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„Dieses andauernde Messen und Spritzen – ich kann das nicht mehr, das muss doch auch einfacher gehen.“ Diesen Wunsch äußern viele ältere Betroffene mit Typ-1-Diabetes, aber auch zunehmend deren Angehörige oder Pflegende, die mit in der Verantwortung für die Behandlung sind.
Ältere Menschen mit Typ-1-Diabetes durchlaufen oft eine (lebens-)lange Diabetesgeschichte, sind sehr erfahren im Umgang mit der Erkrankung und haben verschiedenste Therapie-Formen erlebt. Das reicht von der Therapie mit Insulinen von Schwein oder Rind über gentechnisch hergestelltes Humaninsulin bis zur Therapie mit Insulinpumpen und Insulinanaloga. Technisch verfeinerte Dosierhilfen, z.B. Fertigpens, und intelligente Glukose-Messsysteme haben präzise Insulingaben möglich gemacht und das Leben mit Typ-1-Diabetes vereinfacht.
Das Alter bringt aber neue Herausforderungen mit sich. Abnehmende Leistungsfähigkeit, körperliche Gebrechlichkeit inklusive Feinmotorik und nachlassende Denkfähigkeit erschweren den Alltag mit der Insulintherapie. Hier gilt es, die Menschen sicher und selbstbestimmt durch den Tag zu begleiten, damit Autonomie und Selbstwertgefühl erhalten bleiben. Da die Lebenserwartung zunimmt, sind Ärztinnen und Ärzte mit dem Management des Typ-1-Diabetes bei älteren Menschen viel öfter konfrontiert. Es ist also auch Abwägung der Behandelnden, welches Therapieregime wem wann zugetraut und zugemutet werden kann.
Oberstes Gebot für alle älteren Menschen mit Diabetes ist das Verhindern von Unterzuckerungen (Hypoglykämien). Im Alltag führen Hypoglykämien vermehrt zu Unfällen, sie erhöhen das Risiko für Stürze, verringern die Selbstständigkeit und führen zu geistigen Einbußen. Das Therapieschema sollte sowohl zum körperlichen als auch zum geistigen Zustand passen, es darf weder funktionell noch geistig überlasten. Die Menschen müsssen schlichtweg in der Lage sein, die Insulintherapie selbstständig praktisch und gedanklich umzusetzen.
In der Therapie des Typ-1-Diabetes spielt Technik eine große Rolle. Für das Bedienen einer Insulinpumpe benötigt man technische Kenntnisse und die Fähigkeit zum Feinjustieren. Viele Menschen mit Typ-1-Diabetes haben Erfahrung mit der intensivierten Insulintherapie oder auch der Insulinpumpen-Therapie in jüngerem und mittlerem Lebensalter gesammelt. Daher stellt sich bei alten, also geriatrischen Patienten im Lauf der Erkrankung die Frage, ob eine solche Therapie weiterhin sinnvoll fortgesetzt werden kann.
Zunehmendes Alter und Nachlassen geistiger sowie feinmotorischer Fähigkeiten können das Anwenden dieser Therapieformen einschränken. Dies stellt sowohl für die Betroffenen als auch für die Behandelnden eine Herausforderung dar. Es ist deshalb sinnvoll, mit objektiven Tests die wichtigsten Parameter zu untersuchen. Einer dieser Tests ist der Geldzähltest nach Nikolaus, bei dem ein bestimmter Geldbetrag zu zählen ist. Auch das korrekte Durchführen von Glukosemessungen und Insulin-Injektionen ist regelmäßig zu überprüfen.
Tests zum Einschätzen des geistigen Vermögens dienen dem Einschätzen der körperlichen Fähigkeiten. Diese Tests helfen den Behandelnden, die persönlichen Fähigkeiten der Patientinnen und Patienten zu bewerten und ggf. die Therapie zu vereinfachen.
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hat sich insbesondere mit der Arbeitsgruppe “Geriatrie & Pflege” intensiv um Vereinfachungskonzepte einer zunehmend technisierten Therapie des Typ-1-Diabetes bemüht und für die Altersgruppe Therapieziele definiert:
Es geht also primär nicht mehr um die letzte Nachkommastelle beim Langzeit-Zuckerwert, dem HbA1c-Wert, und um das Verhindern neu auftretender Folgekomplikationen oder das Management aller Laborwerte.
