Analyse: Online-Schwarzmarkt für Teststreifen – Teil 1

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Analyse: Online-Schwarzmarkt für Teststreifen – Teil 1

Woher bekomme ich günstig Teststreifen, wenn mir der Arzt zu wenige verschreibt? Das Internet zeigt neue Beschaffungswege. Welches Ausmaß hat der Online-Handel mit Blutzuckerteststreifen angenommen? Welche Möglichkeiten und Gefahren bringt das Ersteigern von Teststreifen im Internet mit sich? In einer 2-teiligen Serie berichten wir über eine Studie: Wer verkauft Teststreifen im Internet?

Wird in der Artikelsuchzeile von ebay der Begriff “Blutzuckerteststreifen” eingegeben, kommt es in kürzester Zeit zur Auflistung von teils mehr als 2.000 Angeboten. Wenn keine weiteren Suchkriterien voreingestellt wurden, umfassen diese Angebote die von gewerblichen und privaten Verkäufern offerierten Angebote.

Online-Apotheken wurden in der Studie herausgefiltert

Bei den gewerblichen Anbietern wird schnell deutlich, dass es sich dabei um Online-Apotheken handelt – also um Apotheken, die auch das Internet für ihren Verkauf nutzen. Die Preise für die Blutzuckerteststreifen unterscheiden sich bis auf zeitlich begrenzte Sonderangebote kaum von denen in der Apotheke um die Ecke.

Auf der Suche nach Schnäppchen wird man schnell darauf kommen, eine Eingrenzung der aufgelisteten Suchergebnisse auf private Verkäufer vorzunehmen, um die Online-Apotheken auszuschließen; übrig bleiben dann in der Regel zwischen 900 und 1.300 Angebote.

Sonntags und zu Quartalsbeginn gibt es die meisten Angebote

Das Schwanken erklärt sich auch aus dem Wochentag, an dem gesucht wird: Sonntags gibt es die meisten Angebote, weil dann tendenziell die meisten Nutzer Zeit finden, sich mit dem Einstellen von Angeboten oder dem Online-Einkaufen zu beschäftigen.

Zudem konnte beobachtet werden, dass zumeist am Anfang eines Quartals die Anzahl der Angebote höher ist als zum Ende des Quartals. Dies hängt teils mit der Person des Verkäufers zusammen, worauf im folgenden eingegangen wird.

Ca. 2.500 private Teststreifen-Anbieter im Beobachtungszeitraum

In einer langfristig angelegten Studie der von privat angebotenen Blutzuckerteststreifen konnten rund 2.500 private Anbieter zusammengetragen werden. Davon wurden zufällig 939 Verkäufer ausgesucht und über den Zeitraum 1. Januar 2011 bis 10. Januar 2014 deren bewertete Verkäufe erfasst.

Nur die von einem Käufer im Nachhinein vorgenommene Bewertung eines abgeschlossenen Kaufvorganges ermöglicht es unter ebay, die erfolgreich abgewickelten Verkäufe eines Anbieters über einen längeren Zeitraum zu recherchieren. Da jedoch nur ca. 40 Prozent aller Transaktionen durch die Käufer bewertet werden, ist die tatsächliche Zahl der über ebay abgewickelten Verkäufe – auch von Blutzuckerteststreifen – in der Regel um das ca. 2,5-Fache höher.

Millionen Teststreifen verkauft, Millionen Euro umgesetzt

Im angegebenen Zeitraum haben die 939 Verkäufer 24.518 bewertete Verkäufe getätigt. Dabei wurden 2,4 Mio. Blutzuckerteststreifen veräußert und knapp 800.000 Euro umgesetzt. Im Durchschnitt waren 100 Teststreifen Gegenstand eines Kauf- oder Verkaufsvorganges.

Um auf das tatsächliche Verkaufsvolumen dieser Verkäufer zu gelangen, seien diese Werte mit 2,5 multipliziert. Heraus kommt, dass diese 939 Verkäufer etwa 6 Mio. Blutzuckerteststreifen verkauft und dafür rund 2 Mio. Euro eingenommen haben.

Attraktive Preise … und offene Fragen über die Bezugsquellen

Aus der Sicht eines Diabetikers, der auf eine kostengünstige Beschaffung von Blutzuckerteststreifen aus ist, interessiert in erster Linie der Kaufbetrag, der durchschnittlich für eine 50er-Packung Teststreifen zu zahlen ist: Dieser lag über den Zeitraum hinweg bei ca. 16,28 Euro. Im Einzelfall schwankte er allerdings zwischen 13 und 30 Euro. Im Durchschnitt liegt er damit deutlich unterhalb des Apothekenpreises, was das Ganze aus Kostengesichtspunkten durchaus attraktiv macht.

