„Disziplin beim Diabetes – das Schwierigste!“

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© www.irlstorfer.de
„Disziplin beim Diabetes – das Schwierigste!“

„Für mich als Typ-2-Diabetiker gibt es nichts Erfüllenderes, als Menschen eine Stimme zu verleihen, die das gleiche Schicksal teilen!“ Das sagt Erich Irlstorfer. Der CSU-Politiker sitzt seit 2013 als Abgeordneter im Bundestag – ebenso lang ist er ordentliches Mitglied im Gesundheitsausschuss. Seine Erkrankung hält ihn nicht auf, sagt er. Das Einstehen für die eigene Meinung und die „ungeschönte Warheit“ seien „stetige Begleiter seines Handelns“.

Interviewtermin im Jakob-Kaiser-Haus in der Wilhelmstraße 68, Berlin-Mitte. Nur wenige Schritte sind es von hier zum Reichstagufer, nur ein Katzensprung liegt sein Büro vom Plenarsaal des Deutschen Bundestages entfernt. Erich Irlstorfer hat sich zum Interview verspätet, um 20 Minuten – eben erst landete der Flieger aus München in Berlin.

Er kommt etwas abgehetzt aus dem Lift – mit Trenchcoat am Arm, Aktentasche in der Hand und einem wortgewaltigen „Grüß Gott und Entschuldigung!“ Dass sein Wahlkreis in Bayern (Freising, Pfaffenhofen a.d. Ilm und Neuburg-Schrobenhausen ) liegt, lässt sich sprachlich – weiß Gott – nicht leugnen.

Sein Abgeordnetenbüro liegt im 3. Stock. Irlstorfers Gäste nehmen in der Regel auf dem schwarzen Ledersofa Platz, der Politiker lässt sich heute hinter seinem Holzschreibtisch nieder. Sicherheitsabstand in Corona-Zeiten – hier kein Problem. Auf seinen Diabetes zielt natürlich gleich die erste Interview-Frage ab …

Diabetes-Journal (DJ): „Ich stehe heute nicht nur als Abgeordneter am Rednerpult, sondern als betroffener Patient, der Diabetiker ist“: Mit diesen Worten haben Sie sich im Juli bei den Beratungen zur Nationalen Diabetes-Strategie im Bundestag öffentlich zu Ihrem Diabetes bekannt, den Sie schon 2013 diagnostiziert bekamen. Warum dieser Zeitpunkt für Ihr Diabetes-Outing?
Erich Irlstorfer:
Ich habe mir dabei nicht gesagt: Jetzt hau’ ich einen raus, jetzt sage ich’s der Welt! Sondern ich habe aus einer Verantwortung heraus gehandelt – mit direktem Praxisbezug: Dass alle sehen können: Da steht einer, der kennt diesen täglichen Kampf mit dem Diabetes, der weiß, was los ist. Der mitfühlen kann und eine Ahnung davon hat, dass das alles kein Spaß ist. Und um zu unterstreichen: Wir brauchen endlich eine Nationale Diabetes-Strategie!

DJ: Sie sind bei Ihrer Öffentlichmachung noch weitergegangen, haben auf typische Vorurteile zum Diabetes im Bundestag direkt angespielt, wie starkes Übergewicht …
Irlstorfer:
… Das ist richtig. So habe ich u. a. darauf abgestellt, dass ich mir sicher sei, dass jetzt alle sagen würden: Ja, typisch, schau ihn dir an. In dieser Gewichtsklasse. Selber schuld!‘ Dieses Vorurteil wollte ich entkräften: „Sie kennen mich nicht über viele Jahre. Deshalb wissen Sie nicht, dass ich früher ungefähr die Hälfte des Gewichts hatte. Niemand von Ihnen kann sich auch vorstellen, dass ich sportlich aktiv war und über Jahrzehnte jeden Tag auf dem Fußballplatz gestanden habe.

Ich habe diesen schleichenden Prozess einfach übersehen. Ich weiß um die Bedeutung, was Diabetes auslöst, und ich weiß auch, dass es teilweise ein Selbstmord mit Messer und Gabel ist.

