Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes: „Er/Sie hat Zucker: Selbst schuld! Futtert zu viel und bewegt sich zu wenig!“

4 Minuten

Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes: „Er/Sie hat Zucker: Selbst schuld! Futtert zu viel und bewegt sich zu wenig!“ | Foto: LIGHTFIELD STUDIOS - stock.adobe.com
Foto: LIGHTFIELD STUDIOS - stock.adobe.com
Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes: „Er/Sie hat Zucker: Selbst schuld! Futtert zu viel und bewegt sich zu wenig!“

Mindestens drei Stigmata finden sich in diesen wenigen Worten der Überschrift. Die Deutsche Diabetes Hilfe – Menschen mit Diabetes, Landesverband NRW e. V. hat gemeinsam mit dem Team von Diabetes TV ein informatives Video zum Thema „Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes“ realisiert und veröffentlicht. Dieser Film ist der Startschuss für eine Kampagne gegen die Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes.

Nähern wir uns doch dem Thema der Stigmatisierung in unserer Sprache. Je nachdem, wie wir einen Sachverhalt sprachlich einkleiden, aktivieren wir bei unserem Gegenüber unterschiedliche mentale Assoziationen und Bewertungen. So kann die gleiche Information je nach Formulierung als positiv oder als negativ wahrgenommen werden. Ein Stigma ist dem Grunde nach ein charakteristisches Merkmal, das eine Person von anderen unterscheidet. Die Verwendung einer stigmatisierenden und fachlich unangebrachten Sprache mag beim Sender unbedacht und ohne böse Hintergedanken erfolgen, löst jedoch beim Empfänger das Gefühl einer Vorverurteilung oder Diskriminierung aus.

Enorme Belastungen für die Betroffenen

Stigmatisierung in der Sprache ist eine typische Begleitform bei zahlreichen Erkrankungen. Häufig kommt sie vor zum Beispiel bei starkem Übergewicht (Adipositas), bei Sucht-Erkrankungen oder geistigen Einschränkungen. Der von uns erstellte Film konzentriert sich auf die Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes – immerhin einer Bevölkerungsgruppe in unserem Land von über 11 Millionen Menschen.

Die permanent steigende Zahl von Menschen insbesondere mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes stellt die Gesellschaft vor Herausforderungen, vor allem hinsichtlich der Vorbeugung (Prävention) und der Versorgung. Auch die Belastungen, die diese chronische Erkrankung für den Einzelnen mit sich bringt, sind enorm. Es gibt zahlreiche Faktoren, die den Blutzucker beeinflussen und in der Therapie berücksichtigt werden müssen. Seien es zum Beispiel die Tageszeit, die allgemeine körperliche Verfassung, bestehender Stress, körperliche Aktivität, Mahlzeiten mit Menge, Art und Zusammensetzung oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten.

Dieses führt zwangsläufig zu teilweise Hunderten zusätzlichen bewussten oder unbewussten Entscheidungen, die Menschen mit Diabetes täglich eigenständig treffen müssen. Es ist erwiesen, dass sie demzufolge eine vergleichsweise geringere Lebensqualität haben und erhöhte krankheitsbezogene Stressoren aufweisen. Das Risiko, an Depressionen oder Angststörungen zu erkranken, ist bei Menschen mit Typ-2-Diabetes doppelt so hoch wie und mit Typ-1-Diabetes bis zu dreimal höher als bei Menschen ohne Diabetes.

Folge: psychische Belastungen

Ein negativer, fachlich nicht korrekter und stigmatisierender Gebrauch der Sprache fördert einerseits die negative Stereotype über den Diabetes und kann andererseits bei Menschen mit Diabetes zu psychischen Belastungen führen. Betrachten wir die durchaus geläufigen Stigmata in der Überschrift dieses Artikels. „Er/Sie hat Zucker!“ erweckt den Eindruck, dass der Konsum von zu viel Haushaltszucker den Diabetes auslöst. Dabei sind die Ursachen des Diabetes und die Stoffwechselprozesse abhängig vom Diabetestyp und weitaus komplexer. „Selbst schuld!“ vernachlässigt vollumfänglich, dass in den allermeisten Fällen die genetische Veranlagung und ein Autoimmunprozess wesentliche Auslöser dieser Erkrankung sind. Und die vollkommen unsachliche Äußerung „Futtert zu viel und bewegt sich zu wenig“ betrifft sicherlich weitläufige Gewohnheiten in unserer Gesellschaft in den aktuellen wohlhabenden Zeiten, jedoch keinesfalls allein die Bevölkerungsgruppe der Menschen mit Diabetes.

