„Diabetes-Kids“-Initiator Michael Bertsch: Immer für die Kinder da

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„Diabetes-Kids“-Initiator Michael Bertsch: Immer für die Kinder da | Foto: privat
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„Diabetes-Kids“-Initiator Michael Bertsch: Immer für die Kinder da

Wer über Diabetes-Kids spricht, spricht automatisch über Michael Bertsch und seine Familie. Er startete, bald nachdem seine Tochter Typ-1-Diabetes bekommen hatte, das digitale Forum – das inzwischen auch „in Echt“ sehr viel für Familien anbietet, deren Kinder mit Diabetes leben.

Im Interview: Michael Bertsch

Die Wege, die Diagnose Typ-1-Diabetes des eigenen Kindes zu verarbeiten, sind sehr verschieden. Bei Michael Bertsch war es der Wissensdurst, der ihn im Jahr 2000 schnell ins Internet führte – und dann auch zu eigenen Aktivitäten mit der Gründung der Website diabetes-kids.de. Dass die eineinhalbjährige Carolin Typ-1-Diabetes bekam, war „natürlich absolut traumatisch. Wir hatten vorher überhaupt keine Berührungs­punkte mit der Krankheit, keine Ahnung, was es bedeutet“, berichtet ihr Vater rückblickend.

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Einsame Abende und ein Tagebuch

Seine Frau betreute die kleine Tochter in der Klinik. Michael Bertsch konnte an den Tagen jeweils nur kurz dort sein, weil er arbeiten musste und die beiden älteren Söhne ihn auch brauchten. „Ich habe dann halt an meinen einsamen Abenden vor dem Computer gesessen und habe versucht zu recherchieren. Und ich habe angefangen, Tagebuch zu schreiben über Carolins Manifestation und ihre ersten Tage in der Klinik – und zwar so, als ob sie es schreibt. (…) Das war dann auch der allererste Inhalt von Diabetes-Kids.“ Damit war, mit kleinen Umwegen über andere Domains, die Informations- und Austausch-Plattform für Eltern von Kindern mit Diabetes und auch die Kinder und Jugendlichen selbst geboren.

Vom Internet zu Segeltörn und Skifreizeit

Carolin ist inzwischen eine junge Frau, mitten im Studium „Soziale Arbeit“, nach einer Ausbildung zur Erzieherin. Sie macht mit bei Diabetes-Kids, wie auch ihre Mutter Susann. Denn aus der reinen Internet-Plattform ist inzwischen ein Vollzeit-Job mit vielen Veranstaltungen geworden wie Segeltörns und Skifreizeiten und auch virtuellen Terminen und Angeboten, um als Familie mit einem oder mehreren Kindern mit Typ-1-Diabetes gut leben zu können.

Diabetes-Anker (DA): Michael, Du bist, seit deine Tochter Carolin Typ-1-Diabetes bekam, sozial sehr aktiv. Warst du das vorher auch schon?

Michael Bertsch: Tatsächlich gar nicht. Ich habe damit angefangen etwa ein halbes Jahr, nachdem Caro den Typ-1-Diabetes bekommen hat. Das war ziemlich genau um diese Zeit vor 25 Jahren. Am Tag vor Weihnachten 2000 habe ich Diabetes-Kids gestartet.

DA: Wie war der Moment, als du und deine Frau von Carolins Diabetes erfuhren?

Michael Bertsch: Boah, natürlich absolut traumatisch. Wir hatten vorher überhaupt keine Berührungspunkte mit der Krankheit und keine Ahnung, was es bedeutet. Wir mussten auch erst dreimal zum Kinderarzt, bevor er es, kurz bevor es zum Koma gekommen wäre, überhaupt diagnostiziert hat. Der Blutzuckerwert damals war 780 (mg/dl bzw. 43,3 mmol/l; Anm. d. Red.). Dann sind wir, beziehungsweise erstmal meine Frau, mit Carolin in die Notaufnahme gefahren und dort wurde es dann ganz klar diagnostiziert. Wir waren natürlich erstmal völlig hilflos und überfordert.

DA: Carolin war ja noch sehr klein, anderthalb Jahre alt. Erinnerst du dich, wie es für sie zu Beginn war?