DJ: Früher spielten Sie Fußball und Handball, waren sportlich sehr aktiv. 2002 machten Sie schließlich den Schritt in die Politik, bewegten sich ab dann wenig, nahmen viel zu. Heute sind Sie insulinspritzender Typ-2-Patient. Macht Politik krank?
Irlstorfer:
Wenn ich etwas mache, dann immer mit voller Leidenschaft. Das ist auch der Grund, warum ich den Diabetes viele Jahre nicht bemerkte, weil durch die Bewegung mein eigentlich unsolider und krankmachender Lebenswandel kaschiert wurde. Das war in der Zeit, als ich als Außendienstmitarbeiter für die AOK gearbeitet habe – 20 Jahre lang von 1993 bis 2013. Damals lernte ich auch viel über Ernährung, und da war es überhaupt kein Problem für mich, mein Gewicht einigermaßen in Balance zu halten. Ich war zwar immer an der Grenze, was Körpergewicht und Blutdruck anging – der Schlüssel zum Erfolg war für mich aber die Bewegung.

2002 wurde ich dann in den Stadtrat und 2008 in den Kreistag gewählt. Mit dem Einzug in den Stadtrat hörte ich auch mit dem Rauchen auf – ich war früher starker Raucher –, worauf mein Gewicht explodierte. Durch die Gewichtszunahme ließ ich dann auch den Sport bleiben, weil mir die Bewegung immer schwerer fiel.

Erich Irlstorfer mit Angela Monecke, DJ-Hauptstadtkorrespondentin.

DJ: Einige Kilos haben Sie inzwischen aber wieder runter, wie Sie sagen …
Irlstorfer:
… Irgendwann wog ich 194 Kilo bei 1,96 m. Das war viel zu viel. Dann nahm ich ab, Schritt für Schritt. Wer erzählt, dass das Spaß macht? Davon war ich weit entfernt. Den eigenen Lebensstil zu ändern und nicht kurz vor Mitternacht noch den Kühlschrank aufzumachen und drauflos zu essen, ist sehr schwer. Aber ich hatte durch mein starkes Übergewicht meine Insulindosis weiter erhöhen müssen, wurde träger und müder.

Es war ein extrem disziplinierter und harter Weg, um wenigstens wieder an die 150 Kilo zu kommen. Wenn ich jetzt noch mehr abnehmen will, muss ich vor allem meinen Milchschnitte-Vorrat im Büro dezimieren (lacht!) …

DJ: Was gibt es Neues zur Diabetes-Strategie?
Irlstorfer:
Die Nationale Diabetes-Strategie ist – und das wissen wir heute – nicht nur ein Gebilde des Deutschen Bundestages, sondern bedeutet vor allem die Mitnahme von 16 Bundesländern und deren Kultus- und Sozialministerien – mit Kitas, Grundschulen und weiterführenden Schulen. Aufklärung und Wissensvermittlung bei Kindern und Jugendlichen – das ist der Weg, den wir gehen müssen.

Gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn haben die Bundestagsfraktionen an einem neuen Papier zur Diabetes-Strategie gearbeitet, das spätestens im Februar 2021 veröffentlich werden soll. Mehr soll ich dazu aber nicht sagen, weil der zuständige Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dietrich Monstadt ist – das wäre unfair.

DJ: Was wollen Sie anderen Menschen mit Diabetes noch auf den Weg geben?
Irlstorfer:
Ich wünsche ihnen vor allem Disziplin im Umgang mit ihrem Diabetes, denn das ist das Schwierigste. Aber auch viel Lebensfreude. Das Leben ist so voller Genuss und einfach schön. Lassen Sie sich deshalb den Spaß und die Freude am Leben nicht nehmen – auch mit Diabetes!


Autorin: Angela Monecke
Redaktionsbüro Angela Monecke,
Kopenhagener Str. 74, 10437 Berlin,
E-Mail: angelamonecke@aol.com

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (11) Seite 56-58

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  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 3 Wochen

    Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

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