Das Fußsyndrom verhindern und behandeln

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Das Fußsyndrom verhindern und behandeln

Im Vergleich dazu liegen die Amputationsraten in weniger entwickelten Regionen, wie Indien, im Schnitt bei 30 %. Wir sind also trotz eines grundsätzlich besseren Versorgungssystems in Deutschland gar nicht so weit entfernt von dem Standard eines Schwellenlands.

Allerdings ist hier zu betonen, dass mit entsprechenden Strukturen hinsichtlich Kooperationsvereinbarung sowie entsprechender Prozess- und Strukturqualität, wie sie z. B. von der Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) im Rahmen des DDG-Zertifizierungsverfahrens gefördert werden, wesentlich geringere Amputationsraten zu erzielen sind.

So kann das 2013 das 10-jährige Jubiläum feiernde Zertifizierungsverfahren der DDG auf – bei im Mittel höhergradigen und schwereren Befunden aufgrund der in den Fußzentren stattfindenden Selektion – auf eine Amputationsrate von nur 3,62 % im Zeitraum 2005 bis 2011 verweisen! Dies zeigt, dass ein interdisziplinäres, die Sektoren und Fachbereiche übergreifendes Management nachhaltig das Amputationsrisiko vermindern kann. Ganz zu vermeiden sind Majoramputationen dabei sicher nicht.

Aufgrund der durch die Neuropathie verstärkten Tendenz zu Verhornungen sind häufig die Hyperkeratosen nur noch professionell, z. B. mit einem entsprechenden Schleifgerät, zu entfernen. Dies ist ebenso durch eine fachpodologische Maßnahme zu behandeln wie die Therapie eingewachsener Zehennägel durch entsprechende Spangen oder Maßnahmen im Rahmen der Mitbetreuung von Patienten mit Nagelpilz. Nicht zuletzt sind Podologen eine der Berufsgruppen, die sozusagen von Berufs wegen sich regelmäßig die Füße der Patienten ansehen.

Gerade in meiner Praxis kann ich feststellen, dass die Podologen indirekt eine große Zuweisergruppe sind. Ein- und Überweisungen werden zwar vom Hausarzt ausgestellt, aber bei Nachfrage beim Patienten erhält man recht häufig die Aussage: "Meine Podologin/mein Podologe hat das gesehen und hat gesagt, ich soll mich in der Fußambulanz vorstellen."

Die Orthopädieschuhmacher haben ihren Stellenwert bereits in der Akutversorgung der Patienten durch die Anfertigung von Interimsversorgung, Orthesen sowie unterstützend bei weiteren entlastenden Maßnahmen, z. B. Casts, aber auch beim Anpassen von Verbandsschuhen und selbstverständlich in der Sekundärprophylaxe durch das Anfertigen geeigneter semiorthopädischer Schuhe mit entsprechenden diabetesadaptierten Bettungen oder orthopädischen Maßschuhen.

Ganz entscheidend ist die Sekundärprophylaxe, weil erst durch entsprechende Pflege der Füße und geeignetes Schuhwerk, wo neben einem Wechselpaar auch die Hausschuhversorgung nicht zu vergessen ist, eine Reduktion der sonst sehr hohen Raten des Wiederauftretens von bis zu 30 % in den ersten 12 Monaten gelingen kann.

Die einfachen klinischen Maßnahmen der Vibrationsmessung, der Testung mittels Monofilament oder TipTherm sowie die Reflextestung reichen in der Routine aus, um ein sinnvolles Screening auf eine Neuropathie zu gewährleisten. Sofern sich hier ein Anhalt ergibt, kann mit computergestützten Systemen wie dem MEDOC-System eine entsprechende quantifizierbare Testung hinsichtlich Warm-Kalt-Empfindens und Vibration erfolgen, was für das weitere Monitoring z. B. auch unter Therapie sinnvoll sein kann.

Auch weitere Testverfahren wie das Neuropad-System als einfacher Indikator für eine gestörte Schweißproduktion können den Patienten als Vorsorge angeboten werden.

Grundsätzlich sind die Pulse zu tasten, wobei eine Pulslosigkeit durch eine Mediasklerose (Verkalkung der Arterienwände, Anm. d. Red.) vorgetäuscht werden kann. Hilfreich ist dann die dopplersonographische Untersuchung mit Feststellung des Knöchel-Arm-Index, wobei eine begleitende periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) bei einer Mediasklerose nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Ergänzt werden sollte die Gefäßdiagnostik durch eine duplexsonographische Untersuchung.

Sofern eine Fußläsion vorliegt, ist immer eine ausgiebige Gefäßdiagnostik insbesondere bei Verdacht auf eine begleitende pAVK notwendig, die dann spezielle Angiographien umfassen sollte. Mittels der Pedographie sind die plantaren Druckprofile sowohl statisch als auch dynamisch abzuleiten. Neben der Beurteilung von Risikobereichen ist diese Methode auch zur Kontrolle der verordneten Einlagen und Schuhe ein hilfreiches und sinnvolles Instrument.


Dieses aktive Wundmanagement ist neben der Entlastung viel entscheidender als der spezifische Einsatz verschiedener Wundauflagen, die aber nützlich hinsichtlich der Optimierung des Wundheilungsverlaufs sind sowie Vorteile für die Zeit der Wundheilung aufweisen.

Als innovative technische Maßnahme kann hier für das Wunddebridement noch der Einsatz von atraumatisch arbeitenden Systemen wie dem Wasserskalpell (z. B. Versajet) erwähnt werden. Gerade oft festhaftende Fibrinbeläge oder Fettgewebsnekrosen lassen sich damit hervorragend abtragen. Auch günstig für die Therapie von Nekrosen hat sich die Nasstherapie im Rahmen der feuchten Wundbehandlung erwiesen, zunehmende Erfahrungen werden auch mit Ultraschallsystemen zur Konditionierung gesammelt.

Für Läsionen mit schwerer pAVK, bei denen die interventionell-radiologischen und gefäßchirurgischen Verfahren nicht mehr greifen, kann der Einsatz der hyperbaren Sauerstofftherapie unbedingt empfohlen werden. Sowohl in der Akutphase als auch in der Granulationsphase ist besonders auf die Einsatzmöglichkeit der Vakuumtherapie hinzuweisen. Sowohl die V.A.C.®-Therapie als auch das Niederdrucksystem Renasys® erweisen sich als ausgesprochen vorteilhaft.

Es stellt sich aber grundsätzlich das Problem bei Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom und der Vorgabe einer möglichst weitgehenden Entlastung, sich selbst weiterversorgen zu können. Hier ist natürlich das familiär-soziale Umfeld hilfreich, nicht zuletzt ist es aber auch Aufgabe des betreuenden Arztes, über die Möglichkeiten der verschiedenen Sozialinstitutionen für Unterstützung eben z. B. beim Einkaufen Sorge zu tragen.

Die meisten Entlastungsschuhe sind eher "Humpelschuhe", mit denen der normale physiologische Abrollvorgang nicht nachvollzogen werden kann. Dies wird aber oft von Patienten ignoriert und damit werden schädliche Druckspitzen, u. a. auch im betroffenen Wundareal, induziert.

Sofern noch normale Konfektionsschuhe tragbar sind, muss der Patient über die Besonderheiten beim Schuhkauf aufgeklärt werden. So ist auf nieten- und nahtfreie Schuhe mit ausreichend Platz und Zehenfreiheit zu achten. Der Schuhkauf ist idealerweise am frühen Mittag zu organisieren, da die Füße am Morgen oft etwas schlanker sind, über den Tag allerdings anschwellen, so dass am Morgen gekaufte Schuhe mittags zu eng bzw. am Nachmittag erworbene Schuhe morgens zu viel Spielraum geben können.

Bei einer höhergradigen Läsion bzw. der Kombination von schwerer Neuropathie und AVK sind bei Druckverteilungsstörungen an der Fußsohle entsprechende Diabetes-Schutzschuhe mit entsprechenden diabetesadaptierten Einlagen zu verordnen. Im Rahmen von Minoramputationen sind oft entsprechende orthopädische Zurichtungen und orthopädische Maßschuhe notwendig.

Neben der Schuhversorgung für den Alltag im Gebrauch im Freien muss auch immer an eine entsprechende Versorgung für den häuslichen Bereich gedacht werden. Hinweise dazu finden sich u. a. auf der Homepage der AG Fuß (www.ag-fuss-ddg.de) als "Schuhverordnungsbogen".

Es versteht sich von selbst, dass alle diese Maßnahmen korrekt und fachgerecht erfolgen müssen. Wenig evaluierte Methoden sollten dabei allenfalls zurückhaltend eingesetzt werden. An der Grundregel Gefäßrekonstruktion vor Amputation hat sich ebenfalls nichts geändert. Ich denke, Probleme ergeben sich in dem Moment, wo Kontraindikationen, z. B. im Rahmen der hyperbaren Sauerstofftherapie, nicht beachtet würden oder hochpreisige Therapieverfahren unnötigerweise in einer Situation eingesetzt würden, wo sie nicht notwendig wären.

Grundsätzlich ist mit einer Struktur der komplexen Fürsorge für den Patienten mit einem Diabetischen Fußsyndrom eine hohe Abheilungsrate unter konservativem Ansatz möglich. Nur bei rund 10 bis 20 % sind für einen Heilungserfolg innovative Maßnahmen notwendig, was allerdings bei der hohen Zahl von Betroffenen immer noch eine umfängliche Zahl an Patienten umfasst.

AG Diabetischer Fuß

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  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • sveastine antwortete vor 6 Tagen

      @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche

    Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

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