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Wenn der Blutzucker verrücktspielt, kann das bei Diabetikern auch eine Entgleisung nach oben bedeuten: Werte steigen stark, es droht eine „Ketoazidose“ – ein potentiell gefährlicher Zustand für Diabetiker.
Wenn Typ-1-Diabetiker, die ja kein eigenes Insulin mehr produzieren, trotz hoher Blutzuckerwerte kein Insulin zuführen, übersäuert schließlich das Blut durch Ketonkörper; man nennt dies Ketoazidose, es droht ein ketoazidotisches Koma. Dies kann schon bei relativ niedrigen Blutzuckerwerten geschehen wie 280 mg/dl bzw. 15,6 mmol/l.
Typ-2-Diabetiker, die keinen Zucker in die Zellen aufnehmen können (Insulinresistenz) und die zu wenig Insulin zu den Mahlzeiten produzieren, haben im Gegensatz zu Typ-1-Diabetikern nur einen relativen Insulinmangel; hier können die Blutzuckerwerte oft extrem hoch ansteigen (500 bis 800 mg/dl bzw. 27,8 bis 44,4 mmol/l), bis bei ihnen die Zeichen des beginnenden Komas auftreten.
Das Hauptproblem bei Typ-2-Diabetikern liegt deshalb eher darin, dass große Mengen an Zucker, Flüssigkeit (Wasser) und Blutsalze (vor allem Kalium) über den Urin verlorengehen, wenn der Blutzucker stark ansteigt.
Typische Beschwerden der ketoazidotischen Entgleisung bei Typ-1-Diabetikern sind Müdigkeit, Appetitlosigkeit und Erbrechen. Sie sind so häufig, dass viele Patienten eher an eine Magen-Darm-Verstimmung oder eine Infektion denken als an eine beginnende Stoffwechselentgleisung – gerade bei Reisen in ferne Länder. Es kommt dann häufig zu extremem Flüssigkeitsverlust – wichtig hier: Unbedingt viel Mineralwasser trinken!
Kommt es dagegen zu einem Darminfekt mit Durchfall und Erbrechen und dadurch zu einer Stoffwechselentgleisung, so kann hier der Verlust von Mineralsalzen durch in den Urlaub mitgenommene Mineralkonzentrate (wie Elotrans) ausgeglichen werden.
Kann ein Diabetiker in dieser Situation keine Nahrung mehr zu sich nehmen, muss ein Arzt helfen: Dieser kann über die Vene vor allem Blutsalze zuführen und für Flüssigkeitszufuhr sorgen; in einer solchen Situation ist die engmaschige Kontrolle des Blutzuckers nötig, gelegentlich auch des Auftretens von Ketonen in Urin oder Blut – zum Nachweis einer Blutzuckerentgleisung; also sollten vor allem Typ-1-Diabetiker die Untersuchung auf Ketone in Blut und Urin kennen!
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Typ-1-Diabetiker, speziell Insulinpumpenträger, müssen zum Nachweis oder Ausschluss von Ketonen im Körper bei Übelkeit oder Erbrechen immer einen Ketontest durchführen: entweder im Urin oder im Blut. Ist der Ketontest zwei- oder dreifach positiv, so handelt es sich um eine Stoffwechselentgleisung und nicht um eine harmlose Darminfektion, die meist ebenfalls mit Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen einhergeht.
Merke: Bei unklaren Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen immer auch an eine Stoffwechselentgleisung denken, sofort einen Blutzuckertest durchführen und den Urin oder das Blut auf Ketone testen.
In einer solchen Situation wird erfahrungsgemäß eine größere Menge an schnellwirkendem Insulin benötigt – der Körper ist aufgrund der beginnenden Übersäuerung des Blutes sehr insulinunempfindlich. Typ-1-Diabetiker sollten deshalb wissen, dass sie auch bei einem Darminfekt mit Übelkeit und Erbrechen nie ganz auf das Insulin verzichten dürfen, selbst wenn sie kaum Nahrung zu sich nehmen! Auch wenn sie gar nichts essen, können sie zwar auf das Mahlzeiteninsulin verzichten, in der Regel aber nicht auf das Basalinsulin.
Hohe Blutzuckerwerte müssen außerdem zusätzlich mit Kurzzeitinsulin abgedeckt werden. In einer solchen Situation von Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen ist es auch sinnvoll, möglichst leichtverdauliche Kohlenhydrate zu sich zu nehmen (siehe Info-Kasten).
Die Hyperglykämie, also der Anstieg der Blutzuckerwerte,entwickelt sich meist sehr viel langsamer (über Stunden) als eine Hypoglykämie mit Bewusstlosigkeit. Bei einer Insulinpumpentherapie geschieht ein Blutzuckeranstieg aber meist schneller als bei einer intensivierten Insulintherapie, denn hierbei liegt das Insulinreservoir in der Pumpe vor (in der Patrone und im Katheter) und nicht wie bei der Spritzentherapie im subkutanen Gewebe (unter der Haut) nach Injektion.
Ein Ausfall der Insulinpumpe bzw. eine Verstopfung des Katheters bedeutet einen sofortigen Stopp der Insulinzufuhr und damit schnell einen absoluten Insulinmangel. Die Insulinpumpe enthält nur kurzwirksames Insulin, mit dem sowohl die Basalrate als auch die Mahlzeiten (Bolus) abgedeckt werden.
