Meilensteine der modernen Diabetologie: „Die Politik nimmt Diabetes überhaupt nicht ernst!“

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Meilensteine der modernen Diabetologie 2025
Meilensteine der modernen Diabetologie: „Die Politik nimmt Diabetes überhaupt nicht ernst!“

Die Diabetiker Niedersachsen unterwegs: Auch in diesem Jahr besuchten der Landesvorstand und unsere Selbsthilfe-Gruppen die Meilensteine der modernen Diabetologie in Berlin. An einem verregneten Sonntag lauschten wir diversen Vorträgen und kamen ins Gespräch.

diabetesDe und seine Partner hatten gerufen und wir kamen. Bereits zum dritten Mal fanden die Meilensteine der Modernen Diabetologie im Berliner Hotel Maritim proArte statt. Diesmal stand laut Ankündigung das Jubiläum „40 Jahre erster Insulinpen“ im Mittelpunkt. Im Programm selbst spiegelte sich das Thema allerdings kaum wider. Einzige Ausnahme: Leistungssportlerin, Bundesverdienstkreuzträgerin und Buchautorin Ulrike Thurm sprach über moderne Smartpens.

Adipositas im Mittelpunkt

Deutlich gewichtiger besetzt war hingegen das Thema Adipositas. Vier Programmpunkte widmeten sich Übergewicht, Ernährung und den Begleiterscheinungen. Zwei medizinische Vorträge stachen besonders hervor und lieferten spannende Einblicke. Dr. Pia Roser betonte in ihrem Vortrag „Zwischen Wunsch und Wirklichkeit – so geht Abnehmen heute“, dass sogenannte Inkretinagonisten – besser bekannt als „Abnehmspritzen“ – kein Lifestyle-Produkt seien. Sie sollten nur bei schwerer Adipositas eingesetzt werden und nur dann, wenn die Patienten sie gut vertragen. Ein klares Statement aus der Praxis, das dem gesellschaftlichen Trend zum bequemen Abnehmen mit Spritze entgegensteht.

In eine ähnliche Kerbe schlug Internist und Diabeteologe Dr. Ralf-Uwe Häußler. Sein unterhaltsamer und anschaulicher Vortrag machte deutlich: Wer Diabetes bei bestehendem Prädiabetes verhindern möchte, muss auf eine Mischung aus Bewegung, angepasster Kalorienzufuhr und langfristiger Lebensstiländerung setzen. Eine universelle Lösung gebe es laut Häußler nicht, aber laut Studien sei in ca. 60 Prozent der Fälle die Manifestation eines Diabetes Typ 2 noch zu verhindern oder zumindest bis ins hohe Alter aufzuschieben. Ganz ohne Medikamente.

Arnfred Stoppok mit Vertretern von Sanofi
Sanofi informierte über Diabetes-Früherkennung und Screenings. Im Bild unser Landesvorsitzender Arnfed Stoppok (links) im Gespräch mit Vertretern des Pharma-Unternehmens. | Bildrechte: © DNI

Heide Slawitschek- Mulle am Infostand von Diabetes-Kids.
Am Stand der Diabetes-Kids konnte Bundesverdienstkreuz-Trägerin Heide Slawitschek-Mulle den “Carbshot” SugrSugr testen. | Bildrechte: © DNI

Bunte Messe

Auf der begleitenden kleinen Produkt- und Informations-Messe drehte sich ebenfalls viel rund um Ernährung und Nährstoffaufnahme. Heide Slawitschek-Mulle, Bundesverdienstkreuz-Trägerin, Diplom-Oecotrophologin und Leiterin mehrerer unserer Selbsthilfegruppen im Schaumburger Land, nahm sich den Drink „SugrSugr“ vor – speziell entwickelt für schnelle Energie bei sinkendem Blutzuckerspiegel. Ihr Fazit: „Das mag ja funktionieren, aber ganz schön viel Chemie.“

Natürlich präsentierten auch zahlreiche Hilfsmittelhersteller ihre Produkte an interaktiven Messeständen und auch die Pharmaindustrie war vertreten. Natürlich ohne Produktwerbung, dafür mit „Patient Engagement“-Themen wie Diabetes-Früherkennung oder Adipositas-Aufklärung.

Dr. Pia Roser warnte vor Illusionen: “Abnehmspritzen” seien kein Wundermittel und kein Lifestyle-Produkt. | Bildrechte: © DNI
Dr. Ralf-Uwe Häußler stellte anschaulich dar, warum ausreichend Bewegung, die richtige Kalorienzufuhr und eine langfristigen Änderung der Lebensweise immer noch das verlässlichste Rezept zur Verhütung eines Diabetes Typ 2 sind. | Bildrechte: © DNI

Generische Grußworte

Ein weiteres großes Thema an diesem verregneten Berliner Sonntag war der Umgang der Politik mit Menschen mit Diabetes. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken sagte ihre Teilnahme erwartungsgemäß ab, schickte jedoch ein Grußwort per Videobotschaft. Darin bezeichnete sie die Veranstaltung als „Patiententag anlässlich des Weltdiabetestages“ – eine recht generische Formulierung für eine Veranstaltungsreihe, die nun seit drei Jahren unter dem gleichen Titel läuft und zumindest den Eindruck eines eher geringen  Interesses am eigentlichen Gegenstand des Grußes erweckt. Indirekt griff Dr. Jens Kröger diesen Punkt auf, als er in seinen einleitenden Worten betonte, dass der Begriff „Diabetes“ im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung inzwischen gar nicht mehr auftauche. 

Dauerbrenner Früherkennung

Die von Ministerin Warken in ihrem Vortrag mehrfach gepriesene Früherkennung von Diabetes Typ 1 bei Kindern und das Screening auf eine Veranlagung für die Autoimmunerkrankung waren im Vortragsangebot ebenfalls prominent platziert. Dr. Felix Reschke vom Kinder- und Jugendkrankenhaus auf der Bult berichtete erkennbar euphorisch aus seiner Praxis als Kinder-Diabetologe. Der junge Arzt positionierte sich in seinem Vortrag eindeutig für ausgeweitete Screenings und stellte an Fallbeispielen dar, warum es aus seiner Sicht wichtig sei, mit rechtzeitiger Früherkennung ketoazidotische Komata zu verhindern. 

Reschke ließ Gegenargumente und Bedenken aber nicht unter den Tisch fallen. Insbesondere die Unzuverlässigkeit des Screenings und dessen psychologische Komponente spielte er nicht herunter. Etwas zu kurz kam aus unserer Sicht allerdings die Förderung des Erkennens der typischen T1D-Symptome durch Kinderärzte. Hier liegt nämlich ein viel häufigerer Grund für Ketoazidosen: Symptome werden nicht erkannt oder nicht ernstgenommen und Eltern wieder nach Hause geschickt. Dafür braucht es gar keine Antikörper-Tests oder Veranlagungsscreenings, sonder einfach nur besser geschulte Kinderärzte. Besonders Familien, in denen ein Diabetes Typ 1 bisher kein Thema war, würden profitieren. 

Dr. Felix Reschke zeigte sich sehr engagiert für Früherkennung und Screenings. | © DNI
In der Abschlussrunde ging es nicht nur um Stigmatisierungserfahrungen, sondern auch um den Einfluss der Politik auf die Marginalisierung von Diabetes | © DNI

Stigmatisierung durch Marginalisierung

In der abschließenden Talkrunde zur Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes unter Leitung von Dr. Kröger schloss sich zum Ende hin dann auch ein Kreis, als Norbert Kuster, Vorsitzender der Deutschen Diabetes-Hilfe Nordrhein-Westfalen in seinem Abschlussstatement betonte, dass Probleme mit Stigmatisierung auch daherkämen, dass die Politik Diabetes nicht auf der Agenda habe. Wenig Menschen wüssten wirklich, wie die verschiedenen Typen Diabetes sich unterschieden und welche Ursachen die Erkrankung haben könnte. Als von einem LADA Betroffener könne er davon ein Lied singen. Kuster wortwörtlich: „Die Politik nimmt Diabetes überhaupt nicht ernst!“

Unser Fazit

Norbert Kusters Schlussworte bestätigten sich bereits beim einleitenden Grußwort der Bundesgesundheitsministerin: Der Name der Veranstaltungsreihe schien ihr nicht geläufig und die angesprochenen Themen beschränkten sich  in der Hauptsache auf Früherkennung und Adipositas – derzeit ja auch zwei Lieblingskinder auf Veranstaltungen in der Diabeteswelt. Wir hätten uns insgesamt mehr Diversität bei den Vortragsthemen und mehr Beiträge zum ursprünglich angekündigten Leitthema der Veranstaltung – das Jubiläum des Insulinpens – gewünscht. Die Entwicklung besserer Insuline scheint derzeit nicht lukrativ und gerade im Zusammenhang mit Insulinpens, die Millionen von Betroffenen die Therapie grundlegend erleichtert haben, wären Beiträge zu dem für viele Menschen mit Diabetes lebenswichtigen Hormon doch mehr als passend gewesen. Wir hoffen künftig auf mehr Konsistenz und Diversität  in der Themenwahl.

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  • cesta postete ein Update vor 2 Tagen, 14 Stunden

    Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa

    • Hallo cesta, ich habe gute Erfahrungen mit der WETID App gemacht. Hier erhältst du für fast alle Lebensmittel BE – Werte. Man kann auch das Portionsgewicht eingeben und erhält dann die entsprechenden BE’s.
      Die App mit Werbung war bisher kostenlos. App ohne Werbung und im Abo ist besser.

      LG von kw = Kurt mit Diabetes Typ 3c

    • Hallo Christa! Ich verwende die FDDB app. LG Sarah (Lada)

  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo Heike, oh da hast du aber auch viel geschafft. Ja ich habe die Kinder mit Diabetes bekommen und meine Kinder sind 26,25,23 und bald 19 🥰….und wie du hoffe bald wieder fit zu sein. Beruflich wechsle ich jetzt vom Kinderhospiz wieder in die Krippe da es dort vorausschaubarer ist als im Schichtdienst. In der Hoffnung der Diabetes lässt sich dort wieder besser einstellen. Eigentlich sollte ich auch die Ernährung wieder umstellen, das weiß ich aber es fällt mir so schwer. Wie ist das da bei dir. Was machen deine Werte ? Viele Grüße Astrid

    • @sveastine: Hallo liebe Astrid, sag mal kann es sein, daß du in den Wechseljahren bist? Ich habe meine schon hinter mir, aber das war zuckertechnisch eine der schwierigsten Zeiten, weil ständig alles durcheinander war. Damals war ich allein 2 x in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim zum Anpassen innerhalb von 3-4 Jahren. Die Hormonwirkungen waren der Wahnsinn. Jetzt ist es wieder deutlich ruhiger. Was hast du eigentlich für eine Versorgung? Pen? Pumpe? Insulin? Sensor?
      Ich habe die Tandem tslim mit Sensor und Novorapid. Und das ist für mich der game changer gewesen. Seitdem werden die zuckertechnischen Anstrengungen auch mit guten Werten belohnt. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hi, ja ich bin in den Wechsel Jahren schon eine ganze Weile und nehme Hormone. Das ist denke ich ist der Hauptgrund der Schwankungen, aber das geht schon seit ca 3 Jahren so, was doof ist. Ich hab das gleiche System wie du tslim und Dexcom, trotzdem schwierig.aber für Bad Mergentheim lt. Diabetologe zu gut um die Genehmigung dafür zu bekommen 🤷🏻‍♀️

    • @sveastine: Das ist ja witzig, das du dieselbe Versorgung hast. Also bist du da optimal versorgt. Jetzt verstehe ich deinen Frust. Nach den Behandlungen in Bad Mergentheim war es wenigstens eine Weile besser. Warst du schon mal in Reha wegen dem Zucker? Ist zwar nicht Bad Mergentheim, aber manche Rehakliniken machen das wohl echt gut. Du musst “nur” darauf achten, dass sie ein spezielles Angebot für Typ1er haben. Ich war 2019 in der Mediclin Klinik Stauffenberg, Durlach. Das war okay. Am wichtigsten fand ich den Austausch mit den Mitpatienten. Aber natürlich ist der Aufwand für dich bei 4 Kindern für 3 Wochen, sehr hoch. Und eine Garantie dafür das dann länger besser läuft gibt es nicht. Ich fand es aber immer wichtig, den zuckertechnischen Input und die Solidarität zu erfahren. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Nicht Durlach, sondern Durbach.

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

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