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Standard-Latein-Tanz, orientalischer Tanz und außerdem Laufen, Schwimmen und Radfahren zur Vorbereitung auf den nächsten Triathlon: Sport spielt im Alltag von Antje Thiel eine große Rolle. Ihre Laufreise nach Andalusien mit täglich drei Trainingseinheiten hatte es trotzdem in sich. Hier ist ihr Reisebericht.
Natürlich ist mein Mann Christoph schuld, dass ich mich auf das Experiment Laufreise eingelassen habe. Wie fast immer, wenn es um meine sportlichen Ziele geht. Christoph hat in den vergangenen Jahren bereits einige Marathons erfolgreich hinter sich gebracht und liebäugelte mit einem Aktivurlaub, um sich für die Marathon-Saison 2016 fit zu machen.
Glücklicherweise richtete sich die Laufreise nicht nur an Marathonläufer und solche, die es werden wollen, sondern auch an weniger ambitionierte Sportler wie mich. Sprich: Menschen, die im Alltag Strecken von 5 bis 10 Kilometern laufen und an kleineren Wettkämpfen teilnehmen.
Ehe ich mich versah, hatten wir beide die Reise gebucht und verbrachten Anfang März 10 Tage im wunderschönen, sonnigen Andalusien. In Südspanien ist es um diese Jahreszeit zwar noch nicht sommerlich warm, doch 10 bis 18 Grad im März sind angesichts des in Norddeutschland um diese Zeit üblichen Schmuddelwetters nicht zu verachten. Und die Costa de la Luz (Küste des Lichts) ist immer eine Reise wert, wie ich aus vergangenen Urlauben bereits wusste.
Vor dem Trainingspensum bei der Laufreise hatte ich im Vorfeld der Reise allerdings gehörigen Respekt: ein morgendlicher Nüchternlauf am Strand noch vor dem Frühstück? Mit Sport auf nüchternen Magen konnte sich mein Typ-1-Diabetes bislang nicht so recht anfreunden, der Blutzucker schlug dann immer unschöne Kapriolen.
Die Gründe hierfür hatte ich bereits vor einiger Zeit mit meinem Diabetologen besprochen: Bei nüchternem Magen zapft der Körper notgedrungen die Glykogenreserven in der Muskulatur und in der Leber an. Die frei werdende Glukose braucht Insulin, doch davon habe ich – bis auf mein Basalinsulin – am frühen Morgen vor dem Frühstück keines mehr in der Blutbahn. Infolgedessen steigt der Zuckerspiegel trotz Bewegung ins Unermessliche.
Manchmal war es mir zwar gelungen, diesen Effekt zu vermeiden, indem ich vor dem Sport eine Kleinigkeit wie eine Banane aß und dazu eine klitzekleine Dosis Insulin spritzte – aber zuverlässig war diese Methode nicht immer.
Skeptisch war ich auch, was die Kräftigungsübungen anging, die an jedem Vormittag der Laufreise auf dem Trainingsplan standen. Ich rechnete nach: Wenn wir nach dem Morgenlauf erst etwas später das Frühstücksbuffet ansteuern, dann ist um 11.30 Uhr sicher noch aktives Insulin im Umlauf; eigentlich rät jeder Diabetologe davon ab, dann Sport zu treiben.
Doch ich wollte mich nicht zum Außenseiter in der Gruppe machen, in der außer mir alle eine funktionierende Bauchspeicheldrüse im Gepäck hatten. Ich wollte nicht ständig sagen müssen: “Ich kann das jetzt nicht mitmachen, ich habe doch Diabetes!” Auch die für den Nachmittag geplanten längeren Läufe machten mir Sorgen: Wie würde sich der Muskelauffülleffekt nach dem Sport am Vormittag auswirken auf meine Glukosewerte beim Nachmittagslauf? Würde ich weniger Basalinsulin spritzen müssen, weil die Zellen durch das ausgiebige Training empfindlicher auf Insulin reagieren?
Viele dieser Grübeleien hätte ich mir getrost sparen können, denn mein Diabetes spielte bei der Laufreise trotz des ungewohnten Trainingspensums meist brav mit. Beim ersten Nüchternlauf am Strand wagte ich es einfach, mit einem Glukosewert von 120 mg/dl (6,7 mmol/l) loszutraben; ohne einen Extrabolus Insulin, ohne etwas zu essen. Schließlich sollte das morgendliche Training nicht besonders lang und auch nicht besonders intensiv ausfallen – “ein bisschen Bewegung zum Wachwerden”, hieß es so schön von unseren Trainerinnen.
Und tatsächlich war die Bewegung unter der gerade aufgegangenen Sonne sehr angenehm: gemütliches Traben, Koordinationsspiele, Übungen zur Lauftechnik und ein paar vorsichtige Schritte barfuß in den eisigen Atlantik. Mein Zucker stieg während des Frühsports nur sehr moderat auf unbedenkliche 146 mg/dl (8,1 mmol/l). Ähnlich mustergültig verhielt er sich auch bei allen weiteren Morgenläufen. Manchmal ist weniger also tatsächlich mehr: weniger Grübeln, weniger Zaudern, weniger besorgtes Herumbasteln am Glukosewert.
Mehr als die morgendlichen Nüchternläufe machten mir die Kräftigungsübungen zu schaffen: allerdings nicht aufgrund meines Diabetes, sondern wegen meines Trainingszustands, der über die Wintermonate offenbar ein wenig gelitten hatte. “Du musst Hüfte und Rumpf stabilisieren”, lautete die schonungslose Diagnose der Trainerinnen.
Situps (Rumpfheben), seitliche Liegestütze und andere Übungen zur Kräftigung der geraden, schrägen und seitlichen Bauchmuskulatur sind in solchen Fällen Mittel der Wahl. In meiner Körpermitte machte sich ein gemeiner Muskelkater breit, doch mein Blutzucker zeigte sich von den Maßnahmen zur Rumpfstabilisierung gänzlich unbeeindruckt.
Auch bei den längeren Läufen am Nachmittag bereitete mir meine mangelnde Kondition mehr Probleme als der Diabetes. Ich hatte in den Wochen vor der Reise aus beruflichen Gründen und wegen einer heftigen Erkältung kaum Gelegenheit gehabt zu trainieren. Nach ein paar Kilometern meldeten meine Beine deshalb regelmäßig “wir sind müde” an die Schaltzentrale im Gehirn. Einmal schwänzte ich wegen Muskelkaters den Nachmittagslauf und verzog mich mit einem guten Buch in die Dünen.
Zweimal rauschte mein Glukosewert beim Nachmittagslauf in den Keller – mit 78 mg/dl (4,3 mmol/l) noch kein dramatischer Wert, aber doch tief genug, dass ich erst einmal anhalten und die Gummibärchen-Vorräte anzapfen musste. Abgesehen davon gab es keine großen Ausreißer in meinen Glukosekurven.
Auch die Anpassung des Insulins an die ungewohnte Belastung klappte gut. Weil die nächtlichen Glukosekurven, die ich dank des FreeStyle Libre jeden Morgen studieren konnte, schön stabil waren und keine Unterzuckerung anzeigten, mochte ich meine Basalrate nicht antasten. Tagsüber spritzte ich für jede Mahlzeit einen um etwa 20 bis 25 Prozent reduzierten Bolus, um bei der nächsten Sporteinheit nicht mit einem zu tiefen Glukosewert zu starten.
In der Mittagszeit konnte ich meist etwas Obst essen, ohne dass hierfür ein Bolus nötig gewesen wäre. Insgesamt lagen während der Laufreise 86 Prozent meiner Glukosewerte im Zielbereich – und damit bin ich äußerst zufrieden.
Ich möchte daher andere Diabetiker ermutigen, sich auch einmal an einen solchen Aktivurlaub heranzutrauen. Wer seinen Diabetes eigenverantwortlich managen kann, ein wenig sportliche Kondition mitbringt sowie Lust auf Urlaub in einer Gruppe hat, der wird auf einer solchen Laufreise sicher ebenfalls viel Spaß haben!
von Antje Thiel
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (5) Seite 46-48
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