Ein Diabetiker, der allerdings ernsthaft um seine Krankheit bemüht ist, wird in erster Linie nach der Qualität der Teststreifen fragen (mehr dazu im nächsten Diabetes-Journal). Diese Frage bleibt nicht aus, macht man sich einmal Gedanken, woher eigentlich diese Verkäufer ihre Blutzuckerteststreifen beziehen.

Denn hauptsächlich Typ-1- bzw. insulinspritzende Diabetiker bekommen Teststreifen verordnet – und bei ihnen würde man doch erwarten, dass sie ihre verordnet erhaltenen Teststreifen auch für sich selbst nutzen?!

Anzahl spricht für Professionalisierung des Verkaufsgeschehens

Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, wurden alle 939 Verkäufer erstens dahingehend analysiert, wie viele Verkäufe jeder im angegebenen Zeitraum hatte und wie viele Teststreifen im Durchschnitt mit jedem Verkauf den Besitzer wechselten.

Den Überblick darüber gibt die Grafik in Abbildung 1: Sie präsentiert ein Spektrum von Verkäufern, die in drei Jahren Verkäufe zwischen 1 und knapp 1.000 vermelden konnten. Die durchschnittliche Anzahl der Teststreifen über alle Verkäufe eines Anbieters schwankt zwischen knapp 50 und mehr als 1.000.

Deutlich sichtbar sind zwei Linien, die 50er- und die 100er-Linie: Das heißt, sehr viele der Anbieter verkaufen entweder nur eine 50er-Packung oder zwei 50er- bzw. eine 100er-Packung. Mit steigender Anzahl der Verkäufe (im Bereich zwischen 20 und 80 Verkäufen) wird dies gut sichtbar, was für eine Professionalisierung des Verkaufsgeschehens spricht.

Methoden zur Ermittlung der Herkunft der Teststreifen

Daraus allein lässt sich noch nicht auf die Herkunft der Blutzuckerteststreifen schließen. Dazu ist ein zweiter Schritt erforderlich: nämlich die Analyse der Verkaufshistorie jedes einzelnen dieser 939 Verkäufer. In dem Zusammenhang wurden die Verkaufsaktivitäten im Zeitablauf ermittelt – also die Häufigkeit von Verkäufen pro Tag, Woche oder Monat usw. und die tatsächliche Anzahl sowie die Art der Teststreifen pro Verkauf.

Zudem kann bei einer Recherche der vergangenen Verkäufe eines Anbieters in ebay abgelesen werden, was der Verkäufer sonst noch erfolgreich unter die Leute bringen konnte. Eine solche Analyse führte zu einer Unterteilung der Verkäufer in vier Gruppen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: Vier Verkäufergruppen konnten die Forscher ermitteln – dies sind ihre Profile.

Vier Verkäufergruppen konnten ermittelt werden

Als erste Gruppe fallen die Verkäufer auf, die in regelmäßigen Abständen, zum Beispiel monatlich oder quartalsweise, einmalig 50 oder auch einmal 100 Blutzuckerteststreifen verkaufen. Schaut man nach der angebotenen Marke der Teststreifen, wird deutlich, dass es sich stets um die gleiche Marke handelt. Die Regelmäßigkeit, die geringe Menge und die gleiche Marke deuten auf einen Diabetiker hin, der einen Teil seiner monatlichen Verordnungen so zu Geld macht:

Verkäufergruppe 1: „Die Diabetiker“

Wenn der Arzt monatlich 200 Teststreifen verschreibt und der Diabetiker nur täglich 3 Teststreifen nutzt, würden genau 50 Stück übrig bleiben, die in den Verkauf gegeben werden können. Monatlich eine 50er-Packung verkauft, macht einen jährlichen Nebenverdienst zwischen 200 und 300 Euro.

Nicht freuen dürfte das den Arzt, auf dessen begrenztes Budget jede Verordnung von Teststreifen angerechnet wird, und die Krankenkasse, der eine solche Packung nahezu das Doppelte kostet.

Doch weder Arzt noch Krankenkasse können bisher nachweisen, wie viele Teststreifen der Patient tatsächlich genutzt hat; mit Blick auf den Arzt wäre dies sicher sinnvoll – so könnte er auch unabhängig vom Patienten zeitnah und quasi automatisiert eine Folgeverordnung auf den Weg bringen.

Verkäufergruppe 2: „Dankbare Versorger“

Die zweite Gruppe sind Verkäufer, die teils mehrere Verkäufe pro Monat tätigen. Die Anzahl der Teststreifen pro Verkauf beträgt 50 bis 200 Stück. Monatlich gelangen somit zwischen 500 und 1.000 Teststreifen in den Verkauf.

