht mehr die Frage “Warum ich?” Oft höre ich stattdessen eine Haltung, die sich beschreiben lässt mit “Warum nicht, es gibt Schlimmeres im Leben” oder “Na klar, der Diabetes ist ein Teil von mir”.

Oder wie der legendäre Spruch von Bob dem Baumeister – “Yo, wir schaffen das!”- später kopiert von Obamas mit “Yes we can”.

Nicht für den Diabetes leben – mit ihm!

Früher lebte man als Diabetiker mit kaum variablen Spritzzeiten und festgelegten Mengen an Kohlenhydraten, die zu bestimmten Zeiten gegessen werden mussten: “Natürlich benötigte das Disziplin. Aber diese Disziplin hat mir geholfen, auch andere Dinge im Leben zu verfolgen, denn ich wollte ja nicht immer nur nach der Uhr leben. Gerade weil ich so viel Aufwand für meinen Diabetes leisten musste, habe ich mich oft gefragt, wozu und wofür mache ich das?” berichtet ein Patient von mir, seit über 50 Jahren Typ-1-Diabetiker.

Seine Antwort:”Damit ich möglichst in die Lage versetzt werde, meine Träume im Leben zu verwirklichen – und das habe ich konsequent gemacht. Wenn ich auf dem Gipfel eines Berges stehe, an unserem Hochzeitstag oder kürzlich bei der Einschulung unserer Enkelin denke ich oft insgeheim: Dafür lohnt es sich!”

Ein Rezept für einen erfolgreichen Umgang mit dem Diabetes besteht sicher darin, eine gute Balance zu finden zwischen der notwendigen Selbstfürsorge und einem erfüllten Leben. Beide Ziele verhalten sich wie kommunizierende Röhren: Ein gutes Diabetesmanagement führt dazu, dass der Diabetes irgendwann “läuft”, nicht ständig den Alltag bestimmt und Folgeerkrankungen nicht zu gravierenden Einbußen der Lebensqualität führen.

Ein erfülltes Leben ist eine gute Voraussetzung dafür, dass der Diabetes nicht das Leben zu stark bestimmt und gibt andererseits Kraft und Gelassenheit, sich jeden Tag um den Diabetes zu kümmern. Oder wie es ein anderer Patient ausdrückte: “Ich lebe gerne, deshalb kümmere ich mich um meinen Diabetes. Manchmal bin ich sogar richtig stolz, wenn ich es gut hinbekomme, das motiviert mich.”

„Die Glücklichen sind neugierig“

Neugier und Interesse führen dazu, dass man die Welt erforscht, Neues lernt und nicht stehen bleibt. Beides zeichnet Leute aus, die aktiv ihr Leben gestalten und sich stetig weiterentwickeln. Das wusste schon der Philosoph und Schriftsteller Ferdinand Nietzsche, der schrieb, “Die Glücklichen sind neugierig.”

Die meisten Menschen, die erfolgreich mit dem Diabetes zurechtkommen, sind ausgesprochen neugierig: auf die Meinung anderer, auf neue Technologien oder Erkenntnisse der Wissenschaft – oder sie hinterfragen schlicht einmal, ob der bisherige Umgang mit dem Diabetes passt – oder ob man etwas optimieren kann. Neugierde bedeutet auch, das bisherige Verhalten zu hinterfragen und einmal etwas Neues auszuprobieren:

So lernte ich z. B. Herrn Mommsen in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim kennen, den wahrscheinlich ersten Typ-1-Diabetiker in Deutschland, der mit Insulin behandelt wurde. Als er immer mehr Schwierigkeiten bekam, die Anzeichen einer Unterzuckerung zu erkennen, entschied er sich mit 83 Jahren für eine Insulinpumpentherapie. In seinem Buch “Mein Leben dank Insulin” schrieb er: “Ich habe mich immer über Neuigkeiten rund um den Diabetes informiert, das hat mich interessiert – engstirnig war ich nie, sondern immer aufgeschlossen für Neues.”

