DIAlog 14: Das Doppelleben

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DIAlog 14: Das Doppelleben

Diabetes all inclusive

Zugebenermaßen wäre ich wohlmöglich auch ohne Diabetes hier gelandet. Aber zumindest hat es definitiv nicht geschadet, schon so früh mit all dem in Kontakt zu kommen, was bei Diabetes ein All-inclusive-Paket ist: Krankenhäuser, Ärzte, Medikamente, Spritzen, Gesundheit. Der Anblick von meinen eigenen Bluttropfen war jahrelang vor allem eines – absolut normal.

Und anstatt mich abzuschrecken, hat es mich damals fasziniert. Ich verstand mit acht Jahren zum ersten Mal, dass in unserem Körper so viel mehr geschieht als ein Herz, das schlägt, und Lungen, die atmen. Dass etwas kaputtgehen kann, was nicht mehr mit einem Pflaster und einem Kuss von Mama wieder heile wird.

Quelle: Huda El Hajsaid

Ich wollte mehr wissen, mehr verstehen. Plötzlich kam mir jeder Mensch wie eine Wundermaschine vor. Also begann sie, die Liebe für Medizin. Und sie verließ mich nicht, auch in den Jahren, in denen ich Schlachtfelder voller Wut in mir selbst hinterließ.

Das Interview

„Ich habe mal ein Interview über dich geführt“, erzählte ich dem Diabetes also eines Tages, gekonnt meine anstehenden Klausuren ignorierend, „es wurde nicht in der ursprünglich geplanten Form veröffentlicht, weil jemand Sorge geäußert hatte, es könne sich negativ auf meine Chancen auswirken, einen Studienplatz zu bekommen.“

„Warte, was? Wegen mir?“ Der Diabetes sah mich erschrocken an.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nicht weil es dich gab. Sondern weil ich darüber geredet hatte, wie schwierig es mir lange fiel, mit dir umzugehen.“

„Aber das ist doch Unsinn. Ich bin ja schwierig. Das sagt doch nichts über deine späteren Kompetenzen als Ärztin aus.“

„Das tut es nicht und ich weiß, dass man das auch nicht implizieren wollte. Letztlich wollte man nichts riskieren, was später Konsequenzen für mich und meine Zukunft haben könnte, und ich kann es irgendwie nachvollziehen, wirklich. Ich will niemandem böse Absichten unterstellen.“ Ich seufzte. „Aber trotzdem – in dem Moment, als ich diese Nachricht gelesen habe, habe ich mich ganz klein gefühlt. Verletzt. Selbst wenn es nicht beabsichtigt war, die Aussage ist hängengeblieben. Vor allem, weil ich damals gerade erst angefangen hatte, mich öffentlich zu äußern, und mich das zutiefst verunsichert hat.

Offensichtlich hielt das nicht lange an und ich habe weiter über dich geschrieben. Aber manchmal, an den besonders schlechten Tagen, kann ich nicht anders, als mich zu fragen, ob nicht doch ein klitzekleines bisschen Wahrheit drinsteckt. Wie ich meinen Patient:innen Ratschläge geben soll, in dem Wissen, dass ich die meiner Ärzte selber oft ignoriert habe. Ob das nicht total scheinheilig von mir ist.“

„Oh, Huda.“ Der Diabetes kommt mir näher. „Du warst ein Kind. Kinder machen Sachen, die nicht gut für sie sind. Meine Güte, Erwachsene doch auch. Aber guck uns mal an, jetzt kommen wir doch miteinander aus. Das ist doch, was zählt.“

Was dir kein Lehrbuch beibringt

„Das ist mir bewusst, wirklich. Manchmal ist es ja auch komplett andersherum – da sitze ich in einem Kurs und realisiere, dass, selbst Patientin zu sein, mir Einblicke und Erkenntnisse gibt, die ich nur in meiner Rolle als Studentin oder später auch Ärztin nicht hätte. Wenn ich sage ‚Ich kann verstehen, dass das schwierig ist‘, dann ist das mehr als nur eine Phrase.“

Quelle: Huda El Hajsaid

„Eine Kommilitonin von mir hat im Biochemiekurs mal einen Vortrag über dich gehalten und obwohl inhaltlich alles richtig war, konnte es trotzdem nicht annähernd an meine Lebensrealität herankommen. Und das ist nicht als Vorwurf gemeint – es ist lediglich eine Feststellung. Denn wie oft werde ich noch Zwanzig-Minuten-Vorträge hören und mir danach denken, „alles klar, jetzt weiß ich Bescheid“, und dabei vergessen, dass diese zwanzig Minuten jemand anderes zwanzig Jahre sind? In diesem Studium lernt man unglaublich viel, keine Frage. Ich konnte leider mal (hab’ sie nämlich schon längst wieder vergessen) sämtliche Schritte der Glukoneogenese samt komisch klingender Enzyme, weiß, was ein GLUT-4-Rezeptor ist oder wie Beta-Zellen unter dem Mikroskop aussehen. Aber ich weiß nur, wie es ist, Diabetes zu haben, weil ich selber damit lebe. Das kann dir kein Lehrbuch beibringen. Und das ist auch in Ordnung so – ich muss nicht alle Krankheiten selber haben, um sie behandeln zu können, das wäre ein wenig unpraktisch. Genauso wenig ist mein Diabetologe ein schlechterer Arzt, weil er selber keinen Diabetes hat. Aber die Erfahrungen der Patienten sind wichtig, das darf man nicht vergessen.“

