Der Wechsel weg vom Kinderarzt: Interview mit der Expertin Dr. Gundula Ernst

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Der Wechsel weg vom Kinderarzt: Interview mit der Expertin Dr. Gundula Ernst

Den Übergang Jugendlicher vom Kinderarzt zum Erwachsenenarzt bezeichnet man als „Transition“. Dieser Übergang fällt vielen Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes und ihren Eltern schwer, da sie durch die intensive Zeit nach der Diagnosestellung und den vielen Jahren der Betreuung ein sehr vertrautes Verhältnis zu ihrem Behandlungsteam haben. Hierzu das Interview mit Dipl.-Psych. Dr. Gundula Ernst, Hannover.

Mit dem Erwachsenwerden gehen viele Veränderungen einher. Bei Jugendlichen mit Diabetes kommt zusätzlich der Arztwechsel hinzu. In der Regel dürfen Kinder- und Jugendärzte ihre Patienten nur bis zum 18. Geburtstag betreuen – mit Ausnahmeregel auch bis 21 Jahre. Danach muss ein Wechsel in die Erwachsenenmedizin erfolgen. Diesem sehen die jungen Patienten und ihre Eltern häufig mit gemischten Gefühlen entgegen.

Im Interview: Dipl.-Psych. PD Dr. biol. hum. Gundula Ernst

Foto: MHH

Dr. Gundula Ernst ist Diplom-Psychologin und tätig als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

Zudem ist sie Vorsitzende der Gesellschaft für Transitionsmedizin (GfTM) e.V. und betreut seit 2013 die Internetseite www.between-kompas.de für chronisch kranke Jugendliche und ihre Eltern.

Diabetes-Anker (DA): Was ist für Jugendliche mit Diabetes das passende Alter für den Arztwechsel?

Dr. Gundula Ernst: Im Allgemeinen findet der Arztwechsel zwischen 16 und 21 Jahren statt. Für den genauen Zeitpunkt sollten vor allem die Bereitschaft und die Fähigkeiten des Jugendlichen ausschlaggebend sein. Das heißt: Fühlt er sich noch wohl in der Kinderarztpraxis? Ist er in der Lage, sich weitgehend selbstständig um seine Therapie zu kümmern? Traut er sich, in der Sprechstunde seine Fragen zu stellen? Usw.

DA: Wie finden betroffene Familien nach dem Kinderdiabetologen einen passenden neuen Arzt?

Dr. Ernst: Die Zahl der zur Verfügung stehenden Diabetologen unterscheidet sich sehr von Region zu Region. Im ländlichen Raum hat man häufig nur wenige Alternativen, in der Stadt sieht das anders aus. Hier sollte sich der Jugendliche vorab überlegen, was ihm bei einem neuen Arzt wichtig ist – z. B. Kenntnis der neuesten Diabetes-Technologien, gute Erreichbarkeit der Praxis, Geschlecht des Arztes. Auch der bisherige Behandler ist bestimmt gern behilflich. In der Regel kennen sich die Ärzte untereinander und können Empfehlungen geben – ebenso wie Familienmitglieder, Bekannte oder auch Selbsthilfevereinigungen.

DA: Was halten Sie von Arzt-Bewertungsportalen im Internet?

Dr. Ernst: Durch das Internet haben wir tolle Möglichkeiten, einfach und schnell an Informationen zu kommen. Dennoch möchte ich etwas vor Arzt-Bewertungsportalen warnen. Hier sind vor allem diejenigen aktiv, die sehr zufrieden oder sehr unzufrieden mit ihrem Arztbesuch waren. Besser ist es, sich selbst eine Meinung zu bilden. Dennoch kann das Internet natürlich sehr hilfreich bei der Arztsuche sein. (Anm. d. Red.: siehe Kasten oben)

DA: Geht mein Kind dann allein zum neuen Arzt – und wie erfahre ich, was dort besprochen wird?

Dr. Ernst: Besprechen Sie mit Ihrem Kind, wie es von nun an laufen soll: Möchte der Jugendliche es allein versuchen oder wünscht er sich zumindest beim ersten Besuch Unterstützung? Bis ins Behandlungszimmer oder vielleicht nur bis in den Wartebereich? Die Wünsche des Jugendlichen sind hier ausschlaggebend. Auch dabei, was er bzw. sie Ihnen vom Arztbesuch erzählen will. Seien Sie nicht beunruhigt, wenn Ihr Kind wenig berichtet, sondern fassen Sie es als Zeichen auf, dass Ihr Kind gut mit der Situation zurechtkommt.

Arztsuche

Eine Liste mit Diabetologen findet man z. B. auf der Homepage der Deutschen Diabetes Gesellschaft.

DA: Was, wenn wir nach einiger Zeit merken, dass der neue Arzt nicht passt?

Dr. Ernst: Am Anfang ist es vermutlich immer etwas ungewohnt mit einem neuen Arzt. Da muss man sich und dem neuen Arzt einfach ein bisschen Zeit geben. Aber wenn die Chemie gar nicht stimmt oder etwas anderes sehr stört, würde ich versuchen, den Arzt zu wechseln. In Deutschland gibt es schließlich die freie Arztwahl.

DA: Wie können wir unser Kind gut auf den Übergang vorbereiten?

Dr. Ernst: Damit fangen Eltern am besten schon sehr früh an, indem sie ihr Kind ab Schuleintritt altersangemessen in die Therapie einbeziehen und ihm schrittweise Verantwortung übertragen. Geben Sie Ihrem Kind beispielsweise ab dem Beginn der Pubertät die Chance, auch allein mit dem Arzt zu sprechen. Indem Sie nicht die ganze Zeit dabei sind, wird der Jugendliche automatisch mehr in die Therapieplanung und Entscheidungsfindung einbezogen.

DA: Sollen sich Eltern bei Jugendlichen besser ganz raushalten?

Dr. Ernst: Nein, Eltern bleiben in der Regel noch lange Zeit die wichtigsten Ansprechpartner – vor allem in Gesundheitsfragen. Aber genauso, wie sich die Rolle Ihres Kindes ändert, muss sich auch Ihre Rolle ändern. Sie werden zum Berater Ihres Kindes. Überlegen Sie z. B. gemeinsam, welche verschiedenen Lösungsmöglichkeiten es bei einem Problem gibt und welche Vor- und Nachteile damit verbunden sind. Versuchen Sie dann aber, die Entscheidung Ihrem Kind zu überlassen – auch wenn es vielleicht schwerfällt!

DA: Frau Dr. Ernst, herzlichen Dank für die Informationen.

Schwerpunkt „Von Babys, Kindern und Jugendlichen“


Interview: Redaktion Diabetes-Anker

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (1) Seite 26-27

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  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

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