Johann Sebastian Bach war Diabetiker – und schaffte es, sich nicht entmutigen zu lassen

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Johann Sebastian Bach war Diabetiker – und schaffte es, sich nicht entmutigen zu lassen

Kennt ihr das? Wenn ich höre, dass dieser oder jener Prominente Diabetes hat, dann möchte ich auf einmal alles darüber erfahren – auch wenn mich sein Leben bislang überhaupt nicht groß interessiert hat. So ging es mir auch bei der DDG-Herbsttagung im November 2016 in Nürnberg, als bei der Eröffnungsveranstaltung der Psychiater Prof. Peer Abilgaard aus Duisburg über den Umgang von Johann Sebastian Bach mit seinem Typ-2-Diabetes sprach. Wenn man sich Bilder von Johann Sebastian Bach anschaut, die ihn in der Regel mit… nun ja… etwas kräftigerer Statur zeigen, dann wundert einen eigentlich nicht, dass er vermutlich mit genau den gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, die Übergewichtigen auch heute zusetzen: Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen. Tatsächlich geht die Wissenschaft heute davon aus, dass Bach alles andere als gesund war. Er litt wahrscheinlich unter einem nicht entdeckten Typ-2-Diabetes, durch den er kurz vor seinem Tod auch erblindete. Als Todesursache vermutet man einen Schlaganfall, dem möglicherweise bereits einmal ein weiterer Schlaganfall vorausgegangen war.

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Tod der ersten Ehefrau, 10 von 20 Kindern selbst begraben

Doch auch abseits von seinen verschiedenen gesundheitlichen Problemen musste der Komponist im Laufe seines Lebens schwere Schicksalsschläge und Belastungen hinnehmen. „Bach war mit zehn Jahren Vollwaise und mit zwölf Jahren nach dem Tod seines Onkels dann ganz auf sich allein gestellt“, berichtete Prof. Abilgaard. „Als seine erste Ehefrau starb, war er gerade auf Konzertreise. Sie war bereits seit vier Wochen beerdigt, als er zurückkehrte.“ Bach heiratete ein zweites Mal, mit seinen beiden Ehefrauen hatte er insgesamt 20 Kinder. „Von diesen 20 Kindern musste er zehn selbst begraben – all das war auch Ende des 17. Jahrhunderts hart!“, sagte der Psychiater. Daneben seine körperlichen Erkrankungen, außerdem über lange Zeit mangelnde Anerkennung für seine Arbeit. „Trotzdem hatte Bach den Ehrgeiz, jeden Sonntag im Gottesdienst eine frisch komponierte Kantate zu präsentieren. Er war also unglaublich resilient, wie man heute sagt“, erklärte Prof. Abilgaard. „Doch was war sein Überlebenskonzept? Woher rührt seine Schaffenskraft?“

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Bach war, wie man heute sagt, äußerst resilient

Wenn Leid also eine „gesetzte Größe“ ist, wie kann man mit diesem Leid besser umgehen? Wie kann man, neudeutsch gesagt, Resilienz entwickeln? Der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky und die Entwicklungspsychologin Emmy Werner gelten als die Begründer des Konzepts der Resilienz und der „Salutogenese“ (zu Deutsch: Entstehung und Aufrechterhaltung von gesunden Situationen und Menschen). Zur Überlebenskunst gehören demnach

  • Humor
  • dem Schmerz eine Stimme geben
  • Hoffnung vermitteln
  • Akzeptanz fördern
  • Optimismus
  • Wissen und Intelligenz
  • Vielstimmigkeit
  • Freundschaft, Begegnung und Freunde
  • kulturelle bzw. spirituelle oder religiöse Stabilität