Michael Bertsch: Zu Beginn ging es ihr natürlich gar nicht gut. Carolin hatte stark abgenommen, sie war richtig apathisch. Sie war vorher immer ein sehr fröhliches Kind, konnte auch schon sprechen, war auch schon trocken – und das war dann alles auf einmal, auch schon kurz vor der Diagnose, nicht mehr so. Sie hatte wieder in die Windel gemacht und war auch nicht mehr so aufgeweckt, wirklich apathisch – und wir waren sehr ratlos, bevor der Kinderarzt das endlich diagnostiziert hatte.

DA: Wie waren diese erste Zeit und auch die darauffolgenden Wochen und Monate für euch? Was war gut und was hat euch gefehlt?

Michael Bertsch: Wir sind im Krankenhaus erstmal mit einer Notbesetzung aufgenommen worden. Die Ärztin war nicht die Stationsärztin aus der Diabetologie, sondern eine Urlaubsvertretung, die ziemlich unmöglich zu uns war, uns von oben herab behandelt und nicht ernst genommen hat. Aber dann kam zum Glück der Oberarzt zurück, der ein routinierter Kinderdiabetologe war und uns gut an die Hand genommen hat. Ich denke, das ist auch extrem wichtig. Die Hilflosigkeit war eben sehr groß und man hat natürlich alle möglichen Fragen als Eltern.


Es war tatsächlich zu der Zeit sehr mühsam, aus dieser Informationsfülle das rauszufiltern, was mit Typ-1-Diabetes bei Kindern zu tun hat.


DA: Was hat die Zeit dann ausgezeichnet, als der Oberarzt die Betreuung übernommen hat?

Michael Bertsch: Er hat uns wirklich gut an die Hand genommen, hat uns angehört, hat auch Fragen beantwortet – auch wenn er vielleicht die eine oder andere davon komisch fand. Und er hat uns das Gefühl gegeben, dass unser Kind da in guten Händen ist. Meine Frau war dann fast die ganze Zeit bei Carolin in der Klinik, ich dann zumindest nach Feierabend, denn ich musste ja auch arbeiten.

Ich habe dann an meinen einsamen Abenden vor dem Computer gesessen und habe versucht zu recherchieren. Und ich habe angefangen, Tagebuch zu schreiben über Carolins Manifestation und ihre ersten Tage in der Klinik – und zwar so, als ob sie es schreibt. Sie war natürlich erst anderthalb, sie konnte nicht schreiben, aber ich habe es eben so formuliert. Das war dann auch der allererste Inhalt von Diabetes-Kids.

Das habe ich dann online gestellt und es wurde innerhalb kürzester Zeit sehr oft aufgerufen, wurde dann im Radio auf Bayern 3 Gesundheitsradio vorgelesen – und das war so ein bisschen die Erkenntnis: Da muss man einfach mehr machen, da herrscht ein wirkliches Defizit an Informationsaustausch und an Netzwerken, die eben Eltern in Situationen, wie wir es waren, auffangen. Dieses Tagebuch von Caro gibt es auch heute noch auf Diabetes-Kids.

DA: Und das ist auch das, was euch gefehlt hat, dieses Aufgefangenwerden durch andere Eltern oder Familien, in denen ein Diabetes aufgetreten ist?

Michael Bertsch: Genau das hat uns gefehlt und auch konzentrierte Informationen. Es gab ganz viele Sachen, die man zum Thema Diabetes gefunden hat, davon waren aber 99 Prozent völlig irrelevant, weil es um Diät und Ernährung und Abnehmen ging. Es war tatsächlich zu der Zeit sehr mühsam, aus dieser Informationsfülle das rauszufiltern, was mit Typ-1-Diabetes bei Kindern zu tun hat.

DA: Was hat die Diagnose für euer weiteres Familienleben bedeutet?

Michael Bertsch: Erstmal haben wir natürlich alle funktioniert. Wir haben dafür gesorgt, dass es unserer Tochter gut ging. Damals natürlich noch mit wesentlich konventionelleren Mitteln, als es sie heute gibt. Aber wir haben eben 10-, 15-, 20-mal am Tag gemessen, natürlich auch nachts. Wir haben vielleicht ein bisschen unterbewusst unsere Söhne aus den Augen verloren, weil Carolin halt viel Aufmerksamkeit brauchte. Wir haben, wie gesagt, funktioniert – und das fällt erst nach einer Weile von einem ab, wenn man ein bisschen zur Ruhe kommt.

