Mit Mehrweg und Recycling Diabetesmüll reduzieren – Serie „Green Diabetes“

Mit Mehrweg und Recycling Diabetesmüll reduzieren – Serie „Green Diabetes“
Mit Mehrweg und Recycling Diabetesmüll reduzieren – Serie „Green Diabetes“
Foto: Susanne Thiemann

Abstriche in puncto Hygiene oder Sicherheit möchte natürlich niemand machen, wenn es um das Verbrauchsmaterial für die Diabetes-Therapie geht. Doch vielen Menschen mit Diabetes ist zumindest unbehaglich zumute, wenn sie die Müllmengen sehen, die sie durch ihre Behandlung verursachen. „Das muss doch auch irgendwie anders gehen“, glauben sie – und sehen vor allem die Diabetesindustrie in der Verantwortung, mittels Mehrweg und Recycling den Diabetesmüll zu reduzieren.

Einen gesamten Monat hindurch hat Susanne Thiemann ihren Diabetesmüll gesammelt. Die 60-jährige Münsteranerin lebt seit 22 Jahren mit Typ-1-Diabetes und gehört seit gut drei Jahren zur Looper-Community – sprich jenen Menschen mit Diabetes, die regulär erhältliche Insulinpumpen und CGM-Systeme per selbstprogrammierter Smartphone-App zu einem AID-System Marke Eigenbau kombinieren. Mit ihrem „Loop“ als solchem ist sie zufrieden. Doch sie stört sich an den Müllmengen, die durch die vielen Einwegprodukte und die dazugehörigen Verpackungen anfallen. Ein ganzer Berg aus Kunststoff (Setzhilfen, Schläuche), beschichtetem Papier (Alkoholtupfer), Glas (Insulinampullen) und Papier (Kartons, Beipackzettel, mehrsprachige Bedienungsanleitungen) türmt sich da Monat für Monat auf, wie das obige Bild eindrücklich zeigt.

Alle Beiträge aus unserer Serie „Green Diabetes“

In der Diabetes-Therapie fallen viele Einwegartikel, Batterien und Umverpackungen an. Doch muss das so sein? Und wohin mit dem ganzen Diabetesmüll? In vielen Bereichen findet bereits ein Umdenken statt. In dieser Serie zur Nachhaltigkeit in der Diabetologie beleuchten wir das Thema aus verschiedenen Perspektiven: Pharma- und Hilfsmittel­industrie, Patientinnen und Patienten, Diabetespraxen, Behörden und Gesetzgeber sowie Kostenträger.

Bei den einzelnen Komponenten handelt es sich um Materialien, die man eigentlich separat entsorgen müsste. „Ich würde meinen Diabetesmüll konsequent trennen, wenn die Materialien denn klar gekennzeichnet wären“, sagt Thiemann. Doch während man mittlerweile auf nahezu jeder Lebensmittelverpackung Hinweise zur korrekten Entsorgung findet, sucht man dergleichen bei den Bausteinen einer modernen Diabetestherapie vergeblich.

Niemand möchte wieder Glasspritzen auskochen

Auch die schiere Masse der Einwegkomponenten findet Thiemann bedenklich: „Die Dexcom-Setzhilfe etwa kommt ja als halbes Ufo daher! Es ist schade, dass gerade die führenden Anbieter so bei der Nachhaltigkeit versagen.“

Die wachsenden Müllmengen haben in erster Linie mit dem medizinisch-technischen Fortschritt zu tun, der Menschen mit Diabetes in den vergangenen Jahrzehnten Insulinpumpen, CGM-Systeme, Smartpens und AID-Systeme beschert hat. Die Vorzüge dieser Innovationen möchte wohl kaum jemand missen: „Ich möchte nicht zurück in die Zeit, als Menschen mit Diabetes ihre Glasspritzen auskochen mussten – auch wenn das aus ökologischer Sicht vermutlich nachhaltiger war“, betont Thiemann.

Mit dieser Haltung steht die Looperin nicht allein da: Viele Menschen mit Diabetes haben zumindest ein mulmiges Gefühl angesichts der wachsenden Müllmengen, die mit ihrer Diabetestherapie einhergehen. Doch ökologische Nachhaltigkeit ist nicht das entscheidende Kriterium, wenn es um die Wahl von Diabetesutensilien geht. Dies zeigt der D.U.T-Report 2022 ebenso wie eine Facebook-Umfrage unter Menschen mit Typ-1-Diabetes (siehe folgenden Kasten mit Zitaten).

Auf manche wirkt das Stichwort „Diabetesmüll“ sogar regelrecht polarisierend, wie Thiemann erleben musste, als sie Bilder des Abfallhaufens eines Monats auf Instagram postete: „Vielen Menschen wird im Alltag schon oft genug ein schlechtes Gewissen wegen ihres Diabetes eingeredet, da möchten sie sich nicht auch noch für ihren Müll rechtfertigen müssen“, vermutet Thiemann. Zumal sich Einwegprodukte aus Gründen der Produktsicherheit und Hygiene auch nur begrenzt durch Mehrwegalternativen ersetzen lassen.

Dennoch könnten sich die Hersteller aus Patientensicht deutlich mehr für die Müllvermeidung einsetzen: Sie sollten genaue Entsorgungshinweise auf ihren Produktkomponenten anbringen, mehrfach verwendbare oder zumindest deutlich kleinere Setzhilfen und Applikatoren anbieten und benutzte Einwegprodukte zurücknehmen.

