Dafür gibt’s doch bestimmt eine App!

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Dafür gibt’s doch bestimmt eine App!

Apps, umgangssprachlich für applications, sind Programme für mobile Endgeräte, Smartphones oder Tablets, die ein spezielles Bedürfnis der Nutzer befriedigen sollen und im Idealfall die besonderen Fähigkeiten und Eigenschaften von Smartphones nutzen. Die Erfolgsgeschichte der Apps ist bisher kurz: Noch keine zehn Jahre sind sie alt.

Smartphones für Apps

Der Erfolg der Apps ist untrennbar verknüpft mit den Smartphones. Das erste und klassische Smartphone, das iPhone, kam im Juni 2007 auf den Markt, mit einem Programm zum Telefonieren – der wichtigsten App. Und es hatte einen Zugang zum Internet. Neben der Telefon-App gab es ein Programm zum Abrufen von E-Mails, eins zum Surfen und eine Kalender-App. Die Zahl der Smartphones hat seit 2007 dramatisch zugenommen, mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Konkurrenten. 2010 lag der Anteil der Smartphones an allen Mobiltelefonen bei 16,5 %, im August 2013 bei fast 60 %.

Mehr als 1 Million Apps

Im Juli 2008 gab es ca. 500 Apps, ein Jahr später 50 000, im Juni 2014 mehr als 1 200 000. Die Suche nach einem speziellen Programm in den Stores ist oft vergleichbar mit der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die Suchfunktionen sind nicht sehr komfortabel und liefern unpräzise Ergebnisse. Die Beschreibung im Klappentext ist vieldeutig und wenig aussagekräftig.

Wenn Sie eine ganz bestimmte App suchen, ist es sinnvoller, "Professor Google" zu fragen und dem Link zu folgen. Der Anteil an medizinischen Apps im weitesten Sinne ist gering. Er dürfte bei etwa 2 bis 5 % liegen, was immerhin 60 000 Programme sind.

Medizinische Apps

Die Suche in der Suchmaschine Google nach "Diabetes+Apps" liefert 19 000 000 Ergebnisse. Es gibt keine repräsentativen Untersuchungen zu Anzahl, Herkunft, Qualität, Zielgruppe, Benutzerfreundlichkeit oder Zuverlässigkeit von Apps im Gesundheitsbereich.

Wie gut sind Apps?

Aktiv sind oft einzelne Unternehmen, in Deutschland z. B. HealthOn (laut Impressum finanziell unabhängig). Die Ergebnisse für 160 Apps: 54 % der Apps stammen von Krankenkassen und pharmazeutischer Industrie, 30 % von "Sonstigen". Von den untersuchten Apps entfielen 18 auf den Bereich Diabetes. Nach Angaben von Healthon.de sind 83 % der Pharmaunternehmen und 78 % der Krankenkassen mit eigenen Apps am Kunden.

Eine weitere Einrichtung, die sich in Deutschland mit Apps beschäftigt, ist das Zentrum für Telematik und Telemedizin GmbH (ZTG). Es gibt nur zwei Gruppen untersuchter Apps: "Arzt- und Kliniksuche" sowie "Diabetes". Unter "Diabetes" werden 8 Apps teilweise recht detailliert besprochen, wobei völlig unklar ist, nach welchen Kriterien ausgerechnet diese Apps ausgewählt wurden, wie auch bei HealthOn.

Es gibt also einzelne Bemühungen, den Nutzern die Auswahl unter dieser erschlagenden Vielzahl von (Diabetes-)Apps zu vereinfachen. Subjektive Kriterien der Betroffenen werden natürlich dabei nicht berücksichtigt.

Wenige Apps von vielen genutzt

Im Oktober 2013 wurde vom IMS Institute for Healthcare Informatics eine Untersuchung von über 40 000 Apps aus dem Bereich Medizin und Gesundheit vorgestellt, verfügbar im US-amerikanischen App-Store. Etwa die Hälfte wurde aussortiert, weil sie mehr in den Bereich "Wellness" einzuordnen waren. Ein Drittel der verbleibenden Apps richtete sich an Angehörige medizinischer Berufe, ca. 16 000 waren für Patienten gedacht und wurden genauer untersucht.

Bezeichnend ist, dass mehr als die Hälfte der Apps weniger als 500 Downloads verzeichneten, während auf 5 Apps 15 % aller Downloads entfielen. Das spiegelt die Unsicherheit der Benutzer wider, die in Anbetracht der überwältigenden Zahl von Möglichkeiten das auswählen, was viele andere vor ihnen auch schon probiert haben. Die Patienten stehen einer Lawine von Anwendungen gegenüber ohne eine Idee, woran sie die Qualität erkennen können; die Ärzte scheuen sich, etwas zu empfehlen.

Zielgruppen für Diabetes-Apps

Die zahlenmäßig größte Zielgruppe sind zweifellos die etwa 8 Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland. Der überwiegende Teil von ihnen dürfte der Generation 50+ zuzurechnen sein, in der der Anteil der Smartphone-Besitzer und der Anteil derjenigen, die eine App heruntergeladen haben, geringer ist. Ärzte und Apotheker spielen als Zielgruppe für Diabetes-Apps eine untergeordnete Rolle.

Es gibt Anwendungen, die speziell für Ärzte gedacht sind: z. B. die "Diabetes Pocket Guidelines" der Deutschen Diabetes Gesellschaft, den HbA1c-Umrechner von Novo Nordisk, die "Gelbe Liste", Anwendungen der Fachgesellschaften für die jeweiligen Jahrestagungen. Die App "FindRisk", die den bekannten Algorithmus nutzt, um das individuelle Diabetesrisiko zu ermitteln, richtet sich nicht an Ärzte, sondern an Patienten. Für die Diabetesberaterinnen und Diabetesassistentinnen kenne ich keine App, die sich speziell an Angehörige dieser Berufsgruppe richtet.

Apps zum Problemelösen

Wer produziert eigentlich Apps im Diabetes-Bereich? Vor fünf bis sechs Jahren waren das vor allem Selbstbetroffene oder deren nahe Angehörige. Die zu lösenden Probleme entstammten der täglichen Erfahrung: "Wenn ich meinen Blutzucker gemessen habe, fehlt mir meistens der Stift und das papierene Tagebuch, um das festzuhalten!" Was liegt näher, als ein digitales Tagebuch zu programmieren? Oder eine Kohlenhydrataustauschtabelle, die immer dabei ist? Oder die kombinierte Darstellung von Blutzucker, Insulindosis, Kohlenhydraten und Bewegung?

Es gibt unzählige Apps dieser Art, die sicher auch alle ihre Fans gefunden haben. Aber wirklich innovativ – im Sinne vom Eröffnen völlig neuer, unerschlossener Möglichkeiten – waren sie nicht. Kaum einer ist aus seinem Einzelkämpferdasein herausgekommen.

Ärzte, Berufsverbände, Fachgesellschaften und Diabetesverbände spielen als App-Produzenten keine Rolle. In den App-Stores findet man unter "DDG" und "diabetesDE" wenig, unter "BVND", "VDBD", "Diabetikerbund" gar nichts. Die Industrie und die Kostenträger sind wesentlich aktiver. Ein spezielles Angebot für den Bereich "Diabetes" gibt es aber auch hier (so gut wie) nicht.

Kriterien für gute Apps

Was zeichnet eine gelungene Diabetes-App aus? Welche Kriterien sind zur Beurteilung geeignet? Wer entscheidet das? Sollten die Kriterien auf alle Apps gleichermaßen angewendet werden? Wer behält den Überblick über die vorhandenen und monatlich hinzukommenden Apps? Dr. Franz-Joseph Bartmann aus dem Vorstand der Bundesärztekammer gibt zu, dass man vorgehabt habe, diese Aufgaben zu erfüllen – in Anbetracht der Anzahl aber die Segel gestrichen habe.

Andere Länder stehen vor vergleichbaren Problemen. Der britische National Health Service versucht ebenso wie die amerikanische Food and Drug Administration (FDA), den Überblick zu bewahren. Die FDA hat immerhin etwa 100 Apps zertifiziert und zugelassen.

Der amerikanische Verband der Diabetesberater (American Association of Diabetes Educators, AADE) hat vor etwa 20 Jahren einen Rahmen entwickelt, der den Beratern bei der Betreuung von Diabetikern als Orientierung dienen soll. Dieses "AADE7" – es beinhaltet "healthy eating", "being active", "monitoring", "taking medicine", "problem solving", "healthy coping" und "reducing risk" – dient als Prüfstein für die Qualität von Apps. Eine App sollte diese Punkte berücksichtigen, wenn sie als evidenzbasiert gelten will. "Studien" zeigen, dass kaum eine der untersuchten Apps diesen Katalog erfüllt.

App-Spielregeln unklar

Welchen Spielregeln Apps national und international unterliegen, ist völlig unklar. Jeder, der die entsprechenden Kenntnisse hat, kann eine Anwendung programmieren und in einem Portal einstellen. Welchen Regularien er dabei unterliegt, wird nicht zuletzt davon abhängig sein, in welchem oder wie vielen App-Stores sein Programm national oder international verfügbar ist. Haftet er z. B. dafür, wenn durch einen schlampig programmierten Bolusrechner ein Benutzer zu Schaden kommt? Wer hat die Beweispflicht? Was ist mit dem Diabetologen, der diese App empfohlen hat? All dies sind Fragen, die beantwortet werden müssen.

In den USA ist die Situation besser geklärt: Die alleinige Erwähnung des Begriffs "Diabetes" stellt die App unter die Regulationspflicht der FDA. Allerdings hat die FDA bereits angekündigt, dass sie je nach Art der App differenzieren werde. Trotzdem würde eine App, die nur die Blutzuckerwerte vom Messgerät empfängt und graphisch aufarbeitet, als Medizingerät der Klasse II eingestuft und damit genehmigungspflichtig.

Apps wissenschaftlich betrachtet

In den vergangenen drei bis fünf Jahren hat die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die sich mit Apps auseinandersetzen, kontinuierlich zugenommen. Ein großer Teil stammt aus den USA und verfolgt eine bestimmte Thematik: Helfen Apps wirklich, Kosten im Gesundheitswesen einzusparen? Können sie die gesteckten Ziele (v. a. Verhaltensänderung, Wissensvermittlung) nachweislich erreichen? Sind sie leitlinienorientiert? Sind sie evidenzbasiert?

Die Publikationen aus dem europäischen Raum haben eine andere Stoßrichtung. Zwar geht es auch um Zertifizierung und Leitlinien, darüber hinaus steht aber die Frage viel stärker im Zentrum, wie eine App inhaltlich, funktionell und vom Design her beschaffen sein muss, um die Patienten optimal darin zu unterstützen, ihre (und unsere) Ziele zu erreichen.

Gelungene Apps

mySugr ist die erste App, die es geschafft hat, durch einen spielerischen Ansatz Patienten (v. a. Jugendliche und Heranwachsende) dazu zu bewegen, sich mit ihrem Diabetes und dessen Management auseinanderzusetzen. Die erforderlichen Stilmittel wie Gamification, Social Media und Challenges werden konsequent eingesetzt.

Stress-Test und Sleeptime+ sind keine ausdrücklich für Diabetiker gedachten Apps. Sie zeigen aber sehr schön, wie man Bereiche, die für Diabetiker bedeutsam sind (Stress, autonome Neuropathie, Schlafstörungen), darstellen kann.

goCarb ist ein multidisziplinäres Projekt der Universität Bern, das von der Europäischen Union (EU) gefördert wird. Ziel ist, mit Hilfe einer App und der Smartphone-Kamera den Kohlenhydratgehalt einer (fotografierten) Mahlzeit zu bestimmen.

Möglichkeiten wachsen

Das, was mit Apps möglich ist, wird mit der Hardware weiter wachsen. Es gibt mittlerweile einige tausend Apps für den Bereich Diabetes. Trotzdem scheint keiner der Beteiligten so richtig zufrieden zu sein. Die Diabetiker haben noch nicht die Lösung ihres dringendsten Problems gefunden: nämlich mit einem Minimum an Aufwand im Alltag ein nahezu normales Leben führen zu können, ohne von Folgeerkrankungen bedroht zu sein.

Genauso wenig sehen die Kostenträger ihr Hauptmotiv befriedigt: Kosteneinsparungen, insbesondere kurzfristig. Dass die Welle chronischer Erkrankungen, die auf uns zurollt, das System der gesetzlichen Krankenversicherung sprengen könnte, ist vielen Verantwortlichen bewusst. Welche Rolle moderne Medien und Apps in diesem Zusammenhang spielen könnten – wen von den Entscheidungsträgern bei den Kostenträgern interessiert das wirklich?

Das Interesse an Health-Apps, und damit auch Diabetes-Apps, hat deutlich zugenommen. Ziel ist, mit Hilfe von Apps Prozesse und Verhaltensweisen so zu beeinflussen, dass die zu erwartenden Kostenanstiege im Gesundheitswesen abgeschwächt werden. Dieses Motiv ist z. B. in den USA dominierend. Im europäischen Raum mit seinen anders strukturierten Gesundheitssystemen kann den Patientenbedürfnissen ein größerer Spielraum gewährt werden – und das ist auch nötig, wenn eine App wirklich erfolgreich sein soll.

Fazit

Im Juni 2014 gab es mehr als 1.200.000 Apps, davon waren etwa 60.000 medizinische Apps. Welchen Spielregeln Apps national und international unterliegen, ist völlig unklar. Jeder, der die entsprechenden Kenntnisse hat, kann eine Anwendung programmieren und in einem Portal einstellen. Das Interesse an Health-Apps, und damit auch Diabetes-Apps, hat deutlich zugenommen. Die größte Zielgruppe für Diabetes-Apps sind die etwa 8 Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland. Das, was mit Apps möglich ist, wird mit der Hardware weiter wachsen.


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