Als Eltern sind wir ja in der luxuriösen Situation, dass wir den Diabetes irgendwann „los sind“. Unser Kind behält ihn leider für immer und wir würden sicher alles machen, um ihr das abzunehmen, aber das geht nun mal leider nicht. Wenn man dann zur Ruhe kommt und sich einfach mal Gedanken macht und mal reinspürt, was man in der Zeit vielleicht auch versäumt hat, aufgrund des Raumes, den die Krankheit eingenommen hat, das macht einen dann schon teilweise traurig.

DA: Wie alt waren eure Söhne zum Zeitpunkt der Diagnose?

Michael Bertsch: Der jüngere zehn und der ältere zwölf, die haben uns also schon noch gebraucht. Sie haben sich zum Glück gegenseitig gehabt und sehr viel miteinander gemacht. Das war sicher auch hilfreich. Wenn man sie heute darauf anspricht, haben sie es auch nicht so empfunden, dass sie vernachlässigt wurden.


„Im Endeffekt war uns immer die Beziehung zu unserem Kind wichtiger als vielleicht ein HbA1c-Wert.“


DA: Wie hat sich Carolin entwickelt vom Kleinstkind mit Diabetes zur heute jungen Frau mit Diabetes und inzwischen berufstätig und erfolgreich?

Michael Bertsch: Sie war tatsächlich zwischendrin berufstätig und hat eine abgeschlossene Ausbildung zur staatlich geprüften Erzieherin. Aber momentan studiert sie in Dortmund Soziale Arbeit – sie möchte noch einen akademischen Abschluss haben. Nebenher arbeitet sie noch in einem Kinderheim und auch das macht sie sehr gut und sehr gerne. Sie ist ein sehr sozialer und empathischer Mensch. Ich habe das Gefühl, sie ist eine überwiegend glückliche junge Frau.

Sie hatte auch mal Phasen mit Depressionen, was bestimmt auch im Verlauf mit dem Diabetes zusammenhängt. Sie hat auch noch ein paar andere Baustellen, wie eine Hashimoto-Thyreoiditis (autoimmune Entzündung der Schilddrüse; Anm. d. Red.), eine Vitiligo, also die Weißflecken-Krankheit, und sie hatte vor einigen Jahren eine sehr kritische Sinusvenen-Thrombose. Alles Dinge, die man eigentlich als junger Mensch nicht braucht, weil man leben und Spaß haben will. Wegen der Depression war sie auch in psychologischer Behandlung und hatte sich dort sogar selbst eingewiesen. Wir sind sehr stolz auf sie! Mittlerweile hat sie ihre Therapie abgeschlossen und ist jetzt gefühlt auf einem sehr guten Weg.

Sie hat, wie wahrscheinlich viele Jugendliche, auch mal ein paar Jahre ihren Diabetes sehr schleifen lassen. Da ist man natürlich als Eltern immer in einem maximalen Zwiespalt: Wie viel Druck kann ich machen, was ist sinnvoll, was ist zu viel Druck? Im Endeffekt war uns immer die Beziehung zu unserem Kind wichtiger als vielleicht ein HbA1c-Wert. Aber das quält einen natürlich als Eltern sehr, wenn man eben sieht: Okay, das funktioniert nicht richtig. Denn man sieht natürlich auch immer dieses Damokles-Schwert mit Spätfolgen über seinem Kind schweben.

Aber mittlerweile ist sie nach unserer Einschätzung recht gut dabei und wir bekommen ihre Werte gar nicht mehr zu sehen. Sie hat eine Insulinpumpen-Therapie mit AID (automatisierte Insulin-Dosierung; Anm. d. Red.) und CGM-Sensoren und kümmert sich darum. Ich habe das Gefühl, dass sie das ganz gut im Griff hat.

DA: Sodass der Weg einer mit Aufs und Abs war? Und inzwischen mehr Aufs?

Michael Bertsch: Ja, absolut. Sie ist auch immer mit großer Freude und großer Motivation bei den Diabetes-Kids-Events dabei, sie macht virtuell die Teens-Treffs etwa einmal im Quartal. Und sie ist natürlich auf fast allen unseren Freizeiten – Skifreizeit, Segeltörn, Sommertreff – dabei. Ab und zu fällt mal eine aus, weil sie gerade eine Prüfung hat in ihrem Studium. Diabetes-Kids ist daher auch ein richtiges Familienprojekt.

DA: Du hattest eben schon erzählt, dass du dieses Tagebuch, das du aus Sicht von Carolin geschrieben hast, als ersten Inhalt auf Diabetes-Kids gestellt hast. Was war für dich das entscheidende und auslösende Moment, die Plattform zu gründen?

Michael Bertsch: Ich hatte tatsächlich vorher ein paar Domains angemeldet, einfach zum Spielen, weil mich Internet interessiert hat. Eigentlich völliger Quatsch: washast.de, waskannst.de, waswillst.de. Sie haben ja nicht viel gekostet. Als ich dann dieses Tagebuch geschrieben habe und es Diabetes-Kids noch nicht gab, habe ich eine dieser Domains, nämlich washast.de/diabetes, genutzt, um das Tagebuch zu veröffentlichen. Ich dachte halt, das würde vielleicht auch andere interessieren, was dann ja auch so war.

Ich hatte dann auch parallel Unternehmen angeschrieben und habe von denen Tabellen oder Kohlenhydrat-Nährwertangaben eingefordert und die dann in eine ganz große Liste gepackt. Damals standen noch nicht auf allen Lebensmitteln Nährwerte. Das war lange Deutschlands größte kostenlos zugängliche Kohlenhydrat-Tabelle, mit, ich glaube, über 8000 Lebensmitteln. Ich bin dann auch sehr rabiat mit den Unternehmen umgegangen, die mir nichts geschickt haben. Ich habe dann zum Beispiel mit Logo geschrieben: „Har… macht nur gesunde Kinder froh“. Irgendwann haben sie mir dann ihre Nährwert-Tabelle geschickt…

Die BE-Tabelle gibt es auch heute noch, aber mittlerweile gibt es auch andere Listen, die viel umfangreicher sind. Die Domain Diabetes-Kids kam dann erst im Dezember 2000.


„Mittlerweile sind zwischen 50 und 70 Prozent aller deutschen betroffenen Familien regelmäßig auf Diabetes-Kids. Wir haben über 200.000 Seitenaufrufe in jedem Monat.“


DA: Diabetes-Kids war zum Start also erstmal, mit dem Umweg über washast.de/diabetes, eine Informationsplattform? Heute ist es ja ein sehr großes Austausch-Forum.

Michael Bertsch: Als ich Diabetes-Kids ins Leben gerufen habe, habe ich natürlich die Inhalte, die ich schon hatte, dort eingebaut, aber habe die Seite auch relativ bald interaktiv gestaltet. Da gab es ein Forum und einen Chat-Raum, wo sich die Besucher der Website austauschen konnten. So ist das peu à peu gewachsen. Mittlerweile sind zwischen 50 und 70 Prozent aller deutschen betroffenen Familien regelmäßig auf Diabetes-Kids. Wir haben über 200.000 Seitenaufrufe in jedem Monat. Wenn man überlegt, dass es „nur“ ca. 30.000 betroffene Familien gibt, ist das schon sehr viel.

DA: Du hast schon die Freizeiten erwähnt. Was kam seit der Gründung noch bei Diabetes-Kids virtuell und auch real dazu?

Michael Bertsch: Wir haben relativ früh angefangen, uns zu treffen. Ich glaube, 2001 war das erste Treffen im Allgäu, auf einem Ferienbauernhof. Dort haben wir uns zweimal getroffen. 2003 sind wir dann das allererste Mal auf einem Campingplatz am Edersee gewesen, wo wir dann auch über 20 Jahre waren. Leider hat der Campingplatz einen neuen Besitzer und der möchte keine Gruppen mehr. Deswegen haben wir im letzten Jahr statt des Ederseetreffens, zusammen mit Andrea Witt von den Zuckerschnuten, einen Sommertreff in Plön organisiert. In diesem Jahr war der Sommertreff wieder etwas zentraler, Ende August in Duderstadt in Niedersachsen.