Tochter liebt Kaffee über alle Maßen – Vater nimmt’s mit Humor

Seinen Humor bewies Bach zum Beispiel mit seiner berühmten „Kaffeekantate“ (Bachwerkeverzeichnis BMV 211), zu der ihn wohl seine Tochter inspirierte, die leidenschaftlich gern Kaffee trank, obwohl ihr Vater dies nicht guthieß. Tochter Liesgen war schließlich bereit, auf den Genuss des geliebten „Schälchen Coffee“ zu verzichten, wenn sie statt dessen heiraten durfte. Allerdings beschloss sie, jeden Heiratsanwärter abzuweisen, der ihr den Kaffeegenuss verbieten wollte. Ihren Vater scheint das letztlich mehr amüsiert als geärgert zu haben, wenn man sich den Text der Kantate anschaut:

“Ei! wie schmeckt der Coffee süße,
Lieblicher als tausend Küsse,
Milder als Muskatenwein.
Coffee, Coffee muß ich haben,
Und wenn jemand mich will laben,
Ach, so schenkt mir Coffee ein!”

Dem Schmerz, aber auch der Hoffnung eine Stimme geben

Doch Bach hatte natürlich auch seine düsteren Momente, die man ebenfalls in seiner Musik wiederfindet. Ich muss gestehen, dass ich sofort einen Kloß im Hals verspürte, als Prof. Abilgaard die Arie „Es ist genug“ (BWV 60) einspielte, die Bach komponierte, kurz nachdem seine kleine Tochter gestorben war. Nun habe ich zum Glück noch kein Kind zu Grabe tragen müssen, aber ich kenne natürlich mutlose Momente, in denen mir alles einfach zu viel ist und zu denen der Diabetes gern einen ordentlichen Teil beiträgt. Ja, Bach war ganz sicher in der Lage, seinem Schmerz eine Stimme zu geben. Ebenso gelang es ihm, Hoffnung zu vermitteln, wie Prof. Abilgaard uns mit dem Choral „In expecto“ aus der h-Moll-Messe (BWV 232) verdeutlichte. Er fängt ganz leise, bedrückt und getragen an und steigert sich dann in ein fulminantes und stimmgewaltiges Finale, das einem beinahe bildlich vor Augen führt, wie Bach die zahlreichen düsteren Momente seines Lebens überwand und Hoffnung schöpfte.

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Über Spiegelneuronen in Kontakt mit dem längst verstorbenen Bach

Dieses Einfühlen, das ich und alle anderen Kongressbesucher in diesem Moment erlebten, hat übrigens mit den Spiegelneuronen in unserem Gehirn zu tun. Spiegelneuronen sind ein Resonanzsystem im Gehirn, das uns überhaupt erst zu mitfühlenden Wesen macht. Sie sorgen dafür, dass ein Mensch dieselben Gefühle empfindet wie sein Gegenüber, obwohl er eigentlich nur Beobachter ist. Wir kennen das, wenn wir im Kino anfangen zu heulen, weil uns der Film so berührt, oder wenn uns der Liebeskummer einer Freundin selbst das Herz bricht. Abilgaard sagte dazu mit Blick auf Bach sehr schön: „Ich finde es immer wieder verblüffend, wie man über seine Spiegelneuronen mit einem Menschen in Kontakt treten kann, der schon lange tot ist.“

Selten zuvor hat mich eine Kongress-Eröffnung so bewegt und zum Nachdenken angeregt. Und ich kam zu dem Schluss: Eigentlich passiert hier in der Blood Sugar Lounge und auf anderen Diabetes-Blogs auch nichts anderes: Wir geben unserem Schmerz, unserem Frust, aber auch unserer Hoffnung im Umgang mit unserer Erkrankung eine Stimme. Und wer unsere Beiträge liest, erkennt sich selbst (hallo, Spiegelneuronen!) vielleicht darin wieder oder fühlt einfach nur mit uns, weil er auf einmal ein bisschen nachempfinden kann, wie es ist, mit Diabetes zu leben.

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • moira antwortete vor 1 Woche

      Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 1 Tag

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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