Ich lächelte den Diabetes an. „Ich verstecke dich nicht mehr und ich verstecke auch mich nicht. Wir sind gemeinsam hier angekommen und wir gehen gemeinsam weiter. Ich werde nicht lügen und behaupten, es wäre immer alles super gewesen, nur, damit irgendwelche Menschen mich nicht verurteilen. Es war nicht alles super. Aber ich habe nie aufgegeben und deshalb werde ich auch nie aufhören, darüber zu sprechen. Macht mich das unprofessionell? Vielleicht. Aber es macht mich vor allem menschlich. Und das darf ich sein – das will ich sein.“


Wusstest du, dass Huda eine Menge Dialoge mit ihrem Diabetes in der BSL veröffentlicht hat? Hier kommst du zu all ihren spannenden, nahegehenden Beiträgen.

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  • carogo postete ein Update vor 1 Tag, 8 Stunden

    Hallo zusammen! Ich habe mich mit einer Freundin über die Rezepte in der Zeitschrift unterhalten und wir haben uns gefragt, was es eigentlich konkret mit den Nähwertangaben und der Unterscheidung zwischen Kohlenhydraten und anrechnungspflichtign KH auf sich hat?

    • Das wüsste ich auch gerne.

    • Liebe Carogo,
      anrechnungspflichtige KH sind Kohlenhydrate, die den Blutzuckerspiegel erhöhen. Es gibt auch KH, die nicht direkt blutzuckersteigernd wirken und damit für die Insulintherapie nicht oder nicht voll angerechnet werden müssen, wie bspw. Ballaststoffe oder KH, die nur sehr langsam den Blutzucker beeinflussen.
      VLG
      Gregor aus der Diabetes-Anker Redaktion

    • @gregor-hess: danke für die Antwort! Könntest du hierfür mal Beispiele nennen?

  • cesta postete ein Update vor 1 Woche, 4 Tagen

    Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa

    • Hallo cesta, ich habe gute Erfahrungen mit der WETID App gemacht. Hier erhältst du für fast alle Lebensmittel BE – Werte. Man kann auch das Portionsgewicht eingeben und erhält dann die entsprechenden BE’s.
      Die App mit Werbung war bisher kostenlos. App ohne Werbung und im Abo ist besser.

      LG von kw = Kurt mit Diabetes Typ 3c

    • Hallo Christa! Ich verwende die FDDB app. LG Sarah (Lada)

    • @kw: Vielen lieben Dank für den Tipp!

    • @moira: Vielen lieben Dank für den Tipp!

  • sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 3 Wochen

    hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • mayhe antwortete vor 3 Wochen

      Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo Heike, oh da hast du aber auch viel geschafft. Ja ich habe die Kinder mit Diabetes bekommen und meine Kinder sind 26,25,23 und bald 19 🥰….und wie du hoffe bald wieder fit zu sein. Beruflich wechsle ich jetzt vom Kinderhospiz wieder in die Krippe da es dort vorausschaubarer ist als im Schichtdienst. In der Hoffnung der Diabetes lässt sich dort wieder besser einstellen. Eigentlich sollte ich auch die Ernährung wieder umstellen, das weiß ich aber es fällt mir so schwer. Wie ist das da bei dir. Was machen deine Werte ? Viele Grüße Astrid

    • @sveastine: Hallo liebe Astrid, sag mal kann es sein, daß du in den Wechseljahren bist? Ich habe meine schon hinter mir, aber das war zuckertechnisch eine der schwierigsten Zeiten, weil ständig alles durcheinander war. Damals war ich allein 2 x in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim zum Anpassen innerhalb von 3-4 Jahren. Die Hormonwirkungen waren der Wahnsinn. Jetzt ist es wieder deutlich ruhiger. Was hast du eigentlich für eine Versorgung? Pen? Pumpe? Insulin? Sensor?
      Ich habe die Tandem tslim mit Sensor und Novorapid. Und das ist für mich der game changer gewesen. Seitdem werden die zuckertechnischen Anstrengungen auch mit guten Werten belohnt. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hi, ja ich bin in den Wechsel Jahren schon eine ganze Weile und nehme Hormone. Das ist denke ich ist der Hauptgrund der Schwankungen, aber das geht schon seit ca 3 Jahren so, was doof ist. Ich hab das gleiche System wie du tslim und Dexcom, trotzdem schwierig.aber für Bad Mergentheim lt. Diabetologe zu gut um die Genehmigung dafür zu bekommen 🤷🏻‍♀️

    • @sveastine: Das ist ja witzig, das du dieselbe Versorgung hast. Also bist du da optimal versorgt. Jetzt verstehe ich deinen Frust. Nach den Behandlungen in Bad Mergentheim war es wenigstens eine Weile besser. Warst du schon mal in Reha wegen dem Zucker? Ist zwar nicht Bad Mergentheim, aber manche Rehakliniken machen das wohl echt gut. Du musst “nur” darauf achten, dass sie ein spezielles Angebot für Typ1er haben. Ich war 2019 in der Mediclin Klinik Stauffenberg, Durlach. Das war okay. Am wichtigsten fand ich den Austausch mit den Mitpatienten. Aber natürlich ist der Aufwand für dich bei 4 Kindern für 3 Wochen, sehr hoch. Und eine Garantie dafür das dann länger besser läuft gibt es nicht. Ich fand es aber immer wichtig, den zuckertechnischen Input und die Solidarität zu erfahren. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Nicht Durlach, sondern Durbach.

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