Ansonsten haben wir vor etwa zehn oder elf Jahren angefangen zu segeln. Wir sind einmal im Jahr für vier bis fünf Tage ab Harlingen in Holland auf einem Drei-Mast-Schoner, der Noorderlicht, im Wattenmeer unterwegs. Dort gibt es 40 Betten, also 20 Kabinen, jeweils für ein Elternteil und ein Kind mit Diabetes. Zwei Kabinen haben wir noch für die Crew, also eine Ärztin oder einen Arzt und ein kleines Team. Wir sind da jedes Jahr völlig überrannt von den Anmeldungen. Leute, die schon mal dabei waren, wollen unbedingt wieder mit – wir könnten eigentlich jedes Jahr sechs bis sieben Schiffe füllen. Wer schon mal dabei war, hat nur vielleicht als Nachrücker eine Chance, noch mal dabei zu sein. Mittlerweile ist es so, dass wir fast nur noch die mitnehmen, die sich vorher schon mindestens ein- bis zweimal erfolglos angemeldet hatten. Wir würden natürlich gerne alle mitnehmen, aber wir haben nur ein Schiff.

Die größte Freizeit ist seit acht Jahren unsere Skifreizeit in Österreich mit über 300 Leuten, alles Kinder mit Typ-1-Diabetes, ihre Eltern und auch Geschwister. Die findet auch sehr großen Anklang und wir könnten sie jedes Jahr zweimal füllen. Vorteil ist, dass das Hotel nur per Gondel zu erreichen ist und wir es in unsere Skiwoche komplett für uns alleine haben. In dem recht überschaubaren Skigebiet fahren auch fast ausschließlich Hotelgäste. Damit ist so ziemlich alles, was da an diesen Tagen auf der Piste unterwegs ist, Diabetes-Kids. Das heißt, jeder, der da fährt, kennt sich zumindest annähernd mit dem Thema Diabetes aus. Wenn da ein Kind sitzen bleibt und es ihm nicht gut geht, ist sofort jemand da.

Die Freizeit findet nicht in den Schulferien statt und die Kinder bekommen von der teilnehmenden Ärztin oder dem teilnehmenden Arzt eine Bescheinigung mit einer Empfehlung zur Freistellung vom Schulunterricht. Ich habe es tatsächlich noch nie erlebt, dass eine Schule sich quergestellt hat. Das gilt auch für die Geschwisterkinder, denn die dürfen natürlich auch mit. Und es ist uns nie irgendwelcher Ärger mit der Schule zu Ohren gekommen.

DA: Das klingt alles sehr zeitaufwendig. Wie viele Stunden in der Woche verbringst du geschätzt mit Diabetes-Kids?

Michael Bertsch: Ich würde sagen, weil ich natürlich auch am Wochenende daran arbeite, das geht Richtung Vollzeitjob. Ich habe zum Glück eine ganz tolle Familie und eine ganz tolle Frau, die mir ganz viel abnimmt. Ich mache zu Hause wenig bis nichts. Dadurch, dass meine Frau das ermöglicht, geht das überhaupt. Sonst hätte ich keine Chance.


Diabetes-Kids ist mit den Jahren absolut ein Familienprojekt geworden.


DA: Nimmt sie dir nur Sachen ab oder unterstützt sie dich auch beim Betreiben der Website oder bei den Aktivitäten?

Michael Bertsch: Wo sie absolut hilfreich ist, ist immer vor den Veranstaltungen in der Planung und Ausarbeitung der Zeitpläne. Wir brauchen ja dann immer auch einiges an Kram wie Spielsachen für die Kids oder solche Sachen. Da ist sie immer voll mit im Boot. Sie weiß alles, berät mich intensiv und ist auch bei einigen Veranstaltungen, lieber bei den kleineren, mit dabei. Bei den größeren Events ist meine restliche Familie dabei: Carolin fast immer, oft auch mein jüngerer Sohn Marius mit seiner Familie und auch mein älterer Sohn Dominic. Ich habe mittlerweile zwei Enkelchen und auch die kommen schon sehr gerne mit, besonders auf die Skifreizeit. Von daher ist Diabetes-Kids mit den Jahren absolut ein Familienprojekt geworden.

DA: Man kann fast sagen, dass ihr völlig in Diabetes-Kids als Familie aufgegangen seid im Leben. Vermisst du andere Aktivitäten, für die dir dadurch die Zeit fehlt?

