Erkenntnisse am Festzelt bei „Tag der Niedersachsen“: Selbsthilfe und Ehrenamt müssen attraktiver werden

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Erkenntnisse am Festzelt bei „Tag der Niedersachsen“: Selbsthilfe und Ehrenamt müssen attraktiver werden | Foto: Diabetiker Niedersachsen (DNI)
Foto: Diabetiker Niedersachsen (DNI)
Erkenntnisse am Festzelt bei „Tag der Niedersachsen“: Selbsthilfe und Ehrenamt müssen attraktiver werden

Osnabrück im Ausnahmezustand und die Diabetiker Niedersachsen mittendrin: Unter dem Motto „Osnabrück macht’s möglich“ präsentierte sich die historische Friedensstadt als Gastgeberin des 38. Tags der Niedersachsen und wir sorgten dafür, dass Diabetes, Selbsthilfe und Ehrenamt zum Thema wurde.

In der wunderschönen Osnabrücker Innenstadt pulsierte Ende August das Leben, denn der Tag der Niedersachsen fand dieses Mal in der Friedensstadt statt: Auf acht Bühnen erklangen Livemusik, Redebeiträge und humorvolle Einlagen, während auf zehn Themen-Meilen Naturwissenschaft, Ehrenamt, Technik, Sport, Behörden, Kommunen und Kultur zu Interaktion und Austausch einluden. Über eine halbe Million Besucherinnen und Besucher erfreuten sich am bunten Treiben.

Bürokratie erstickt Selbsthilfe

Auch wir Diabetiker Niedersachsen waren wieder dabei. Direkt am historischen Nikolaiort, gegenüber von der Bühne des Landestrachtenverbandes, zogen unsere Beratungs- und Selbsthilfe-Angebote für Betroffene und der Diabetes-Risikotest ab Freitagnachmittag Neugierige an. Die einen wollten sich einen kleinen Pieks zur Blutzuckermessung holen, um mehr über ihr persönliches Risiko für Typ-2-Diabetes zu erfahren, die anderen hatten meist mehr als eine Frage rund um alle Typen von Diabetes.

Auffällig dabei: Viele Betroffene und Angehörige suchten gezielt nach Selbsthilfegruppen. Hier herrscht in Niedersachsen leider vielerorts Mangel. Dies liegt zum einen an der überbordenden Bürokratie, mit der sich potenzielle Selbsthilfe-Leiter konfrontiert sehen, und zum anderen an der für viele moderne Lebenswelten mangelhaften Attraktivität des Ehrenamts.

Viele Menschen leben heute in Doppel-Verdiener-Haushalten, oft mit Kindern, und möchten ihre Freizeit nicht mit unnötig komplizierten Anträgen für Förderungen verbringen. In Niedersachsen tut man sich zudem schwer, ehrenamtliches Engagement, welches ja auch mit einem Mangel an Zeit für ökonomisch lukrativere Tätigkeiten einhergeht, angemessen zu kompensieren – sei es durch Rabatte bei kommunalen Anbietern oder entsprechende Vergütungs-Systeme. Ehrenamt ist kein Geschäft, aber in einer Gesellschaft, in der das Leben für die meisten immer teurer wird, sollte es die Geldbeutel der Aktiven auch nicht über Gebühr belasten. Ehrenamt muss man sich wieder leisten können!

Großes Interesse und viele Fragen: im Gespräch mit jungen Menschen. | Foto: Diabetiker Niedersachen (DNI)

Diabetes-Risikotest von großem Interesse

Beeindruckt hat uns das große Interesse junger Menschen – sie sind wieder offener, informierter und beteiligungsfreudiger. Teenager und junge Erwachsene mit Diabetes ließen sich von unserem Team ausführlich beraten und äußerten Interesse, in der Selbsthilfe eine aktive Rolle zu übernehmen. Aber auch die Teilnehmer des Diabetes-Risikotests waren zu einem beachtlichen Teil unter 35 Jahre alt.

