- Psyche
Mentale Gesundheit bei Diabetes: „Der Austausch mit anderen Betroffenen kann sehr wertvoll sein.“
3 Minuten

Susanne Baulig ist Diplom-Psychologin und leitet den Schwerpunkt Psychodiabetologie an der Poliklinischen Institutsambulanz für Psychotherapie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im Interview berichtet sie über die Ursachen psychischer Probleme bei Diabetes, warum Aufklärung so wichtig ist und wie man seine mentale Gesundheit stärken kann.
Mit welchen Themen kommen Patient:innen zu Ihnen?
Dipl.-Psych. Susanne Baulig: Wir betreuen aktuell Menschen mit Diabetes aller Altersstufen zwischen 18 und 83 Jahren – davon sind übrigens doppelt so viele von Typ-1- als von Typ-2-Diabetes betroffen. Am häufigsten begegnen uns dabei Depressionen, gefolgt von Essstörungen, die meistens in Form von unkontrollierten Essattacken auftreten, dem sogenannten Binge-Eating. An dritter Stelle kommen Angststörungen im Hinblick auf Hypoglykämien und dann Akzeptanzprobleme, die dazu führen, dass Patient:innen ihren Diabetes am liebsten verleugnen möchten oder es nicht schaffen, sich gut um ihn zu kümmern.
Warum sind überdurchschnittlich viele Menschen mit Diabetes von psychischen Problemen
betroffen?
Dipl.-Psych. Susanne Baulig: Es gibt mehrere Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Bereits die Diagnose und das damit verbundene Wissen, dass man unter einer chronischen Erkrankung leidet und seinen Lebensstil ändern muss, kann ungemein belastend sein. Dazu kommt, dass Diabetes niemals Pause macht und die Therapie viel Eigenverantwortung und Selbstkontrolle im Alltag erfordert, was sich ebenfalls auf die Psyche auswirken kann. Ein weiterer Aspekt sind Ängste vor möglichen Folgeerkrankungen und akuten Krisensituationen wie Hypoglykämien. Außerdem erlebe ich öfter, dass Patient:innen unter Schuld und Schamgefühlen leiden – verstärkt durch eine Stigmatisierung von Diabetes, die es leider noch immer in unserer Gesellschaft gibt.
Warum ist Früherkennung hier so wichtig?
Dipl.-Psych. Susanne Baulig: Andersherum gesagt: Je später psychische Probleme erkannt und behandelt werden, desto größer ist das Risiko, dass sie chronisch und stärker werden. Eine Früherkennung ermöglicht nicht nur bessere Therapiechancen, sondern sorgt auch dafür, dass Betroffene nicht so lange und weniger leiden müssen. Wenn man mit seiner Psyche zu kämpfen hat, wirkt sich das häufig auch negativ auf das Diabetesmanagement aus, weil die Motivation leidet und man buchstäblich andere Dinge im Kopf
hat. Deshalb ist es so wichtig, dass Behandler:innen bei Menschen mit Diabetes immer auch aktiv nach der seelischen Gesundheit fragen.
Wie können Menschen mit Diabetes ihre mentale Gesundheit stärken?
Dipl.-Psych. Susanne Baulig: Diabetes ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Darum ist es entscheidend, dauerhaft eine gute Balance zwischen dem Diabetesmanagement (dem, was man tun muss) und positiven Aktivitäten (dem, was einem gut tut) zu finden. Das können bewusste Auszeiten zum Entspannen, Spaziergänge zum Seele baumeln lassen, sportliche Aktivitäten oder auch gemeinsames Kochen sein. Dazu ist der Austausch mit anderen Betroffenen oft sehr wertvoll, da man sich besser verstanden und nicht so alleine fühlt. Außerdem kann man sich gegenseitig super motivieren und mit Tipps unterstützen. Aber auch moderne Diabetes-Lösungen können dabei helfen, die mentale Gesundheit zu stärken. Ich erlebe häufig, dass der Einsatz von Insulinpumpen, CGM-Systemen oder einer Diabetesmanagement-App den Stress und die Belastung reduzieren kann. Hier sollte man allerdings immer im Blick behalten, die Technik in einem gesunden Maß einzusetzen, um kein zwanghaftes Verhalten zu entwickeln.
Was kann ich tun, wenn ich das Gefühl habe, dass ich oder eine Freundin bzw. ein Freund unter
psychischen Problemen leidet?
Dipl.-Psych. Susanne Baulig: Wenn man an sich selbst beobachtet, dass man oft über einen längeren Zeitraum nicht gut schläft, niedergeschlagen, antriebslos oder genervt ist, bedeutet das noch nicht, dass man eine behandlungsbedürftige Störung hat. Es macht aber auf jeden Fall Sinn, den Arzt bzw. die Ärztin beim nächsten Termin darauf anzusprechen, um hier frühzeitig gegensteuern zu können. Bei Freund:innen gilt: Auch wenn es Überwindung kostet – nichts sagen, ist das Schlechteste. Deshalb mein Tipp: einen ruhigen und intimen Moment abwarten und dann mit einer Frage in das Gespräch einsteigen, wie: „Ich habe in letzter Zeit das Gefühl gehabt, dass es Dir nicht gut geht. Habe ich da recht? Kann ich etwas für Dich tun?“ Wenn sich zeigt, dass professionelle Hilfe gewünscht und benötigt wird, kann man auch unter www.diabetes-psychologie.de/Psychotherapeutensuche nach Psychotherapeut:innen schauen, die auf Diabetes spezialisiert sind.
Wie können wir als Gesellschaft dazu beitragen, die mentale Gesundheit von Menschen mit Diabetes zu verbessern?
