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Wie viele Kalorien, wie viel Fett, wie viele Einheiten für welche Kohlenhydrate – wir Diabetiker sind wahre Rechenmaschinen, ständig kalkulieren wir, wägen ab und gehen wahrscheinlich mehrmals am Tag mit unserer Einschätzung ein Wagnis ein. Das Ziel ist am Ende ein guter Wert, eine Zahl, die uns manchmal um den Verstand bringt. Aber dieser tägliche Wahnsinn gehört zu uns nun mal dazu.
Es gab eine Zeit in meinem Leben, da war mir diese Zahl so egal, dass ich sie gar nicht mehr ermittelt habe. Auch das Spritzen von Insulin ließ ich völlig außer Acht. Dieses Verhalten wendete ich einerseits an, weil ich rebelliert habe, gegen die Welt, gegen das Leben und am Ende vor allem gegen mich.
Zu was das führte, wissen wahrscheinlich nach diesen Zeilen schon einige – ich bekam eine Diabulimie oder, wie es damals bei mir genannt wurde, diabetische Magersucht. Auf diese Zeit möchte ich aber gar nicht direkt eingehen. Es geht mir viel eher um das, was davon übrig bleibt, es geht um diesen einen dunklen Schatten, der mich seit meinem 14. Lebensjahr täglich begleitet und der sich manchmal dunkler als an den anderen Tagen zeigt.
Mit einem BMI von knapp 24 gelte ich als normalgewichtig, nicht dünn, nicht dick, irgendetwas dazwischen. Ich habe eine ganz normale Figur, das weiß ich, zumindest mein Verstand weiß es. Meine Seele hingegen hat einen Riss aus dieser Zeit; wann diese Zeit genau anfing und wann sie endete, kann ich gar nicht sagen, aber ich spüre diesen Riss immer wieder.
Es sind auf der einen Seite körperliche Faktoren, die hinterlassen wurden, ich kenne das Gefühl von Hunger nicht, ich kann tagelang nichts essen, ohne Defizite zu spüren – auf der anderen Seite kenne ich aber auch nicht das Gefühl, gesättigt zu sein. Mich überkommt nur eine Übelkeit, wenn ich zu viel gegessen habe und somit über den natürlichen Punkt der Sättigung gegangen bin. Im Normalfall esse ich einfach sehr langsam und höre auf, wenn mein Gegenüber fertig mit seiner Portion ist. Das ist keine Absicht, kein Vorhaben, das ich plane, es passiert auch nicht immer, aber es sind Mechanismen, die nicht so ganz verschwinden wollen, ein dunkler Schatten eben.
Meine Psyche ist da schon etwas gewiefter, sie flunkert mir Dinge vor, die mich immer wieder immense Kraft kosten. Mein Blick in den Spiegel ist verzerrt, das, was ich da sehe, entspricht meiner Wirklichkeit und zeigt mir nichts, was mir gefällt.
Eine „schlechte“ Zahl auf der Waage kann mir den ganzen Tag versauen, es ist so ein Gefühl, das in mir rumort und mich den ganzen Tag bezwingt, egal, wie sehr ich versuche, es zu ignorieren. Und wenn ich mal wieder in einer Umkleidekabine stehe und die Konfektionsgröße nicht meiner Vorstellung entspricht, will ich mich einfach nur verkriechen und niemandem zeigen.
Die Krux an der Sache ist: Mir ist völlig bewusst, dass in diesen Situationen meine Seele regiert und mein Verstand einfach keine Stimme mehr hat. Trotzdem sind es genau diese Tage, an denen alles schiefläuft und dieses Gefühl gepaart mit diesen Gedanken in mir raufkommt und ich nur noch einen Gedanken in mir trage: ESSEN!
Es ist ein Zwang in mir, den ich sehr selten unterdrücken kann. Ich gehe extra einkaufen. Hauptsache fettig und kalorienreich. Ich bin an diesen Tagen alleine zu Hause, ich würde keinen Beobachter dabei zulassen. Dann esse ich, bis mein Körper aufgibt. Weil die Übelkeit und das schlechte Gewissen überwiegen. Es ist purer Wahnsinn, mich mit Essen vollzustopfen, wenn ich mich zu „dick“ fühle, aber der Riss ist an diesen Tagen besonders stark zu fühlen.
Bis vor einem halben Jahr feierten mein dunkler Schatten und ich solche Exzesse jede Woche, dann beschloss ich, meinem Therapeuten davon zu erzählen. Es hat geholfen. Das Verlangen ist immer noch da, aber ich schaffe es mittlerweile, es zu bändigen. Ich versuche, in mir zu forschen, woher dieser Drang kommt, was der Auslöser war und wie ich auf anderen Wegen damit umgehen kann.
Wenn der Drang am Ende doch gewinnt, beschränke ich mich, ich gehe nicht extra einkaufen, ich koche mir selber etwas und versuche, es zu genießen. Ich versuche dann, meine Seele zu streicheln, und nicht, mich selbst zu bestrafen.
Ich denke, dass der Riss mit seinem Schatten immer ein Teil meines Lebens bleiben wird, doch ich hoffe und bin guter Dinge, dass ich damit mal besser und mal schlechter leben kann.
Ich hatte eine Essstörung. Und da ist dieses Gefühl, das immer bleibt.
Essstörungen bei Diabetes und der schwierige Umgang mit dem Essen allgemein ist immer wieder ein Thema in der #BSLounge:
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