Während der Befragung wurde immer wieder deutlich, dass der Informationsbedarf zu Diabetes Typ 2 in dieser Altersgruppe enorm hoch ist. Allgemein scheint es leider weiterhin in der allgemeinmedizinischen Versorgung große Mängel in der Diabetes-Prävention, aber auch Therapie zu geben. Großer Dank geht an dieser Stelle an das Unternehmen Roche Diagnostics Deutschland, das uns entsprechende Verbrauchsmaterialien wie Stech-Lanzetten, Teststreifen und Blutzucker-Messgeräte für das Durchführen des Tests zur Verfügung stellte.

Gegenüber von der Bühne des Landestrachtenverbandes ließen es sich auch unsere Aktiven nicht nehmen, ihre Arbeit in traditionellem Outfit zu verrichten.| Foto: Diabetiker Niedersachen (DNI)
Gegenüber von der Bühne des Landestrachtenverbandes ließen es sich auch unsere Aktiven nicht nehmen, ihre Arbeit in traditionellem Outfit zu verrichten.| Foto: Diabetiker Niedersachen (DNI)

Austausch vom Typ F

Auch viele Aktive aus unserer Typ-F-Selbsthilfe ließen sich die Gelegenheit nicht nehmen, an unserem bunt gestalteten Festzelt für Fragen und Austausch rund um Kinder mit Diabetes Typ 1 zur Verfügung zu stehen. Natürlich beteiligten sich auch bei uns organisierte Jugendliche mit Typ-1-Diabetes und kümmerten sich selbstständig um das beliebte Glücksrad. Hier riss die Schlange nicht ab und Pausen mussten kreativ erkämpft werden. Das niedrigschwellige Mitmach-Angebot ging mehr als einmal in interessante Gespräche über. Besonders das Thema Kita- und Schulbegleitung erhitzt weiterhin die Gemüter.

Hier ist durch das Überführen der speziellen Krankenbeobachtung in die Richtlinie zur Außerklinischen Intensivpflege leider gar nichts besser geworden. Im Gegenteil: Man hat den Eindruck, dass der Flickenteppich an Lösungen für einen sorgenfreien Kita- oder Schulbesuch noch komplizierter geworden ist. Für uns war dies eine Gelegenheit, unsere Forderung nach flächendeckenden Schulgesundheitsfachkräften weiter in die Köpfe zu tragen und im Bedarfsfall über die rechtliche Situation aufzuklären und gegebenenfalls passgenau zu beraten.

Auch knifflige Fragen wurden mit großer Leidenschaft beantwortet. | Foto: Diabetiker Niedersachen (DNI)

Selbsthilfe unterrepräsentiert

Der Tag der Niedersachsen 2025 in Osnabrück war mehr als ein Fest – er war ein Erlebnis. Kultur, Wissen, Austausch und nicht zuletzt Vergnügen kamen symbiotisch zusammen. Unser Stand war zentral im Bild, präsent und nahbar. Der Diabetes-Risikotest lockte, informierte und bewegte mit nachhaltiger Wirkung, unser Beratungsangebot wurde mit großem Interesse gut angenommen. Die Stimmung war größtenteils positiv, die Menschen offen und neugierig. Dieses Wochenende wird unseren Aktiven lange in Erinnerung bleiben: als Ort gelebter Gemeinschaft, als Motivation für weitere Aktionen für Aufklärung, Prävention und eine lebendige Selbsthilfe.

Nun ist die Politik am Zug und muss die Rahmenbedingungen für Engagement dieser Art besser fördern. Es war sehr auffällig, dass nur noch wenige Organisationen der Selbsthilfe sich präsentierten – viele, so vermuten wir, weil sie es sich einfach nicht mehr leisten können und die Auflagen für eine Teilnahme sehr hoch sind. Hier wünschen wir uns mehr Unterstützung aus der Politik, damit der nächste Tag der Niedersachsen in Braunschweig nicht nur bunt und laut, sondern auch informativ wird.


Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 74 (10) Seite 78-79


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  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche

    Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

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