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Ein Mensch mit einer chronischen Erkrankung, so wie es der Diabetes mellitus Typ 1 ist, leidet meist öffentlich oder auch nur im Verborgenen. Das Leid erstreckt sich in jedem Fall durch das ganze Leben, besonders wenn man nicht den nötigen Halt und die Unterstützung hat, die man persönlich braucht. Ein guter Therapieverlauf kann nur gewährleistet werden, wenn das Umfeld des Patienten kompetente Hilfeleistungen anbieten und Möglichkeiten aufzeigen kann, statt ihm Steine in den Weg zu legen.
Die Therapie muss zu dem Menschen passen, das weiß auch die BKK MTU Friedrichshafen und hilft mir durch die Genehmigung von verschiedenem medizinischem Equipment, meine sportlichen Träume zu verwirklichen (siehe Artikel „Diabetes von 0 auf 8848m“). Leider ist mir in meiner Arbeit als Krankenschwester im Diabetes Zentrum Mergentheim bewusst geworden, dass diese Unterstützung nicht selbstverständlich ist. Ablehnungen, lange Warteschleifen und der Mangel an Verständnis für die persönliche Krankheitssituation prägen den Alltag vieler Patienten, die anderweitig versichert sind. Ich habe mich gefragt, warum die Krankenkassen so unterschiedlich sind, und habe dafür Herrn Roland Dietz, den Vorstand der BKK MTU Friedrichshafen, um ein Interview gebeten. Dieser Text fungiert nicht als direkte Werbung, denn leider können nur Mitarbeiter des Trägerunternehmens und deren Angehörige meiner Krankenkasse beitreten, doch er soll meine tiefe Dankbarkeit zum Ausdruck bringen.
Vielen Dank, Herr Dietz, für die Zeit, die Sie für meine Leser der Blood Sugar Lounge aufbringen. Fangen wir doch gleich mit der ersten Frage an.
Wir sind eine traditionelle Betriebskrankenkasse, das heißt, wir sind nur für die Mitarbeiter und deren Familienangehörige des Trägerunternehmens, also MTU Rolls Royce Powersystem AG, wählbar. Insofern haben wir den Auftrag und die Philosophie, dass wir den Mitarbeitern und deren Familien helfen und eben nicht im Weg stehen und keine Hürden bauen.
Wir wollen, dass sie immer das Gefühl haben, maximal und bestens versorgt zu sein, damit es ihnen auch gut geht. Wer mit Sorgen zum Arbeitsplatz geht, ist niemals so leistungsfähig wie jemand, der mit einer inneren Sicherheit zur Arbeit kommt und der genau weiß: Mir und meiner Familie wird durch unsere Krankenkasse geholfen, damit es uns gut geht und wir gut versorgt sind. Insofern haben wir eine ganz andere Ausrichtung und eine ganz andere Philosophie als eine „normale“ Krankenkasse, da dort oft ein normales Krankenkassen-Versicherten-Verhältnis besteht. Bei der BKK MTU sehen wir uns eher als eine große Familie und tragen gerne Sorge dafür, dass es allen Mitgliedern gut geht. Und das ist unser Auftrag, das ist unsere Philosophie und deshalb agieren wir auch anders als andere Krankenkassen.
Als gesetzliche Krankenkasse unterliegen wir dem Sozialgesetzbuch. Wir unterliegen auch einer Bundesaufsicht, nämlich der des Bundesversicherungsamtes, welches überwacht, ob wir uns im Rahmen des Gesetzes bewegen. Insofern könnten wir niemals einen Tangokurs in Buenos Aires als Präventionsmaßnahme fördern, nur weil jemand sagt, es tut mir gut und deswegen möchte ich das gefördert wissen (Gelächter). Wir haben natürlich gesetzliche Regeln und Rahmenbedingungen, an die müssen wir uns halten. Aber wir versuchen immer, die Grenzen maximal auszuloten.
Mal überlegen, das war von einem stark übergewichtigen Menschen. Der meinte, dass ihm regelmäßige Spaziergänge gut täten und er sich jedoch nur dann mehr bewegen würde, wenn er einen Hund hätte. Dann wäre er gezwungen, sich zu bewegen. Er wollte dann den Hund samt Futter von uns übernommen haben, was wir leider nicht gewähren konnten.
Man muss Präventionen nach den neuen Präventionsgesetzen ein Stück weit unterscheiden. Es gibt eine Primärprävention, das heißt, Sie gehen zur Volkshochschule und machen einen Rückenkurs oder einen Ernährungskurs mit. Da verlangt der Gesetzgeber, dass wir 2 Euro pro Versichertem mit ausgeben. Das bedeutet in unserem Fall mindestens 33.000 Euro pro Jahr, was wir an Präventionsmaßnahmen ausgeben.
Dann gibt es noch die Prävention in Lebenswelten, das bedeutet, dass wir in Kindergärten und Schulen usw. Geld ausgeben. Und dann gibt es noch die Lebenswelt Kommune. Auch hier müssen wir einen bestimmten Betrag ausgeben.
