DiGA bei Diabetes und Depression: „Impulse aus der Hosentasche“

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DiGA bei Diabetes und Depression: „Impulse aus der Hosentasche“

Eine neue digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) setzt bei Diabetes und Depression an. Im Interview erklärt Prof. Peter Schwarz, wie sie funktioniert.

Rund 30 digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) enthält das Verzeichnis der verordnungsfähigen Apps des BfArM derzeit. Eine davon ist gedacht zur Reduktion depressiver Verstimmungen bei Menschen mit Diabetes: Über diese digitale Anwendung sprachen wir mit Prof. Dr. Peter E. H. Schwarz vom Uniklinikum Dresden. Schwarz ist Vorsitzender der AG Prävention der DDG. Er sagt, wo die App helfen kann, wie es um die Studienlage steht und welche Daten man sich noch wünscht.

Worum handelt es sich bei „HelloBetter Diabetes und Depression“?
Prof. Schwarz: Es ist eine für Typ-1- und Typ-2-Diabetes mellitus zugelassene DiGA, die den Fokus hat auf Depressionen bei Diabetespatienten. Wir wissen aus Studien, dass zwischen 25 und 54 % der Diabetespatienten eine Depression haben – bei Typ-2-Diabetes etwas mehr. Wenn wir ehrlich sind: Um die kümmert sich keiner. Für 2 bis 3 Mio. Menschen mit Diabetes gibt es also keine Therapie. Die genannte App stellt sich dem Thema, das finde ich cool.

Was genau bezweckt diese Art digitaler Therapie, was ist das Ziel?
Prof. Schwarz: Es geht darum, den Patienten mit Depression zu motivieren, damit er sich selbst aus der Situation herausmanövriert. Selbstredend ist hier, dass das nicht geht bei jemandem, der eine schwere, manifeste, medikamentös zu behandelnde Depression hat. Bei Patienten mit depressiver Stimmungslage oder mit depressiven Symptomen kann es aber funktionieren.

Können Sie das veranschaulichen?
Prof. Schwarz: Häufig haben Patienten Angstzustände: Angst vor Unterzuckerung, Angst vor Diabetes- Disstress, Unsicherheit. Das erzeugt depressive Symptome und am Ende eine Depression. Hier anzusetzen, geht online, denn Sie können Impulse dann setzen, wenn der Patient sie braucht – „Impulse aus der Hosentasche“ nenne ich das gerne.

Haben wir hier eine Versorgungslücke in Deutschland?
Prof. Schwarz: In Saudi-Arabien wird jeder Patient mit Diabetes zweimal im Jahr vom Psychologen gesehen. Wir haben in Deutschland eine Lücke, diese Bedürfnisse der Patienten in der Diabetologie zu adressieren.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der DiGA schon gemacht?
Prof. Schwarz: Sie ist erst seit Dezember auf dem Markt. Wir haben sie noch keinem Patienten ver-schrieben – aus dem stationären Sektor kann man das noch nicht bzw. es ist ungeklärt, wie das geht. Ambulante Kollegen probieren das gerade aus, die ersten dreimonatigen Kurse laufen.

Wie ist denn die Studienlage?
Prof. Schwarz: Von der App gibt es ein Vorgänger-Therapieprogramm, das von der Stiftung Warentest einst ausgewählt wurde als bestes Therapieprogramm zur Depression. Das Ganze geht zurück auf eine in „Diabetes Care“ publizierte Studie: Sie konnte zeigen, dass die Online-Therapie von der Wirkstärke der klassischen Psychotherapie sogar überlegen ist. – Wie gesagt bei jenen Patienten mit depressiver Stimmungslage und mit depressiven Symptomen. Nicht bei manifester Depression.

Also ist die DiGA in Ihren Augen gut in Studien untersucht?
Prof. Schwarz: Ja und nein: Im Hinblick auf die Depression ist sie sehr gut untersucht – Sie können zeigen, dass man eine depressive Stimmungslage signifikant verbessern kann. Das Zweite, was interessant ist: Der HbA1c ist nicht gesunken – er war aber zu Beginn der Studie bereits im Normalbereich! Es ist ja eine DiGA, die eine Indikation zur Depressionstherapie bei Diabetes hat. Durch eine Depressionsbehandlung sollte vielleicht auch der HbA1c besser werden. Nun hat man die App vordergründig entwickelt, um eine Depression zu behandeln – der HbA1c ist also nur ein sekundärer Endpunkt.

