Wenn das falsche System bewilligt wird

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Wenn das falsche System bewilligt wird

Zum Glück wird es heutzutage immer seltener, dass Krankenkassen berechtigte Anträge auf Erstattung einer Insulinpumpe oder eines kontinuierlichen Glukosemesssystems (CGM) ablehnen. Wie muss ein gut begründeter Antrag aussehen? Kann ich mir eine bestimmte Insulinpumpe „wünschen“? Diese und weitere Fragen beantworten wir.

Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse haben Anspruch auf die Versorgung mit notwendigen Hilfsmitteln. Unter Hilfsmittel versteht man dabei laut Definition in der Hilfsmittelverordnung „sächliche medizinische Leistungen, die von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden“. Der Arzt kann ein solches Hilfsmittel grundsätzlich (nur) verordnen, wenn es medizinisch notwendig für den Erfolg einer Behandlung ist oder dabei hilft, eine wesentliche Behinderung zu vermeiden oder auszugleichen.

Die Krankenkasse übernimmt dann die Kosten für die Anschaffung bzw. stellt ein Hilfsmittel als Sachleistung zur Verfügung. Auch die Kosten für eine Änderung, Reparatur oder Ersatzbeschaffung der Hilfsmittel müssen von der Krankenkasse übernommen werden, ebenso auch notwendige Schulungen und Unterweisungen.

Pumpen, CGM: nicht mehr wegzudenken

Für viele nicht aus der Therapie wegzudenken sind Insulinpumpen oder kontinuierliche Glukosemesssysteme. Diese Hilfsmittel müssen von der Krankenkasse übernommen werden, wenn diese zum Erreichen des Therapiezwecks medizinisch notwendig sind. Zur Kostenübernahme durch die Krankenkasse reicht ein ärztliches Rezept nicht immer: Gemäß § 275 Abs. 3 SGB V können Krankenkassen in geeigneten Fällen vor Bewilligung eines Hilfsmittels durch ihren Medizinischen Dienst (MDK) prüfen lassen, ob dieses aus medizinischer Sicht erforderlich ist. Das kann zu problematischen und langen Auseinandersetzungen führen.

Hat die Krankenkasse exklusive Partner?

Auch kann man ein Hilfsmittel nicht in jedem Fall beliebig kaufen und die Kosten der Krankenkasse in Rechnung stellen: Seit 2009 sind die Krankenkassen nämlich berechtigt, die Hilfsmittelversorgung exklusiv über ausgewählte Vertragsunternehmen vorzunehmen. Dies bedeutet, dass man sein Hilfsmittelrezept bei einem solchen exklusiven Vertragspartner der Krankenkasse einlösen muss.

Erkundigen Sie sich vorab bei Ihrer Krankenkasse, ob es in Ihrer Region einen solchen Versorgungsvertrag gibt. Heute ist es immer seltener ein Problem, von der Krankenkasse die Zusage für eine Insulinpumpe bzw. ein rtCGM-System zu erhalten.

Zum Glück: Verordnungsprobleme ­werden immer seltener

Voraussetzung ist, dass der Antrag auf Kostenübernahme nachvollziehbar medizinisch begründet ist und die Verordnungsvoraussetzungen vorliegen. Eine Insulinpumpe kommt z. B. nur infrage, wenn eine „medizinische Indikation“ dafür vorliegt, die vom Arzt zu begründen ist. In der Regel wird auch verlangt, dass die Möglichkeiten einer ICT ausgeschöpft sind und der Patient dieses durch ein gut geführtes Blutzuckertagebuch nachweisen kann (auch Computerausdrucke müssen akzeptiert werden). Auch kontinuierliche Glukosemesssysteme bekommt man auf Kassenrezept, wenn die hierfür geltenden Voraussetzungen vorliegen.

Allein der mit einem solchen System verbundene Komfort und Gewinn an Lebensqualität reichen nicht aus. Vielmehr muss u. a. nachgewiesen werden, dass sich die vom Arzt definierten Therapieziele allein mit Blut­zucker-Selbst­messungen nicht erreichen lassen. Dies ist z. B. oft bei Patienten der Fall, die Unterzuckerungen nicht mehr (rechtzeitig) wahrnehmen können. Immer öfter kommt es aber vor, dass die Krankenkassen es ablehnen, die Kosten für das vom Arzt verordnete bzw. vom Patienten gewünschte Insulinpumpenmodell bzw. das rtCGM-System zu übernehmen.