Umstieg von Einweg-Pens auf Mehrweg-Pens reduziert Diabetesmüll

Doch auch die Kompatibilität von Pumpenzubehör könnte Patientinnen und Patienten dabei helfen, ihr Müllaufkommen zu verringern. „Aktuell ist man festgelegt auf genau das Zubehör, das zur eigenen Insulinpumpe passt, aber ggf. viel mehr Müll macht als andere Produkte“, kritisiert Thiemann, „es wäre gut, wenn man die einzelnen Komponenten frei konfigurieren und dann z.B. Zubehör auswählen könnte, das weniger Müll produziert. Das wäre nebenbei auch in Bezug auf andere Faktoren wie Pflastergröße oder Hautverträglichkeit ein echter Pluspunkt.“

Manche der Ideen zur Vermeidung von Dia­betesmüll – etwa den Umstieg von Einweg- auf Mehrwegpens in der intensivierten Insulintherapie (ICT) – können sie zusammen mit ihrer Diabetespraxis recht einfach selbst umsetzen. In anderen Punkten dagegen ist in erster Linie die Industrie gefragt, findet Thiemann.



von Antje Thiel

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Eine Antwort

  1. Hallo an alle Leidensgenossen.

    Das Thema Diabetes (u.a. Medizinprodukte) und Müll beschäftigt mich auch seit Jahren.

    Gaudihalber habe ich einmal angefangen, Alu aus Blisterpackungen zu sammeln: fast 1 kg pro Jahr fallen dabei bei mir inzwischen an! Perfekt zu recycelndes Alu.

    Im gelben Sack kann man jedoch davon ausgehen, dass es für die Müllverbrennung aussortiert wird, weil die Mengen zu gering und womöglich im Verbund mit Kunststoffblister sind. D.h. nichts anderes als: idiotisches aufwändiges Sammelsystem, Transport, Sortierung, dann wieder Transport, Müllverbrennung – das ALU ist sicher nicht verwertbar, weil die geringe Masse mit Ascheresten verklumpt und nicht herausgetrennt werden kann.

    Die Probleme bei Medizinmüll sind aber so massiv, dass man gar keinen Überblick mehr hat, wo man neue Lösungen basteln könnte.

    Ich hab mich deshalb in letzter Zeit auf die FreeSytle-Sensoren konzentriert, weil diese ein extremes Beispiel verantwortungslosen Umgangs mit dem Recyclingproblem sind.

    Wenn man den Sensor in Bezug setzt auf den 1 Liter „Müll“, der mit dem Endprodukt ausgeliefert wird, dann wird das ganze vollkommen pervers.

    Dabei wäre gerade dieses Produkt a.m.S. perfekt für ein Recyclingverfahren, da es wenig unterschiedliche Komponenten enthält, die sich auch noch relativ einfach und vermutlich sehr sauber trennen lassen:

    – Klarsichtdeckel, muss nur der dumme Aufleber antfernt werden, geht schnell und quasi
    rückstandsfrei

    – Adapter,
    kann man leicht zB mit einem Phasenprüfer aufbrechen,
    die enthaltene Feder entfernen (kann sofort wiederverwertet werden im Baumarkt nebenan),
    die Nadel mit einer Pinzette heraus ziehen (hier ist Verletzungsgefahr, a.m.S. aber Problem gelöst, wenn jeder Nutzer das selber macht: sich im GAU mit eigenem Blut zu benetzen oder sich mit einer Nadel zu stechen, passiert nahezu jedem Diabetiker, möchte ich meinen, wieviele Todesfälle wurden dadurch verursacht? ich tippe: 0!) und sicher via Altmetallschrott entsorgen (zB eine Weissblechdose zum Sammeln verwenden, irgendwann mit einer geeigneten Zange die Öffnung zusammen quetschen und mehrmals umbiegen, bis gewährleistet ist, dass die kleinen Nadeln nicht herausgeschüttelt werden können).

    – Der nahezu komplette Rest an Kunststoff kann vermutlich leicht über die Initiative precious plastics verarbeitet werden, am besten mit Hilfe des nächst-gelegenen makerspace: dort gleich zu Recycling-3D-Filament umgeschmolzen und verwertet.

    Es geht also wahrscheinlich sehr leicht, für jedermann nutzbar und das Tollste: Filament ist teuer: damit den makerspace zu unterstützen, alleine das wäre einen grossen Aufwand wert!

    Ideen dieser Art bitte an mich. Sicher gibt es sogar noch bessere Teile, zu denen sich etwas Sinnvolles lohnen würde.
    Upcycling gibt es sicher viele Optionen: Medikamentenbehälter, Blister, das Glas der ZAM, wahrscheinlich wären sogar die PEN-Nadeln kein echtes Problem, Metall und Kunststoff zumindest soweit zu trennen, dass verwertbare Mengen entstehen.

    Wer selbst Interesse hätte, sich an einem solchem p2p-Netzwerk aktiv zu beteiligen, sei es als disziplinierter „Lieferant“ mit vorbereiteter Trennung (Feder, Kunststoffe, Restmetall), Logistiker von A nach B, Bastler von precious plastics-Komponenten, makerspace-Fan oder einfach Interessierter kann mich kontaktieren.

    Yo
    (yo ra na AD bit fan DOT de – bitte ohne Zwischenraum und als email verwenden für Kontaktwünsche)

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