Prof. Georg Zülzer: dem Insulin-Pionier zum 150. Geburtstag!

4 Minuten

Prof. Georg Zülzer: dem Insulin-Pionier zum 150. Geburtstag!

Prof. Georg Zülzer entwickelte zusammen mit dem Chemiker Dr. Camille Reuter schon ein Jahrzehnt früher als die Forscher um F. G. Banting in Toronto ein sehr wirksames Insulinpräparat. Leider wurde seiner von der deutschen Ärzteschaft später nicht angemessen gedacht – es ging ihm damit wie vielen jüdischen Ärzten aus Deutschland. Dr. Viktor Jörgens berichtet.

Am 10.4.1870 wurde in Berlin Prof. Georg Zülzer geboren. Von 1902 bis 1914 arbeitete er daran, Insulin herzustellen, um damit Menschen mit Diabetes vor dem Tod im diabetischen Koma zu retten. Die Krankheit war damals ein Todesurteil, ohne Insulin waren die meisten Patienten nach einem Jahr abgemagert und verstarben im diabetischen Koma.

Schon seit der Entdeckung des Pankreasdiabetes durch Minkowski und von Mering 1889 wurde vermutet, dass in den Inselzellen der Bauchspeicheldrüse ein blutzuckersenkendes Hormon hergestellt wird. Man hatte sogar schon den Namen Insulin dafür vorgeschlagen.

Blutzucker-Bestimmung: zu viel Blut!

Prof. Georg Zülzer war von seiner Idee fest überzeugt. Er versuchte, in privaten Forschungsarbeiten – zeitweise unterstützt vom Berliner Unternehmen Schering – mit verschiedenen Methoden, Insulin herzustellen. Am 15.6.1908 berichtete er auf einer Tagung in Berlin, er habe einigen Menschen mit schwerer Entgleisung des Diabetes sein Mittel mit Erfolg gespritzt. Er konnte keine Blutzuckerwerte mitteilen, für diese Bestimmung brauchte man noch sehr viel Blut.

1908 wurde Prof. Zülzer Chef­arzt der Internistischen Klinik Hasenheide in Berlin. Dort konnte er ein Labor einrichten. Die Klinik gibt es heute nicht mehr. Das dort hergestellte Insulin ließ Zülzer 1909 bei dem damals berühmtesten Diabetesforscher Deutschlands testen: Prof. Oskar Minkowski in Breslau. Der war gerade von Greifswald nach Breslau berufen worden und überließ die Untersuchung seinem Mitarbeiter Forschbach …

Minkowski verpasst Nobelpreis

… ein Fehler, den Minkowski später bereute, denn er verpasste damit den Nobelpreis. Forschbach beobachtete in drei Versuchen an diabetischen Hunden, dass Zülzers Präparat die Urinzuckerausscheidung erheblich verringerte, bei einem Tier sogar von 8,2 auf 1,3 Prozent. Statt aber weitere, genauere Untersuchungen zu machen, spritzte Forschbach Zülzers Insulin zwei Patienten, einer davon vertrug es sehr schlecht – niemals wird man herausfinden können, ob es sich dabei um Unterzuckerungen handelte oder ob die Präparate verunreinigt waren: Blutzuckerwerte wurden nicht gemessen.

Forschbach veröffentlichte nach diesen völlig unzureichenden Versuchen seine Ergebnisse mit dem Kommentar, dass Zülzers Präparat für die Behandlung des Diabetes ungeeignet sei. Diese Arbeit wurde häufig zitiert, sie ist, was die Bedeutung der Forschungsarbeiten Zülzers angeht, nicht korrekt.

Neuanfang mit Roche

Aber Zülzer gab nicht auf. Er versuchte, ein Stipendium für einen Forschungsaufenthalt am deutschen Forschungsinstitut in Neapel zu bekommen, um dort aus Fischen, die ein spezielles Inselorgan haben, Insulin herzustellen. Sein Antrag wurde abgelehnt. Schließlich schaffte er es, das Unternehmen Roche für seine Arbeiten zu interessieren. Roche half ihm, sein Labor in der Klinik Hasenheide besser auszustatten.

Vor allem arbeitete Zülzer jetzt mit dem aus Luxemburg stammenden Chemiker Dr. Camille Reuter zusammen, dem Leiter des Forschungslabors von Roche in Grenzach in Baden. Reuter verlegte 1914 die Herstellung des Insulins, das die beiden Forscher Acomatol (Info-Kasten) nannten, nach Grenzach in das Labor von Roche.

Dort stellte Reuter im Sommer 1914 aus 100 kg Bauchspeicheldrüsen einen sehr wirksamen Extrakt her. Veröffentlicht wurden seine Ergebnisse nie, aber Dr. Reuter berichtete darüber 1924 in einer Luxemburger Zeitschrift. Sein Insulin war so wirksam, dass es bei Hunden den Blutzuckerspiegel bis hin zu schwersten Unterzuckerungen senkte. Auch bei Menschen mit Diabetes zeigte sich eine Senkung des Blutzuckers.

Zülzer: bekannt in den USA!


Seit 1912 besaß Prof. Zülzer ein US-­Patent auf die Herstellung seines Acomatol. Das Unternehmen Eli Lilly (USA) hatte früh die Bedeutung des Insulins erkannt und die Forscher in Toronto unterstützt. Als Eli Lilly in den USA ein Patent auf die Insulin­herstellung beantragte, wurde dies abgelehnt, es gab dort bereits das Patent eines Prof. Zülzer. Eli Lilly gelang es, dieses Patent im zweiten Anlauf als ungültig darzustellen.

Unterstützt wurde Eli Lilly vom berühmten Diabetologen Dr. Joslin aus Boston und dem einflussreichen Politiker Charles Evans Hughes, dessen Tochter eine der ersten Patientinnen war, die in Toronto mit Insulin behandelt worden waren.

Zülzer wurde nach dem 1. Weltkrieg Chefarzt in Berlin. Nach der Machtergreifung der Nazis verlor er seinen Lehrauftrag an der Berliner Universität, den er kurz zuvor auch durch Unterstützung des Sozialdemokraten Otto Wels erhalten hatte. 1934 musste er wegen seiner jüdischen Herkunft Deutschland verlassen. Zülzer war in den USA bekannt: Als er mit Familie in New York ankam, berichtete sogar die Presse.

Zülzer führte eine erfolgreiche Praxis und verstarb am 16.10.1949 in New York. Sein Grab in Troy/USA trägt noch heute stolz die Inschrift: „The first physician to bring diabetic patients out of terminal coma with his extracted pancreas preparation.“ („Der erste Arzt, der mit seinem Pankreas­extrakt diabetische Patienten aus dem Koma brachte.“)

Reuter berichtete 1924, dass der Vorstand von Roche 1914 weitere Arbeiten der Insulinherstellung gestoppt habe, seine Chefs rieten ihm, besser eine Tablette gegen Diabetes zu entwickeln, weil ja wohl kein Mensch das ganze Leben lang etwas spritzen würde, um Diabetes zu behandeln. Ein desaströser Fehler des Managements: Viele Menschen mit Dia­betes mussten deshalb noch im diabetischen Koma sterben, bis ein Jahrzehnt später Insulin verfügbar wurde!

Am Tag des Ausbruchs des 1. Weltkriegs wurde eine von Hagedorn in Dänemark entwickelte Methode veröffentlicht, die eine Messung des Blutzuckers mit deutlich weniger Blut möglich machte. Hagedorn begründete später ein dänisches Unternehmen, es ist heute als Novo Nordisk der größte Insulinhersteller der Welt.

Weltkrieg beendet alle Forschung

Zülzer und Reuter konnten Hagedorns Methode nicht mehr nutzen, der 1. Weltkrieg beendete alle Forschung. Das Unternehmen Roche in Basel kam in große Schwierigkeiten, da seine Produkte hauptsächlich in Deutschland hergestellt wurden – daher konnten sie nichts mehr an die Kriegsgegner des Deutschen Reiches verkaufen. Roche ging bankrott und wurde später als Aktiengesellschaft neu gegründet.

Im Weltkrieg leitete Prof. Zülzer ein Lazarett, Dr. Reuter ging als Chemiker zurück nach Luxemburg. Auf der anderen Seite der Front wurde der junge Kanadier Frederick Banting in Flandern schwer verwundet, sein späterer Chef Prof. McLeod diente in Frankreich als Sanitätsoffizier. Die beiden erhielten 1924 den Nobelpreis für die erste erfolgreiche Insulinbehandlung eines Menschen mit Diabetes in Toronto. Als die Nachricht aus Toronto kam, veröffentlichte Dr. Camille Reuter die Geschichte seiner Entdeckung des Insulins in einer Luxemburger Zeitschrift.

In Toronto war es der Chemiker Dr. Collip, der als Erster Insulin herstellte, das zur Behandlung von Menschen mit Diabetes geeignet war. Dr. Camille Reuter war sozusagen der Dr. Collip des Dr. Zülzer. Das von Banting und Best hergestellte Insulin war zwar im Hundeversuch wirksam, Menschen konnten damit aber nie erfolgreich behandelt werden, das wurde erst mit Dr. Collips Extrakt ermöglicht. Aber der Nobelpreis ging nicht an den Chemiker Collip – ein ähnliches Schicksal wie Camille Reuter: Die Ehrungen bekommen meist die Ärzte, der Chemiker wird weniger gedacht.


von Dr. med. Viktor Jörgens
Executive Director EASD/EFSD 1987 – 2015
E-Mail: Dr-Viktor-Joergens@t-online.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (4) Seite 36-37

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Wegweiser durch die Diabetologie: Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2026 erschienen

Diabetes ist eine hochkomplexe Erkrankung und die Diabetologie ein äußerst dynamisches, vielseitiges Fach. Der jährlich neu aufgelegte Deutsche Gesundheitsbericht Diabetes hilft, auf dem neuesten Stand zu bleiben. Die Ausgabe für 2026 wurde pünktlich zum Weltdiabetestag am 14. November vorgelegt.
Wegweiser durch die Diabetologie: Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2026 erschienen | Foto: MedTriX

3 Minuten

Veranstaltungen der Diabetes-Selbsthilfe zum Weltdiabetestag: Aktiv vom Nordseestrand zum Alpenrand

Jedes Jahr am 14. November ist Weltdiabetestag. Das ist Anlass für viele in der Diabetes-Szene, rund um dieses Datum die Öffentlichkeit mit großen Veranstaltungen und Aktionen über Diabetes zu informieren. Auch die organisierte Selbsthilfe ist dabei aktiv „vom Nordseestrand zum Alpenrand“ – neben ihren Veranstaltungen, die das ganze Jahr über stattfinden.
Veranstaltungen der Diabetes-Selbsthilfe zum Weltdiabetestag: Aktiv vom Nordseestrand zum Alpenrand | Foto: LAYHONG - stock.adobe.com

3 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 1 Tag

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

Verbände