Krankenkasse mischt sich ein …

Stattdessen wird dem Patienten ein System eines anderen Herstellers angeboten, der Vertragspartner der Krankenkasse ist. Begründet wird dies damit, dass die Krankenkasse das „Wirtschaftlichkeitsgebot“ aus § 12 SGB V zu beachten hat: „Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“ Dies bedeutet: Wenn derselbe medizinische Zweck auch mit einer anderen, für die Krankenkasse günstigeren Insulinpumpe erreicht werden kann, dann darf das teurere System in der Regel nicht (mehr) bewilligt werden.

Dies führt teilweise zu absurd anmutenden Ergebnissen: Patienten, die jahrelang eine Insulinpumpe nutzen und mit dieser gut klarkommen, sollen im Rahmen einer Folge­verordnung mit ungewissem Erfolg nun auf ein ganz anderes System umsteigen. Oder der Arzt verordnet ein rtCGM-System, damit dieses mit der Insulinpumpe gekoppelt werden kann, z. B. für eine automatische Hypo­glyk­ämie-Abschaltung oder Dosisberechnung. Die Krankenkasse bewilligt dann aber nur ein rtCGM, welches mit der vorhandenen Pumpe gar nicht kompatibel ist.

Der eine oder die andere werden es kennen: So sieht ein Ablehnungsschreiben einer Krankenkasse aus (hier: AOK Bayern).

Was kann man tun? Grundsätzlich ist ja nichts dagegen einzuwenden, dass die Krankenkassen nach Möglichkeit unnötige Mehrkosten sparen. Auch wenn moderne Insulinpumpen- oder CGM-Systeme zahlreiche Möglichkeiten bieten: Maßgeblich sind allein die Funktionen, die für die jeweilige Therapieform medizinisch notwendig und ausreichend sind und deren medizinischer Nutzen auch belegt ist.

Alles andere ist vielleicht ebenfalls sinnvoll und wichtig, aber aus medizinischer Sicht eben nicht zwingend notwendig. Man hat als Kassenpatient auch keinen Anspruch, von der Krankenkasse das modernste oder „beste“ System zu erhalten. Vor diesem Hintergrund wird man die gewünschte Insulinpumpe bzw. das CGM-System nur dann bekommen können, wenn sich mit dem von der Krankenkasse angebotenen System der medizinische Zweck nicht oder nur ungenügend erreichen ließe.

Argumente finden, Gründe sammeln

Besprechen Sie mit Ihrem Behandlungsteam, aus welchen konkreten medizinischen Gründen nur das beantragte System infrage kommen kann. Gegen das von der Krankenkasse angebotene System könnte beispielsweise sprechen, wenn es dort zu einer Pflasterallergie kommt oder man die dortigen Katheter/Kanülen nicht verträgt. Wenn eine tageszeitlich häufig angepasste Basalrate erforderlich ist, dann muss die angebotene Insulinpumpe eine entsprechende Programmierung ermöglichen.

Manche Insulinpumpen erlauben die Programmierung der Basalrate in 30-minütigen Intervallen, während andere Modelle für den 24stündigen Tag nur 16 Basalratensegmente erlauben. Auch die Dosiergenauigkeit (1/10 oder 1/100 Einheiten) kann aus medizinischer Sicht wichtig sein.

Zu komplex für mich?

Nicht zu unterschätzen ist die Komplexität der Bedienbarkeit: Wenn man als Patient mit dem von der Krankenkasse angebotenen System nicht zurechtkommen kann bzw. damit überfordert ist, dann wird der Einsatz dieses Hilfsmittels nur wenig sinnvoll sein. Es muss dann auf ein anderes, einfacher bedienbares Modell ausgewichen werden, mit dem sich der medizinische Zweck dann erreichen lässt.

Dies betrifft auch die Handhabbarkeit: Wenn ein Patient z. B. aufgrund von Neuropathien oder rheumatischer Erkrankung eine Insulinpumpe wegen der für ihn zu kleinen Tasten nicht oder nur schwer betätigen kann, dann muss er mit einem anderen, geeigneteren System versorgt werden. Und wenn aufgrund der Therapiesituation eine automatische Hypoglykämie-Abschaltung notwendig ist, dann muss das von der Krankenkasse angebotene rtCGM-System natürlich auch mit der Insulinpumpe zusammenarbeiten.

Wenn Ihr Arzt also nachvollziehbare medizinische Gründe darlegen kann, die gegen das von der Krankenkasse angebotene System sprechen, dann bestehen gute Chancen, dass man die Kostenübernahme der eigentlich gewünschten Insulinpumpe bzw. des rtCGM-­Systems durchsetzen kann. Selbst wenn sich gegen das von der Krankenkasse angebotene System keine überzeugenden medizinischen Einwände finden lassen – einer Argumentation mit unzureichendem Datenschutz dürfte die Krankenkasse nur wenig entgegensetzen können.

