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50. Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Diabetesforschung (EASD) in Wien: Am 16. September eröffneten EASD-Präsident Prof. Andrew Boulton und Prof. Raimund Weitgasser aus Salzburg die Tagung. 17.501 Teilnehmer diskutierten auf dem größten internationalen Diabeteskongress der Welt wichtige Forschungsergebnisse und neue Ideen zur Diabetestherapie.
Anlässlich des 50. Geburtstages der EASD hielt Prof. Guntram Schernthaner aus Wien einen bemerkenswerten Vortrag über die Entwicklung der Diabetesbehandlungen in den letzten 50 Jahren. Dank moderner Schulung und Behandlung ist es in vielen Ländern zu einer deutlichen Verminderung der Folgekatastrophen des Diabetes gekommen. Die Lebenserwartung der Menschen mit Diabetes hat erheblich zugenommen und sich in einigen Ländern an die Lebenserwartung der Menschen angenähert, die keinen Diabetes haben.
Prof. Schernthaner berichtete über beeindruckende Ergebnisse aus den USA, die vor kurzer Zeit im berühmten New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden: Bei Menschen mit Diabetes kommt es in den USA um die Hälfte seltener zu Herzinfarkten, Schlaganfällen, Amputationen und Nierenversagen, wenn man die Jahre 1990 und 2010 vergleicht – eine deutliche Verbesserung. Auch in Europa, besonders in den skandinavischen Ländern, gibt es ähnliche Ergebnisse. Der Vortrag ist unter www.easd.org frei verfügbar.
Gelungen ist dies laut Prof. Schernthaner vor allem durch die Einführung der Selbstkontrollmessungen und der Schulung zur Selbstbehandlung. Vor 50 Jahren gab es keine Patientenschulung im heutigen Sinne; die Betroffenen waren Befehlsempfänger einer “verordneten” Diabeteseinstellung. Die Änderung der Insulindosis durch die Betroffenen war sogar verboten, und die Diät musste wie befohlen eingehalten werden. All dies ist zum Glück Geschichte, und so wundert es nicht, dass die Folgekatastrophen des Diabetes immer seltener auftreten.
Auch die modernen Möglichkeiten der Insulinbehandlung, -pens, -pumpen und die vielen neuen Medikamente haben zum Erfolg beigetragen. Prof. Schernthaner sagte, dass dies leider nur für die hochentwickelten Länder dieser Welt gilt – in den ärmeren Ländern nehmen die Zahlen der Menschen mit Diabetes und die Komplikationen der Diabeteserkrankungen weiter dramatisch zu.
Der Minkowski-Preis, benannt nach dem berühmten deutschen Diabetesforscher Prof. Oskar Minkowski, wurde an Prof. Anna Gloyn aus Oxford verliehen:
Sie gehört zur jungen Generation der Genforscher, von denen wir künftig eine Aufklärung über die Ursachen der verschiedenen Formen des Typ-2-Diabetes erhoffen. Bei einer sehr seltenen Diabetesform hat Prof. Gloyn bereits die Ursache der Krankheit erkannt und eine ursächliche Behandlung eingeführt: Es ist eine bei Neugeborenen auftretende Form des Diabetes, die mit der Gabe von Sulfonylharnstoffen, einem seit langem bekannten Diabetesmedikament, behandelt und sozusagen geheilt werden kann; denn dieses Medikament greift genau an dem Mechanismus an, der bei dieser Störung nicht funktioniert. Leider betrifft dies nur sehr wenige Menschen.
Der am meisten beachtete wissenschaftliche Vortrag, der auch in der Zeitschrift Nature Medicine veröffentlich wurde, kam aus Kopenhagen. Die Genforscher untersuchen besonders isolierte Bevölkerungsgruppen und versuchen bei ihnen, weil sie genetisch sehr ähnlich sind, die erblichen Störungen bei Typ-2-Diabetes zu entdecken.
Bei Ureinwohnern in Grönland, den Inuit (zu den Eskimos gehörend), fanden die dänischen Forscher Veränderungen eines Gens, die 10 Prozent der Diabetesfälle erklären; noch nie ist eine erbliche Veränderung mit einer so hohen Bedeutung für den Typ-2-Diabetes gefunden worden. Die Störung hängt mit dem Transport von Glukose in der Muskelzelle zusammen. Intensiv wird jetzt versucht, die genauen Zusammenhänge zu erforschen.