Flexibel und offen für Neues bleiben

Flexibel bleiben: In unserer Welt müssen wir uns schnell an neue Situationen anpassen und darauf reagieren. Dies gilt auch für den Diabetes; ständig kommen neue Therapieoptionen hinzu: Technologien wie die kontinuierliche Glukosemessung oder das Flash Glukose Messsystem ändern die Sicht auf Glukosewerte; Apps sollen das Leben Diabetes erleichtern; neue Tabletten und Insuline verändern die Anforderungen an die Therapie.

Sie müssen nicht alle Veränderungen toll finden, aber erfolgreiche Menschen mit Diabetes sehen die Chancen und Notwendigkeit, sich immer wieder auf veränderte Bedingungen einzustellen – eben flexibel zu sein:

“Ich haben mich immer gefreut, wenn es neue Errungenschaften in Sachen Diabetes gab”, sagte sich eine 50-Jährige mit Diabetes kürzlich bei einer Veranstaltung und:

“Das wichtigste ist, offen für das Neue zu sein, aber auch zu erkennen, was mir wirklich hilft, mein Leben mit Diabetes zu verbessern. Mir persönlich hilft das Gerät zur Messung der Flash Glukose mit seinen Trendpfeilen und Auswertmöglichkeiten ungemein, und ich bin ganz erstaunt zu sehen, wie sich mein Zucker in verschiedene Situationen verhält. Da lerne selbst ich mit meiner langen Erfahrung jeden Tag dazu. Apps hingegen überzeugen mich nicht wirklich.”

Automatisierte Handlungen: mit Routine und Leichtigkeit

Was haben Ski laufen, Tischtennis spielen oder Zähne putzen gemeinsam? Es sind zu einem Großteil automatisierte Handlungen, bei denen Sie nicht ständig überlegen, was Sie tun sollen: Ein schlechter Skifahrer überlegt, wie er den Hang fahren soll, ein guter Skifahrer fährt intuitiv über die Buckel des Hangs. Ein guter Tischtennisspieler überlegt nicht, ob er die Vor- oder Rückhand einsetzt – er spielt intuitiv den Ball. Und wahrscheinlich stellen Sie sich morgens nicht die Frage, ob Sie Ihre Zahnbürste zuerst in die rechte oder linke Backentasche schieben sollen.

Und bei Diabetes? Es macht Sinn, auch hier Automatismen zu entwickeln, die das Leben mit Diabetes einfacher machen. Erfahrene Menschen mit Diabetes regen sich viel weniger über Blutzuckerschwankungen oder erhöhte Blutzuckerwerte auf, sondern korrigieren sie einfach.

“Meine wichtigste Erfahrung bei dem Klinikaufenthalt war die Erkenntnis, mit wieviel Routine und Leichtigkeit man den Diabetes im Alltag steuern kann”, sagte vor kurzem ein recht neu diagnostizierter Patient. “Ich habe mir von erfahrenen Diabetikern viel abgucken können. Die regen sich viel weniger über die Blutzuckerwerte auf als ich und reagieren einfach, ohne große Emotionen. Die machen das viel effektiver als ich.”

Den eigenen Weg finden

Jeder Diabetes ist anders: Deshalb gibt es nicht das Patentrezept, wie sie Ihren Diabetes behandeln sollen, sondern viele Möglichkeiten. Und es ist Ihre Aufgabe, Ihren Weg zu finden, wie Sie den Diabetes erfolgreich in ihr Leben integrieren. Das wichtigste Erfolgsrezept würde ich mit Frank Sinatra formulieren: Sie müssen Ihren persönlichen Diabetes-Weg finden – I did it my way. Dabei können Sie sehr profitieren, wenn Sie sich mit anderen austauschen und sich Menschen, die dies gut hinbekommen, als Vorbild nehmen.

Viel Erfolg!

Schwerpunkt „Jahrzehnte mit Diabetes gut leben“


von Prof. Dr. phil. Bernhard Kulzer

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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2017; 66 (12) Seite 20-22

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  • insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche

    Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 2 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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