Dipl.-Psych. Susanne Baulig: Wir brauchen definitiv mehr Aufklärung zum Thema Diabetes, um bestehende Vorurteile abzubauen. Menschen mit Diabetes müssen sich immer noch anhören, dass sie selbst an ihrer Erkrankung schuld sind oder ernten komische Blicke, wenn sie in der Öffentlichkeit Blutzuckermessen oder sich Insulin spritzen. Diese Stigmatisierung bedeutet eine zusätzliche Belastung für Betroffenen, obwohl das Leben mit Diabetes schon anstrengend genug ist. Außerdem wünsche ich mir, dass auch von ärztlicher Seite genauer hingeschaut wird, wenn es um die psychischen Aspekte von Diabetes geht, die aus meiner Sicht genauso wichtig wie gute Blutzuckerwerte sind. Darüber hinaus sollte es mehr Therapieplätze und damit einen besseren Zugang zur psychotherapeutischen Behandlung geben.
Quelle: Roche
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swalt postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Dia-Newbies vor 1 Tag, 1 Stunde
Hallo zusammen. Ich möchte mich erst einmal vorstellen. Ich bin “noch” 59 Jahre, und habe wahrscheinlich seit 2019 Diabetes. Ich würde mir wünschen, endlich angekommen zu sein. Wahrscheinlich seit 2019, weil ich in einem Arztbrief an meinen damaligen Hausarzt zufällig auf den Satz: “Diabetes bereits diagnostiziert” gestoßen bin. Ich habe meinen Hausarzt dann darauf angesprochen und wurde mit “ist nicht schlimm” beschwichtigt.
Lange Rede. Ich habe einen neuen Hausarzt und einen sehr netten Diabetologen, bei dem ich jetzt seit 4 Jahren in Behandlung bin. Ich vertrage die orale Therapie nicht und spritze ICT. Dennoch bin ich in diesem Thema immer noch absoluter Neuling. Natürlich habe ich viermal im Jahr ein Gespräch mit meinem Diabetologen. Das hilft aber im täglichen Umgang nicht wirklich. Auch die anfangs verordnete Schulung war doch sehr oberflächlich und das war es. Ich kenne nicht die Möglichkeiten, die mir zustehen. Ich habe mir alles, was ich zu wissen glaube aus Büchern angelesen. Irgendwie fühle ich mich allein gelassen, irgendwie durchgerutscht. Ich kenne niemanden in meinem Bekanntenkreis, der Diabetes hat und die nächste Selbsthilfegruppe ist über 50 km entfernt.
Und so bin ich jetzt hier gelandet. Ich möchte wissen, wie ihr das handhabt, damit ich verstehe, was ich richtig mache und was falsch. Damit ich weiß, dass ich nicht allein damit lebe. -
shangwari postete ein Update vor 5 Tagen, 5 Stunden
Ich habe mir ein neues Mobiltelefon von Samsung (A56) zugelegt. An manchen Tagen saugt die Freestyle Libre App den Akku in nicht mal 12 Stunden leer. In einigen Foren habe ich von dem gleichen Problem gelesen. Da ich auf dem Telefon nachlesen kann, wer denn den ganzen Strom verbraucht hat, konnte ich die App genau identifizieren. Gehe ich in den Einstellungen auf Gerätewartung und lasse diese dann optimieren, ist das Problem für einige Zeit behoben. Heute habe ich bei Abbott angerufen und mein Problem geschildert. Ich habe erfahren, dass einige Telefone noch nicht mit Freestyle getestet wurden. (So auch meins) Der Ratschlag ist, die App zu deinstallieren und neu aus dem Store herunterladen. Bei der automatischen Übernahme der Telefone (beim einrichten eines neuen Mobil) kann sein das die App nicht aus dem Store geladen wurde – sondern vom “alten” Telefon. Ich werden noch warten bis mein Sensor eh erneuert werden muss und dann wage ich mich daran. Bis es soweit ist werde ich mich mit der “Optimieren – Taste” behelfen.
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nele_elsa antwortete vor 4 Tagen, 9 Stunden
Hallo,
Ich hatte das Problem auch mit meinem iPhone SE20 und dachte, es liegt daran, dass mein Handy zu alt war und hab mir so eine Powerbank-Hülle gekauft. Viel erfolg!
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nele_elsa postete ein Update vor 1 Woche
Hallo,
Ich habe eine Frage:
Wir ziehen Ende Oktober von Österreich zurück nach Deutschland.
Jetzt muss ich mich für eine Krankenkasse entscheiden und wollte fragen, ob es erfahrungsgemäß vorteilhafte Krankenkassen für Menschen mit Diabetes gibt? Im Internet wäre ich nach Recherchen auf die aok gekommen.
Für tips und Erfahrungsberichte wäre ich sehr dankbar ☺️
Liebe Grüße
Nele-
moira antwortete vor 6 Tagen, 3 Stunden
Hallo Nele! Ich bin bei der SBK und sehr zufrieden, aber ich weiß nicht ob andere besser oder schlechter sind.
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nele_elsa antwortete vor 5 Tagen, 10 Stunden
@moira: Dankeschön
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Hallo Dia-Newbie 🙂 Schön, dass du den Weg zum Diabetes Anker gefunden hast. Ich bin Lena, die Community-Managerin hier und bis sich ein paar Community-Mitglieder bei dir melden, kannst du die Zeit vielleicht mit diesem Artikel überbrücken (https://diabetes-anker.de/behandlung/behandlung-des-diabetes-diese-buecher-und-materialien-helfen-weiter/). Vielleicht findest du noch wichtige Infos für dich, um deinen Alltag zu vereinfachen. 🙂 Ansonsten findest du beim Diabetes-Anker auch fundiertes Wissen zum Thema ICT von Expert:innen aber auch von Menschen mit Diabetes…Viele Grüße Lena