Bei der Behandlung der älteren Menschen mit Diabetes geht es darum, sicher die Insulintherapie durchzuführen im Zusammenspiel mit altersbedingten Problemen wie Unbeweglichkeit, Inkontinenz, intellektuellem Abbau und Isolation. Besonders wichtig dabei ist das Verhindern schwerer Hypoglykämien. Das alltägliche Leben, die Umsetzbarkeit für die Betroffenen, ihr Umfeld und vor allem der Erhalt der Lebensqualität und der Selbstständigkeit mit gesellschaftlicher Teilhabe stehen hier im Vordergrund.
Es ist wichtig, dies im Gespräch gemeinsam mit der Ärztin oder dem Arzt und den Angehörigen regelmäßig zu überprüfen. Technische Methoden wie kontinuierliches Glukose-Monitoring (CGM) können durch die Alarme bei niedrigen und hohen Werten entlasten und Sicherheit im Alltag vermitteln. Komplexe Therapie-Schemata, für die häufige Blutzuckermessungen nötig sind und bei denen die Insulindosen stark variiert werden, könnten durch feste Insulindosen abgelöst werden, was allerdings regelmäßige Gewohnheiten beim Essen voraussetzt. Dies bedeutet unter Umständen ein weniger variables Leben, wobei aber die therapeutische Sicherheit überwiegt.
Es gilt, vorhandene Begleiterkrankungen in Schach zu halten, ganz vergessen werden dürfen sie nicht. Auch wenn ein höheres HbA1c-Ziel vereinbart wird, darf es nicht aus den Augen verloren werden. “Frei von Unterzuckerungen” muss das Ziel sein, darf aber nicht in andauernder Hyperglykämie mit hohen HbA1c-Werten, z.B. 10 % bzw. 86 mmol/mol, münden.
Schulungen und das Erhalten des Bewusstseins für die Erkrankung Diabetes sind wichtige Meilensteine auch in der Betreuung der älteren und hochbetagten Menschen mit Diabetes. Die Therapieform sollte einfach, aber effektiv sein, immer mit dem Gedanken, dass die normnahe Stoffwechsel-Situation einen positiven Beitrag leistet, um die übrigen altersbedingten Beschwerden nicht zu verschlechtern. Daher sollten strukturierte Schulungsprogramme auch Älteren angeboten werden. Auch Angehörige und Pflegende können in die Schulung integriert werden.
Die Vermittlung des Wissens sollte klar, übersichtlich und nah an der Praxis erfolgen, damit die Betroffenen einen Nutzen und die Umsetzbarkeit für ihren Alltag erkennen sowie mehr Sicherheit in ihrer Therapie erlangen. Dazu eignet sich z.B. die “Strukturierte Geriatrische Schulung” (SGS) mit dem Titel “Fit bleiben und älter werden mit Diabetes”.
Die Betroffenen sollen mit ihrem Typ-1-Diabetes aktiv bleiben, selbst entscheiden und sich in ihren Aktivitäten nicht eingeschränkt fühlen. Die intensivierte Insulintherapie kann durch feste Vorgaben von Insulindosen eine Vereinfachung darstellen, was allerdings eine geregelte Einnahme von Mahlzeiten erfordert. Dies muss mit den Patientinnen und Patienten besprochen werden. Auch die Therapie mit einer Insulinpumpe kann, wenn die individuellen Voraussetzungen passen, bis ins hohe Alter fortgesetzt werden. Wenn allerdings die geistigen Leistungen eine aufwendige Insulintherapie nicht sicher zulassen, muss eine Vereinfachung erfolgen, z.B. durch eine konventionelle Insulintherapie mit regelmäßigen Gaben eines Mischinsulins.
Begleiterkrankungen wie ein hoher Blutdruck (arterielle Hypertonie), Herz- und Nieren-Schwäche sind effektiv, aber möglichst einfach zu therapieren. Damit ist ein zuverlässigeres Umsetzen der Therapie zu erzielen und eine Übertherapie zu vermeiden.
In einer zunehmend alternden Bevölkerung auch mit Typ-1-Diabetes verändern sich die Ansprüche an die Therapie mit dem Lebensalter. Die Komplexität der Behandlung, aber auch das therapeutische Ziel sind den geistigen und körperlichen Fähigkeiten der Betroffenen anzupassen. Sich nur auf die Glukosewerte zu konzentrieren und anhand des HbA1c zu bewerten, wird der komplexen Situation der älteren Menschen nicht gerecht. Vielmehr geht es um den Erhalt der Lebensqualität, Autonomie und therapeutische Sicherheit, um ein möglichst symptomfreies Leben ohne Hypoglykämien zu ermöglichen.
von Dr. Young Hee Lee-Barkey
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2024; 72 (6) Seite 18-20
5 Minuten
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