- Soziales und Recht
Diabetes ist in der Politik angekommen
4 Minuten
Über Primärprävention, den Unterschied zwischen Verhaltens- und Verhältnisprävention, den Entwurf des neuen Präventionsgesetzes, das im Juni verabschiedet werden soll, und das Vorantreiben einer nationalen Diabetesstrategie (wir berichteten mehrfach) sprach der Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) PD Dr. Erhard Siegel:
"Der beste Weg, die Diabeteswelle aufzuhalten, ist, sie zu verhindern", betonte er. Die Diabetes-Häufigkeit (Prävalenz) habe "gewaltig zugenommen", so Siegel, seit 1998 um 38 Prozent von damals 5,2 auf heute 7,2 Prozent. Beim Diabetes sei auch ein Nord-Ost-Südgefälle feststellbar, bis heute gebe es allerdings keine verlässlichen Daten. Was fehlt, ist ein nationales Diabetesregister – eine der zentralen Forderungen der nationalen Diabetesstrategie.
"Wir wissen inzwischen, dass auch sozioökonomische Faktoren wie Arbeitslosigkeit und die finanzielle Situation in den Gemeinden die Prävalenz steigen lässt", fuhr er fort. So liege in bestimmten Regionen, wie in Mannheim, die Diabetes-Häufigkeit bei 12 bis 13 Prozent und in Heidelberg bei 5 Prozent – dabei sind die beiden Städte gerade einmal 15 Minuten voneinander entfernt.
Vor- und Nachteile des Präventionsgesetzes
Dann beleuchtete Siegel den rund 100 Seiten starken Entwurf des Präventionsgesetzes: Zum einen sei zum ersten Mal von Lebenswelten die Rede – Kitas, Schulen und Betriebe sollen dafür gewonnen werden, sich für einen gesünderen Lebensstil der Menschen starkzumachen. Zum anderen ist geplant, die Mittel für Prävention und Gesundheitsförderung um etwa 250 Millionen Euro auf etwa 500 Millionen Euro zu steigern (7 Euro pro Versicherten).
Positiv findet er, dass der Typ-2-Diabetes als Erkrankung erstmals im Präventionsgesetz verankert ist. Dass der Gesetzentwurf der Regierung hauptsächlich Angebote zur individuellen Verhaltensprävention fördern will, kritisiert der DDG-Präsident. "Der Ansatz ist absolut falsch, weil er sich nur auf verhaltenspräventive Maßnahmen zurückzieht. Es sind nur Appelle an die Vernunft." Zwar seien all diese gut gemeinten Ratschläge schon richtig, aber auch weitgehend wirkungslos: Lediglich 30 Prozent der Bevölkerung springen darauf an.
Er fordert daher einen Paradigmenwechsel hin zur Verhältnisprävention. Siegel: "Diabetes ist kein Problem der Ärzte, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem: Wir müssen hier eingreifen und versuchen, einen gesunden Lebensstil schon in jungen Jahren möglich zu machen." Und dieser werde in der Kindheit geprägt, sagte der DDG-Präsident. So müsse der Staat in Kindergärten und Schulen ein entsprechendes Umfeld schaffen.
Kernforderung: Jeden Tag Schulsport
Im Fokus der Verhältnisprävention stehen Kernforderungen, die sich auch in der nationalen Diabetesstrategie wiederfinden: jeden Tag eine Stunde Sport in der Schule, die den natürlichen Bewegungsdrang von Kindern fördert, Schulessen nach klaren Qualitätsstandards und das Verbot von an Kinder gerichtete Werbung für Süßigkeiten.
Geht es nach dem neuen Präventionsgesetz, soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) künftig 35 Millionen Euro für gesundheitliche Aufklärungsmaßnahmen erhalten. Das klingt nach dickem Polster, ist jedoch dünn wie Pergamentpapier, hält man das der Lebensmittelindustrie dagegen. Denn die BZgA verfügt für ihre Aufklärungsarbeit noch nicht einmal über 1 Prozent der Süßwarenwerbung.
Die Einführung einer Zucker-/Fettsteuer ist ebenfalls Teil der Diabetesstrategie. Die Steuer soll auf Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzanteil erhoben werden, während gleichzeitig gesunde Lebensmittel steuerlich entlastet werden. Die Debatte um die Steuer sorgt in der Diabeteswelt für viel Diskussionsstoff.
Ernährungsministerium lehnt Zuckersteuer ab
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat Presseberichten vom März zufolge eine Zuckersteuer für "vermeintlich ungesunde" Lebensmittel abgelehnt, berichtete die DDG im Nachgang des Mediendialogs. "Diese Formulierung überrascht uns", erklärte Siegel. "Schließlich ist es unstrittig, dass heute viele Produkte wie Softdrinks hohe Mengen an Zucker enthalten und damit der Gesundheit abträglich sind."
Und der DDG-Geschäftsführer Dr. Dietrich Garlichs ergänzte: "Das Ernährungsministerium stellt sich mit dieser Äußerung gegen die gerade kürzlich wiederholte Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO, den Zuckerkonsum deutlich zu senken. Diese Position des Ministeriums wirft die Frage auf: Wessen Interessen vertritt das Ernährungsministerium?"