Argument Datenschutz-Verstöße

Eine medizinisch sinnvolle Insulinpumpentherapie oder Messung mit einem rtCGM-System setzt nämlich voraus, dass die mit dem Gerät erhobenen Daten vom Arzt ausgewertet werden können. Bei fast allen Insulinpumpen und ­rtCGM-Systemen ist ein solches Datenmanagement aber nur möglich, wenn und solange der Patient zustimmt, dass seine Gesundheitsdaten an den Gerätehersteller übermittelt und dort gewerblich genutzt werden dürfen.

Wenn man dies als Patient nicht möchte, dann gibt es keine andere Möglichkeit, die in Pumpe/CGM-System gespeicherten Daten für die Therapie zu nutzen. Manche neueren Insulinpumpen bzw. CGM-Systeme lassen sich nicht einmal in Betrieb nehmen, wenn man in keine Datenübermittlung einwilligt.

Ein solcher Zwang zur Datenübermittlung ist aus technischen Gründen nicht erforderlich und verstößt u. a. gegen das Koppelungsverbot aus Art. 7 DSGVO: Der Patient muss eine echte Wahl haben, ob er seine Daten preisgeben will oder nicht. Auch im Rahmen der ärztlichen Behandlung muss er eine gleichwertige Datenanalyse auch ohne derartige Datenpreisgabe erhalten können.

Zum Jahreswechsel

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

das Jahr 2020 stand ganz im Zeichen von „Corona“. Das Virus und der Umgang mit ihm hat unser Zusammenleben nachhaltig verändert. Viele Menschen haben Angst, vor allem wenn sie schon mit Krankheiten wie Diabetes belastet sind. Trotz aller berechtigter Sorgen finde ich es aber ganz wichtig, dass man einen kühlen Kopf bewahrt und sich nicht von seinen Ängsten dominieren lässt: Für die allermeisten Menschen hat eine Infektion mit dem Virus nämlich kaum Auswirkungen. Viele Menschen wissen wahrscheinlich gar nicht, dass sie schon längst Kontakt mit dem Virus hatten.

Auch für Diabetiker besteht kein Grund zur Panik. Sehr viele der an COVID-19 Verstorbenen mit Diabetes waren hochbetagt oder hatten weitere Erkrankungen. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) weist daher ausdrücklich darauf hin, dass bislang keine medizinischen Daten vorliegen, die einen Ausschluss von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben allein aufgrund einer Diabetes-Erkrankung rechtfertigen bzw. notwendig machen würden.

Daher: Verlieren Sie trotz allem bitte nicht den Optimismus, die Zuversicht und den Glauben an Morgen. Der Titel eines Films aus den 1970ern lautet: „Angst essen Seele auf“. Ich finde, das passt auch und gerade auf die derzeitige Ausnahmesituation.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Angehörigen ein friedvolles, besinnliches Weihnachtsfest sowie viel Gesundheit und Glück im neuen Jahr.

Ihr Oliver Ebert

Patienten dürfen von der Krankenkasse auch nicht gezwungen werden, ihre laufenden Diabetesdaten an Gerätehersteller zu übermitteln und in die kommerzielle Verwertung dieser Daten einzuwilligen. Ein von der Krankenkasse überlassenes rtCGM muss daher bestimmungsgemäß genutzt werden können, auch ohne dass damit erhobene Daten an Dritte übermittelt werden. Prüfen Sie also, ob das von der Krankenkasse angebotene System eine Preisgabe Ihrer Gesundheitsdaten abnötigt (Nutzungsbedingungen genau checken).

Teilen Sie dann bei Bedarf der Krankenkasse mit, dass Sie nicht bereit und verpflichtet sind, Ihre Daten an den jeweiligen Hersteller zu übermitteln. Da die angebotene Insulinpumpe/das angebotene CGM-System ohne Ihre Einwilligung zur Datenpreisgabe aber nicht (sinnvoll) genutzt werden kann, werden Sie von der Krankenkasse wohl mit einem anderen System versorgt werden müssen.

Übrigens: Die Kran­ken­kasse wird kaum erfolgreich damit argumentieren können, dass auch das von Ihnen gewünschte System womöglich eine solche Datenübermittlung erzwingt. Denn es ist allein Ihre Entscheidung, ob und welchem Hersteller Sie Ihre Daten überlassen wollen.


Autor:

Oliver Ebert
REK Rechtsanwälte Stuttgart, Balingen
Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (12) Seite 48-51

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