- Begleit-Erkrankungen
Körper und Seele ganzheitlich betrachten: Diabetes und Depression begünstigen sich gegenseitig
4 Minuten
Menschen, die sich hilflos und antriebslos fühlen, haben mehr Schwierigkeiten in der Diabetes-Therapie. Mit den Glukosewerten steigt nicht nur das Risiko für eine Depression, sondern auch das Sterberisiko. Menschen mit Diabetes in schwierigen Lebenssituationen sind daher eine Hochrisikogruppe, die mehr Aufmerksamkeit benötigt.
Hinweis: Am Ende dieses Beitrags findest Du ein Kasten mit Kontaktdaten für Anlaufstellen bei akuten psychologischen Krisen.
Eine depressive Episode und ihre Schweregrade sind eigentlich ganz einfach zu diagnostizieren. „Aus den Haupt- und Zusatzsymptomen ergeben sich Diagnose und Schweregrade“, erklärte Professor Dr. Johannes Kruse von der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Justus-Liebig-Universität Gießen auf einem Symposium im Rahmen des letztjährigen Diabetes Kongresses. Treten je zwei Haupt- und Zusatzsymptome (siehe Kasten) auf, spricht man von einer leichten Depression.
Kriterien einer depressiven Episode nach ICD-10
Hauptsymptome
- depressive Stimmung
- Verlust von Interesse und Freude
- Antriebsminderung
Zusatzsymptome
- pessimistische Zukunftsperspektiven
- Schuldgefühle
- Schlafstörungen
- Konzentrationsstörungen
- Suizidalität
- Appetitveränderungen
- vermindertes Selbstwertgefühl
Bei zwei Hauptsymptomen in Kombination mit drei bis fünf Zusatzsymptomen handelt es sich um eine mittelschwere Depression. Kommen alle drei Hauptsymptome und mindestens vier Zusatzsymptome zusammen, ist von einer schweren Depression auszugehen.
Menschen mit Diabetes sind häufiger von psychologischen Belastungen betroffen
Bei Menschen mit Diabetes sind depressive Symptome etwa doppelt so häufig wie in der Normalbevölkerung anzutreffen (9 bis 10 vs. 4,9 Prozent). Noch weiter verbreitet sind Anpassungsstörungen (25 Prozent) und erhöhte diabetesbezogene psychosoziale Belastungen, die bei 44 Prozent der Menschen mit Typ-1-Diabetes und bei 25 Prozent der Menschen mit Typ-2-Diabetes beobachtet werden. Als Grund hierfür nannte er die vielfältigen Herausforderungen, vor die der Diabetes Betroffene stellt, darunter Hypo- und Hyperglykämien, das komplexe Therapieregime, Hilflosigkeit und Überforderung, die Entwicklung von Folgeerkrankungen und Komplikationen, soziale Ausgrenzung und Einschränkungen in Beruf- und Privatleben.
Weitere Anhaltspunkte liefern Daten zur Begleiterkrankung Depression bei Menschen mit Diabetes, die das Medizinische Kompetenzcenter der AOK Hessen analysiert hatte: Bei 27,8 Prozent der erfassten Versicherten mit Typ-2-Diabetes wurde auch eine Depression diagnostiziert, wobei die Männer hier mit 39 Prozent in der Minderheit sind. Der Männeranteil steigt allerdings mit zunehmendem Schweregrad der Depression und liegt bei schweren Episoden bei 43 Prozent. Auch beim Typ-1-Diabetes sind begleitende Depressionen demnach weit verbreitet: Die Rate des zusätzlichen Auftretens einer Depression liegt bei 20 Prozent, doch hier ist das Geschlechterverhältnis (48 Prozent männlich, 52 Prozent weiblich) im Schnitt etwas ausgewogener, wobei sich im Altersverlauf ein mehrfach zu- und abnehmendes geschlechtsspezifisches Risiko für Depressionen zeigte. Die AOK-Daten spiegeln allerdings nur die auch tatsächlich diagnostizierten Fälle wieder, die Dunkelziffer dürfte höher sein.
