„Ganz neue Felder in der Diabetesberatung“

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© Victor S. Brigola, Nutzungsrechte bei Kirchheim-Verlag
„Ganz neue Felder in der Diabetesberatung“

Sie sind oft näher am Patienten als der Arzt: Diabetesberater. Elisabeth Schnellbächer, Vorsitzende des VDBD (Verband der Diabetesberatungs- und Schulungsberufe in Deutschland) über die politischen Zielsetzungen für 2014.

Diabetes-Journal (DJ): Was erwarten Sie vom neuen Gesundheitsminister?

Elisabeth Schnellbächer: Schon im Vorfeld seiner Ernennung hat sich der VDBD intensiv mit dem Koalitionsvertrag auseinandergesetzt. In diesem steht, dass der Einsatz von qualifizierten nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen arztunterstützend und flächendeckend ermöglicht werden soll.Hierbei ist es uns wichtig, mit eingebunden zu werden. Wir freuen uns auch, dass von einer leistungsgerechten Vergütung der Gesundheitsberufe im Koalitionsvertrag die Rede ist. Wir sind gut weitergebildete Berater und Assistenten und geben dieses Wissen gerne weiter.

DJ: Wie schätzen Sie die heutige Behandlungsqualität ein – bei allen Unterschieden auf regionaler Ebene, in der Stadt und auf dem Land?

Schnellbächer: Man kann das einfach nicht verallgemeinern. Die Qualität hängt natürlich auch von den Verträgen ab, die von den Ärzten mit den Kassen geschlossen wurden, wie viele Gelder fließen, welche Schulungen bezahlt werden – das ist in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt. Bei uns in Rheinland-Pfalz gibt es eine ganze Palette an Schulungsangeboten.

Es kommt auch darauf an, wie selbständig ein Patient ist. Ich denke hierbei z.B. an ältere Menschen: Wie viel Unterstützung ist von außen notwendig? Wenn im Rahmen der Multimorbidität gesundheitliche Veränderungen eintreten, droht zunächst eine schlechtere Versorgung. An solchen Schnittstellen gibt es noch ganz viel Verbesserungsbedarf. Hier sollten Diabetesberater als koordinierende Stelle eingebunden werden.

DJ: Wie sieht es für Diabetiker in Pflegeeinrichtungen aus?

Schnellbächer: Das hängt immer von der einzelnen Einrichtung ab. Es gibt Pflegeeinrichtungen, die sich sehr mit der Diabetesthematik auseinandersetzen, und andere, bei denen das nicht so der Fall ist. Auch hier sehe ich die Diabetesberater als Mittler zwischen den Pflegeeinrichtungen und den Praxen. Gut finde ich, dass heute viel mehr Wert auf eine individualisierte Behandlung gelegt wird.

DJ: Wie erkennen Angehörige die Diabeteskompetenz einer Einrichtung?

Schnellbächer: Oft ist der Diabetes beim Patienten bereits vorher erkannt. Der Betroffene hat idealerweise auch schon eine Schulung durchlaufen, bei der die Angehörigen mit eingeladen waren. So können sie sich dann vor Ort qualifiziert mit der jeweiligen Einrichtung und ihren Angeboten auseinandersetzen.

DJ: Wie bewerten Sie die heutige Schulungssituation?

Schnellbächer: Schulung ist ein ganz wichtiges Element in der Behandlung von Menschen mit Dia-betes. Die Patienten, die in ein Disease-Management-Programm (DMP) eingeschrieben sind, haben Anspruch auf eine Schulung und sollten diese auch wahrnehmen. Abhängig von Region und Kasse sind ggf. weitere Schulungen möglich. Wenn man bedenkt, dass eine chronische Erkrankung über viele Jahrzehnte besteht, sind die Gelder für Schulungen absolut unzureichend. Geschultes kann im Laufe der Zeit vergessen werden.

Außerdem können neue gesundheitliche Aspekte auftreten, die eine spezielle und erneute Schulung notwendig machen. Für ein erfolgreiches Krankheitsmanagement spielt nicht nur der Diabetes selbst eine große Rolle. Wesentlich ist gleichfalls das psychosoziale Umfeld, die Familie, sonstige Beziehungen und die Zugriffsmöglichkeit auf weitere Ressourcen. Auch hier können Dia-betesberater qualifiziert und vermittelnd tätig werden. Die Wichtigkeit dieses ganzheitlichen Ansatzes haben neue Studien eindeutig zeigen können.

DJ: Was finden Sie an dem, was Sie machen, gut, was schlecht?

Schnellbächer: Wir sind sicher insgesamt gut aufgestellt. Wir sind in unserer Arbeit bei Patienten und Ärzten partnerschaftlich anerkannt. Trotzdem wäre noch einiges zu verbessern. Negativ anzumerken ist, dass wir nicht als Ausbildungsberuf anerkannt sind. Die Qualifizierung zur Diabetesberaterin zählt lediglich als Weiterbildungsmaßnahme. Die Vielfalt der Grundberufe bei Diabetesberatern reicht von der Krankenpflege bis zu Ernährungsspezialisten. Dies mag eine Bereicherung sein, andererseits bringt dies auch Schwierigkeiten mit sich. Eine Positionierung bei Verhandlungen wird dadurch eingeschränkt. Ich wünsche mir vor allem die Anerkennung als Ausbildungsberuf.


