„Betroffenenkompetenz in allen Bereichen“

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„Betroffenenkompetenz in allen Bereichen“

Der DDB-Bundesvorsitzende Dieter Möhler über eine Neuorientierung im Gesundheitssystem, in dem die Patienten nicht nur ein Wörtchen mitzureden haben.

DJ: Sie fordern eine Stärkung und Förderung der Selbsthilfe. Was soll sich auf diesem Gebiet ändern?

Dieter Möhler: Durch die große Koalition gibt es jetzt auf gesundheitspolitischem Parkett neue Akteure. Es ist also genau der richtige Zeitpunkt, bestehende Missständnisse zu beseitigen. Hierzu haben wir einen Forderungskatalog entwickelt. Selbsthilfe kommt allen zugute. Einerseits sind wir ehrenamtlich organisiert, andererseits erwartet der Gesetzgeber von uns professionelles Auftreten, z.B. im Bereich der Patientenbeteiligung. Um weiter verlässlich agieren zu können, bedarf es weniger Bürokratie.

Wir dürfen nicht jedes Jahr vor die Frage gestellt werden: Erhalten wir noch Fördergelder? Man sollte auch zur Kenntnis nehmen, dass bislang nur die gesetzlichen Krankenversicherungen Selbsthilfeförderung betreiben, die privaten aber nicht – obwohl auch Privatversicherten die Selbsthilfe zugutekommt. Hier muss der Gesetzgeber endlich eingreifen. Und wir pochen darauf, dass bei der sog. Pauschalförderung Kontinuität bei der Förderung einkehrt, um keine bösen finanziellen Überraschungen erleben zu müssen.

DJ: Sie verlangen auch gesetzliche Neuregelungen in der Patientenvertretung. Wie soll das aussehen?

Möhler: Das A und O ist natürlich das Stimmrecht. Bislang können die Patientenvertreter nur mitberaten, aber nicht mitentscheiden. Wir bestehen im Bereich der Patientenvertretung darauf, dass die einzelnen Selbsthilfeorganisationen inhaltlich völlig unabhängig sind – ohne ideologische Einflüsse oder unter dem Diktat derjenigen mit wirtschaftlichen Interessen stehend.

Wesensbestandteil demokratischer Überlegungen ist, dass abweichende Meinungen durchaus nützlich sein können. Damit sich etwas verändern kann, müssen kritische Meinungen auch nach außen dargestellt werden.Solche Vorfälle, wie der Ausschluss einer Patientenvertreterin, den Sabine Westermann vom DDB-Rechtsberatungsnetz miterleben musste (Anmerk. d. Redaktion: Wir berichteten mehrfach) – dieser wurde inzwischen wieder aufgehoben –, dürfen einfach nicht sein.

DJ: Die Forderungen sind alle mit Gesetzesänderungen verbunden …

Möhler: … Forderungen an den Gesetzgeber sind immer Forderungen nach Gesetzesänderungen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist ein lernendes System. Wenn der Lernerfolg nicht eintritt, bedarf es gesetzgeberischer Eingriffe.Im G-BA laufen die Dinge einfach nicht so, wie wir uns das als Patientenorganisation vorstellen. Es ist ja auch Fakt, dass Diabetiker die soziale Teilhabe nicht in vollem Umfang erfahren können, weil deren Interessen in den Hintergrund gerückt werden. Erst Gesetzesänderungen führen eine stärkere Berücksichtigung unserer Interessen herbei.

DJ: Solche Neuregelungen dauern aber doch Jahre…

Möhler: … Durch die große Koalition ist der Weg bereitet, auch die notwendige Zustimmung im Bundesrat zu Gesetzesänderungen herbeiführen zu können. Das kann die Basis sein, um endlich wieder die Patientenbelange in den Mittelpunkt des politischen Interesses zu rücken.

DJ: Wie soll es von den Forderungen auf dem Papier zu greifbaren Gesetzesänderungen kommen?

Möhler: Wir tragen unsere Forderungen in die politischen Gremien hinein. Das werden in erster Linie das Gesundheitsministerium und der Gesundheitsausschuss des Bundestages, aber auch der Patientenbeauftragte sein.

DJ: Welche Vorteile sehen Sie hier durch die neue DDB-Geschäftsstelle in Berlin?

Möhler: Wir können unsere Ansprechpartner vor Ort darauf aufmerksam machen, wo der Hase im Pfeffer liegt. Es ist in Berlin leichter, mit allen Akteuren im Gesundheitswesen Gespräche durchzuführen.

DJ: Wie steht es denn um die Kontakte ins Gesundheitsministerium und zum neuen Minister?

Möhler: Die Bundesregierung hat sich ja erst im Januar konstituiert. Wir werden in den nächsten Wochen Sondierungsgespräche führen und mit dem Forderungspapier als Diskussionsgrundlage auftreten. Für den Gesetzgeber ist es wichtig, von den Selbsthilfeorganisationen konkrete und argumentativ belegte Hinweise zu bekommen, was gerade nicht richtig oder nicht gut funktioniert.