Dies ist eine Herausforderung, vor der die Anbieter stehen. Es wäre schön zu zeigen, dass bei Patienten, die die DiGA nutzen und einen hohen Ausgangs-HbA1c haben, dieser im Verlauf der Anwendung auch sinkt. Wobei: Ihnen ging es ja darum zu zeigen, dass die Depression besser wird. Und das konnte gezeigt werden – die Wirkstärke war sogar stärker als bei einer ambulanten Depressionsbehandlung. Hinsichtlich der Diabeteswirksamkeit würden wir uns in den nächsten Jahren weitere Daten wünschen.

Diabetes und Depression: „Hilfe zu bekommen, ist schwierig“

Prof. Bernd Kulzer (FIDAM Bad Mergentheim): „Nach der Diagnose einer Depression ist es schwierig, rasch psychotherapeutische Unterstützung zu bekommen.“ Er sagt:

  • „Digitale Anwendungen können unmittelbar nach der Diagnose einer Depression verschrieben und somit orts-und zeitunabhängig angewendet werden.“
  • „Der kurz-und mittelfristige Effekt ist gut und geht auch hinsichtlich der berichteten Effektstärken in die therapeutisch erwünschte Richtung.“
  • „Wünschenswert wäre, dass gleichermaßen die diabetesbezogenen Belastungen reduziert werden, da diese oft auslösende Bedingungen für erneute depressive Episoden sind.“

Welche Medienformate beinhaltet die digitale Gesundheitsanwendung?
Prof. Schwarz: Das Programm läuft ähnlich einer Psychotherapie: Sie haben einen Psychologen, den Sie ansprechen können. Immer denselben. Dann bekommt der Patient Aufgaben, Videos, Quizze, Challenges im positiven Sinne. Also viele unterschiedliche Zugangswege und Motivationsstrategien, um den Patienten bei der Stange zu halten.

Ist die DiGA eine Innovation?
Prof. Schwarz: Auf alle Fälle! Sie schließt eine Versorgungslücke. Wenn jemand mit Diabetes und depressiven Symptomen erst mal diagnostiziert wird, dann muss er zwölf Monate auf eine Therapie warten. Die Depression hat er aber heute! Wenn man mit der DiGA schon mal beginnen kann und Erfolge hat, dann ist das eine Entlastung der GKV: Die Anzahl der Patienten, die eine klassische Psychotherapie brauchen, wird geringer. Und der Patient kann sofort anfangen. In struktureller Hinsicht ist das eine klare Innovation.

Was kostet die DiGA – und ist der Preis eine Verordnungshürde?
Prof. Schwarz: Nach meiner Kenntnis 599 €. Das mag auf den ersten Blick so aussehen, dass ich als Arzt 80 €/Quartal dafür bekomme, dass ich den Patienten behandle, und die bekommen 600 €! Wenn Sie das aber mit einer Psychotherapie für 90 €/ Woche vergleichen, ist die Summe nach 1,5 Monaten aufgebraucht. Im Vergleich zur Psychotherapie ist die DiGA nicht teuer, sondern günstig. Im Vergleich zur Diabetestherapie ist die Anwendung teuer.

Die DiGA braucht kein Erprobungsjahr – sie ist endgültig zugelassen. Wieso?
Prof. Schwarz: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat die DiGA geprüft in puncto Datensicherheit und Wirksamkeit und festgestellt, dass es eine hochwirksame Therapie ist. Dies muss nicht erneut in Studien nachgewiesen werden. Grundsätzlich gibt es bei den digitalen Anwendungen den „Fast Track“, das vorläufige Zulassungsverfahren: Man muss in Studien zeigen, dass man mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wirksamkeit erwarten kann. In den Prüfunterlagen muss man darlegen, wie man die Wirksamkeit nachweisen will in dem Erprobungsjahr. HelloBetter hat den Fast Track nicht gebraucht, weil die vorhandenen Studiendaten so gut waren, dass das BfArM sie sofort zugelassen hat. Was sie geschafft haben, ist zu zeigen, dass klassische Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie in ein digitales Format umgesetzt werden können. Hier muss ich sagen: Das ist schon cool.



Interview: Günter Nuber

zuerst erschienen in diabetes zeitung 4/2022

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