Nacäste Seite: Die tägliche Arbeit mit Patienten und gesundheitspolitische Herausforderungen.

DJ: Wie sieht Ihre tägliche Arbeit aus?

Schnellbächer: Meine tägliche Arbeit besteht aus Schulung, Beratung und Begleitung von Menschen mit Diabetes. Meine Kollegen und ich sind sinnvoll in die Behandlung von Patienten eingebunden. Bedauerlich und kontraproduktiv hierbei ist, dass wir den Betroffenen und ihren Angehörigen nur so wenige Schulungen im Laufe ihrer Patientenkarriere anbieten können. Ich wünsche uns und unseren Patienten modulare Schulungen und begleitende Beratung, die auch angemessen abrechenbar sein müssen. Dies bedeutet für die Patienten mehr Lebensqualität und ermöglicht auch eine gezieltere Verhinderung von Folgeerkrankungen.

DJ: Sie haben ja sicher häufiger mit “beratungsresistenten” Patienten zu tun. Was machen Sie, wenn jemand alle guten Ratschläge ignoriert?

Schnellbächer: Jeder Patient ist individuell zu betrachten. Ein jeder hat seinen eigenen Erfahrungsbereich. Ein jeder hat seine eigene Entwicklung durchlaufen. Wenn ich zu einem Patienten sagen würde: Ernähre Dich anders und bewege Dich regelmäßig, dann ist diese Aufforderung nicht zielführend. Wir erheben zunächst eine Ernährungs- und Bewegungsanamnese: Wie ist sein Lebensrhythmus? Was ist er bereit zu ändern?

Wenn ein Diabetiker sagt, dass er Schichtdienst hat, abends nach Hause kommt und kaputt ist, brauche ich ihm nicht zu raten: Geh noch eine Runde laufen! Man muss einfach nachfragen, was der Einzelne bereit ist zu tun, was ihm möglich ist. Hilfreich ist, wenn die Patienten den Zusammenhang zwischen Ernährung, Bewegung und Blutzuckerwerten erkennen. Dabei ist die Blutzuckerselbstkontrolle ganz wichtig. Behandlungsziele sind stets individuell zu formulieren.

DJ: Was gibt es Neues zur geforderten nationalen Diabetsstrategie – die Politik sieht sie ja nicht als vordringliche Maßnahme?

Schnellbächer: Wir müssen erst mal abwarten, was sich derzeit im Bundesgesundheitsministerium tut. Da gibt es momentan keine neuen Entwicklungen.

DJ: Was versprechen Sie sich z. B. von einem nationalen Diabetesregister – einem der Hauptanliegen des Nationalen Diabetes-Plans?

Schnellbächer: Wir brauchen dringend verwertbare bundesweite Daten zur Diabetesversorgung. Bei der Versorgungsforschung muss auch die Diabetesberatung abgebildet werden. Es darf nicht nur um die Erhebung von Daten gehen, die für Ärzte interessant sind, sondern es geht auch um die psychosoziale Betreuung der Patienten. Hier sehen wir eine wichtige Aufgabe für Diabetesberater und –assistenten.

DJ: Wo sehen Sie die Rolle der Berater im heutigen Gesundheitssystem?

Schnellbächer: Berater sind an unterschiedlichen Stellen des Gesundheitssystems tätig: In Krankenhäusern mit reinen Diabetesstationen, auf Allgemeinstationen in der Betreuung von Menschen mit Diabetes, die in aller Regel wegen anderer Erkrankungen dort hin gekommen sind sowie in Reha-Einrichtungen. Im ambulanten Bereich finden wir Diabetesberater vor allem in Schwerpunktpraxen. Die Zahl der an Diabetes Erkrankten wird nicht nur aufgrund der demografischen Entwicklung weiter zunehmen.

Qualifizierte Diabetesberatung sollte daher nicht auf oben genannte Einrichtungen beschränkt bleiben. Ich sehe künftig auch einen vermehrten Bedarf und erweiterte Aufgabengebiete für Diabetesberater in der flächendeckenden Versorgung – vor dem Hintergrund regional auftretenden Ärztemangels und bei Nachbesetzungsproblemen von Hausarztpraxen.

DJ: Befürchten Sie, dass die Schwerpunktpraxen – gegenüber dem Hausarzt – an Bedeutung verlieren könnten?

Schnellbächer: Das sehe ich nicht so. Die Schwerpunktpraxen positionieren sich insbesondere im Bereich Typ-1-Diabetes und bei Patienten mit diabetischen Folgeerkrankungen, während die Betreuung von Typ-2-Diabetikern heute vermehrt beim Hausarzt liegt.

DJ: Die Diabetologen klagen über fehlenden Nachwuchs. Wie ist das bei Ihnen?

Schnellbächer: In unserem Verband gibt es keinen Nachwuchsmangel, unsere Mitgliederzahlen steigen erfreulicherweise.

DJ: Was wünschen Sie Diabetespatienten für das Jahr 2014?

Schnellbächer: Ich wünsche den sich uns anvertrauenden Patienten eine gute Lebensqualität jetzt und in Zukunft. In der Erreichung dieses Zieles wollen wir Sie gerne unterstützen und begleiten.


Das Interview führte Angela Monecke.

Kontakt:
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz, Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0,
Fax: (0 61 31) 9 60 70 90, E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (2) Seite 36-38

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