Besserer Herzschutz ist kein Hexenwerk

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Besserer Herzschutz ist kein Hexenwerk

Karl Lauterbach stellt gern heraus, dass er ein Gesundheitsminister aus der Welt der Medizin ist. Er liest aktuelle Studien in wissenschaftlichen Fachzeitschriften und kommentiert sie auf Twitter (heute X) und er plaudert auch gern über seine persönlichen Kontakte mit den Expertinnen und Experten, die diese Studien verfasst haben. Ende Juli hat der promovierte Arzt sogar wieder selbst in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, dem "European Journal of Epidemiology". So weit, so ungewöhnlich – politisch interessant ist aber das Thema des von ihm und dem Kölner Kardiologen Prof. Dr. Stephan Baldus verfassten Kommentars: "Präventions-zentrierte Gesundheitsversorgung in Deutschland – eine Nation, die die Wende schaffen muss"lautet der Titel, übersetzt aus dem Englischen. Die Lebenserwartung sei in den entwickelten Ländern zuletzt nicht mehr so schnell gestiegen wie bisher, trotz deutlicher Anstiege bei den Gesundheitsausgaben. Und für Deutschland gelte dies insbesondere. Von einer "klaren Leistungsschwäche" im direkten Vergleich mit anderen Industrieländern schreibt der Minister, und das trotz der guten Voraussetzungen hierzulande nicht nur bei der finanziellen Ausstattung des Gesundheitssystems, sondern auch einer immer noch robusten Wirtschaft, niedrigen Armuts- und Kriminalitätsraten sowie einer leicht zugänglichen Infrastruktur. Die Daten, auf die sich Lauterbach und Baldus beziehen, würden insbesondere bei der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland einen Exzess gegenüber unseren europäischen Nachbarn zeigen und dieser sei zu einem großen Teil einer schwächeren Leistung bei der allgemeinärztlichen Versorgung und der Krankheits-Prävention zuzuschreiben.

Ein Politiker und erst recht ein Minister würde eine solche Bestandsaufnahme intelligenterweise nur veröffentlichen, wenn dahinter ein Programm steckt. Tatsächlich findet sich in der Arbeitsplanung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) die Vorgabe, bis zum Herbst 2023 Eckpunkte für eine Gesetzesinitiative zur besseren Vorsorge und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzulegen. Thomas Müller, Abteilungsleiter im BMG für Arzneimittel, kündigte auf der Veranstaltung "Diabetes 2030" Mitte September eine solche Initiative an: "Wir glauben, dass wir von dem Dogma ‚Verhaltensänderung allein‘ etwas wegkommen müssen hin zu einer aktiven medikamentösen Beeinflussung", gab er einen Ausblick. Das beziehe sich mehr auf Bluthochdruck und Cholesterin, noch nicht auf Adipositas oder Diabetes. Bei der medikamentösen Blutdruck- und Cholesterin-Einstellung finde man Deutschland eher im unteren Drittel, da müsse man besser werden. Auch bei der Tabak-Prävention sei Deutschland nicht eben Vorreiter, wie Müller es vorsichtig ausdrückte, die Weltgesundheitsorganisation habe Deutschland dazu sogar gerügt. Beratungen zu einer solchen Herz-Strategie laufen, Müller bremste etwas die Erwartungen: "Wir sehen schon, dass das auch ein dickes Brett ist."

Allianz gegen Herz-Sterblichkeit

Als ersten Schritt in die richtige Richtung kann man die im Frühjahr gegründete Nationale Herz-Allianz sehen. Hier hat das BMG die Schirmherrschaft, versammelt sind sämtliche medizinischen Fachgesellschaften aus dem Bereich Herz-Kreislauf-Gesundheit und auch die Patienten-Vertretung. Sie ist hervorgegangen aus der Erarbeitung eines Positionspapiers für eine nationale Herz-Kreislauf-Strategie, das im Herbst 2021 veröffentlicht worden war.

Lauterbach und Baldus schreiben, dass die Primärprävention durchaus ein zentraler Bestandteil des Kampfs gegen die Herz-Kreislauf-Sterblichkeit bleiben wird. Für Maßnahmen, mit denen das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen von vornherein zu verhindern ist, nennen sie Japan als Beispiel: Dort gebe es eine gesetzliche Verankerung der Primärprävention und eine nationale Strategie dafür. Sie beinhalte Leitlinien für bevölkerungsweite Gesundheitstests, eine nationale Gesundheits- und Ernährungsbefragung und Anreize für gesundes Verhalten. Zudem werde schon lange Wert darauf gelegt, an Schulen gesunde Nahrungsmittel anzubieten, Ernährung sei zudem offizieller Teil des Lehrplans.

Dänemark und Schweden nennen beide Autoren als Vorbilder, wenn es um Verfügbarkeit und Nutzung von Gesundheitsdaten geht, auch das ist laut Herz-Allianz eine Baustelle. Hier verweisen Lauterbach und Baldus auf die geplante Opt-out-Regelung bei der elektronischen Patientenakte (ePA) noch diesen Herbst und nennen als Ziel, dass bis Herbst 2025 80 Prozent der Versicherten in Deutschland eine solche elektronische Krankenakte nutzen.

Hochgradig kosteneffizient seien Screeningprogramme für Störungen des Fettstoffwechsels oder Bluthochdruck. Man müsse nur rund ein Zehntel der Menschen untersuchen wie bei der Krebsvorsorge, um einen Todesfall zu vermeiden, so der Minister. Allerdings gehört dazu dann auch eine Behandlung nach dem Stand der Wissenschaft, und auch hier liegt in Deutschland noch einiges im Argen: Weniger als 20 Prozent der Hoch-Risiko-Patientinnen und -Patienten für Atherosklerose in Deutschland erreichen zum Beispiel die gewünschten Zielwerte beim "schlechten" LDL-Cholesterin.

Positive Erwähnung finden im Lauterbach-Papier auch die Niederlande, die ein spezielles Screening-Programm für erblich bedingt hohe Konzentrationen von LDL-Cholesterin etabliert haben, die familiäre Hypercholesterinämie. In Deutschland werden weniger als 5 Prozent der Fälle dieser relativ häufigen Erbkrankheit erkannt.

Keine dieser Maßnahmen sei grundsätzlich neu oder utopisch, sie würden in anderen Ländern teilweise seit Jahren erfolgreich praktiziert, betonte die Nationale Herz-Allianz. Konkret unterstützt sie bereits das Pilotprojekt "Vroni im Norden" zum Entdecken der familiären Hypercholesterinämie sowie ein Projekt zur Früherkennung der noch symptomlosen Herzschwäche über den leicht von Hausärztinnen und -ärzten zu bestimmenden Biomarker NTpro-BNP.

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Marcus Sefrin

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