Also wirkt sich dieser Insulinmangel meist innerhalb weniger Stunden auf den Blutzucker aus – bei Verwendung von kurzwirkendem Analoginsulin rascher als bei Normalinsulin. Durch den absoluten Insulinmangel kommt es zur Hyperglykämie, wobei der Zucker nicht in die Zellen von Muskulatur und Fettgewebe geschleust werden kann.
In der Folge ist der Fettabbau stark gesteigert, wodurch vermehrt freie Fettsäuren entstehen. Die Leber schafft es bis zu einer gewissen Menge, die beim Abbau der Fettsäuren entstehenden Ketonkörper zu verwerten, aber bei zu großem Anfall ist sie überfordert: Ketonkörper bleiben im Blut und verursachen eine Übersäuerung des Körpers mit Erbrechen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Ketongeruch etc.
Jetzt muss sofort auf Ketone in Blut oder Urin getestet und der Blutzucker kontrolliert werden – und danach sofort Insulin entsprechend den erlernten Regeln gespritzt werden, subkutan in den Bauch mit Spritze oder Pen. Geben Sie das Insulin nicht über die Pumpe, denn diese könnte defekt sein. Denken Sie auch daran, sich Hilfe zu holen; wenn notwendig, lassen Sie sich notfallmäßig ins Krankenhaus einweisen.
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Typ-2-Diabetiker, die mit Tabletten eingestellt sind (z. B. Glimepirid, Metformin), müssen in der Regel die blutzuckersenkenden Tabletten bei Übelkeit und Erbrechen absetzen; denn oft ist nicht klar, was überhaupt vom Magen aufgenommen wird. Es besteht die Gefahr einer anderen Form der Übersäuerung als bei der Ketoazidose (nämlich der Laktazidose).
In einer derartigen Situation sollten Typ-2-Diabetiker ihren Arzt aufsuchen: So kann fachgerecht eine eventuell notwendige Insulininjektion zur Blutzuckersenkung erfolgen und gegebenenfalls gleichzeitig ein Darminfekt behandelt werden.
Eine Blutzuckerentgleisung entsteht bei Typ-2-Diabetikern in der Regel viel langsamer als bei Typ-1-Diabetikern: Meist geschieht dies über mehrere Tage, wobei die Blutzuckerwerte auf über 1 000 mg/dl bzw. 55,6 mmol/l ansteigen können! Anzeichen sind starker Durst und extrem häufiges Wasserlassen, Müdigkeit und Schlappheit. Übelkeit und Erbrechen sind bei Typ-2-Diabetikern im Rahmen einer Stoffwechselentgleisung nicht zu erwarten – sondern eher Zeichen einer tatsächlichen Darminfektion.
Bei Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall sollte unbedingt beachtet werden:
Fieber bedeutet Stress für den Körper – ein Blutzuckeranstieg ist häufig die Folge. Die Gegenspieler des Insulins gewinnen die Oberhand und treiben die Blutzuckerwerte in die Höhe; für Diabetiker bedeutet dies, dass oft bis zu 40 Prozent mehr Insulin, und nicht weniger, benötigt wird. – Typ-1-Diabetiker sind in der Regel so geschult, dass sie den basalen und auch den Mahlzeiten-Insulinbedarf der veränderten Situation anpassen können.
Auch Typ-2-Diabetiker, die mit einem Mischinsulin eingestellt sind, können ihren Insulinbedarf anpassen und sollten z. B. bei fieberhaften Infektionen mit hohen Blutzuckerwerten die Tages-Gesamt-Insulindosis erhöhen (ca. 20 Prozent) – und gleichzeitig etwas häufiger als normal ihren Blutzucker testen; Voraussetzung ist natürlich, dass Sie dieses gelernt haben und Teststreifen und ein Blutzuckermessgerät besitzen!
Sollten Sie damit jedoch nicht klarkommen, müssen Sie unbedingt einen Arzt informieren. Viele Typ-2-Diabetiker nehmen zusätzlich Medikamente: Auch hier sollte man keine selbständige Dosisänderung vornehmen, sondern den Arzt verständigen!
Der Blutzucker spielt auch bei sehr gut eingestellten und konsequenten Patienten manchmal verrückt – dies lässt sich nicht vermeiden. Je besser Sie Ihren Diabetes kennen, desto eher sollten Sie bei unerklärlichen Blutzuckerschwankungen auf Ursachensuche gehen, um lang- und kurzfristige Folgen möglichst zu vermeiden.
Scheuen Sie sich nicht, bei entsprechenden Problemen auch Rat von anderen anzunehmen: Mitpatienten, Ärzten, Diabetesberaterinnen. Eigene Erfahrungen und Wissen sind wichtig, ein Erfahrungsaustausch ist aber durchaus manchmal Gold wert.
Kontakt:
Internist/Angiologe/Diabetologe, Chefarzt Deegenbergklinik, Burgstraße 21, Tel.: 09 71 / 8 21-0 und Chefarzt Diabetologie Klinik Saale (DRV-Bund), Pfaffstraße 10, Tel.: 09 71 /8 5-01, 97688 Bad Kissingen
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2013; 62 (6) Seite 32-35
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