Der Deutsche Diabetiker Bund (DDB) hat sich schon mehrfach gegen eine Zucker-/Fettsteuer ausgesprochen. "Hier wird verkannt, dass diese Steuer ohne Verteilungsregelung in die Bundeskassen fließen würde und ohne dass eine Zuführung für Präventionszwecke garantiert werden könnte", so der DDB-Bundesvorsitzende Dieter Möhler.
Bundestagsabgeordneter mit Diabetes
Im Rahmen des Diabetes Mediendialogs erklärte Siegel noch: "Das Thema Diabetes ist in der Politik angekommen. Wir sind wesentlich weiter als vor 2 Jahren." Dass die Diabeteserkrankung hinter den gesundheitspolitischen Kulissen endlich diskutiert wird, dazu hat auch Dietrich Monstadt, MdB, beigetragen.
Der Bundestagsabgeordnete ist Typ-2-Diabetiker, sein letzter HbA1c-Wert lag bei 6,9 Prozent. Monstadt spielt seit seiner Kindheit gern Fußball und ist heute im FC Bundestag aktiv. Seine Mannschaft tritt übrigens am 5. Mai gegen den FC Diabetologie (Trainer: Christoph Daum;
Der Vater von 4 Kindern ist seit 2009 im Gesundheitsausschuss des Bundestages tätig – dort als Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Diabetes und Adipositas. Mit der neuen Legislaturperiode wurde auch diese neue Stelle eingerichtet. "Zum ersten Mal ist es gelungen, dass wir uns nicht mit überbordenden Zielen beschäftigen müssen, sondern einen Berichterstatter haben, der mit einem Erkrankungsbild entsprechend ausgestattet ist und seine politische Arbeit darauf ausrichtet, Dinge in diesem Bereich nach vorne zu bringen", stellt er klar.
Verbindliche und zielorientierte Kooperation aller Akteure
Auf zwei gesetzgeberische und politische Zielrichtungen ging Monstadt dann ein: nochmals auf das Präventionsgesetz und auf einen Entschließungsantrag, den die CDU/CSU-Fraktion erarbeitet hat. Mit solchen Entschließungen bringt der Bundestag seine Auffassung zu politischen Fragen zum Ausdruck; sie müssen sich auf eine bereits vorliegende Initiative wie etwa einen Gesetzentwurf beziehen.
Die wesentlichen Punkte in diesem Antrag seien auf die nationale Diabetesstrategie bzw. einen Diabetesplan ausgerichtet, so Monstadt. "Ziel ist die Schaffung einer Struktur für eine dauerhafte, verbindliche und zielorientierte Kooperation aller Akteure."
Er nannte zwei Handlungsebenen: Auf Bundesebene sollen durch eine nationale Präventionskonferenz bundeseinheitliche Rahmenempfehlungen erarbeitet und diese alle 4 Jahre in einem Präventionsbericht dokumentiert werden. Auf Landesebene sollen Landesrahmenvereinbarungen angeschoben werden, mit denen die Länder mit den zuständigen Stellen – unter Berücksichtigung der bundeseinheitlichen Rahmenempfehlungen – dann zu entsprechenden Verabredungen kommen.
Dass der Bundesrat im Juni 2014 einen nationalen Diabetesplan beschlossen hat, unterstützt der Bundestagsabgeordnete nach eigenen Angaben. "Man muss aber wissen, dass der Bundesrat, also die Länder, mit ihrer Gesetzgebungskompetenz, dort nicht veranlagt sind. Außer Appellen ist nichts möglich und von daher verpufft eine solche Maßnahme. Besser wäre, die Möglichkeiten auf Länderebene zu nutzen. Wir wollen eine nationale Strategie auf Bundesebene mit heruntergebrochenen Einzelmaßnahmen im regionalen Bereich."
Diabetesstrategie: SPD blockiert
Und wie geht es mit dem Entschließungsantrag weiter? Diesen blockiere momentan die SPD, so der Politiker, sie fürchte einen Dominoeffekt auf andere Krankheitsbilder, was dann vielleicht nicht zu bewältigen wäre. "Wir verhandeln im Augenblick und werden das Ganze positiv auf den Weg bringen", versicherte er.
Der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach habe sich zu dem Antrag schon positiv in der Presse geäußert. Jetzt müsse nur noch die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Hilde Mattheis überzeugt werden, die sich derzeit noch reserviert zeige. Monstadt: "Drei Monate haben wir allerdings schon verschenkt, es hätte schon Anfang Januar so weit sein können."
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche, 4 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina -
gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 6 Tagen
Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
Danke schonmal im Voraus-
darktear antwortete vor 2 Wochen, 3 Tagen
Hallo,
Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*LG Sndra
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moira antwortete vor 1 Woche, 6 Tagen
Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG
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hexle postete ein Update vor 3 Wochen
Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.
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lena-schmidt antwortete vor 2 Wochen, 2 Tagen
@stephanie-haack hast du vielleicht ein paar gutes Tipps?
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connyhumboldt antwortete vor 1 Woche, 4 Tagen
Besorge Dir Pflaster die über Tattoos geklebt werden, wenn die neu gestochen sind! Oder Sprühpflaster das Stomapatienten benutzen!
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Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig