- Technik
Lebenserwartung deutlich verbessert
3 Minuten
Vor der Entdeckung des Insulins hatten Menschen ab der Diabetesdiagnose noch eine Lebenserwartung von maximal drei Jahren. Für Menschen, die heute erkranken, dürfte sie nahezu normal sein – gute Aussichten. Ein historischer Überblick von Professor Dr. Andreas Neu.
Die Geschichte des Diabetes ist eine Erfolgsgeschichte. Seit der Entdeckung des Insulins im Jahr 1921 haben sich die therapeutischen Konzepte grundlegend geändert. Während früher die Anpassung des Alltagslebens und insbesondere der Ernährung an die Erkrankung im Vordergrund standen, werden Behandlungsansätze heute nach ihrer Alltagstauglichkeit beurteilt. Noch vor wenigen Jahrzehnten galt die Lebenserwartung von Diabetespatienten als erheblich eingeschränkt. Mit der Verbesserung der Stoffwechselqualität hat sich diese Einschätzung deutlich geändert.
Beginn der Insulinära
1921 entdeckten die kanadischen Forscher Frederic Banting und Charles Best im Tierexperiment Insulin. Im Januar 1922 erhielt der 14-jährige Leonard Thompson als erster Diabetespatient das neu entdeckte Präparat. Bald zeigten sich die Therapieerfolge. Während bis zu diesem Zeitpunkt Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes ohne Einschränkung verstarben, war mit der Verfügbarkeit von Insulin zumindest das Überleben dieser Patienten gesichert. Rasch wurde die industrielle Insulinproduktion aufgenommen: in den USA bereits zwei Jahre nach der Entdeckung durch die Firma Eli Lilly, in Europa zeitgleich durch die Firma Hoechst. Erste Dosierungsvorschriften für Insulin folgten. Der Bostoner Arzt Elliott P. Joslin (1869 – 1962) war ein Pionier der Insulintherapie. Beeindruckt von den Effekten des Insulins formulierte er damals: “Heutzutage darf niemand mehr am diabetischen Koma versterben.”
Die eigentlichen Erfolge dieser Therapie zeigten sich in Europa allerdings erst nach Ende des 2. Weltkrieges. Erfolge wurden damals definiert als Chance zu Überleben. Folgeerkrankungen galten als unvermeidlich.
Therapeutische Fortschritte
Noch in den 1970er-Jahren wurde die Therapie überwiegend durch die Urinzuckerkontrolle gesteuert. Zwar war die Blutzuckermessung technisch bereits möglich, die Geräte waren jedoch unhandlich und nicht transportabel. Gleichzeitig wurden die bis dahin verwendeten Glasspritzen durch Kunststoff-Einwegspritzen ersetzt. In den 1980er-Jahren schließlich hat sich die Blutzuckerselbstkontrolle als Standardverfahren durchgesetzt. Humaninsuline lösten die bis dahin üblichen Schweine- und Rinderinsuline ab. Erste Insulinpens kamen auf den Markt. Seit den 1990er-Jahren stehen kurzwirksame Insulinanaloga zur Verfügung. Gleichzeitig setzte man die Insulinpumpentherapie erstmals auch bei Kindern und Jugendlichen ein. Ein erstes Messsystem zur kontinuierlichen Glukosemessung ist seit 1999 verfügbar.
Therapeutisches Umdenken
Vorreiter einer modernen Diabetestherapie waren der Pädiater Karl Stolte (1981 – 1951), Direktor der Universitätskinderklinik Breslau, und der Schweizer Internist Georg R. Constam (1899 – 1993).
Nachdem 1993 die Ergebnisse der DCCT-Studie (Diabetes Control and Complications Trial) bekannt wurden, haben sich die Betreuungskonzepte in der Diabetologie grundlegend gewandelt: Die intensivierte Insulintherapie wurde Standard, Eigenverantwortlichkeit und eine intensive Schulung rückten in den Fokus der Bemühungen.
Therapeutische Realität
Längst sind nicht alle Therapieziele erreicht. Ein HbA1c-Wert von unter 7,5 Prozent gilt für alle Altersgruppen als erstrebenswert. Tatsächlich haben Heranwachsende im Alter von unter 20 Jahren in Deutschland mittlere HbA1c-Werte von 8,1 Prozent. Immerhin messen diese Patienten durchschnittlich fünfmal am Tag ihren Blutzucker. 45 Prozent aller Kinder nutzen die Pumpentherapie, im Kleinkindesalter sind es ca. 77 Prozent. Fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen nutzen dauerhaft die kontinuierliche Glukosemessung.
Prognose im Wandel
In der Vorinsulinära lag die Lebenserwartung bei ein bis drei Jahren nach Diagnosestellung. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstarben zahlreiche Kinder mit Typ-1-Diabetes noch bevor sie das Erwachsenenalter erreichten. Bis in die 80er-Jahre wurde die durchschnittliche Lebenserwartung bei Kindern nach Manifestation mit 30 Jahren angegeben. Insbesondere neue schottische Untersuchungen aus dem Jahr 2013 konnten zeigen, dass sich die Lebenserwartung von Patienten mit Typ-1-Diabetes der Lebenserwartungskurve von Gesunden in den letzten 20 Jahren sukzessive angenähert hat. Beobachtungsdaten aus dem DPV-Register (Diabetespatientenverwaltung) konnten zeigen, dass das Risiko für Augen- (Retinopathien) oder Nierenschäden (Nephropathien) durch die verbesserte Stoffwechseleinstellung deutlich abgenommen hat. Die Lebenserwartung und die Neigung zu Folgeerkrankungen wird bei Diabetespatienten geprägt von der Stoffwechseleinstellung, aber auch von einem individuellen Risiko, das genetisch festgelegt ist.
Ausblick
Patienten, die in den letzten 20 Jahren erkrankt sind, wurden überwiegend mit dem Ziel einer nahe normoglykämischen Stoffwechsellage behandelt. Selbst wenn dies nicht kontinuierlich gelungen ist, haben diese Patienten damit die Chance, ein Lebensalter zu erreichen wie ihre gesunden Gleichaltrigen. In Anbetracht der therapeutischen Fortschritte darf man die Hoffnung äußern, dass die Lebenserwartung derer, die heute erkranken, nahezu normal sein wird.
Fazit
Seit 1921 das Insulin entdeckt wurde, hat sich für Menschen mit Diabetes vieles zum Guten verändert. Während vorher Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes ohne Einschränkung verstarben, war mit Insulin zumindest das Überleben gesichert, Folgeerkrankungen galten noch lange als unvermeidlich. Zunächst steuerte man die Behandlung durch die Kontrolle des Urinzuckers, später dann durch die Kontrolle des Blutzuckers. Die Geräte hierfür wurden mit der Zeit kleiner, handlicher und waren schließlich zum ständigen Mitnehmen geeignet. Für das Insulin gab es zunächst Glasspritzen, dann Pens und heute auch die Insulinpumpe. Ein erstes Messystem zur kontinuierlichen Glukosemessung gab es 1999. All diese Entwicklungen haben zu einer deutlich besseren Prognose für Menschen mit Diabetes geführt. Patienten, die in den letzten 20 Jahren erkrankt sind, haben heute die Chance, ein Lebensalter wie ihre gesunden Gleichaltrigen zu erreichen.
von Prof. Dr. Andreas Neu
Kinderdiabetologe, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Tübingen
Kontakt:
E-Mail: andreas.neu@med.uni-tuebingen.de
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2014; 7 (4) Seite 8-10
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 1 Woche, 2 Tagen
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche, 3 Tagen
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 1 Woche, 2 Tagen
Ich bin dabei 🙂
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 3 Wochen, 3 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina-
darktear antwortete vor 2 Wochen, 5 Tagen
Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig
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Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike