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Diabetes Positivity
4 Minuten
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Zitternd und schwitzend sitze ich um 3:25 Uhr auf dem Küchenfußboden. Vor mir liegen die Relikte meiner Unterzuckerung: Traubenzuckerpapier, Gummibärchen und eine leere Capri-Sonne. Ich werfe einen verschwommenen Blick auf das Display meines Handys. Es hat gerade wieder gepiept. „Niedriger Wert (dringend)“ – 45 mg/dl (2,5 mmol/l) – jaja, ist mir auch bewusst. Danke.

Auf wackeligen Beinen schleppe ich mich zurück ins Bett. Mein ganzer Körper zittert. Ich bin irgendwo zwischen hellwach, todmüde und unfassbar erschöpft. Weil ich so doll geschwitzt habe, ist mein Schlafanzug nass – schnell hole ich mir einen frischen Schlafanzug aus dem Schrank und kuschele mich unter die Decke – vielleicht sollte ich sogar duschen gehen? Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass mein Glucosewert inzwischen bei 78 mg/dl (4,3 mmol/l) liegt und steigt. Ich zittere immer noch. Also stehe ich auf, messe meinen Blutzucker zusätzlich mit dem Blutzuckermessgerät: 83 mg/dl (4,6 mmol/l). Die Unterzuckerung scheint abgewendet, ich könnte jetzt wieder schlafen gehen. Kann ich? Nein, denn ich zittere immer noch wie Espenlaub.
Was ist los, Körper? Es ist vorbei, alles wieder im sicheren Bereich. Du weißt selbst, dass wir morgen müde sind, wenn ich nicht bald wieder schlafe. Warum hörst du nicht auf zu schwitzen und zu zittern? Wir sind nicht mehr unterzuckert!
Und schon ist mir zum Weinen zumute und ich würde alles dafür geben, nur einmal zu erfahren, wie es ist, keinen Diabetes zu haben.
„Körper, was machst du da?“
In solchen Situationen fällt es mir leicht, mir und meinem Körper sofort Vorwürfe zu machen. Was macht er da? Warum funktioniert er nicht so, wie ich möchte? Warum hat er überhaupt seine eigene Bauchspeicheldrüse kaputt gemacht? Warum bin ich nicht in der Lage, nächtliche Unterzuckerungen zu verhindern?
Das sind Gedanken, die Menschen mit chronischen Erkrankungen sicher nicht fremd sind. Glücklich machen sie nicht. Sie erleichtern auch den Umgang mit diesem 24/7-Begleiter nicht – vielmehr habe ich hinterher ein schlechtes Gewissen, nicht achtsam mit meinen Gedanken und meinem Körper umgegangen zu sein.
Klar ist Diabetes superanstrengend. Ein Diabetes-Burnout ist etwas, was niemand so leicht bewältigt. Übrigens, laut Weltgesundheitsorganisation steht die Diagnose „Burnout“ stets im Zusammenhang mit einer Arbeitstätigkeit – das beweist: Diabetes ist ein Vollzeit-Job. Und was für einer!
Und was denkst du so den ganzen Tag?
Trotzdem: Auf die (innere!) Einstellung kommt es an.
In der Psychologie erklärt man viele unterbewusste Verhaltensmuster damit, dass die zugehörigen Gedanken immer wieder gedacht werden. So festigen sich die Wege im Gehirn und der Reiz, durch den eine Handlung unternommen wird, nimmt genau diese einfachen, häufigen Wege. Das Gehirn lernt auf diese Art und Weise bereits während unserer Kindheit. Sowohl positive als auch negative Reize werden so gefestigt.

Beispiel: Jeden Morgen sage ich mir, dass der ein toller Tag wird. Ich lächle mich im Spiegel an und sage mir, dass das, was passiert, gut wird. Nach und nach festigt sich dieser Gedanke und ich glaube ihn mir immer mehr. Meine Einstellung ist positiv und selbst, wenn mir etwas nicht so Tolles passiert, besitze ich mehr innere Stärke, um es zu bewältigen. Gehe ich aber davon aus, dass der Tag unfassbar schrecklich wird, meine Kollegen unausstehlich sind und der Kaffee ungenießbar ist – gut – vermutlich wird es auch so kommen. Man kennt es.
Und was hat das nun mit dem Diabetes-Management zu tun?
VIEL!
Nach dem Frühstück schießt mein Zuckerwert in die Höhe. Schon wieder ein zu kurzer Spritz-Ess-Abstand, weil ich zu schnell geduscht habe. Mist – kann passieren, wird aber auch wieder hinuntergehen.
Ein abgeknickter Katheter kurz vor dem Meeting. Na toll – jetzt war der Kaffee schon alle und die Zeit zu kurz zum Neukochen. Du wirst dieses Meeting auch ohne Kaffee durchstehen!
Auf der Party – ein Gespräch darüber, dass ich Diabetikerin bin. „Ja, deine Oma hat keine Füße wegen Diabetes. Ja, blöd, ich passe schon auf meine Füße auf. Ich geh’ mir mal ein neues Bier holen.“ Anstatt mich noch auf dem Heimweg über diese unsensiblen Aussagen aufzuregen, werde ich nächstes Mal ehrlich sein, widersprechen und vielleicht bei dem ein oder anderen Aufklärung leisten.
Wer ist schuldig?
Vor (fast) jedem Gedanken, den wir bewusst denken, jeder bewussten Handlung haben wir die Wahl. Wie fühle ich mich in einer Situation, wie bewerte ich sie und was mache ich aus ihr?
Immer wieder erwische ich mich, dass ich mich über fehlenden Kaffee, dumme Kommentare und hohe Zuckerwerte zu viel aufrege. Schuldig: mein Diabetes.

Schuld hin oder her: Ich versuche, sobald ich drohe, in diese Gedankenspirale abzurutschen, einfach durchzuatmen. Durchatmen und danach die Situation neu bewerten. Und schon ist der hohe Zuckerwert gar nicht mehr so schlimm, auf den dummen Kommentar finde ich eine gute Antwort und weniger Kaffee tut mir vielleicht eh ganz gut.
Denn: Wir können nicht ändern, dass wir Diabetes haben. Aber wir können durch unsere Einstellung (Achtung, Wortspiel :D) wesentlich mitbestimmen, ob es uns gut geht.
Wem jetzt gerade der Zuckerwert zu hoch ist oder der Kaffee fehlt: Hört hier mal rein! 😉
Ihr seid jetzt auf den Geschmack gekommen, schlechte Diabetes-Laune mit guter Musik entgegenzutreten? Sehr gut, dann lauscht doch gleich mal unserer Playlist: #BSLounge – Diabetes Sound Machine
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 5 Tagen, 8 Stunden
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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stephanie-haack postete ein Update vor 6 Tagen, 5 Stunden
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 6 Tagen, 4 Stunden
Ich bin dabei 🙂
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 3 Wochen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina-
darktear antwortete vor 2 Wochen, 1 Tag
Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig
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Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike