Diabetes ist in der Politik angekommen

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Diabetes ist in der Politik angekommen

Über Primärprävention, den Unterschied zwischen Verhaltens- und Verhältnisprävention, den Entwurf des neuen Präventionsgesetzes, das im Juni verabschiedet werden soll, und das Vorantreiben einer nationalen Diabetesstrategie (wir berichteten mehrfach) sprach der Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) PD Dr. Erhard Siegel:

"Der beste Weg, die Diabeteswelle aufzuhalten, ist, sie zu verhindern", betonte er. Die Diabetes-Häufigkeit (Prävalenz) habe "gewaltig zugenommen", so Siegel, seit 1998 um 38 Prozent von damals 5,2 auf heute 7,2 Prozent. Beim Diabetes sei auch ein Nord-Ost-Südgefälle feststellbar, bis heute gebe es allerdings keine verlässlichen Daten. Was fehlt, ist ein nationales Diabetesregister – eine der zentralen Forderungen der nationalen Diabetesstrategie.

"Wir wissen inzwischen, dass auch sozioökonomische Faktoren wie Arbeitslosigkeit und die finanzielle Situation in den Gemeinden die Prävalenz steigen lässt", fuhr er fort. So liege in bestimmten Regionen, wie in Mannheim, die Diabetes-Häufigkeit bei 12 bis 13 Prozent und in Heidelberg bei 5 Prozent – dabei sind die beiden Städte gerade einmal 15 Minuten voneinander entfernt.

Vor- und Nachteile des Präventionsgesetzes

Dann beleuchtete Siegel den rund 100 Seiten starken Entwurf des Präventionsgesetzes: Zum einen sei zum ersten Mal von Lebenswelten die Rede – Kitas, Schulen und Betriebe sollen dafür gewonnen werden, sich für einen gesünderen Lebensstil der Menschen starkzumachen. Zum anderen ist geplant, die Mittel für Prävention und Gesundheitsförderung um etwa 250 Millionen Euro auf etwa 500 Millionen Euro zu steigern (7 Euro pro Versicherten).

Positiv findet er, dass der Typ-2-Diabetes als Erkrankung erstmals im Präventionsgesetz verankert ist. Dass der Gesetzentwurf der Regierung hauptsächlich Angebote zur individuellen Verhaltensprävention fördern will, kritisiert der DDG-Präsident. "Der Ansatz ist absolut falsch, weil er sich nur auf verhaltenspräventive Maßnahmen zurückzieht. Es sind nur Appelle an die Vernunft." Zwar seien all diese gut gemeinten Ratschläge schon richtig, aber auch weitgehend wirkungslos: Lediglich 30 Prozent der Bevölkerung springen darauf an.

Er fordert daher einen Paradigmenwechsel hin zur Verhältnisprävention. Siegel: "Diabetes ist kein Problem der Ärzte, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem: Wir müssen hier eingreifen und versuchen, einen gesunden Lebensstil schon in jungen Jahren möglich zu machen." Und dieser werde in der Kindheit geprägt, sagte der DDG-Präsident. So müsse der Staat in Kindergärten und Schulen ein entsprechendes Umfeld schaffen.

Kernforderung: Jeden Tag Schulsport

Im Fokus der Verhältnisprävention stehen Kernforderungen, die sich auch in der nationalen Diabetesstrategie wiederfinden: jeden Tag eine Stunde Sport in der Schule, die den natürlichen Bewegungsdrang von Kindern fördert, Schulessen nach klaren Qualitätsstandards und das Verbot von an Kinder gerichtete Werbung für Süßigkeiten.

Geht es nach dem neuen Präventionsgesetz, soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) künftig 35 Millionen Euro für gesundheitliche Aufklärungsmaßnahmen erhalten. Das klingt nach dickem Polster, ist jedoch dünn wie Pergamentpapier, hält man das der Lebensmittelindustrie dagegen. Denn die BZgA verfügt für ihre Aufklärungsarbeit noch nicht einmal über 1 Prozent der Süßwarenwerbung.

Die Einführung einer Zucker-/Fettsteuer ist ebenfalls Teil der Diabetesstrategie. Die Steuer soll auf Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzanteil erhoben werden, während gleichzeitig gesunde Lebensmittel steuerlich entlastet werden. Die Debatte um die Steuer sorgt in der Diabeteswelt für viel Diskussionsstoff.

Ernährungsministerium lehnt Zuckersteuer ab

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat Presseberichten vom März zufolge eine Zuckersteuer für "vermeintlich ungesunde" Lebensmittel abgelehnt, berichtete die DDG im Nachgang des Mediendialogs. "Diese Formulierung überrascht uns", erklärte Siegel. "Schließlich ist es unstrittig, dass heute viele Produkte wie Softdrinks hohe Mengen an Zucker enthalten und damit der Gesundheit abträglich sind."

Und der DDG-Geschäftsführer Dr. Dietrich Garlichs ergänzte: "Das Ernährungsministerium stellt sich mit dieser Äußerung gegen die gerade kürzlich wiederholte Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO, den Zuckerkonsum deutlich zu senken. Diese Position des Ministeriums wirft die Frage auf: Wessen Interessen vertritt das Ernährungsministerium?"

Der Deutsche Diabetiker Bund (DDB) hat sich schon mehrfach gegen eine Zucker-/Fettsteuer ausgesprochen. "Hier wird verkannt, dass diese Steuer ohne Verteilungsregelung in die Bundeskassen fließen würde und ohne dass eine Zuführung für Präventionszwecke garantiert werden könnte", so der DDB-Bundesvorsitzende Dieter Möhler.

Bundestagsabgeordneter mit Diabetes

Im Rahmen des Diabetes Mediendialogs erklärte Siegel noch: "Das Thema Diabetes ist in der Politik angekommen. Wir sind wesentlich weiter als vor 2 Jahren." Dass die Diabeteserkrankung hinter den gesundheitspolitischen Kulissen endlich diskutiert wird, dazu hat auch Dietrich Monstadt, MdB, beigetragen.

Der Bundestagsabgeordnete ist Typ-2-Diabetiker, sein letzter HbA1c-Wert lag bei 6,9 Prozent. Monstadt spielt seit seiner Kindheit gern Fußball und ist heute im FC Bundestag aktiv. Seine Mannschaft tritt übrigens am 5. Mai gegen den FC Diabetologie (Trainer: Christoph Daum;

Der Vater von 4 Kindern ist seit 2009 im Gesundheitsausschuss des Bundestages tätig – dort als Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Diabetes und Adipositas. Mit der neuen Legislaturperiode wurde auch diese neue Stelle eingerichtet. "Zum ersten Mal ist es gelungen, dass wir uns nicht mit überbordenden Zielen beschäftigen müssen, sondern einen Berichterstatter haben, der mit einem Erkrankungsbild entsprechend ausgestattet ist und seine politische Arbeit darauf ausrichtet, Dinge in diesem Bereich nach vorne zu bringen", stellt er klar.

Verbindliche und zielorientierte Kooperation aller Akteure

Auf zwei gesetzgeberische und politische Zielrichtungen ging Monstadt dann ein: nochmals auf das Präventionsgesetz und auf einen Entschließungsantrag, den die CDU/CSU-Fraktion erarbeitet hat. Mit solchen Entschließungen bringt der Bundestag seine Auffassung zu politischen Fragen zum Ausdruck; sie müssen sich auf eine bereits vorliegende Initiative wie etwa einen Gesetzentwurf beziehen.

Die wesentlichen Punkte in diesem Antrag seien auf die nationale Diabetesstrategie bzw. einen Diabetesplan ausgerichtet, so Monstadt. "Ziel ist die Schaffung einer Struktur für eine dauerhafte, verbindliche und zielorientierte Kooperation aller Akteure."

Er nannte zwei Handlungsebenen: Auf Bundesebene sollen durch eine nationale Präventionskonferenz bundeseinheitliche Rahmenempfehlungen erarbeitet und diese alle 4 Jahre in einem Präventionsbericht dokumentiert werden. Auf Landesebene sollen Landesrahmenvereinbarungen angeschoben werden, mit denen die Länder mit den zuständigen Stellen – unter Berücksichtigung der bundeseinheitlichen Rahmenempfehlungen – dann zu entsprechenden Verabredungen kommen.

Dass der Bundesrat im Juni 2014 einen nationalen Diabetesplan beschlossen hat, unterstützt der Bundestagsabgeordnete nach eigenen Angaben. "Man muss aber wissen, dass der Bundesrat, also die Länder, mit ihrer Gesetzgebungskompetenz, dort nicht veranlagt sind. Außer Appellen ist nichts möglich und von daher verpufft eine solche Maßnahme. Besser wäre, die Möglichkeiten auf Länderebene zu nutzen. Wir wollen eine nationale Strategie auf Bundesebene mit heruntergebrochenen Einzelmaßnahmen im regionalen Bereich."

Diabetesstrategie: SPD blockiert

Und wie geht es mit dem Entschließungsantrag weiter? Diesen blockiere momentan die SPD, so der Politiker, sie fürchte einen Dominoeffekt auf andere Krankheitsbilder, was dann vielleicht nicht zu bewältigen wäre. "Wir verhandeln im Augenblick und werden das Ganze positiv auf den Weg bringen", versicherte er.

Der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach habe sich zu dem Antrag schon positiv in der Presse geäußert. Jetzt müsse nur noch die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Hilde Mattheis überzeugt werden, die sich derzeit noch reserviert zeige. Monstadt: "Drei Monate haben wir allerdings schon verschenkt, es hätte schon Anfang Januar so weit sein können."

Nationale Diabetesstrategie

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