DJ: Diabetes steht ja nicht gerade auf Platz 1 der politischen Agenda. Wo ist das DDB-Papier einzuordnen – es gibt ja schon eine Nationale Diabetes-Strategie, die vor mehreren Jahren entwickelt wurde?

Möhler: Unser Strategiepapier ist völlig unabhängig vom Nationalen Aktionsplan Diabetes. Dieser Plan erscheint uns sowieso schwer durchsetzbar. Es gibt lediglich Einzelforderungen daraus, hinter denen wir stehen, wie die Einführung eines bundesweiten Diabetesregisters. Man sollte in der Praxis vielmehr versuchen, das Beste aus den gesetzlichen Möglichkeiten herauszuholen. Eine gut funktionierende Patientenbeteiligung, die den Patientenalltag für alle nachvollziehbar darstellt, wird mehr Erfolg haben als ein Aktionsplan, der die Macht des G-BA nicht ausreichend zur Kenntnis nimmt.

Der Gemeinsame Bundesausschuss ist das mächtigste Gremium des Gesundheitssystems. Inhaltliche Entscheidungen trifft der Bundesausschuss, nicht das Bundesgesundheitsministerium; dieses hat lediglich die Rechtsaufsicht über dort gefasste Beschlüsse. Das ist ganz entscheidend. Die Politik hat sich damit bewusst aus ihrer politischen Verantwortung gestohlen, weil inhaltliche Kontrolle fehlt. Umso wichtiger ist daher die gesetzlich verankerte Patientenbeteiligung geworden.

DJ: Was die gesetzlichen Kassen bezahlen, entscheidet der G-BA. Ganz konkret: Wie können Sie im Diabetesbereich auf die G-BA-Beschlüsse Einfluss nehmen?

Möhler: Wir nehmen dort als themenbezogene Patientenvertreter entscheidend an den entsprechenden Sitzungen teil. So sichten und beurteilen wir auch vorliegende Studien. Professionalisierte DDB-Vertreter sind in allen Gremien im Einsatz, die den G-BA zum Versorgungsgeschehen von Menschen mit Diabetes beraten und die damit nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, dieses positiv mitzugestalten. Aber wie gesagt: Patientenvertreter benötigen dringend auch ein Stimmrecht.

DJ: Sie kritisieren auch, dass das Hauptaugenmerk der Nutzenbewertungen auf harten Endpunkten (Erkrankung, Sterblichkeit) liegt, statt auch die Lebensqualität der Patienten zu berücksichtigen. Was läuft falsch?

Möhler: Man muss zunächst begreifen, dass die Endpunkte zur Lebensqualität weiche Kriterien sind. Es müssen aber auch Patientenpräferenzen beachtet werden. Ein Arzt z.B. beurteilt den Erfolg eines Medikaments unter ganz anderen Gesichtspunkten als ein Patient, der das Arzneimittel einnimmt.

DJ: Sie bemängeln Qualitätseinbußen bei der Hilfsmittelversorgung und treten für eine Zurückdrängung von Selektivverträgen ein. Wo mangelt es an Qualität – und wie wollen Sie die Selektivverträge zurückfahren?

Möhler: Bei Verträgen, die über Ausschreibungen zustande kommen, erhält in der Regel der günstigste Anbieter den Zuschlag. Das Kriterium Qualität wird damit nicht hinreichend beachtet. Auch im Diabetesbereich liegt hier einiges im Argen. Zu den Selektivverträgen lässt sich sagen, dass es so nicht weitergeht. Bei allen Arten dieser Verträge müssen Patienten in Zukunft eingebunden werden. Nur so können regionale oder kassenarztspezifische Unterschiede unterbunden werden.

Die Versorgung muss bundesweit transparent sein. Wir brauchen in allen Bereichen des Gesundheitswesens Betroffenenkompetenz, denn oft kennen die Vertragspartner die Probleme der Patienten gar nicht oder nehmen sie billigend in Kauf.

Neues Strategiepapier

Selbsthilfe und Patientenrechte stärken: Das sind die Hauptforderungen im neuen Strategiepapier des Deutschen Diabetiker Bundes (DDB), mit dem der DDB die Politik und den Gesetzgeber zum Handeln auffordert. Neben der Kritik an der Hilfsmittelversorgung stehen u. a. das Zurückdrängen der Selektivverträge und die Qualität der Pflege im Fokus.

Der DDB-Bundesvorsitzende Dieter Möhler begrüßt, dass für den neuen Patientenbeauftragten Karl-Josef Laumann ein ganz neues Amt eingeführt wurde: Bevollmächtigter für Pflege. “Das zeigt, dass sich die Bundesregierung sehr wohl darüber im Klaren ist, was der Pflege für eine große Bedeutung zukommt”, betont er. Besonders bei Diabetikern treten im Alter häufiger gesundheitliche Probleme auf, die nur durch eine hochwertige Pflege gemanagt werden können.

Das DDB-Strategiepapier finden Sie unter www.diabetikerbund.de


Das Interview führte Angela Monecke.

Kontakt:
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz, Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0,
Fax: (0 61 31) 9 60 70 90, E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (3) Seite 42-44

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