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Wussten Sie, dass auch Tiere an Diabetes erkranken können? Dr. Nicola Kristin Haller ist Kleintierärztin in der Fachtierarztpraxis Elbmarsch in Winsen/Luhe. Journalistin Susanne Löw hat sich mit ihr unterhalten. Eine Sache hat sie dabei besonders überrascht: Auch Hunde und Katzen tragen gelegentlich einen FreeStyle Libre!
Dr. Nicola Kristin Haller: Laut Studien aus England sind 0,4 Prozent der Katzen und 0,5 bis 1 Prozent der Hunde von Diabetes mellitus betroffen, plus Dunkelziffer. Denn Besitzer wissen oft nicht, dass Diabetes auch bei Tieren vorkommt, und kommen nicht oder zu spät in die Praxis. Das Thema ist nicht so verbreitet wie beim Menschen, begegnet uns aber regelmäßig in der Praxis. Allerdings hat Typ-2-Diabetes in den letzten zwei Jahrzehnten wie beim Menschen deutlich zugenommen, vor allem bei übergewichtigen Großstadtkatzen aufgrund von zu wenig Bewegung und falscher Ernährung
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Haller:Hunde und Katzen sind vorrangig betroffen – aus verschiedenen Gründen: Katzen haben meist eine durch Übergewicht ausgelöste Insulinresistenz. Es gibt auch Katzen mit einem sekundären Diabetes, ausgelöst durch einen Hypophysentumor, der zu viel Wachstumshormone produziert, was sich negativ auf die Ansprechbarkeit von Insulinrezeptoren auswirkt. Während einer Scheinträchtigkeit von Hündinnen kann der hohe Progesteronwert ebenfalls zur Ausschüttung von Wachstumshormonen führen. Typ-1-Diabetes entsteht beim Hund im Rahmen eines angeborenen Defekts oder durch eine – oft autoimmune – Zerstörung des Pankreas im Rahmen einer Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung; Anm. d. Red.). Die meisten Tiere leiden aber an Typ-2-Diabetes.
Haller: Theoretisch kann jede Tierart betroffen sein, aber darüber ist nicht so viel bekannt. Fraglich ist, ob ein Diabetes bei Kleintieren immer erkannt wird. Bei Hase und Co gilt: Je kleiner die Tiere sind, umso weniger zeigen sie Symptome, weil sie sich vor Beutegreifern verstecken müssen. Folglich können wir oft nicht mehr helfen, weil Krankheiten zu spät oder gar nicht erkannt werden. Das Nagetier Degu neigt zu einem fütterungsbedingten Diabetes mellitus.
Haller: Während es bei Katzen mit Typ-2-Diabetes meist ein schleichender Prozess ist, kommen Hunde oft mit einer akuten Ketoazidose zu uns, weil die Hormon-Umstellung in Scheinschwangerschaften so plötzlich erfolgt. Abgesehen davon berichten uns Tierbesitzer, dass ihre Katze so viel trinkt, häufig uriniert – auch neben das Katzenklo. Oder aber der Hund muss nachts ständig raus, weil er den Urin nicht mehr hält. Oft vermuten Tierbesitzer, dass das “nur” am Alter des Tieres liegt.
Haller: Über die Bestimmung des aktuellen Blutzucker- und des Fruktosamin-Werts, der entspricht dem HbA1c als Langzeitzucker. Fruktosamin ist aussagekräftiger als die aktuelle Glukose, denn Katzen haben eigentlich immer eine akute Stress-Hyperglykämie beim Tierarztbesuch. Außerdem klärt man ab, ob sich ursächlich eine Pankreatitis oder ein Tumor, z. B. in der Nebenniere (Morbus Cushing) oder der Hypophyse (Akromegalie, Morbus Cushing), feststellen lässt.
Haller: Wenn die Blutzuckerwerte noch nicht allzu hoch sind, wird eine Ernährungs-Änderung angeordnet. Die Normwerte liegen zwischen 60 und 140 mg/dl (3,3 und 7,8 mmol/l). Allerdings wird der Zielwert bei Hund und Katze nicht so tief angesetzt, weil wir Unterzuckerungen verhindern wollen: Gut eingestellte Tiere liegen dauerhaft unter 250 mg/dl (13,9 mmol/l). Wir spritzen die meisten Tiere direkt von Anfang an, weil sie häufig relativ spät zu uns kommen. Kommen sie in einer Ketoazidose, wird zunächst ihr Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt korrigiert. In der Folge kann dann der Blutzucker mittels humanem Normalinsulin stabilisiert werden – das geht intramuskulär oder intravenös verdünnt. Später erfolgt die regelmäßige Injektion wie beim Menschen subkutan. Hündinnen sollten kastriert werden.
Haller: Das wäre bei Tieren zu kompliziert. Hunde werden zweimal täglich gefüttert und dabei gespritzt. Dabei wird immer dieselbe Menge und das gleiche Diätfuttermittel mit komplexen Kohlenhydraten verfüttert. Katzen fressen von Natur aus ganztägig mehrere kleine Portionen, haben aber auch keinen so starken Blutzucker-Anstieg nach dem Fressen. Die Therapieempfehlung lautet daher bei Katzen mit Diabetes, dass man sie fressen lässt, wann sie wollen – und sie trotzdem zweimal täglich spritzt. Manchmal wird auch Lantus (ein lang wirksames Insulin-Analogon; Anm. d. Red.) einmal täglich bei Katzen gespritzt.
Haller: Tiere mit Ketoazidose müssen häufig zunächst mehrere Tage stationär behandelt werden. Es wird regelmäßig der Blutzucker über einen am Ohr entnommenen Blutstropfen gemessen. Damit erstellen wir Zuckerkurven und passen die Insulindosis an. Danach sollten in regelmäßigen Abständen Zuckertagesprofile erstellt werden, stationär oder durch den Besitzer zu Hause. Einige Besitzer schaffen sich ein Messgerät an und mailen uns regelmäßig Messkurven, andere nutzen Harn-Teststreifen. Die speziellen Blutzuckermessgeräte für Tiere sind aktuell noch sehr teuer, vereinzelt verleihen Kliniken Geräte temporär. Wünschenswert wäre, dass noch mehr Tierbesitzer den Blutzucker ihrer Tiere selbst messen.
Haller: Auch wir nutzen gelegentlich Sensoren wie den FreeStyle Libre für Menschen – in schwer einstellbaren Fällen. Dafür wird eine Stelle am Hals des Tieres rasiert, der Sensor und ein Halsverband zum Schutz angelegt und der Besitzer scannt den Wert regelmäßig. Das funktioniert gut, ist aber mit viel Aufwand und Kosten verbunden.
Haller: Das Spritzen mit humanmedizinischen Einmalspritzen üben wir anfangs gemeinsam mit den Besitzern an einer rasierten Injektionsstelle. Es gibt auch Insulinpens für Tiere, aber die sind noch nicht so verbreitet. Die meisten Besitzer bekommen das Spritzen recht schnell gut hin, wobei es aufgrund der vergleichsweise niedrigen Fallzahlen noch keine strukturierte Schulung für Besitzer gibt.
Haller: “Caninsulin” heißt das speziell für Hunde produzierte, veterinärmedizinische Insulin, “ProZinc” das für Katzen. Außerdem wird bei Katzen gelegentlich ein orales Antidiabetikum, Glipizid, das bei Menschen eingesetzt wird, angewendet. Ich selbst habe aber keine praktische Erfahrung damit.
Haller: Ja, beim Hund beobachten wir zum Beispiel die diabetische Katarakt, eine nicht reversible Linsentrübung. Auch Blasenentzündungen und Polyneuropathien sehen wir oft. Dabei haben Katzen einen wackeligen, plantigraden Gang, bei dem sie mit den Sprunggelenken aufsetzen. Das ist auch ein Anzeichen für einen (zu spät erkannten) Diabetes, das Besitzer oft als Altersschwäche fehlinterpretieren.
Haller: Natürlich bringen wir betroffenen Besitzern bei, dass die Krankheit oft aufgrund des Übergewichts der Katze entstanden ist. Aber es gibt auch eine genetische Disposition, Burma-Katzen sind etwas häufiger betroffen. Es gibt keine verlässlichen Daten, wie viele Fälle genetisch und wie viele durch die Ernährung bedingt sind.
Haller: Das kann beim Hund nach einer Kastration oder Pankreatitis der Fall sein, ja. Bei Katzen sind 25 bis 50 Prozent der Diabetesfälle reversibel, wenn Diät und Bewegung eingehalten werden.
Haller: “Wie der Herr, so’s Gescherr”, sagt ja das Sprichwort. Aber bei Menschen mit Diabetes klappt die Therapie ihrer Tiere meistens besonders gut, weil sie die Abläufe kennen. Die haben die Therapie bei sich selbst im Griff und gehen genauso gewissenhaft bei ihrem Tier damit um. Die Mensch-Tier-Bindung ist nun einmal eine ganz spezielle. Mir tut auch immer die rechte Schulter weh, wenn mein Pferd vorne rechts lahmt …
(Das Interview ist im Original erschienen unter www.blood-sugar-lounge.de.)
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (5) Seite 34-37
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