Gemeinsam mit der amerikanischen Diabetesgesellschaft stellte die EASD eine Stellungnahme vor, die für eine bessere technische Kontrolle der Insulinpumpen plädiert. Auf beiden Seiten des Atlantiks sind sich Diabetesärzte einig, dass diese hervorragende Technologie mehr Menschen zur Verfügung gestellt werden sollte. Jedoch ist es dringend nötig, vor Zulassung der Gerätschaften und auch beim Gebrauch in ähnlicher Weise Kontrollen durchzuführen wie bei Medikamenten.
Solche Kontrollen sollten die Pumpen selbst und auch die Verbrauchsmaterialien umfassen, die für den Gebrauch nötig sind – wie Insulinpumpen-Katheter. Die EASD wird in Zukunft auch über ihr in Brüssel neueröffnetes Büro wesentlich intensiver auf die europäischen Institutionen einwirken, dies wird Hand in Hand mit der Föderation der Diabetiker-Vereinigungen in Europa (IDF Europe) stattfinden. Leider lässt sich für medizinische Gerätschaften das CE-Zeichen, das zum Verkauf in Europa berechtigt, zu einfach erlangen:
Insulinpumpen und Blutzuckermessgeräte sind gefährlicher als ein Teddybär oder ein Toaster, sie werden aber, was die Kontrolle in der EU angeht, ähnlich behandelt. In den letzten Jahren ist es zu mehreren Desastern gekommen (am schlimmsten: unsachgemäße Brustimplantate) – trotzdem droht, dass die Zuständigkeit für medizinische Gerätschaften vom Gesundheitsbereich in die Industrieabteilung der EU abwandert.
Nicht nur die EASD, sondern auch viele andere medizinische Organisationen haben bereits dagegen protestiert. Eine Kommission des EU-Parlaments hatte vor einem Jahr für eine bessere Kontrolle der medizinischen Geräte plädiert, das gesamte Europäische Parlament hatte diesen Vorschlag allerdings erheblich abgeschwächt und an die EU-Kommission geschickt – dort liegt er jetzt irgendwo im Briefkasten, und nichts passiert.
Noch nie gab es so viele neue Medikamente zur Behandlung des Typ-2-Diabetes. Mehrere Unternehmen entwickelten ganz neue Gruppen von Diabetesmedikamenten: Sie steigern die Zuckerausscheidung im Urin. Dadurch sinkt die Blutzuckerkonzentration. Auch der Blutdruck sinkt ein wenig, was für viele Menschen mit Diabetes von Vorteil ist. Langzeitdaten mit diesen Medikamenten stehen noch aus (dies gilt übrigens bisher für alle neuen Diabetesmedikamente).
Im Rahmen der EASD treffen sich alle Diabetesorganisationen aus Europa. Auf 60 Ausstellungsständen wurden die zahlreichen Aktivitäten von Portugal bis Aserbeidschan und von Finnland bis Palästina dargestellt.
diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe hatte einen Stand in Wien. Besonders stolz kann Deutschland darauf sein, dass die Diabetesforschung in unserem Land mittlerweile sehr gut koordiniert wird und Weltniveau erreicht hat. Auch das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung war vertreten. Dass heute die nationalen Forschungsvorhaben gebündelt und zentral koordiniert werden, hat sich als sehr erfolgreich erwiesen.
Deutschland stellte die meisten Teilnehmer. Für Diabetesprofessoren ist der Besuch des EASD ein Muss – hier holen sie sich Ideen für ihre nationalen Diabetestagungen. Erstaunlich war die wachsende Zahl von Teilnehmern aus Indien, China und Brasilien: Wer hätte vor einigen Jahren vermutet, dass beim Europäischen Diabeteskongress bezogen auf die Kongressteilnehmer das drittgrößte Land die USA, das fünfte Indien, das siebte Brasilien und Platz 11 und 12 China und Japan sein würden?
In diesen Ländern wird Diabetes ein immer größeres Problem; die Zahl der Menschen mit Diabetes wächst dort dramatisch und die Betroffenen verlangen mit Recht eine angemessene Behandlung.
Die Vorträge der EASD-Jahrestagung gibt es kostenfrei im Internet. Diese “virtuelle Konferenz” wird von der ganzen Welt besucht. Auf der Seite der EASD ( http://www.easd.org
) kann man auf einer Weltkarte sehen, wer gerade wo einen Vortrag ansieht. Im letzten Jahr waren fast eine Viertelmillion Zuschauer auf diesen Seiten, sicher auch viele Menschen mit Diabetes.
von Dr. med. Viktor Jörgens | Executive Director EASD/EFSD
und Dr. med. Monika Grüsser | Vice Director EASD/EFSD
Rheindorfer Weg 3, 40591 Düsseldorf
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (12) Seite 42-45
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