Selbsthilfe und Selbstverwaltung: Wie werden wir ernst genommen?

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Selbsthilfe und Selbstverwaltung: Wie werden wir ernst genommen | Foto: Mykyta Dolmato – iStockophoto
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Selbsthilfe und Selbstverwaltung: Wie werden wir ernst genommen?

In der vorletzten Ausgabe hatten wir im Beitrag zum „Gesundes-Herz-Gesetz“ gefragt: „Ist die Selbstverwaltung noch zeitgemäß?“ Gemeint war die „Selbstverwaltung im Gesundheitswesen“. Was ist das, wie arbeitet sie und warum ist das für chronisch Erkrankte so wichtig?

Was bedeutet „Selbstverwaltung“ im Gesundheitswesen? Auf der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) wird sie so erklärt: „Im Gegensatz zu anderen Ländern wird die Gesundheitsversorgung in Deutschland nicht ausschließlich durch die Regierung oder den Staat gewährleistet, wie zum Beispiel in Großbritannien, Schweden oder Italien. Dort regeln staatliche Behörden die medizinische Versorgung. (…) In Deutschland gilt das Prinzip der Selbstverwaltung. Das heißt: Der Staat gibt zwar die gesetzlichen Rahmenbedingungen (…) vor, aber die Träger des Gesundheitswesens organisieren sich selbst, um in eigener Verantwortung die Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.“

Soweit klar. Was ist nun die „Gemeinsame Selbstverwaltung“ und wo kommen wir Patientenvertreter ins Spiel? Dazu kommt beim BMG unter der Überschrift „Gemeinsame Selbstverwaltung“ der „Gemeinsame Bundesausschuss“ ins Spiel:

„Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Er setzt sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern der Ärzteschaft (KBV und KZBV), der Krankenhäuser (DKG) und Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) sowie drei unparteiischen Mitgliedern. Um die Interessen von Patientinnen und Patienten, chronisch Kranken und Menschen mit Behinderungen zu stärken, haben deren jeweilige Vertretungen auf Bundesebene ein Mitberatungs- und Antragsrecht. Im G-BA wird beraten und entschieden, welche Leistungen von der GKV übernommen werden.“ Und weiter: „Der G-BA erlässt Richtlinien, die für alle Versicherten, die gesetzlichen Krankenkassen und die an der Versorgung beteiligten Ärztinnen und Ärzte sowie andere Leistungserbringer verbindlich sind.“

Wie arbeitet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)?

Bereits hier wird klar: Was im G-BA entschieden wird, ist verbindlich und betrifft Menschen mit chronischen Erkrankungen besonders stark. Klar ist auch: Wir dürfen zwar mitreden und sogar Anträge stellen, mitentscheiden dürfen wir aber nicht, obwohl unser Wohl im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen sollte! Während in anderen Bereichen der Selbstverwaltung, zum Beispiel bei den Kommunen, die Betroffenen durch Wahlen direkt Einfluss nehmen dürfen, bleiben die Betroffenen im Gesundheitswesen bei den Entscheidungen weitgehend außen vor.

Ich will nicht abstreiten, dass auch die Ärzteschaft, die Krankenkassen und die Krankenhäuser das Wohl der Patientinnen und Patienten im Blick haben. Aber gelegentlich bekommt man den Eindruck, dass eigene Interessen wie die Finanzierungslage der Krankenkassen, die Einkommenssituation der Ärzteschaft oder die Auslastung der Krankenhäuser im Vordergrund stehen.

Wir wenden uns auch grundsätzlich nicht dagegen, dass im G-BA ausschließlich auf Basis der evidenzbasierten Medizin (EbM) und somit mit Leitlinien nationaler und internationaler Fachgesellschaften gearbeitet wird. Wir kritisieren jedoch, dass die methodischen Grenzen von EbM, gerade bei den Themen Ernährung und Bewegung, unbeachtet bleiben und dass die Erfahrung der klinischen und der fach- und hausärztlichen Praxis in die Entscheidungen zu wenig einfließen. Ob das vom G-BA beauftragte Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hier immer der richtige Ratgeber für die Entscheidungen im G-BA ist, bezweifeln wir aus Patientensicht.

Was heißt das für uns? Was fordern wir?

Wie stark sich die Entscheidungen des G-BA an den tatsächlichen Bedürfnissen von uns Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen orientieren, hängt also maßgeblich von Leitlinien und Experten-Einschätzungen im IQWiG ab, nicht aber von Erfahrungsberichten von Betroffenen und aus der Praxis selbst. Am Ende von langwierigen und hochkomplexen Beratungsprozessen stehen Entscheidungen zum Beispiel zu DMPs (also zu Disease-Management-Programmen), die ganz maßgeblich über den Erfolg oder den Misserfolg von strukturierter Behandlung chronischer Erkrankungen entscheiden. Und ist so ein DMP einmal in Kraft, sind die Weichen für Jahre gestellt – und das ohne wirkliches Mitentscheidungsrecht der Betroffenen. So kann „Gemeinsame Selbstverwaltung“ kaum funktionieren.

Als Patientenvertreter für Menschen mit Diabetes fordern wir ein konkretes Mitentscheidungsrecht bei allen Entscheidungen des G-BA im Zusammenhang mit chronischen Erkrankungen. Wir benötigen hier eine adäquate Personalausstattung zur Bewältigung dieser Aufgabe. Denn rein ehrenamtlich ist die Mitarbeit im G-BA schon heute nicht zu leisten. Die dringend notwendige Mitentscheidungsbefugnis kann nur mit Leben gefüllt werden, wenn wir Patientenverbände dazu auch dauerhaft über die nötigen Ressourcen verfügen.


von Leonhard Stärk, Vorsitzender DDF e.V.

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 5 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 6 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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