Michael Bertsch: Tatsächlich vermisse ich ein bisschen mehr Zeit für meine und mit meiner Familie. Ich vermisse ein bisschen mehr Zeit, hier auch zu Hause Aufgaben zu übernehmen. Und ich vermisse die Zeit, für mich selbst gesundheitlich was zu tun, Fitness oder dergleichen. Mit der Reduktion meiner Arbeitszeit auf 40 Prozent seit dem 1. August und der Möglichkeit, die Arbeitszeit flexibel einzuteilen, denke ich, dass sich das dadurch schon sehr entspannt.

Ich arbeite bei einem Schweizer Unternehmen namens Renata, das zur Swatchgroup gehört. Wir sind tatsächlich auch im Diabetesbereich sehr aktiv. Es gibt ganz viele Diabetes-Anwendungen, wie Insulinpumpen, CGM-Systeme, die mit Renata-Batterien laufen. Ich bin da zuständig für die Geschäftsentwicklung Medical. Wenn ich zum Beispiel auf den ATTD oder zur EASD gehe, habe ich immer zwei Hüte auf: einen aus der Sicht der Menschen mit Typ-1-Diabetes und den anderen aus Unternehmenssicht.

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft hat vor einer Weile eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben gerufen, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt. Auch da geht es häufig um das Thema Batterien… Da bin ich mit Prof. Lutz Heinemann (Mitglied der Arbeitsgemeinschaft; Anm. d. Red.) immer mal beratend im Austausch. Aus Sicht der Unternehmen, die diese Batterien einsetzen, ist es natürlich auch immer super, wenn da jemand sitzt, der Ahnung hat, wie das Produkt tatsächlich genutzt wird.

Da kann mir ein Entwickler zehnmal sagen, dass ein Smart-Pen zum Beispiel nur bei Raumtemperatur funktionieren muss. Dann kann ich ihm sagen: „Du kennst deine Patienten nicht. Die lagern den Pen oft im Kühlschrank, nehmen ihn raus und geben sofort Insulin ab – dann muss er bei Kühlschrank-Temperatur funktionieren, sonst gibt es ein Problem.“ Das kann da zehnmal auf dem Datenblatt stehen, wie es sich der Entwickler denkt – wenn der halt den Patienten nicht kennt, baut er da ein Problem ein, das er vermieden hätte, wenn er wüsste, wie die Patienten tatsächlich die Produkte handhaben.

DA: Gab und gibt es neben all deinen Aktivitäten auch Zeit für echte Familienurlaube?

Michael Bertsch: Ja, immer. Wir haben immer Urlaub gemacht, wir gehen gern auf Kreuzfahrten. Als Carolin klein war, waren wir sehr oft in einem Ferienhaus von Freunden in Spanien. Da wussten wir, wo alles war, da war auch teilweise schon alles im Kühlschrank, was man so braucht. Das war für uns ein Safe Space. Wir wussten, wo der nächste Arzt und der Lebensmittelladen sind und was man da kaufen kann.

DA: Aber Diabetes-Kids schläft nicht und ihr bleibt kreativ…

Michael Bertsch: Stimmt! Was jetzt relativ neu ist: Seit der Corona-Pandemie kann jeder Online-Meeting-Systeme bedienen. Seitdem haben wir angefangen, auch Online-Events zu machen, die sich sehr großer Beliebtheit erfreuen. Seit etwa drei Jahren machen wir Online-Sprechstunden alle zwei Wochen mit der Diabetespsychologin Isabel Laß, die selbst seit ihrer Kindheit Typ-1-Diabetes hat, zu wechselnden Themen wie Spritzenangst, Spritzdemenz, Ernährung oder Diabetes bei Jugendlichen – ein immer sehr spannendes Thema – oder Beziehungsprobleme bei den Eltern wegen des Diabetes. Wir begrenzen die Teilnehmerzahl auf maximal 14, damit es noch interaktiv und persönlich bleiben kann.

Die Sprechstunde bzw. die Psychologin wird finanziert und unterstützt über ein Spendenprojekt von diabetesDE. Isabel war auch auf ganz vielen Freizeiten von uns schon als Referentin dabei. Neben den Online-Sprechstunden gibt es Online-Treffs mit Carolin und Online-Elterntreffs. Wir machen Webinare mit Unternehmen, zum Beispiel Insulinpumpen- und CGM-Herstellern, die über Neues berichten. Da haben wir teilweise über 200 Teilnehmer. Was auch sehr häufig genutzt wird, ist unser Diskussionsforum. Das ist ein bisschen seriöser als Facebook oder WhatsApp und vor allen Dingen auch nachhaltiger, weil natürlich alle Beiträge, die dort geschrieben werden, und auch die Antworten nach Rubriken gegliedert dort gespeichert werden. So kann man sie jederzeit suchen und wieder abrufen.

Und natürlich sind die Inhalte geprüft. Da sind viele seriöse Eltern drin, die auch Moderator-Rechte haben und damit die Möglichkeit, einzugreifen. Ich lese auch so ziemlich alles quer. Die Moderatoren schlagen sofort Alarm, wenn irgendwas Blödes passiert, aber tatsächlich passiert in unserem Forum nur ganz selten mal was Komisches und das ist dann auch meistens nach fünf Minuten wieder entfernt.


Es ist wichtig, dass die Familien bei einem guten Kinderdiabetologen oder einer kinderdiabetologischen Praxis in Behandlung sind, die sie auffängt, ernst nimmt und auch selbstständig macht.


DA: Du hast eben schon diabetesDE als Unterstützer erwähnt. Wie überzeugst du Sponsoren, bei euch einzusteigen?

Michael Bertsch: Ich biete Pakete an. Meistens treffen wir eine Jahresvereinbarung mit den Diabetes-Unternehmen. Da ist das Banner drin auf der Website, im Newsletter, da sind die Teilnahme an unseren Freizeiten und dort natürlich auch eine Produktvorführung sowie Webinare mit drin.

DA: Die Diabetes-Industrie verändert sich ja im Moment ein bisschen in ihrem Verhalten, was Sponsoring angeht. Spürst du das auch?

Michael Bertsch: Im aktuellen Jahr noch nicht, aber es kann schon sein, dass sich das mal etwas konsolidiert. Momentan sitzt das Geld ja überall nicht mehr so locker. Ich glaube aber auch, dass das Geld deswegen etwas knapp ist, weil es immer mehr Veranstaltungen gibt, die sich gegenseitig kannibalisieren. Es gibt eingesessene Veranstaltungen wie den t1day, den DDG-Kongress und solche Dinge – und es gibt Newcomer, die sich auch aus diesen Sponsorengeldern finanzieren. Irgendwann sind natürlich sowohl der Geldtopf als auch personelle Ressourcen, welche man dafür braucht, eben leer.

DA: Wie sieht die Zukunft von Diabetes-Kids aus?

Michael Bertsch: Ich möchte Diabetes-Kids auf solide Füße stellen. Momentan hängt sehr viel von mir persönlich ab. Wenn ich ausfalle, ist es schwierig für meine Familie, das weiterzuführen, gerade die Website. Für die Organisation der Veranstaltungen vor Ort habe ich zum Glück immer genug Helfer und Unterstützer, aber im Vorfeld die ganze Planung läuft über mich. Von daher wäre mein Ansatz, Diabetes-Kids in eine zukunftsfähige Struktur zu bringen, vielleicht in eine Stiftung.

Ich muss mich damit noch befassen, aber etwas in der Art schwebt mir vor, sodass ich dann auch mehr Kapital akquirieren und dann auch vielleicht jemanden einstellen kann. Ich habe ja erzählt, dass unsere Freizeiten alle maximal überbucht werden. Wenn man da ein paar mehr Leute am Start hat, kann man natürlich auch mehr machen. Und irgendwann komme ich vielleicht auch nicht mehr mit, denn die Technik entwickelt sich rasant. Deswegen will ich das so gestalten, dass Diabetes-Kids auch Bestand hat über Michael Bertsch hinaus.

DA: Wenn du zurückblickt auf die vielen Jahre: Was war das Traurigste, das du bei deinen Diabetes-Aktivitäten erlebt hast?

