- Behandlung
Diabetische Polyneuropathie: Taube und schmerzende Nerven
4 Minuten
Wenn ein Diabetes vorliegt und die Blutzuckerwerte zu hoch sind, steigt das Risiko für eine Schädigung der Nerven. Wie man dieser diabetischen Polyneuropathie vorbeugen und wie man sie feststellen und behandeln kann, lesen Sie hier.
Die diabetische Polyneuropathie ist entgegen einer häufig vertretenen Meinung nicht Zeichen eines „Spätschadens“ bei Diabetes – sie kann schon sehr früh im Lauf einer Diabetes-Erkrankung auftreten. Andererseits unterliegt das periphere Nervensystem – also die Nerven in den Armen und Beinen – auch einem Alterungs-Prozess. In etwa 60 bis 80 Prozent aller Fälle kann man eine Polyneuropathie einer speziellen Erkrankung zuordnen. Die Nerven-Schädigung durch Diabetes kann heute meist eindeutig nachgewiesen werden.
Typische Symptome/Beschwerden einer peripheren Polyneuropathie an Füßen bzw. Händen sind Missempfindungen wie:
- Ameisenlaufen,
- Taubheit,
- Brennen,
- Pelzigkeit,
- Beschwerden, die oft nachts auftreten oder sich nachts verschlimmern,
- Schmerzen mit brennendem Charakter, wie Nadelstiche, oder auch verminderte Empfindlichkeit gegenüber Hitze-, Kälte-, Berührungs- und Druckreizen,
- einschießende Schmerz-Attacken („wie ein Messer“) oder überempfindliche und schmerzhafte Haut bei geringster und leichter Berührung,
- „strumpf- bzw. handschuhartiges“ Auftreten der Beschwerden,
- Beginn der Beschwerden meist an den Zehen und Fortschreiten Richtung Körper.
Das Fallbeispiel
Angela H. ist 66 Jahre alt. Seit 22 Jahren ist ihr Typ-2-Diabetes bekannt, der mit Tabletten behandelt wird und wegen ihres massiven Übergewichts von 142 kg auch mit einem GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Ziel ist eine weitere Reduktion des Gewichts.
Angela H. geht eigentlich vierteljährlich zu ihrem Diabetologen – allerdings war sie wegen der Corona-Pandemie schon zwei Jahre nicht mehr dort. Wegen zunehmender Unsicherheit beim Gehen ist sie aktuell aber sofort zu ihm gegangen. Sie weiß manchmal nicht mehr genau, wo sie hintritt, und sie kann nachts ihre Bettdecke nicht mehr ertragen – fast wie ein Schmerz, sehr unangenehm!
Der Diabetologe stellt neben einem HbA1c von 9,0 % (früher 7,5 bis 8,0 %) auch Hinweise für einen beginnenden Nerven-Schaden fest und schickt sie zu einem Neurologen. Dieser bestätigt die Diagnose einer Polyneuropathie und verschreibt ihr Medikamente. Bereits nach zwei Monaten geht es ihr besser – ihr HbA1c-Wert ist durch Gewichtsreduktion mittlerweile ebenfalls auf 8,1 % gesunken.
Andere Ursachen von Schmerzen
Die distal-symmetrische sensible bzw. sensomotorische Neuropathie bei Diabetes ist die häufigste Form des diabetischen Nerven-Schadens. Diese muss immer von anderen Erkrankungen und anderen möglichen Ursachen einer Polyneuropathie abgegrenzt werden – denn dies hat Konsequenzen besonders für die Therapie. Gerade auch mit zunehmendem Alter der Betroffenen müssen beim Vorliegen von Schmerzen verschiedene, im Alter häufig vermehrt auftretende Erkrankungen ausgeschlossen werden wie:
- periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK, Durchblutungsstörung der Beine),
- Enge des Rückenmarks-Kanals (Spinalkanal-Stenose): Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in die Beine,
- Fibromyalgien: Muskel-und Weichteil-Schmerzen,
- Schmerzen durch Herpes zoster,
- Durchblutungs-Störungen der Herzkranzgefäße (KHK): Schmerzen im Brustbereich und Brustenge (Angina pectoris),
- Endometriose: Schmerzen im Unterleib.
Schädigung schon bei Prädiabetes
Wir wissen heute, dass das Risiko für eine periphere Polyneuropathie umso höher ist, je höher der HbA1c-Wert (Langzeit-Zuckerwert) ist. Bei Typ-1-Diabetikern sind insbesondere hohe Blutzuckerwerte entscheidend. Bei Typ-2-Diabetikern sind daneben noch Faktoren wie Übergewicht, Störungen des Fettstoffwechsels und Entzündungen Ursache der Nerven-Schädigung. Das Risiko für eine Polyneuropathie erhöht sich offensichtlich schon bei über Jahre nur leicht erhöhten Blutzuckerwerten, also im Stadium des Prädiabetes. Ein Verlust von Nervenfasern konnte in Haut-Proben (Haut-Biopsien) bereits wenige Jahre nach Diagnose eines Typ-2-Diabetes in der Deutschen Diabetes-Studie festgestellt werden.
Symptome treten erst spät auf
Die typischen Beschwerden der diabetischen Polyneuropathie sind in der Regel auf eine Schädigung der Nerven, die die Erregung leiten, zurückzuführen. Diese schädigenden Veränderungen können bereits viele Jahre vorliegen, bevor es zu schmerzhaften Symptomen kommt. Dieses Nicht-Spüren der Veränderungen, das mit einem verminderten Schmerz-, Temperatur- und Berührungs-Empfinden einhergeht, kann so schon die Ursache für Geschwüre mit der Gefahr der Amputation sein.
Wie kann man die diabetische Neuropathie nachweisen?
Für die erfolgreiche Behandlung ist die frühzeitige und richtige Diagnose entscheidend. Ein Kriterium dafür sind die typischen Beschwerden. Darüber hinaus verwenden Ärzte eine Art Punktesystem (Score), das hilft, eine Diagnose zu stellen. Zwei dieser Scores sind der Neuropathie-Symptom-Score (NSS) und der Neuropathie-Defizit-Score (NDS).
So ist es zum Beispiel wichtig, festzustellen, ob ein Patient Schmerzen oder Missempfinden spürt oder ob er nichts spürt und Reflexe sowie Vibrations- und Temperatur-Empfinden nicht mehr oder abgeschwächt nachweisbar sind. Für die Untersuchung verwenden Ärzte „einfache“ Hilfsmittel wie Zahnstocher, die Rydel-Seiffer-Stimmgabel, einen Wattebausch und ein Monofilament (siehe Kasten).
Einfache neurologische Untersuchungs-Methoden zur Diagnose der sensomotorischen diabetischen Neuropathie (nach M. Haslbeck)
- Schmerz-Empfinden: z. B. mit Zahnstocher, Neurotip
- Berührungs-Empfinden: z. B. mit Wattebausch
- Temperatur-Empfinden: z. B. mit kalter Stimmgabel, TipTherm
- Vibrations-Empfinden: mit 128-Hz-Stimmgabel nach Rydel-Seiffer:
- am Großzehen-Grundgelenk innen (untere Normgrenze bis 30 Jahre 6/8, über 30 Jahre 5/8)
- falls kein Empfinden besteht: Fuß-Innenknöchel (untere Normgrenze bis 40 Jahre 6/8, über 40 Jahre 5/8)
- Muskel-Eigenreflexe: mit Reflexhammer (Achilles-, Patellarsehnen-Reflex)
- Druck-Empfinden: mit 10-g-Monofilament (an der Fußsohle des Vorfußes im Bereich des Zehenballens)
So behandelt man die diabetische Polyneuropathie
An erster Stelle steht natürlich, dass man versucht, die eigentliche Ursache auszuschalten. Zu den allgemeinen Maßnahmen zählen
- die optimale Blutzucker-Einstellung,
- das Optimieren der Durchblutung, des Blutdrucks, des Gewichts,
- die Behandlung erhöhter Blutfette (z. B. LDL-Cholesterin),
- ggf. der Verzicht auf Alkohol und Nikotin.
Als nicht medikamentöse Therapien haben sich besonders physikalische Therapieverfahren bewährt wie
- Physiotherapie,
- Ergotherapie,
- Massage,
- manuelle Therapie zum Verbessern der Stand- und Gangsicherheit,
- Elektrotherapie mit Reizstrom, Mikrowelle, Ultraschall zum Stärken der Muskelkraft,
- Vierzellen-Bäder, Krankengymnastik sowie Wechselbäder.
Wenn dies nicht oder nicht mehr zu einer Besserung der Beschwerden führt, behandelt man symptomatisch – man behandelt nicht die Ursache, sondern lindert nur die Beschwerden durch bestimmte Medikamente.
Medikamentöse Therapie
Um die Schädigung der Nerven zu reduzieren bzw. positiv zu beeinflussen, hat es zahlreiche Untersuchungen mit Tieren gegeben. Daraus hat man Medikamente entwickelt, die zum Teil die Beschwerden der Patienten bessern können.
Den Krankheits-Prozess möglicherweise beeinflussende Medikamente
Alpha-Liponsäure, Benfotiamin
Alpha-Liponsäure wirkt antioxidativ und wird z. B. als Infusions-Behandlung mit anschließender vorübergehender Einnahme von Tabletten eingesetzt. Möglich ist auch Benfotiamin, ein fettlöslicher Abkömmling von Vitamin B1, das ebenfalls eventuell den Krankheits-Prozess beeinflussen kann.
Schmerzen bzw. Beschwerden lindernde Medikamente
Antiepileptika, Antidepressiva
Hier werden insbesondere Antiepileptika (Medikamente eigentlich zum Behandeln einer Epilepsie, also eines Krampfleidens) in Kombination mit Antidepressiva (Medikamente eigentlich zum Behandeln einer Depression, die aber hier nicht gleichzeitig vorliegen muss) zur Behandlung des Schmerzes im Rahmen der diabetischen Neuropathie eingesetzt. Dazu gehören insbesondere die Wirkstoffe Duloxetin und Pregabalin.
Opioide
Gerade durch Opioide kann oft eine deutliche Schmerz-Reduktion erreicht werden. Die Nebenwirkung Verstopfung muss dabei berücksichtigt werden. Neuere länger und gleichmäßiger wirkende Medikamente verursachen dieses Problem oft nicht mehr. Klassische Wirkstoffe sind z. B. Tramadol und Oxycodon, ein neuerer Wirkstoff z. B. Tapentadol.
Antirheumatika, Entzündungs-Hemmer
„Anti-Rheuma-Mittel“, z. B. Diclofenac, Ibuprofen und Paracetamol und auch Metamizol helfen in der Regel bei Nerven-Schmerzen nicht oder nur sehr wenig. Außerdem haben diese Medikamente einige Nebenwirkungen, die beachtet werden müssen. Lokal können auch Pflaster mit Chili (Capsaicin) vorübergehend helfen.
Bessere Lebens-Qualität
Eine völlige Schmerz-Freiheit ist oft nicht möglich. Bereits eine leichte Reduktion der Schmerzen verbessert aber oft dramatisch die Lebens-Qualität.
Zusammenfassung
Schmerzen, Missempfindung, aber auch Muskel- und Geh-Probleme (Gang-Unsicherheit) führen Menschen mit einer Polyneuropathie oft zum Arzt. Es sollte rechtzeitig über einen Facharzt eine genaue Diagnose mit der Ursache gestellt werden, um eine gezielte Therapie einleiten zu können. Dies ist bedeutend, weil es sich oft um eine langwierige Therapie handelt. Die eigentlichen Ursachen sollten zuerst angegangen werden. Eine möglichst gute Einstellung des Blutzuckers ist unbedingt erforderlich – neben der Reduktion weiterer Risikofaktoren wie übermäßiger Alkohol-Genuss, Rauchen usw.
von Dr. med. Gerhard-W. Schmeisl
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (6) Seite 32-35
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gingergirl postete ein Update vor 4 Tagen, 9 Stunden
Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
Danke schonmal im Voraus-
darktear antwortete vor 22 Stunden, 48 Minuten
Hallo,
Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*LG Sndra
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hexle postete ein Update vor 5 Tagen, 12 Stunden
Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.
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lena-schmidt antwortete vor 13 Stunden, 26 Minuten
@stephanie-haack hast du vielleicht ein paar gutes Tipps?
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