Es ist davon auszugehen, das jeder Mensch mit Diabetes im Verlauf der Krankheit stigmatisierenden Äußerungen ausgesetzt war. Ebenfalls ist aber auch davon auszugehen, dass jeder Mensch mindestens einmal bewusst oder unbewusst stigmatisierende Äußerungen gegenüber Mitmenschen getätigt hat. Diese durch die Sprache vermittelten Botschaften haben Folgen.

Verletzend und demotivierend

Der Sprachgebrauch kann einen tiefgreifenden Einfluss darauf haben, wie Menschen mit Diabetes in der Gesellschaft gesehen und behandelt werden. Eine vorurteilsfreie und sachliche Sprache kann bei den Menschen Selbstbewusstsein und Motivation stärken und somit die Widerstandskraft (Resilienz) und das Wohlbefinden fördern. Im Umkehrschluss werden aber auch die bereits zahlreichen negativen Stereotype über Diabetes durch unsensible Sprache verstärkt. Die Menschen verinnerlichen diese Botschaften und ihr Selbstbild und die Sichtweise auf den eigenen Diabetes kann dadurch negativ gefärbt werden. Unvorsichtige oder negative Sprache kann somit verletzen, demotivieren oder Ängste hervorrufen und sich somit auf die Fähigkeit, mit dem Diabetes umzugehen, negativ auswirken.

Video als Appell

Mit dem veröffentlichten Video „Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes“ und der folgenden Kampagne möchten wir als Verein unbedingt appellieren an alle Menschen aus dem Angehörigen-, Freundes- und Bekanntenkreis oder Arbeitsumfeld im Umgang mit Menschen mit Diabetes:

  • Bitte respektieren Sie die Eigenverantwortung eines Menschen mit Diabetes und halten Sie sich mit Kommentaren zum Verhalten oder äußeren Erscheinungsbild wie Körpergewicht oder sichtbaren Diabetes-Utensilien zurück.
  • Bemerkungen zum Verhalten z. B. beim gemeinsamen Essen werden häufig als Einmischen oder gar Bevormundung (z. B. „Du darfst ja keinen Kuchen essen“) empfunden. Fragen Sie als Gastgeber sachlich nach, ob Besonderheiten (wie auch bei Menschen mit Unverträglichkeiten) zu berücksichtigen sind.
  • Verwenden Sie keine urteilenden Aussagen wie „Du kümmerst dich zu wenig“ oder „Du strengst dich nicht genug an“. Geben Sie der Person das Gefühl, dass ihre Bemühungen gesehen und anerkannt werden und dass Sie um die Herausforderungen wissen, die mit der Behandlung von Diabetes verbunden sind.
  • Wenn Sie selbst einen ausreichend sensiblen Umgang entwickelt haben, machen Sie im Bedarfsfall auch andere auf ein unangemessenes Verhalten aufmerksam.

Wir möchten aber auch an alle Menschen mit Diabetes im Umgang mit stigmatisierenden Äußerungen appellieren. Gehen Sie davon aus, das die Äußerungen im Regelfall weder boshaft noch verletzend gemeint sind. Weisen Sie sachlich auf die Wirkung des Gesagten hin. Manchmal hilft es auch, unbedachte Äußerungen einfach mit Humor zu nehmen und sie „wegzulächeln“.

An dieser Stelle bedanken wir uns bei der Krankenkasse IKK Classic für die finanzielle Unterstützung zum Erstellen dieses wertvollen Videos. Dieses Video finden Sie unter diabetesweb-tv.de/stigmatisierung-von-menschen-mit-diabetes oder folgendem QR-Code:

Bitte empfehlen und teilen Sie dieses Video und unterstützen somit unsere Kampagne gegen „Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes“.


von Michael Wolters

Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 73 (X) Seite 78-79

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Im Gespräch mit Staatsministerin Judith Gerlach: Gemeinsam für Menschen mit Diabetes und Prävention

Am 10. Juli waren wir zu einem persönlichen Gespräch mit Judith Gerlach, Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention, in den Bayerischen Landtag eingeladen, um über die Anliegen von Menschen mit Diabetes zu diskutieren.
Im Gespräch mit Staatsministerin Judith Gerlach: Gemeinsam für Menschen mit Diabetes und Prävention | Foto: Diabetikerbund Bayern

< 1 minute

DDB-Familienwochenende im Seebad Prora: Entspannen und Zusammensein am Meer

2831 Meter weit führt die Brücke über den Strelasund, die ein halbes Dutzend Familien aus Richtung Hamburg, Berlin oder Brandenburg am zweiten September-Wochenende überquerten, um am DDB-Familienwochenende im Seebad Prora teilzunehmen.
DDB-Familienwochenende im Seebad Prora: Entspannen und Zusammensein am Meer | Foto: DDB

2 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 5 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 3 Wochen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

Verbände