Zu verreisen ist eines der liebsten Hobbys der Deutschen – 80 Prozent fahren jedes Jahr in Urlaub. Und natürlich sind auch Menschen mit Diabetes gern unterwegs. Muss bei Diabetes mehr geplant werden, vor allem, wenn es in fremde Länder geht?
Obwohl die Reise schon in einer Woche ansteht, denkt Peter nicht an eine Verschiebung der Reise. Er kann seinen Diabetes auch gut einstellen, wenn er krank ist. Adressen von Kliniken und Ärzten auf der Route durch Australien hat er sich ebenfalls besorgt. Seine Freundin weiß, wie sie mit einer Hypoglykämie umgehen muss, und hat keine Angst. Einer erfolgreichen und guten Reise steht also nichts im Wege.
Besonders auf Fern- und Extremreisen sollten sich Diabetiker gut vorbereiten. Heute campen, surfen und trecken Menschen mit Diabetes, gehen Bergwandern, Fallschirmfliegen oder Tauchen – und das ist gut so. Aber sie müssen eben auch dafür geschult sein, bei -30 °C ihren Blutzucker zu testen, eine Hypoglykämie (Unterzuckerung) auch im Gebirge oder in der Wüste bei +40 °C zu erkennen und richtig zu behandeln.
- Wie ist die Infrastruktur unterwegs und am Urlaubsort (ärztliche Versorgung, Apotheke etc.)?
- Gibt es am Urlaubsort stationäre Einrichtungen (Krankenhaus, Ambulanz, OP-Einheit)?
- Welche Infektionsgefahren bestehen im Reiseland?
- Geht die Reise in eine andere Zeitzone?
- Wie ist die Ernährung am Urlaubsort?
- Kann ich mich mit meinen Mitreisenden verständigen/sprechen sie deutsch?
- Wie ist das Klima im Reiseland?
Ein Aktiv-Urlaub kann die körperliche und geistige Fitness verbessern, auch Übergewicht entgegenwirken – und natürlich die Lebensqualität verbessern! Damit der Aktiv-Urlaub zu einem schönen Erlebnis wird, gibt es in diesem Diabeteskurs einige nicht verbindliche Empfehlungen – genaue Leitlinien bzw. Konzepte für den Diabetes gibt es bisher leider nicht.
Aktivurlaub mit Diabetes: Was geht?
Vor jedem Aktivurlaub sollte man sich fragen:
- Kann der Urlaub meine Stoffwechseleinstellung verbessern oder auch eventuell verschlechtern? Bin ich darauf ausreichend vorbereitet?
- Stellt mein Diabetes eine potentielle Gefahr für mich dar – während der Reise allgemein oder während ich sportlich aktiv bin?
So kann es bei nicht ganz stabil eingestelltem Diabetes und dem Verzehr unbekannter Speisen, deren Kohlenhydratgehalt bzw. deren Blutzuckerwirksamkeit Sie nicht abschätzen können, zu extremen Blutzuckerentgleisungen kommen. Soll z. B. ein Kletterer seinen Partner am Berg sichern, so ist dies grundsätzlich natürlich auch für einen Menschen mit Diabetes möglich – aber man muss sich darauf verlassen können, dass er seinen Diabetes im Griff hat.
Aktuelle sportmedizinische Empfehlungen zeigen: Sowohl Ausdauer- als auch mäßiger Schnell-Kraft-Sport verbessern die Insulinempfindlichkeit von Menschen mit Diabetes und sollten wenn möglich auch im Aktivurlaub ausgeübt werden. Der Sport ist so Teil eines Gesamtkonzeptes für eine erfolgreiche Diabetestherapie.
Grundsätzlich ist ein Aktivurlaub für jeden Diabetiker mit relativ stabil eingestelltem Stoffwechsel geeignet.
Aktivurlaub für alle geeignet?
Die Blutzuckerwerte sollten relativ gleichmäßig sein, und es sollte kein Risiko bestehen, dass sich durch Aktivurlaub Begleit- und Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck, Netzhautschäden oder Durchblutungsstörungen des Herzens verschlechtern.
Je besser der Erkrankungsverlauf dokumentiert ist – z. B. im Gesundheits-Pass Diabetes – umso besser sind Reisende auch für den Notfall gerüstet, z. B. wenn aus gesundheitlichen Gründen die Reise abgebrochen werden muss. Denn Reisekrankenversicherungen prüfen, ob es im Urlaub “zu einer absehbaren Verschlechterung des bereits bestehenden Krankheitsbildes” (z. B. des Diabetes) gekommen ist. Ist dies der Fall, ist es im Schadensfall meist ein Ausschlussgrund für die finanzielle Regulierung.
Besonderheiten bei Diabetes
Direkt vor Reisebeginn sollte an Ihrem Therapie-Schema nichts geändert werden, indem z. B. andere Insuline oder orale Antidiabetika eingesetzt werden. Besprechen Sie mit Ihrem Arzt, ob es sinnvoll ist, ärztliche Unterlagen wie Krankenhaus-Entlassungsbriefe etc. ins Englische/Französische zu übersetzen und mitzunehmen. Bei den Medikamentennamen sollte auch der Wirkstoff angegeben werden.
Ihre Medikamente sollten Sie mindestens in doppelter Menge mitnehmen und auf mehrere Gepäckstücke verteilen. Ausweise/Bescheinigungen über den Diabetes sollten Sie – je nach Reiseland – in mehreren Sprachen bei sich haben (z. B. Int. Notfall-Ausweis Diabetes in 25 Sprachen, www.kirchheim-shop.de).
Dokumente
- ggf. Blutzucker-Aufzeichnungen oder -Ausdrucke
- Gesundheits-Pass Diabetes
- internationaler Notfall-Ausweis Diabetes
- ärztliche Bescheinigung (auch in Englisch) über Medikamente und mitgeführte Hilfsmittel zur Selbstkontrolle, ggf. auch über Insulinpumpe, Katheter, Insulin- oder anderen Pen, Kanülen, Insulin etc.
Utensilien zur Selbstkontrolle
- Stechhilfe mit ausreichend Lanzetten
- Messgerät (und Ersatzbatterien)
- Teststreifen in ausreichender Menge
Medikamente und Verbandszeug
- Insulin/und oder Tabletten
- Pens, Insulinpumpe, passende Kanülen bzw. Katheter, Patronen/Ampullen in ausreichender Menge
- für Wunden: Desinfektionsspray, Pflaster, steriles Verbandsmaterial
- für Verstauchungen u. ä.: elastische Binde, 10 cm breit
- bei Durchfällen und Reisedurchfall: für den Blutsalzersatz Elektrolyte (z. B. Elotrans), Kohlekompretten, Imodium, evtl. Antibiotikum (Breitbandantibiotikum, vom Hausarzt besorgen/evtl. Rezept)
- gegen Fieber und Schmerzen: z. B. Paracetamol, Ibuprofenalle regelmäßig einzunehmenden Medikamente und Notfallmedikamente in ausreichender Menge
Unterzuckerungs-Notfall-Set
- für Diabetiker, die Insulin brauchen: Glukagon-Notfall-Set (GlucaGen Hypokit)
- Traubenzucker
- langanhaltende Kohlenhydrate (z. B Kekse, Riegel etc.)
weitere Ausrüstung
- Mineralwasser
- Thermosflasche
- Thermotasche für Insulin, Pen usw.
Ersatz-Batterien für das Messgerät, genügend Teststreifen und ein “Notfall-Päckchen” mit Traubenzucker u. a. (s. Liste links unten) gehören zur Ausstattung. Insulin sollte lichtgeschützt und sicher vor Minustemparaturen aufbewahrt werden, denn wenn es gefriert, wird es unbrauchbar. Insulin sollte nicht mehrere Stunden in der direkten Sonne (über 30 °C) stehen.
Welche Impfungen sind sinnvoll?
Sinnvoll und erforderlich bei Diabetes sind Impfungen gegen Influenza (Grippe), Pneumokokken, Tetanus, Cholera (wegen ETEC-Reisedurchfall) und gegen die infektiösen Leberentzündungen Hepatitis B und Hepatitis A; Letztere entsteht durch Schmutz- und Schmierinfektion (Eiswürfel, Salate).
Wer eine Reise in ein Malaria-Gebiet plant und eine Malaria-Prophylaxe durchführt, sollte bedenken, dass eine Wirkungsverstärkung des Insulins in diesem Rahmen (je nach eingesetztem Medikament) möglich ist. Wird Malaria mit Chininen behandelt, kann das schwere Unterzuckerungen auslösen, deshalb sollten Reisende unbedingt vorbeugen – mit Moskitonetz, angemessener Kleidung und Sprays.
Flugreisen und Wechsel der Zeitzonen
Bei Flugreisen über mehrere Zeitzonen hinweg stellt sich immer wieder die Frage nach der Insulindosis und dem Zeitpunkt einer Insulingabe. Grundsätzlich sollten Sie im Flugzeug erst dann spritzen, wenn das Essen auf dem Tisch steht – es ist schon vorgekommen, dass wegen Turbulenzen die Essensausteilung abgebrochen wurde, der Diabetiker aber schon sein Insulin gespritzt hatte!
Während des Fluges sollten Sie die Uhr schon umstellen, sonst könnte bei einem Flug nach Osten das Insulin zu früh eingesetzt werden (Folge: Unterzuckerung), bei einem Flug nach Westen hingegen zu spät (Folge: Überzuckerung). Mehr Info im Kasten links oben.
Was tun bei Durchfall?
Gerade bei Reisen z. B. in die Subtropen, Tropen oder nach Südamerika muss man als Europäer in den ersten Tagen mit Durchfall rechnen. Die Ursache dafür sind ungewohnte Keime. In Hochrisiko-Gebieten erkranken innerhalb der ersten zwei Urlaubswochen zwischen 20 und 60 Prozent der Reisenden, in Ländern mit mittlerem Risiko dagegen nur 8 bis 20 Prozent. Meist handelt es sich um akute Infektionen durch Bakterien (E. coli, Salmonellen, Shigellen), Viren (z. B. Noro- und Rotaviren) oder Parasiten (z. B. Lamblien).
In der Regel werden die Krankheitserreger durch Speisen übertragen – z. B. durch rohes Obst und Gemüse oder durch Wasser (Eiswürfel, Leitungswasser). Deshalb sollten Reisende besonders auf Hygiene achten: Essen Sie nie ungekochtes oder ungeschältes Gemüse oder Obst. Wenn Sie die Früchte oder das Gemüse nicht schälen oder kochen können, verzichten Sie besser darauf! Auch durch Gefrieren werden die meisten Erreger nicht abgetötet.
Sie sollten keine Getränke mit Eiswürfeln bestellen, da das Eis oft aus Leitungswasser zubereitet wurde, das vorher meist nicht abgekocht worden ist. Wasser sollten Sie nur aus fest verschlossenen Originalflaschen oder Dosen trinken. Außerdem sollten Sie Hand- und Toilettendesinfektionsmittel mitführen.
Wichtig: Elektrolytlösungen mitnehmen
Bei Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall können Elektrolytlösungen, aber auch Medikamente (z. B. Imodium, Kohlekompretten) nützlich sein. Eine medikamentöse Vorbeugung (z. B. mit einem Antibiotikum, etwa Ciprofloxazin) ist manchmal bei Kurzreisen sinnvoll. Gefährlich ist eine Durchfallerkrankung besonders für Menschen mit einer Immunschwäche und mit schweren Begleiterkrankungen (z. B. chronisch entzündlicher Darmerkrankung), aber auch für Senioren und Kinder.
Das ist mein Fazit
Urlaub – sei es ein Aktivurlaub oder eine Reise nur zur Entspannung – ist für Menschen mit Diabetes zur Selbstverständlichkeit geworden. Bei entsprechender Vorbereitung und ggf. “Schulung” steht dem nichts im Wege. Allerdings: Bei sehr exotischen Reisen – was immer der Einzelne auch darunter versteht – sollte man die Freude und den Nutzen den möglichen Gefahren und Nachteilen gegenüberstellen. Vielleicht genügt ja manchmal auch ein etwas weniger exotisches Reiseziel, um dem Alltag einmal zu entfliehen.
von Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist, Angiologie, Diabetologie, Sozialmedizin,
Chefarzt Deegenbergklinik, Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen,
Tel.: 09 71/8 21-0, E-Mail: schmeisl@deegenberg.de
sowie Chefarzt Diabetologie Klinik Saale, Pfaffstraße 10,
97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71/85-01
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (7) Seite 30-33