Wir haben dieses Jahr beispielsweise eine Eröffnungsveranstaltung im Graf Zeppelin in Friedrichshafen und führen das Projekt Platzwechsel durch. Wir laden dazu Bürger ein und bringen alle gemeinsam mit der Stadt, den Sportvereinen und den örtlichen Betriebskrankenkassen die Leute vom Sofa – und deswegen heißt es Platzwechsel – zur Aktivität. Dabei wollen wir das Element Wasser auch stark in den Vordergrund bringen, weil wir das Glück haben, am wunderschönen Bodensee zu leben. Hier bietet sich Wasser als Bewegungselement natürlich an. Das geht los beim Schwimmkurs für Erwachsene, weil nach wie vor viele Erwachsene nicht schwimmen können und sich aus Scham nicht trauen, einen Schwimmkurs zu machen. Das hat sich nochmal verstärkt durch die Flüchtlinge, worunter auch viele Erwachsene sind, die nicht schwimmen können.
Weiter geht es von Stand-Up-Paddling bis zum Tauchen, aber auch mit natürlicher Bewegung an Land. Hierbei arbeiten wir an der Hürde, die Vereine oftmals für Außenstehende darstellen, nach dem Motto: „Da gehe ich nicht hin, da komme ich gar nicht rein in die Gemeinschaft!“ Sie haben Hemmungen hinzugehen – und die wollen wir abbauen. Insbesondere haben Vereine häufig in dem Alter zwischen 20 und 50 ein Problem, neue Mitglieder zu finden. Denn wenn man aus dem Jungendalter raus ist und in der Familie oder beruflich andere Dinge hat, die einen beschäftigen, dann verlassen viele Mitglieder ihren Verein. Erst später können sich manche wieder dem Vereinsleben widmen. Zwischen 20 und 50 Jahren haben die Vereine daher eine ziemliche Lücke, und die wollen wir füllen und Angebote schaffen, durch die Menschen wieder Spaß an Bewegung finden.
Wenn man eine chronische Erkrankung hat, ist dieses Leid fast unvermeidbar. Ich muss mich mit dem Typ-1-Diabetes täglich, teilweise sogar stündlich beschäftigen und auf den Zucker schauen. Wenn ich das nicht machen würde, ginge es mir körperlich schlecht. Dies führt leider auch bei vielen Patienten in Depressionen, weil man einfach keinen „Urlaub“ von der Erkrankung nehmen kann. Wie gehen Sie damit um, jetzt und in Zukunft?
Zum einen ist für uns das Thema psychische Erkrankung insgesamt – es gibt ja auch nicht nur Depressionen, sondern auch andere Arten von psychischen Erkrankungen – ein Bereich, auf dessen Beachtung wir großen Wert legen. Das Thema Prävention haben wir beispielsweise gerade schon angesprochen. Wir haben dieses Jahr eine Dachkampagne, in der wir allen Beschäftigten des Mutterunternehmens mit dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement das ganze Jahr über anbieten, zum Thema psychische Erkrankungen aufgeklärt zu werden. Wir wollen vorbeugende Maßnahmen anbieten, um psychische Erkrankungen zu verhindern bzw. zu mildern.
Wir haben hier auch schon seit ein paar Jahren eine psychosomatische Sprechstunde, die wir im Unternehmen anbieten, bei der ein Psychotherapeut zu uns kommt und die Mitarbeiter unterstützt. Wer eine Therapie in Anspruch nehmen möchte, hat sonst häufig das Problem, zeitnah einen Termin zu finden. Dann dreht man sich schnell in einer Abwärts-Spirale. Die Erkrankung hat das Begleitphänomen, dass man Antriebslosigkeit verspürt, und man kümmert sich um nichts mehr. Man findet nicht mehr die Energie, einen Therapeuten zu suchen oder eine andere Behandlungsmöglichkeit zu suchen.
Dagegen bieten wir den Mitarbeitern ganz niederschwellig an, dass sie einmal in der Woche eine psychosomatische Sprechstunde nutzen können. 80 Prozent der Fälle sind mit 5 bis 6 Gesprächen bereits gelöst. Die anderen 20 Prozent versuchen wir, an Stellen weiterzuvermitteln, die an die Therapie anknüpfen können. Sie sehen also: Das Thema Prävention ist bei uns präsent. Wir haben das als Dachkampagne und wissen sehr wohl, welchen Stellenwert psychische Erkrankungen mittlerweile einnehmen – übrigens auch die Psychosomatik. Viele Leute, die Rückenschmerzen verspüren, leiden zudem an einem psychischen Problem.
Auf gar keinen Fall. Ich glaube, das gilt für alle Krankenkassen gleich. Eine psychotherapeutische Betreuung steht jedem Versicherten zu. Für eine Kurzzeittherapie braucht man noch nicht einmal einen Gutachter. Wenn man eine Langzeittherapie in Anspruch nehmen möchte, wird ein solcher benötigt, aber der ist soweit unabhängig von den Kassen. In der Hinsicht sind alle Krankenkassen sehr gut trotz aller limitierenden Mittel. Nur bei den präventiven Maßnahmen unterscheiden wir uns von anderen, da wir genauer und gezielter agieren können als alle großen Versorgungskassen.
Für uns ist es wichtig, nicht als reine Behörde zu agieren, die wir formal sind. Wir treten in aller Regel mit dem Versicherten per Telefon direkt in Kontakt und senden nicht nur ein anonymes Schreiben raus. Wir versuchen, verständlich zu machen, dass es an der Stelle keine Möglichkeit einer Kostenübernahme gibt und suchen trotzdem noch in dem Gespräch nach Alternativen dazu. Manchmal muss man einen kleinen Umweg nehmen, um ans Ziel zu kommen – und das erfährt man weniger durch einen Schriftwechsel als durch ein direktes Gespräch.
Es ist schön, dass Sie das Wort „individuell“ in den Mund nehmen. Das ist tatsächlich einer unserer höchsten Ansprüche, dass wir nicht völlig nach Schema F entscheiden. Wir suchen nach Wegen und Möglichkeiten und nicht Gründen, ein Vorhaben zu verhindern. Bei dem Diabetes-Hund weiß ich ehrlich gesagt nicht, wie wir entscheiden würden. Ich könnte mir vorstellen, dass es Rahmenbedingungen gibt, die das zulassen, aber auch Faktoren, die es nicht möglich machen. Für uns steht das Große und Ganze im Blickwinkel. Wir wollen gerne, dass unsere Versicherten ein ganzes Leben bei uns versichert sind und nicht nur ein bis zwei Jahre. Weil wir unsere Beziehung langfristig anlegen, denken wir auch an übermorgen. Also sprich: Was bringt uns das, wenn wir jetzt den Diabetes-Hund bezahlen? Was bedeutet das für den Menschen in 10 bis 15 Jahren? Ist er dann gesünder?
Der Beitragssatz ist nicht das Entscheidende. Ein besonders hoher Beitrag bedeutet nicht automatisch, dass ich besonders viele Leistungen bekomme. Die Größe der Kasse ist auch nicht maßgeblich, Eher empfehle ich, darauf zu achten, wie die Krankenkasse erreichbar ist. Wie erreiche ich die Menschen, die Entscheidungsfähigkeit haben? Außerdem würde ich mein Gefühl sprechen lassen. Was habe ich für ein Gefühl, wenn ich in eine Filiale der Krankenkasse gehe? Eventuell kann man zudem in Bewertungsportale schauen, wobei das oft höchst zweifelhaft ist. Da muss man extrem vorsichtig sein. Solange sie ehrlich geführt sind, ist das gut. Mittlerweile hat man jedoch das Gefühl, dass Bewertungsportale häufig durch angekaufte Schreiberlinge gefüllt werden, die je nach Auftraggeber besonders gute oder schlechte Bewertungen abgeben. Das ist aber schwierig zu erkennen.
Ansonsten ist der beste Tipp, gezielt nachzufragen. Lassen Sie sich die Haltung der Kasse zu der Insulinpumpe schriftlich geben.
Der Beitragssatz muss kostendeckend sein. Das bekommen wir auf den Euro genau nicht hin. Wir dürfen Rücklagen und Betriebsmittel haben, solange diese im Rahmen sind. Wären sie zu hoch, müssten wir den Beitragssatz senken, wären sie zu niedrig, müssten wir ihn erhöhen. Aber Fakt ist, langfristig gesehen dürfen wir keinen Gewinn machen. Derzeit ist es so, dass es Kostensteigerungen im Gesundheitswesen gibt, und die kriegt man nicht abgefedert. Die Kostensteigerung wird dazu führen, dass die Zusatzkosten flächendeckend über alle Kassen steigen.
Erwarten ist der falsche Ausdruck. Ich würde mich freuen, wenn die Maßnahmen dazu führen, dass es Ihnen langfristig gut geht, und da können Sie Ihren Teil dazu beitragen. Also würde ich mir wünschen, dass Sie das als Ansporn und Motivation nehmen, wie wir Sie unterstützen, damit Sie die Möglichkeit haben, sich möglichst gesund zu erhalten.
Ja. Der Diabetes ist eine Erkrankung, die zunächst einmal nicht weh tut, und wenn es dann anfängt, weh zu tun, ist es meistens zu spät und irreversibel. Die Menschen können trotzdem im Großen und Ganzen weiterleben wie bisher und sich schlecht ernähren und sich nicht bewegen und trotzdem tut nichts weh. Das Gemeine an der Geschichte ist, dass kein Leidensdruck entsteht, sich gesundheitsbewusst zu verhalten.
Vielen Dank, Herr Dietz, für Ihre Zeit und für die tolle Betreuung.
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