Oft werden gleichzeitig verschiedene Marken von Teststreifen angeboten sowie andere Produkte, die man regelmäßig im Rahmen der Selbstversorgung der Diabetiker benötigt: Kanülen, Lanzetten, Stechhilfen, Blutzuckermessgeräte oder Insulinpens. Diese Gruppe sei an dieser Stelle als die Dankbaren Versorger bezeichnet:

So viele Teststreifen bekäme ein Diabetiker nicht verordnet, noch dazu von unterschiedlichen Marken. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich bei diesen Verkäufern um Menschen handelt, die zeitgleich mehreren Diabetikern sehr nahestehen. Dies würde u. a. für Mitarbeiter ambulanter Pflegedienste oder Pflegeheime, also Versorger, zutreffen.

Dass diese sich freuen und dankbar erweisen, wenn sie regelmäßig von den pflegebedürftigen Diabetikern aus Dankbarkeit, Zuneigung oder Mitleid die eine oder andere Packung Teststreifen zum Zweck des Weiterveräußerns zugesteckt bekommen, dürfte außer Frage stehen. Auf diese Weise liegen realisierbare jährliche Nebeneinkommen schnell einmal zwischen 2.000 und 4.000 Euro. Nicht weit weg von dieser Gruppe ist die dritte Gruppe der Verkäufer zu finden:

Verkäufergruppe 3: „Die Entsorger“

Verstirbt ein Diabetiker, der zum Beispiel zuletzt durch einen Pflegedienst daheim betreut und versorgt worden ist, werden die Hinterbliebenen oft mit den teils nicht minder umfänglichen Restbeständen an Diabetesprodukten konfrontiert (Insulin, Teststreifen, Kanülen und Lanzetten sowie den dazugehörigen Geräten).

Die Krankenkassen nehmen diese Dinge nicht zurück – daraus resultiert zumeist die Anfrage beim Pflegedienst, ob dort nicht all dies weiterverwendet, weitergereicht oder sonstwie entsorgt werden kann?

Die Gruppe der Entsorger sind somit Anbieter von Teststreifen, die relativ selten (manchmal nur ein- oder zweimal pro Jahr), dann aber große Mengen an Teststreifen in einem Stück zum Kauf anbieten. Fairerweise wird meist nicht versäumt, auf die Resthaltbarkeitsdauer der angebotenen Teststreifen hinzuweisen und das Bietverfahren mit einem sehr niedrigen Preis begonnen.

Die Frage der Höhe eines Nebenverdienstes stellt sich hier eher nicht. Vielmehr spielt die anzuerkennende Überlegung eine Rolle, diese Diabetesprodukte nicht verlorengehen zu lassen, sondern sie doch noch ihrer ursprünglichen Bestimmung zuzuführen.

Verkäufergruppe 4: „Die Massenrealisierer“

Die letzte Verkäufergruppe sind die Massenrealisierer. Hierbei handelt es sich um Verkäufer, die täglich stets mehrere Verkäufe haben und so auf 300 bis zu 1.000 (bewertete) Verkäufe innerhalb von drei Jahren kommen.

Außer Frage steht, dass es sich hierbei nicht um Diabetiker handelt, die die Teststreifen aus ihren Verordnungen nehmen, oder um die dankbaren Versorger. Vermutlich zählen zu dieser Gruppe Verkäufer mit einem beruflichen Zugang zu einer ständig verfügbaren, großen Masse an Teststreifen – oder die professionellen Power-Ebayer.

Einen beruflichen Zugang zu Blutzuckerteststreifen haben Außendienstmitarbeiter von Pharmaunternehmen oder Mitarbeiter von Pharmagroßhandelseinrichtungen, diabetologischen Schwerpunktpraxen, Diabeteskliniken oder Apotheken. Hier werden nahezu standardisiert nur jeweils eine oder zwei 50er-Packungen verkauft, man hat eigens für die Abwicklung der Teststreifenverkäufe ein separates ebay-Konto eingerichtet und bietet nur über die Sofort-Kauf-Option an.

Dies alles sind deutliche Zeichen eines hohen Maßes an Professionalität verbunden mit einem klaren Einkommensinteresse. Der Spitzenverdiener unter den hier erfassten Massenrealisierern brachte es in den drei Jahren auf einen Umsatz von gut 40.000 Euro.

In jedem Fall sind derartige Analysen für Krankenkassen oder für die Arbeitgeber der dankbaren Versorger und Massenrealisierer mit einem beruflichen Zugang zu Blutzuckerteststreifen von Interesse.

In der Mai-Ausgabe des Diabetes-Journals: Wer sind die Käufer?

Wer kauft diese Teststreifen? Denn unterbinden lassen sich solche Verkaufsangebote, die angesichts der eingangs formulierten Überlegungen auch auf Interessenten und zahlende Kundschaft stoßen, wohl vorerst nicht. Mehr dazu finden Sie in der Mai-Ausgabe des Diabetes-Journals.


Autor: Prof. Dr. Heiko Burchert
Fachhochschule Bielefeld, E-Mail: heiko.buchert@fh-bielefeld.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (4) Seite 28-31

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