Michael Bertsch: Zwei Jugendliche, die vor vielen Jahren mit uns am Edersee waren, sind verstorben. Beide waren bereits von zu Hause ausgezogen, relativ früh, relativ jung, und haben ihre erste Party-Alkohol-Erfahrung gemacht – allein, ohne dass jemand das auffangen konnte. Eins der wichtigsten Dinge für eine betroffene Familie ist ein guter Kinderdiabetologe. Und davon gibt es tatsächlich leider nicht genug in Deutschland. Es gibt etwa 250 Kinderdiabetologen in Deutschland, darunter natürlich motivierte und aufgeschlossene, aber auch nicht so motivierte, informierte.

Es ist wichtig, dass die Familien bei einem guten Kinderdiabetologen oder einer kinderdiabetologischen Praxis in Behandlung sind, die sie auffängt, ernst nimmt und auch selbstständig macht. Oberlehrerhaftes Weißkittelgehabe ist für eine Diabetes-Familie eigentlich ein Killer, denn der Arzt sieht das Kind einmal im Quartal – und den Alltag haben die Eltern an der Backe. Die Eltern sind eigentlich der Arzt, und wenn ich Eltern kleinhalte oder für dumm verkaufe, ist das nicht förderlich, denn man entlässt sie in die Hilflosigkeit.

Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass Familien, also nicht nur Kinder, sondern auch die Eltern, andere Betroffene kennenlernen. Das macht es viel einfacher, weil die Probleme überall ähnlich sind und man lernt, wie andere damit umgehen, gerade auch bei unseren Elterntreffs oder unseren Freizeiten. Dann treffen alte Hasen auf Neulinge. Die kriegen damit einfach eine ganz andere Perspektive.

DA: Gibt es aber auf der anderen Seite etwas, was du als das Tollste bezeichnen würdest?

Michael Bertsch: Das Tollste ist natürlich das, was wir an Feedback bekommen, zum Beispiel von den Familien, die bei unseren Freizeiten sind. Wenn ein kleiner Junge nach einer unserer Freizeiten zu seiner Mama sagt: „Mama, hier bin ich nicht mehr anders“, ist das natürlich krass, da kriegt man Gänsehaut. Toll ist natürlich auch, dass sich daraus ein Stück weit unser Lebensmittelpunkt gebildet hat und viele unserer Freunde aus dem Bereich kommen. Mittlerweile ist auch meine Frau beruflich als Medizinprodukteberaterin aktiv. Sie erklärt Patienten, die zum Beispiel eine neue Insulinpumpe bekommen, deren Handhabung. Obwohl unsere Tochter mittlerweile nicht mehr bei uns wohnt, sind wir trotzdem noch die Diabetes-Kids Family.

DA: Was möchtest du unbedingt noch im Rahmen deiner Diabetes-Kids-Aktivitäten auf die Beine stellen?

Michael Bertsch: Am 10. Januar 2026 feiern wir unser 25-jähriges Jubiläum in Neu-Isenburg. Eigentlich ist es am 23. Dezember, aber da kommt sicher keiner (lacht). Tagsüber gibt es eine Art Hausmesse mit Kinderbastelprogramm. Jeder kann kommen! Es sind Unternehmen und Diabetes-Fachleute da, es gibt Kinderbasteln und wir verleben einen bunten Tag zusammen. Am Abend gibt es noch eine geschlossene Veranstaltung, wo nur geladene Gäste hinkommen, zum Dankesagen an alle Unterstützer aus den letzten 25 Jahren.

Ein Plan ist auch, mal ein Event im Phantasialand zu gestalten. Da muss ich aber erstmal schauen, ob sich das umsetzen lässt und sich Sponsoren finden. Ansonsten würden wir vielleicht auch noch mal eine Flusskreuzfahrt machen mit den Familien. Seit Ende Juli ist auch unser neues Maskottchen BÄRT1 am Start – BÄRT1 ist ein kleiner, mutiger Superhelden-Bär mit einem großen Herz. Er liebt Abenteuer, Honigwaffeln und hat Typ-1-Diabetes. Wer Fragen an BÄRT1 hat oder Ideen, was er erklären oder erzählen soll, kann ihm gern unter baert1@diabetes-kids.de schreiben!

DA: Vielen Dank, Michael, und weiter gutes Gelingen mit den Diabetes-Kids!



Interview: Dr. med. Katrin Kraatz

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