Diabetes und Depression können sich gegenseitig befeuern und das Risiko für einen verfrühten Tod erhöhen
Während einzelne depressive Episoden üblicherweise vier bis acht Monate andauern, sind viele Menschen mit Diabetes auch chronisch depressiv, berichtete Prof. Kruse: „Es ist oft ein fließender Übergang von Trauer zu Depression, vom Normalen ins Pathologische [„Krankhafte“; Anm. d. Red.].“ Und der Diabetes sei dabei ein entscheidender Faktor dafür, dass dieser Zustand sich dauerhaft manifestiert. Umgekehrt erhöht eine bestehende Depression – möglicherweise als Reaktion auf emotionalen Missbrauch im Kindesalter – aber auch das Risiko für einen Typ-2-Diabetes. So können risikobehaftete Lebenserfahrungen Entzündungsprozesse verstärken und z.B. Insulinresistenz, Apoptose (programmierter Zelltod) der insulinproduzierenden Beta-Zellen und Gefäßschäden begünstigen.
Mehr zum Thema
➤ Depressionen bei Diabetes: Kampagne #SagEsLaut klärt auf
In der Schulmedizin würden Psyche und Soma mit all ihren Symptomen isoliert betrachtet, so Prof. Kruse, „dabei greifen alle Elemente in einem Menschen ineinander, wir müssen sie also ganzheitlich betrachten“, betonte der Referent. Den Menschen, die sich hilflos und antriebslos fühlen, haben mehr Schwierigkeiten, ihren Diabetes zu behandeln. Die resultierenden höheren Glukosewerte wiederum erhöhen machen eine Depression wahrscheinlicher. „Das ist eine Hochrisikogruppe“, mahnte Prof. Kruse mit Blick auf eine Metaanalyse aus 2013, wonach die Sterberate bei Depression plus Diabetes um 76 Prozent höher ist als bei einem allein auftretenden Diabetes.
So kann eine Depression bei Diabetes erkannt und behandelt werden
Umso wichtiger ist es Prof. Kruse zufolge daher, die 2013 veröffentlichte Leitlinie „Psychosoziales und Diabetes“ umzusetzen, wonach Menschen mit Diabetes regelmäßig – mindestens einmal pro Jahr und in kritischen Krankheitsphasen – auf das Vorliegen einer Depression gescreent werden sollten. Hierfür eignet sich der klassische WHO-5-Fragebogen, mit dem das psychische Wohlbefinden schnell und präzise erfasst werden kann. Das einfache Screening-Instrument umfasst nur fünf Fragen zur Selbsteinschätzung (gute Laune, Entspannung, Aktivität und Energie, Regenerationsfähigkeit durch Schlaf, Begeisterungsfähigkeit) und beansprucht deshalb nur wenige Minuten. Die jeweils erreichte Punktzahl kann einen Hinweis auf eine möglicherweise vorliegende Depression liefern.
Zur Therapie der Depression stehen in leichteren Fällen die Psychotherapie, bei höheren Schweregraden Psychotherapie in Kombination mit der Behandlung mit Psychopharmaka zur Verfügung. Auch niederschwellige psychosomatische Therapieangebote, psychotherapeutische Sprechstunden, psychosomatische Basisversorgung, Patientenschulung und Bewegung gehören zum therapeutischen Spektrum. „Es gibt mittlerweile gute Evidenz dafür, dass diese Maßnahmen die depressive Symptomatik und auch den HbA1c-Wert verbessern“, schloss Prof. Kruse seinen Vortrag.
Hier findest Du Hilfe – auch in akuten Notfallsituationen
- Wenn Du Dich in einer akuten Krise befindest, kontaktiere bitte Deine behandelnde Ärztin oder Psychotherapeutin bzw. Deinen behandelnden Arzt oder Psychotherapeuten.
- Du kannst Dich auch an die nächste psychiatrische Klinik wenden, eine Liste mit Suchfunktion findest Du auf der Website Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention.
- Die Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) bietet auf ihrer Website eine Suchfunktion für Kontaktdaten von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Deiner Nähe.
- Die Telefonseelsorge bietet rund um die Uhr Hilfe und Beratung und kann kostenfrei unter den Telefonnummern 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 erreicht werden.
- Rund um die Uhr erreichst Du auch den ärztlichen (psychiatrischen) Bereitschaftsdienst unter der bundesweiten Telefonnummer 116 117.
- Du kannst Dich auch an den Sozialpsychiatrischen Dienst Deiner Region wenden. Die entsprechenden Kontaktdaten findest Du im Internet, wenn Du bei der Suche „Sozialpsychiatrischer Dienst“ und den Namen Deiner Stadt eingibst.
- In akuten Notfällen solltest Du den Rettungsdienst unter 112 oder die Polizei unter 110 anrufen.
von Antje Thiel und Gregor Hess
Diabetes-Anker-Newsletter
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Ähnliche Beiträge
- Behandlung
Diabetes-Anker-Podcast: Von der Insulin-Entdeckung zu modernen Diabetes-Therapien – mit Prof. Thomas Forst
- Leben mit Diabetes
Diabetes-Anker-Podcast: Suchterkrankungen bei Diabetes – im Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Haak
Diabetes-Anker-Newsletter
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Über uns
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Community-Frage
Mit wem redest du
über deinen Diabetes?
Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.
Werde Teil unserer Community
Community-Feed
-
bloodychaos postete ein Update vor 3 Tagen, 7 Stunden
Hey, brauche Eure Hilfe. Habe den G7 genutzt. Als der über mehrere Monate (Frühjahr/Sommer 2025) massive Probleme (teils Abweichungen von 150 mg/dL, Messfaden schaute oben heraus) machte bin ich zum G6 zurückgegangen. Dessen Produktion wird nun eingestellt. Ich habe solche Panik, wieder den G7 zu nutzen. Habe absolut kein Vertrauen mehr in diesen Sensor. Aber mit meiner TSlim ist nur Dexcom kompatibel. Ich weiß nicht was ich machen soll, ich habe solche Angst.
-
loredana postete ein Update vor 5 Tagen, 4 Stunden
Die Registrierung mit dem Geburtsjahr war echt sportlich. Wollte es schon fast wieder abbrechen.
-

Mit “meinem” Omnipod 5 wird der Dexcom G7 Ende 2026 voraussichtlich der einzige verfügbare Sensor sein.
So richtig begeistert über die Einstellung des G6 bin ich auch nicht, auch wenn es absehbar war.
Ich habe einfach die Hoffnung, dass die Qualitätsprobleme beim G7 bis dahin ausgestanden sind.
Ich warte das Thema noch einige Monate ab.
Wenn ich Ende 2026 feststelle, dass die Kombination aus meiner Pumpe und dem CGM für mich nicht funktioniert, bin mir sicher, dass meine Diabetes-Ärztin und ich eine gute Lösung für mich finden.
Hier habe ich aufgeschnappt, dass für die t:slim wohl eine Anbindung des Libre 3 in der Mache ist:
https://insulinclub.de/index.php?thread/36852-t-slim-mit-libre-3-wann/
Leider steht keine überprüfbare Quelle dabei. 🤷♂️
Ein weiterer mir wichtiger Gedanke:
Angst und Panik sind in diesem Zusammenhang vermutlich keine hilfreichen Ratgeber. Hoffentlich schaffst Du es, dem Thema etwas gelassener zu begegnen.
(Das sagt der Richtige: Ich habe in meinem letzten DiaDoc-Termin auch die Hausaufgabe bekommen, mal zu schauen, was mir gut tut.)
@ole-t1: Hey Ole, ganz lieben Dank für Deine Nachricht. Die Produktion des G6 endet laut einem Artikel auf dieser Seite ja zum 1. Juli 2026. Wann der Libre3 mit der TSlim kompatibel sein wird weiß man ja noch nicht. An sich gefällt mir Dexcom auch besser als Libre und die erste Zeit lief der G7 ja auch super bei mir. Ich kann mir schwer vorstellen, dass der G7 von heute auf Morgen nicht mehr bei mir funktioniert? Es gab ja auch das Gerücht das Dexcom eine zeitlang Produktionsprobleme hatte, dass wäre ja eine Erklärung, aber da geht Dexcom natürlich auch nicht mit hausieren.
@bloodychaos: Moin, ich benutze den G 7 seit Dezember 2022 (vorher G 6). Seit Dezember 2024 in Kombination mit der t:slim X 2 Ja, es hat immer mal wieder einen Sensor gegeben, der nicht richtig funktioniert hat . Dann wurde ein neuer gesetzt, der Vorfall an Dexcom gemeldet und es gab dann wenige Tage später einen neuen Sensor.
Wie ole-t1 schon geschrieben hat, erst einmal die Ruhe bewahren und nicht in Panik verfallen. Alle auf dem Markt erhältlichen Sensoren haben Schwankungen in der Genauigkeit ihrer Angaben. Wichtig ist daher zu beurteilen, ob das, was der Sensor anzeigt, überhaupt sein kann.
Zum Beispiel durch blutiges Nachmessen (dabei bitte dran denken, dass der Gewebezucker, den die Sensoren messen, rd. 20-30 Minuten hinter dem Blutzucker hinterher hinkt).